Harriet Köhler - Und dann diese Stille

  • Klappentext:
    Walther sitzt an Grethes Krankenbett und sieht hilflos die letzte Chance verstreichen, ihr alles zu erzählen. Jürgen will seinem Vater zur Seite stehen, aber der wehrt seine Hilfe ab. Dennoch entsteht zwischen den beiden Männern eine Nähe - eine Nähe, die neu für sie ist. Als Walther damals aus dem Krieg und der Gefangenschaft kam, war Jürgen bereits zehn, er hat seinen Sohn nicht aufwachsen sehen. Diese Jahre haben sie immer getrennt, in denen viel passiert ist. Erlebnisse, für die es keine Worte gibt. Doch nun wird Walther zum Pflegefall und Jürgen zum Pfleger, und Vater und Sohn entkommen sich nicht mehr. Als dann auch noch Jürgens Sohn Nicki die beiden besucht, der mit Ruth gerade zum ersten Mal erfährt, wie schön und schwer es ist zu lieben, wird die Mauer des Schweigens rissig und die Vergangenheit blitzt hervor. Alte, bislang nie ausgesprochene Konflikte bahnen sich wütend ihren Weg an die Oberfläche und führen zu einer vorsichtigen und zarten Annäherung.


    Die Autorin:
    Harriet Köhler, geboren 1977 in München, hat Kunstgeschichte studiert und besuchte die Deutsche Journalistenschule. Ihr Debütroman "Ostersonntag" war bei Kritik und Lesern ein großer Erfolg. Sie lebt und arbeitet in Frankfurt am Main.


    Meine Meinung:
    Beginnend mit dem Tod Grethes erzählt Harriet Köhler eine Familiengeschichte, drei Generationen umfassend.
    Walther, mittlerweile 95 Jahre alt, ist damals aus der Kriegsgefangenschaft nach Hause gekommen, während Grethe mit ihrem Sohn Jürgen lange Jahre auf ihn gewartet hat.
    Jetzt wird Walther zum Pflegefall und Jürgen, selbst schon nicht mehr der Jüngste, wird zum Pfleger. Viel geredet haben sie nicht miteinander, sie sind sich ein wenig fremd. Der Vater wünscht sich sein altes Leben zurück, am liebsten möchte er Jürgen gerne aus dem Haus haben. Doch Jürgen bleibt, sein Sohn Nicki kommt auf Besuch und bringt seine Freundin Ruth, eine Ärztin, mit. Diese erkennt die Problematik der Familie, das Schweigen in der Familie, dem auch Nicki unterliegt.
    Der Roman erzählt von den Kriegserlebnissen des Großvaters, der DDR-Flucht der Familie mit dem Sohn Jürgen und der Trennung Jürgens von seiner lebenslustigen französischen Frau und letztendlich auch von dem Traumata Grethes, von dem niemand aus der Familie etwas weiß; außer Jürgen, der es als Fünfjähriger mit ansehen musste, es aber verdrängt hat.
    Die Personen dienen auch dazu, ein wenig von der deutschen Geschichte (Zweiter Weltkrieg, Teilung Deutschland, Wiedervereinigung) zu erzählen.
    Wie auch schon in "Ostersonntag" erzählt Harriet Köhler gekonnt von der Sprachlosigkeit innerhalb einer Familie; dabei wechselt die Erzählperspektive.


    Das Cover gefällt mir gut, nur so nebenbei. :wink:


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Vielen Dank, Conor, für die Rezi. Nun ist da Buch endgültig auf meine Wunschliste gelandet, auch wenn es bestimmt noch dauern, bis es lesen werde. :wink:

  • Danke für die schöne Rezi, Conor. Das Buch ist mit Sicherheit etwas für mich. Ich habe es gleich mal auf meine Wunschliste gesetzt und hoffe, dass es mir bald über den Weg läuft. :)


    Liebe Grüsse
    Wirbelwind


    :study: Marcia Rose, Das Haus der Geheimnisse

    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • Danke für die treffende Rezi,Conor.
    Ich habe das Buch vor ein paar Wochen gelesen und wollte gerade was drüber schreiben, als ich deine Besprechung fand.
    Was mich auch fasziniert hat, ist die Tatsache, wie die Sprachlosigkeit von einer Generation an die nächste weitergegeben wird.
    Mir fällt da das Lied der Parzen ein:
    So sangen die Parzen;
    Es horcht der Verbannte,
    In nächtlichen Höhlen
    Der Alte die Lieder,
    Denkt Kinder und Enkel
    Und schüttelt das Haupt.


