Sabine Rennefanz - Kosakenberg

  • Verlagstext:


    Was ist Heimat und wie lässt man die Provinz hinter sich, davon erzählt Sabine Rennefanz voller Ironie und Melancholie.

    Kathleen hat es geschafft. Sie ist erfolgreich, redegewandt, attraktiv. Seit Jahren lebt sie als Grafikerin in London. Woher sie kommt, hat sie hinter sich gelassen. Zumindest glaubt sie das. Doch die Besuche bei ihrer Mutter im brandenburgischen Kosakenberg konfrontieren sie mit einer Welt, der sie in den neunziger Jahren zu entkommen versuchte und die nun eine ungeahnte Kraft entfaltet. Mit starken Bildern führt Sabine Rennefanz in ein Dorf im Osten des Landes, in dem fast nur Männer geblieben sind und die wenigen Frauen, die nicht das Weite gesucht haben, mit Eiern handeln, von der Liebe träumen und über die reden, die weggegangen sind.

    Quelle: amazon.de



    Meine Meinung:


    Ich freue mich, dass derzeit so viele gute Romane erscheinen, die kitschfrei die DDR, die (Nach-)Wendezeit und die damit verbundenen biografischen und familiären Brüche thematisieren.


    Auch Sabine Rennefanz, die ich als Kolumnistin und Sachbuchautorin schätze, hat nun einen spannenden und reflektierten Roman vorgelegt, in dem die Protagonistin – Ende der Siebziger geboren wie die Autorin und ungefähr auch ich – ihr Heimatdorf bei Berlin hinter sich lässt und in die weite Welt zieht. Was jungen Leuten (und ihren Eltern) aus dem Westen zu dieser Zeit längst eine Selbstverständlichkeit ist, stößt der DDR-Familie, den Dorffreund*innen und deren Elterngeneration übel auf: Was fällt dieser Kathleen ein, wegzumachen, sie im Stich zu lassen, irgendsowas Unbekanntes zu studieren, die denkt ja jetzt, sie sei was Besseres. Ein Lebensentwurf jenseits der DDR-Dorfrealität wird nicht verstanden, man versucht es nicht einmal, und daher grundsätzlich abgewertet und abgelehnt. Nichts, was Kathleen in London beruflich erreicht, zählt oder wird überhaupt zur Kenntnis genommen. Man steigt als Eltern auch aus Prinzip nicht in den Flieger oder ein anderes Fahrzeug, um die neue Lebenswelt der eigenen Tochter mal zu erkunden; sie wird ausgeblendet. Bei Besuchen in ihrem alten Zuhause stößt Kathleen auf eine Mischung aus Sticheleien, Vorwürfen und Ignoranz; Erklärungs- und Vermittlungsversuche ihrerseits scheitern am Desinteresse der Dagebliebenen.


    Ich kenne diese Situation sehr gut aus meiner eigenen Biografie und musste daher öfter wahlweise schmunzeln oder mit den Zähnen knirschen. Die Protagonistin braucht recht lange, um sich schließlich auch innerlich aus ihrem Herkunftsumfeld zu lösen bzw. teilweise fast gewaltsam gelöst zu werden.



    Und es tut ihr gut, endlich gut zu sich selbst zu sein.


    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertungHalb:

    :study: I. L. Callis - Doch das Messer sieht man nicht

    :study: Nadia Murad - Ich bin eure Stimme

    :musik: Asako Yuzuki - Butter (Re-???)

    :montag: Rita Mae Brown - Für eine Handvoll Mäuse (Mrs. Murphy Bd. 21)





  • Ich freue mich, dass derzeit so viele gute Romane erscheinen, die kitschfrei die DDR, die (Nach-)Wendezeit und die damit verbundenen biografischen und familiären Brüche thematisieren.

    Ich auch. Gerade weil ich im Westen groß geworden bin.

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Meine Meinung:


    Ich freue mich, dass derzeit so viele gute Romane erscheinen, die kitschfrei die DDR, die (Nach-)Wendezeit und die damit verbundenen biografischen und familiären Brüche thematisieren.


    Ich kenne diese Situation sehr gut aus meiner eigenen Biografie und musste daher öfter wahlweise schmunzeln oder mit den Zähnen knirschen. Die Protagonistin braucht recht lange, um sich schließlich auch innerlich aus ihrem Herkunftsumfeld zu lösen bzw. teilweise fast gewaltsam gelöst zu werden.

    Buch auf meiner Wunschliste gelandet, danke :) , warte aber ab bis es im Taschenbuch erscheint (hoffentlich!)

    Interessiert mich auch da der deutsche Teil meiner Familie in den 1950ern von Rügen über Berlin aus der Ostzone abgehauen ist und ich immer wieder neugierig bin über die DDR, die Wende, die Menschen usw.

    Französin aus der Bretagne :flower:


    2023: einhundert vier und fünfzig Bücher gelesen :study:


    „Wieder ist es erstaunlich, wie wehrlos alles zusammenbricht.“ (Victor Klemperer)


    "Himmelhoch jauchzend, zum Tode betrübt" (JWvG)