Karin Bojs - Mütter Europas / Min europeiska familj.

  • Kurzmeinung

    Lavendel
    Wie der "Vorgänger" sehr gut recherchiert, spannend & unterhaltsam geschrieben.
  • “Mütter Europas - Die letzten 43’000 Jahre” wurde von Karin Bojs, einer schwedischen Wissenschaftsjournalistin, geschrieben und von Erik Gloßmann ins Deutsche übersetzt. Ein herzliches Dankeschön von mir an den C.H.Beck Verlag, der mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat. Meine Meinung ist natürlich trotzdem meine eigene.


    In “Mütter Europas” geht die Autorin der Frage nach, welche Rolle Frauen in den frühen menschlichen Gesellschaften innehatten. Und wann und wie sich das Patriarchat etablierte. Bojs beschreibt die Entwicklung von Jäger und Sammler Gesellschaften zu sesshaften Bauerngesellschaften. Dabei vollzieht sie auch anhand diverser Ausgrabungsfunde, sprach- und schriftwissenschaftlicher Erkenntnisse, der Domestizierung von Pflanzen und Nutztieren, sowie Handelsgütern und Begräbnistraditionen verschiedene Migrationswellen und Wanderbewegungen von Mensch und Kultur nach, deckt Verschmelzungen und gegenseitige Einflüsse auf. Besonders dienlich sind ihr dabei neue Methoden und Ergebnisse der DNA Analyse, die es möglich machen, Väter- und Mütterlinien durch die Zeit zu verfolgen.

    Das Buch wird als populärwissenschaftliches Werk vermarktet, was aber nicht heisst, dass es deshalb einfach zu lesen und nachzuvollziehen wäre. All die Namen der verschiedenen Kulturen und Fundstätten waren für mich schwer zu überblicken. Und da ich das Buch als ebook auf dem Reader gelesen habe, waren auch die angefügten Karten, welche das Nachvollziehen der Wanderbewegungen erleichtert hätten, für mich leider unbrauchbar. Eine weitere Ebene der Komplexität fügten die wissenschaftlichen Methoden hinzu, mit der Bojs ihre Geschichte der Mütter unterlegt. Da ich nur mit einigen davon vorgängig vertraut war, waren einige Argumente und Schlussfolgerungen für mich wenig nachvollziehbar. Gerade für die DNA Analyse, die hier eine so grosse Rolle spielt, hätte ich mir eine erklärende Einführung gewünscht. So war ich zumindest am Anfang doch etwas verloren und es dauerte eine Weile, bis ich einen roten Faden ausmachen konnte und sich mir gewisse Mechanismen, Zusammenhänge und Techniken erschlossen haben. Die Lernkurve war dann (auch mit etwas eigener Recherche neben der Lektüre) recht steil und so wurde das Buch dann für mich auch immer interessanter, als ich zunehmend mehr verstand, wovon die Autorin spricht. Um die fachliche Ebene zu beurteilen, fehlt mir natürlich weiterhin die Expertise.


    Während ich den Inhalt von “Mütter Europas” grundsätzlich sehr spannend fand, hätte ich mir vielleicht mehr strukturelle Klarheit und sprachliche Prägnanz gewünscht. Es kam öfters zu Wiederholungen, die zwar einerseits hilfreich waren, aber auch Verwirrung stifteten, da sie nicht als solche gekennzeichnet waren. Manchmal fiel mir dann erst nach einer Weile auf, dass es sich hier nicht um neue Information handelte.


    Und noch einmal: Ich fand “Mütter Europas” sehr interessant und lehrreich. Einerseits im Hinblick auf die kulturelle und soziale Entwicklung in Europa und die Rolle der Mütter in frühen Gesellschaften. Besonders ansprechend und beeindruckend finde ich die Vielfalt und -zahl der Informationsquellen, Fachgebiete und Perspektiven, die Bojs einbezieht, um diese komplexe kulturelle und soziale Geschichte unserer Spezies zu zeichnen. Andererseits war es für mich intellektuell eine Herausforderung, teilweise an der Grenze zur Frustration. Zum Genuss der Lektüre empfiehlt sich auf jeden Fall das Printexemplar. Und bestenfalls gewisse Grundkenntnisse der Materie.

  • K.-G. Beck-Ewe

    Hat den Titel des Themas von „Karin Bojs - Mütter Europas“ zu „Karin Bojs - Mütter Europas / Min europeiska familj.“ geändert.
  • Klappentext/Verlagstext
    WANN UND WARUM ENTSTAND DAS PATRIARCHAT? NEUESTE ERKENNTNISSE DER DNA-FORSCHUNG

    Wie lebten Frauen in der Stein- und Bronzezeit? Wie waren die Geschlechterverhältnisse in der Zeit vor Erfindung der Schrift? Bis vor Kurzem beruhten alle Antworten auf diese Fragen mehr oder weniger auf Spekulation. Doch seit DNA-Analysen für die prähistorische Forschung zur Verfügung stehen, hat sich dies geändert. Dieses Buch trägt die neuesten Ergebnisse zusammen und fragt, wann und warum in Europa das Patriarchat entstand.

