Bernardine Evaristo – Zuleika / The Emperor's Babe

  • Klappentext/Verlagstext
    Zuleika lebt als Schwarzes Mädchen im pulsierenden London des Römischen Reichs. Sie ist das Kind nubischer Einwanderer, ihr gehört die Straße. Mit elf Jahren verheiratet ihr Vater sie an einen reichen Patrizier. Doch Zuleika fügt sich nicht stillschweigend in ihr Schicksal. Hartnäckig kämpft sie um Freiheit in einer Stadt, deren Gesetze von Geld, Sex und Macht bestimmt werden.

    London, 211 n. Chr.: Zuleika ist widerspenstig, schlagfertig und außerordentlich schön. Und sie ist meist auf sich allein gestellt. Doch ihre Freiheit findet ein jähes Ende, als sie von ihrem Vater mit

    elf Jahren an einen alten fetten Römer verheiratet wird. Trotz aller Widrigkeiten macht sie das Beste aus ihrer Situation. In ihrem goldenen Käfig liest sie die großen Dichter, beginnt selbst zu schreiben und zieht heimlich mit ihren alten Freundinnen um die Häuser. Von wahrer Liebe hat sie keinen blassen Schimmer. Dann begegnet sie dem Kaiser Septimius Severus – und ihre Welt wird aus den Angeln gehoben. Sie beginnt eine leidenschaftliche Affäre mit ihm, wohl wissend, dass ihr als treuloser Ehefrau der Tod durch Vergiften droht. Aber Zuleika will um jeden Preis in glühenden Versen ihre eigene Geschichte erzählen.


    Die Autorin
    Bernardine Evaristo, geboren 1959, wuchs als viertes von acht Kindern in London auf. Sie ist Professorin für Kreatives Schreiben an der Brunel University London und stellvertretende Vorsitzende der Royal Society of Literature. Sie gewann als erste Schwarze Schriftstellerin den Booker-Preis für ihren Roman Mädchen, Frau etc. (2021), der auch in Deutschland ein großer Bestseller war. Zuletzt erschien Manifesto. Warum ich niemals aufgebe (2022).


    Inhalt
    Angeregt durch Peter Fryers Buch „Staying Power“ (1984, 978-0745338309) zur Geschichte Schwarzer Briten seit der Zeit des Römischen Reiches hat Bernardine Evaristo (2001 im Original erschienen) die kesse Zuleika entwickelt, die mit 11 Jahren an Senator Lucius Aurelius Felix verhökert wird. Zuleika, deren Vorfahren aus Khartum/Sudan stammen, wird dem dreimal so alten Mann als brav nähendes, schweigsames Geschöpf angedreht. Der Hautton seiner Bella Negrita soll ihn an Sklavinnen aus Nordafrika erinnern. Gemeinsam mit ihrer Freundin Alba sah die kleine Zuleika sich als weibliche Robin-Hood-Figur, die den Reichen ihren Luxus rauben und das Schicksal der Armen rächen wollte. Dass Albas Bruder Catullus eine elitäre Patrizierschule besucht mit Aussicht auf kaufmännische oder politische Karriere, lässt ihr offenbar kein anderes Spielfeld als den der Unruhestifterin. Die Dritte im Bunde der Aufmüpfigen wird im Erwachsenenleben die Barbesitzerin Venus sein, womöglich eine frühe trans Person. Für die Eheschließung mit dem Senator, der sein Leben in Rom wie gehabt mit Nebenfrauen und deren Kindern führt, wird Zuleika gebadet, gepeelt, geschminkt, um unter dem fetten alten Mann ihre erste „Nacht im Reich des Todes“ zu verbringen. Bildung durch einen Hauslehrer ist für Zuleika geplant, obwohl Alba später feststellen wird, dass das Leben einer Frau dadurch unnötig kompliziert wird. Standesgemäß schöner Schein schien Lucius wichtiger zu sein als geübter Small Talk: die Ehefrau eines römischen Senators verlässt das Haus nicht ohne Begleitung von Sklaven.