    Johann Wolfgang von Goethe


    Liebe Grüße
    rainy

  • Jürgen, Ende 60, kehrt in das Örtchen zurück, in dem seine Eltern leben, weil seine Mutter mit schlechter Prognose im Krankenhaus liegt. Der Abschied kommt dann auch bald, und Jürgen bleibt vorerst in dem öden Kaff, um das Begräbnis zu organisieren und sich um seinen Vater Walther zu kümmern, der ohne die tatkräftige Unterstützung, die seine Frau ihm die ganze Zeit noch geleistet hat, nicht mehr alleine leben kann. Oder zumindest sollte - das mit dem "Können" sieht Walther definitiv anders.


    Es ist für beide Männer eine ungewohnte und auch oft unangenehme Situation. Jürgen findet sich in einer seltsamen Doppelrolle wieder - einerseits ist er wieder zum Kind geworden im Haus der Eltern, reduziert auf sein kleines Zimmerchen, wenn er nicht ständig im Fokus des Vaters stehen will, doch andererseits ist er nun derjenige, der auf den Vater aufpasst, damit der nicht stürzt, genug isst und trinkt und sich regelmäßig wäscht. Glücklich sind beide nicht mit dem Zustand. Walther fühlt sich gegängelt, Jürgen ist überfordert mit der Betreuung des Vaters und mit der Trauer um die Mutter, der er keinen rechten Ausdruck zu verleihen weiß und die vieles aus der Vergangenheit wieder nach oben spült.


    Jürgens Sohn Nicki steht gerade an einem ganz anderen Wendepunkt in seinem Leben, seine Beziehung zu Ruth wird fester und ernster, der Gedanke an Heirat steht im Raum, er fühlt sich ziemlich glücklich und kann gerade gar nicht brauchen, dass der plötzliche Tod der Großmutter, zu der er keine sonderlich enge Bindung hatte, die Familiendynamik durcheinanderbringt.


    Mir fällt nicht ein, von wem der Ausspruch stammt, es gebe zwischen Eltern und Kindern kein schlimmeres Ungeheuer als das Schweigen, aber er bringt dieses Buch hervorragend auf den Punkt. Schweigen, das Unvermögen, Gefühle zu zeigen oder gar im Gespräch zu thematisieren, das jahrzehntelange Mit-sich-Herumtragen von traumatischen Erfahrungen beherrschen nicht nur die Beziehung zwischen Jürgen und Walther, sondern haben auch die Ehe zwischen seinen Eltern geprägt. Was Walther und Grethe jeweils in den Kriegsjahren erlebten, haben sie einander stets verschwiegen und sich in diesem Schweigen letztendlich ganz gut eingerichtet. Gutgetan hat es ihrer Ehe und Familie nicht.


    Die deutsch-deutsche Geschichte und die verbreitete Schweigekultur der Nachkriegszeit bilden den Nährboden dieses ziemlich trübsinnigen, aber gut beobachteten Romans, der deutlich zeigt, wie stark sich das damals Erlebte und die Nicht-Auseinandersetzung damit auch auf die folgenden Generationen auswirken.


    Leider hat das Buch aber auch ein Manko, das man gerade bei deutschen Autoren häufig findet. Es liest sich sehr ernst, sehr getragen, es gibt kaum einen Moment, in dem so etwas wie Leichtigkeit aufkommt, und auch die Liebesbeziehung zwischen Ruth und Nicki fühlt sich irgendwie nüchtern an, als hätten die beiden Angst, das geringste Fünkchen Romantik könne gleich in schmalzige Sentimentalität abkippen. Ein bisschen emotionaler hätte es hier und da für mich gerne sein dürfen, das hätte der Ernsthaftigkeit des Themas sicherlich keinen Abbruch getan.