Stefan Klein - Da Vincis Vermächtnis

  • oder Wie Leonardo die Welt neu erfand


    In seinem Buch stellt Stefan Klein nicht den begnadeten Maler, den Schöpfer des Abendmahlfreskos oder der Felsgrottenmadonna in den Vordergrund, sondern er bringt seinen Lesern den etwas unbekannteren Leonardo, den begeisterten Forscher und tiefsinnigen Denker nahe. Und ein Genie war der Mann aus dem Dorfe Vinci, der keine höhere Schulbildung besaß und schon mit den Grundrechnungsarten seine Schwierigkeiten hatte, nicht nur auf dem Gebiet der Malerei. Als außerordentlich scharfsinniger und scharfsichtiger Beobachter, dessen Neugier keine Grenzen kannte, formulierte er Fragen und suchte Antworten, die ihn zu erstaunlichen Leistungen trieben. So studierte er die Bewegung des Wassers, den Vogelflug und die Windströmung, um Flugvorrichtungen konstruieren zu können. Er entwarf Automaten und andere Geräte und sezierte unter schwierigen Bedingungen Leichen, obwohl dies prinzipiell bei Strafe der Exkommunikation verboten war. Im Alter beschäftigte ihn sowohl die Frage nach der Entstehung der Welt als auch die Zukunft der Erde, und seine Antworten nahmen darwinistisches Gedankengut vorweg. Stefan Klein vergißt in seinem bemerkenswerten Buch aber auch nicht, auf die widersprüchliche Persönlichkeit des Meisters hinzuweisen. Als Vegetarier aus Tierliebe und Pazifist bekundete er eine hohe moralische Gesinnung - und stellte sich zugleich in den Dienst blutrünstiger Herrscher, für die er Massenvernichtungswaffen entwarf. Ebenso stand er der Reiligion zeitlebens kritisch gegenüber - und schuf Gemälde, aus denen eine tiefe Gläubigkeit spricht. Leonardos Kritiker werfen ihm gerne vor, daß seine Forschungen jeder Systematik entbehren und viele seiner Entwürfe der Erprobung in der Realität nicht standhalten würden. Hinterlassen hat Leonardo da Vinci sein riesiges geistiges Erbe auf rund 10 000 Skizzenblättern, von denen gut die Hälfte verloren ging und der Rest über ganz Europa verstreut wurde.


    Mir war zwar bekannt, daß Leonardo nicht nur als Maler zu Ruhm gelangt war; daß er aber dermaßen viel Zeit und Kraft in sämtliche Wissensgebiete investierte, weiß ich erst, seit ich Stefan Kleins liebevoll recherchiertes Buch gelesen habe. Auf jeder Seite läßt sich Neues über den Meister entdecken und man kann sich über dessen Begeisterungsfähigkeit, die ihm bis an sein Lebensende erhalten blieb, nicht genug wundern. Es ist dem Autor vortrefflich gelungen, die Denk- und Arbeitsweise des Künstlers auf wissenschaftlichem Gebiet aufzuzeigen. In den Kapiteln über die Kriegstechnik und andere mechanische Geräte ist er für meine Begriffe fast zu sehr ins Detail gegangen, während ich über seine Sezierarbeiten gerne noch mehr erfahren hätte. Sehr beeindruckt hat mich auch, wie unbeirrt von äußeren Lebensumständen Leonardo seinen Weg in diesen unruhigen Zeiten ging. Gut gefallen hat mir ebenso, daß der Autor bei seiner Recherchearbeit einige Orte besuchte, an denen Leonardo einst weilte, und den Leser an seinen persönlichen Eindrücken teilhaben läßt. Eine Zeittafel am Ende des Buches nennt die wichtigsten Ereignisse dieser bewegten Epoche, in denen der Meister wirkte und arbeitete. Ich kann dieses interessante und auch illustratorisch sehr schön gestaltete Buch nur wärmstens jedem empfehlen, der auch den Forscher Leonardo da Vinci kennenlernen möchte.