    Fazit

    Abgesehen von der Verheiratung einer Elfjährigen als Nebenfrau liefert die Autorin einen unterhaltsamen Blick auf Londinium zur Zeit des Römischen Reichs (ab 43 n Chr.) durch die Augen einer gnadenlos frechen Protagonistin. Von der 12er-Latrine bis zur geplanten Orgie wird allerlei aus dem römischen Alltag geboten. Männer kommen, wie zu erwarten, schlecht weg, sie sind dick, weltfremd, gewalttätig oder ungebildet. Wie von Evaristo gewohnt, sind auch Zuleikas Beobachtungen atemlos ohne Punkt und Komma erzählt, an Stelle der erwarteten Satzzeichen stehen Absätze. Auch Zuleika musste vermutlich schnell denken, sprechen und schreiben, ehe ihr das Wort abgeschnitten wurde, da sie als Trophäe diente, weniger als Gefährtin.


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    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: -- Naylor - Die Stimme der Kraken

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    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Die Anregung


    Staying Power is a panoramic history of black Britons. First published in 1984 amid race riots and police brutality, Fryer's history performed a deeply political act, revealing how Africans, Asians, and their descendants had been erased from British history.

    Stretching back to the Roman conquest, encompassing the court of Henry VIII, and following a host of characters from the pioneering nurse and war hero Mary Seacole to the abolitionist Olaudah Equiano, Peter Fryer paints a picture of two thousand years of black presence in Britain. ...

    As Fryer writes in his preface, “This however, though peopled to a large extent by Africans, West Indians, Afro-Americans, and Asians, is a history of the black presence in Britain. And it is written, not just for black or just for white readers, but for all who have a serious interest in the subject.”

    Staying Power presents a radical challenge to racist and nationalist agendas. This edition includes a new foreword by Gary Younge examining the book's continued significance in shaping black British identity today, alongside the now-classic introduction by Paul Gilroy.

    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: -- Naylor - Die Stimme der Kraken

    :musik: --


    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Dieses bereits etwas ältere Buch zeigt erneut, wie vielseitig Bernardine Evaristo schreiben kann: Eine Geschichte aus dem London der Römerzeit, verpackt in einen Versroman, da war ich nach „Mädchen, Frau etc.“, „Mr. Loverman“ und dem autobiografischen „Manifesto“ nun sehr gespannt und wurde auch nicht enttäuscht. Zuleika hat mich als Figur und in ihrem beklemmenden Schicksal sehr berührt. Dieses junge Mädchen, als Kind armer nubischer Einwanderer praktisch auf der Straße aufgewachsen und viel zu früh schon viel zu abgeklärt, wird als Elfjährige mit einem reichen und deutlich älteren Patrizier verheiratet. Was für den Vater die wirtschaftliche Sanierung bringt, bedeutet für Zuleika den Beginn einer Hölle auf Erden: Rücksichtslose sexuelle Gewalt durch ihren Ehemann, der seine „bella negrita“ dann doch nicht als standesgemäße Gattin empfindet, ihr zunächst ein bisschen Halbbildung zukommen lässt und sie schließlich in seinem Palazzo, einem langweiligen goldenen Käfig, verkümmern und versauern lässt, während er sich anderswo mit seiner Konkubine vergnügt. Dass die nach Liebe und Anerkennung hungernde Zuleika sich damit nicht abfindet und Wege sucht, ihrem Dasein einen höheren Sinn als den eines gut gefütterten und gekleideten Sexpüppchens zu geben, ist nur eine Frage der Zeit; dass sie dabei in vielerlei Hinsicht scheitert, liegt an ihren durch ihren Hintergrund und ihren queer-hippen Freund*innen geprägten Vorstellungen von der Art und Weise, Erfüllung zu finden, von denen sie sich nicht zu lösen vermag: schicke Klamotten, gutes Aussehen, coole Partys, möglichst viel Sex mit den richtigen Leuten, sodass es einem etwas bringt – diesem Credo folgt Zuleika, auch wenn der Lohn am Ende anders ausfällt, als sie es erwartet.


