Kathleen Glasgow - You'd be Home Now

  • Klappentext/Verlagstext
    »Joe war mal cool. Jetzt ist er nur noch irgendsoein drogenabhängiger Loser.«

    Emmy steht in einer der Kabinen der Mädchentoilette und weint. Sie weiß, dass ihr großer Bruder Joey viel mehr ist als das. Joey ist derjenige, der ihr das Fahrradfahren beigebracht hat, weil ihre Eltern ständig arbeiten mussten. Joey saß stundenlang mit ihr in der Bettlakenhöhle, und hörte ihr beim Vorlesen zu, selbst als er schon viel zu alt dafür war. Joe zeigte ihr, wie man Rührei macht und ließ sie zugucken, während er malte. Bis zu dem Tag, an dem Emmy an seine Zimmertür klopft und Joey mit kalter Stimme sagt: »Geh weg.«

    Ein Roman darüber, dass kein Mensch nur gut ist oder nur schlecht ... sondern mindestens beides.


    Die Autorin
    Kathleen Glasgow lebt und schreibt in Tucson, Arizona. »Girl in Pieces« ist ihr erstes Jugendbuch und wurde direkt ein »New York Times«-Bestseller. Inzwischen hat sie mehrere Jugendbücher veröffentlicht, die vielfach ausgezeichnet und in 24 Sprachen übersetzt worden sind.


    Inhalt
    Candace MontClair stirbt mit 18 Jahren bei einem Autounfall. Mit im Fahrzeug sind die Icherzählerin Emory, ihr knapp 18jähriger Bruder Joey als Fahrzeugbesitzer und Joeys Dealer Luther. Auch wenn Luther dieses Mal ungeschoren davon kommt, fliegt durch den Unfall Joeys Drogenkonsum auf, der seine häufig beruflich abwesenden Eltern zum Handeln zwingt. Emmy konnte ihren bewunderten Bruder bisher decken, indem sie u. a. seine Schulaufgaben für ihn erledigte. Die Eltern der Jugendlichen sind beruflich zu angespannt und zu erschöpft, um Joeys Absturz zu realisieren. Als jüngstes Kind (die älteste Schwester hat vor kurzem zu studieren begonnen) entwickelt das Mädchen eine Co-Abhängigkeit, indem sie Joeys Drogenkonsum deckt, während sie sich zunehmend wertlos und nicht wahrgenommen fühlt. Als Joey von einer Entziehungskur in einer kostspieligen Privatklinik zurückkehrt, verkünden die Eltern Ward zwar harte Maßnahmen, ändern jedoch nichts am eigenen Verhalten. (Der Vater ist Arzt; Emorys Mutter drückt ihre Angst vor Arzneimittelabhängigkeit Jugendlicher aus, indem sie Emilys Schmerzmittelgebrauch wegen ihrer beim Unfall gebrochenen Kniescheibe penibel kontrolliert, jedoch zugleich selbst Schlafmittel missbraucht.)


    So bleibt Emory weiterhin dafür verantwortlich, dass Joey außerhalb der Schulzeit nie unbeaufsichtigt bleibt und vor allem keinem „schlechten Einfluss“ ausgesetzt ist. In der Schule sieht sie sich aktuell mit der feministischen Literaturkritik ihrer Klassenkameradin Liza an der Schullektüre konfrontiert, die anscheinend spontan den Kanon amerikanischer Klassiker im Lehrplan modernisieren möchte. Lizas couragiertes Auftreten könnte Emory ermutigen, für sich selbst zu sprechen, doch ausgerechnet der Umgang mit dieser einzigen Freundin ist ihr verboten – als schlechter Einfluss. Während sich in der Theater-AG ein weiterer Pfad für Emory ankündigt, aus eigener Kraft ihrer Misere zu entkommen, eskalieren zuhause die Probleme mit Joey.


    Die beiden jüngeren Kinder der Wards genügen offenbar beide nicht den Ansprüchen ihrer Akademiker-Eltern, besonders im Vergleich mit der älteren Schwester Maddie, klug, schön, selbstbewusst, die ideale Persönlichkeit, um den amerikanischen Aufstiegstraum zu erfüllen. Dass die unbeachtete Emory sich in Co-Abhängigkeit verstrickt und für ihr Alter reichlich naiv durchs Leben tappt, gefällt mir zwar als Setting, die Umsetzung allerdings weniger. Kathleen Glasgow verstrickt sich in Nebensächlichkeiten (die sich meist um Lebensstandard und Konsum drehen), reißt zu viele Themen an und wirkt in psychologischen/therapeutischen Themen zu unbedarft. Gestört hat mich die Darstellung der Mutter als fordernde, unnahbare „Kühlschrankmutter“, ein inzwischen als veraltet geltendes Konzept aus der US-Autismusforschung der 40er Jahre. Befremdet hat mich ebenfalls das Vorgehen, einen Betreuer über einen minderjährigen Patienten mit dessen minderjähriger Schwester sprechen zu lassen. Hat nicht jeder Patient den Anspruch auf Vertraulichkeit?


    Fazit
    Kathleen Glasgow legt ein hochaktuelles Jugendbuch (im Original 2021 erschienen) zur Opioid-Krise der USA vor, das durch die Schulsituation der 16-Jährigen Icherzählerin jungen Leser:innen vielfältige Identifikationsmöglichkeit bietet. Es hätte mir besser gefallen, wenn die Autorin den Rat ihrer Lektorin konsequenter befolgt hätte, auf Drama zu verzichten. Für die Zielgruppe ab 14 (die das Buch evtl. als Klassenlektüre lesen wird) wünsche ich mir eine weniger klischeehafte Darstellung der Frauenfiguren und eine Konzentration auf die Hauptproblemkreise.


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