    An dieser Stelle ließ der Roman für mich Fragen offen:


    Witzig fand ich die zahlreichen Verknüpfungen mit modernen Begriffen, Musikstilen, Modeschöpfer*innen usw., die Evaristo immer wieder in die Betrachtungen und Dialoge einflicht. Zwar mag ich es auch, wenn Autor*innen ihre Leser*innen diese Verbindungen selbst herstellen lassen, aber hier hat es mir Spaß gemacht und die freche, spritzige Wesensart von Zuleika und ihrem Umfeld unterstrichen, das in ähnlichen Bereichen seine Erfüllung sucht wie auch heute und zu allen Zeiten etliche Menschen.


    Auch die Sprachspiele mit den zahlreich eingestreuten und nicht immer übersetzten lateinischen Begriffen fand ich amüsant, kann mir aber vorstellen, dass Leser*innen ohne Lateinkenntnisse hier dankbar für ein entsprechendes Glossar wären.


    Insgesamt bot dieser Roman wieder zugleich großes Lesevergnügen und reichlich Elemente, über die ich noch weiter nachdenken werde. Ich freue mich auf weitere Werke von Bernardine Evaristo. :dance:

    :study: I. L. Callis - Doch das Messer sieht man nicht

    :study: Nadia Murad - Ich bin eure Stimme

    :musik: Asako Yuzuki - Butter (Re-???)

    :montag: Rita Mae Brown - Für eine Handvoll Mäuse (Mrs. Murphy Bd. 21)





  • Zuleika ist ein in Versform geschriebenes Epos. Keine Angst, man liest sich schnell in die Form ein und merkt gar nicht mehr, dass es Verse sind. Es ist eine wilde Geschichte, die Zuleika selbst erzählt. Ein Mädchen, gerade mal 11 Jahre alt, zugewandert aus dem Sudan, wird an den dreimal so alten reichen Patrizier Lucius Aurelius Felix verheiratet. Zuleika war in den Strassen Londiniums aufgewachsen. Niemand hatte sie auf diese Ehe vorbereitet. Ihre Eltern waren hochbeglückt, dass sich ein derartig reicher Mann für sie interessiert hatte, alles andere war da egal. Sie ist ein Mädchen und hat keinerlei Mitspracherecht.


    Zuleika hofft auf so vieles in ihrem Leben, ist selbstbewusst und schlagfertig. Möchte nicht nur das Bettspielzeug für ihren Mann sein. Sie findet ihn abstoßend, doch was will sie in ihrer Lage tun. Glücklicherweise ist er nicht das ganze Jahr über in Londinium und so findet sie Zeit für ihre Freunde, Partys, für Mode und Glitzer. Sie beginnt sich ein wenig zu bilden. Schreibt Gedichte, die mehr oder weniger gut gelungen sind. Eines Tages entdeckt sie der Kaiser Severus und nimmt sie als seine Geliebte. Zum ersten Mal in ihrem Leben erfährt Zuleika Leidenschaft.




    Eine wilde Geschichte wird da erzählt, sprachlich und inhaltlich von Ideen übersprudelnd. Weniger gut war allerdings, dass einige lateinische Begriffe nicht übersetzt waren und man selbst recherchieren durfte. Das brachte mich manchmal aus meinem Lesefluss heraus. Doch die Freude an diese Erzählung konnte es mir nicht nehmen. Dafür ist sie einfach zu gut. Dankenswerterweise hat der Tropenverlag sich diesem älteren Buch von Evaristo gewidmet, die Übersetzung ist von Tanja Handels. Ich bin immer wieder fasziniert davon, wie vielseitig Bernardine Evaristo als Autorin ist. Auch hier konnte sie mich wieder völlig einnehmen.

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


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