    Die Prähistorikerin Marija Gimbutas entwickelte in den 1950er Jahren eine Theorie, nach der in «Alteuropa» eher friedliche, matrilineare Gesellschaften existiert hätten, die einem Kult der Muttergöttin huldigten und eher gleiche Geschlechterverhältnisse produzierten. Diese Gesellschaften seien durch patriarchalisch orientierte Reitervölker aus dem Osten verdrängt worden. Gimbutas Thesen wurden lange Zeit weitgehend abgelehnt, doch die neuesten DNA-Analysen stützen sie teilweise. Sie weisen die von ihr beschriebenen Wanderungsbewegungen nach und auch einen Wandel in den Geschlechterbeziehungen. Karin Bojs führt an die Ausgrabungsorte, analysiert die Funde und sucht nach den Faktoren, die patriarchalische Strukturen begünstigten. Eine spannend geschriebene Entdeckungsreise in die Welt der Archäologie.

    "Wir stehen noch am Anfang einer wissenschaftlichen Revolution, aber immerhin hat sie schon begonnen."

    • Wie die DNA-Forschung unser Wissen über die Menschheitsgeschichte verändert
    • Eine Bevölkerungsgeschichte Europas mit besonderem Fokus auf die Frauen
    • Wie unterschieden sich die Lebensverhältnisse von Frauen und Männern in der Stein- und Bronzezeit?
    • Geschlechterrollen in der Frühgeschichte der Menschheit
    • Gab es das Patriarchat schon immer oder ist es erst unter bestimmten Bedingungen entstanden?
    • Eine spannende Entdeckungsreise in die Welt der Archäologie


    Die Autorin

    Karin Bojs war bis 2013 Leiterin der Wissenschaftsredaktion der auflagenstärksten schwedischen Tageszeitung "Dagens Nyheter" und schreibt immer noch Kolumnen für die Zeitung. Sie hat die Ehrendoktorwürde der Universität Stockholm und wurde für ihre Arbeit mit einer Reihe bedeutender Preise ausgezeichnet. 2015 erschien ihr Bestseller "Meine europäische Familie. Die letzten 54000 Jahre".


    Inhalt

    Karin Bojs erzählt von jahrtausendealten Wanderungsbewegungen, die das heutige Europa prägten, und historischen Funden, deren Interpretationen aus weiblicher Sicht von männlichen Archäologen lange unterschätzt wurden. Entscheidenden Anteil am Perspektivwechsel der Gegenwart hatten die DNA-Forschung zu Abstammungslinien und deren Verknüpfung mit archäologischen und linguistischen Erkenntnissen. Die naheliegende Frage, warum weibliche Macht in bäuerlichen Gesellschaften und weibliche Talente so lange eine untergeordnete Rolle spielten, verfolgt Bojs u. a. am Ausnahmetalent Marija Gimbautas (1921-1994), an Olga Soffer (*1942) und weiteren (unterschätzten) Archäologinnen. Gimbautas verband als erste Wissenschaftlerin Erkenntnisse der Archäologie und der Linguistik, um Wanderungs-Bewegungen nachzuweisen. Soffer nahm zuerst den Zusammenhang wahr zwischen der Vernachlässigung weiblicher Talente in der archäologischen Forschung und dem Material, aus dem Frauen Gegenstände fertigten. Metallene Waffen und Werkzeuge bleiben erhalten, lassen sich öffentlichkeitswirksam ausstellen und dienen dem Ruhm ihrer Konstrukteure. Von Frauen gefertigte Kleidung, Körbe oder Fischernetze aus Pflanzenfasern verrotten und rückten offenbar erst in den Focus, als (weibliche) Archäologinnen Spuren der Materialien suchten und Anwendungen nachstellten. Bojs bringt zahlreiche Beispiele dafür, wie die „Schlagseite der Geschichte“ durch rein männlichen Blick mit Forschung von Frauen geradegerückt wurde und männliche Kollegen später Abbitte leisteten.


    Anschaulich und von zahlreichen Quellenangaben unterstützt, trägt Karin Bojs faszinierende Details zusammen, für die teils weiterer Forschungsbedarf besteht und die mir zum großen Teil neu waren. Gewöhnungsbedürftig ist die thematische Gliederung des Buches, die die Informationsverarbeitung zwar erleichtert, aber den zeitlichen und geographischen Überblick erschwert.


    Fazit

    Nicht zu überlesen ist einerseits die Kritik der Autorin daran, dass wissenschaftliche Netzwerke ihrer Profession erheblich schaden, wenn Außenseiterpositionen ignoriert werden, aber auch, dass die Filmindustrie der Forschung einen Bärendienst erweisen kann. Am Ende des für mich als komplette Laiin problemlos lesbaren Buches hat die Autorin nicht nur von Bäuerinnen, Steppenvölkern und Händlern erzählt, sondern überzeugend gezeigt, dass in der Wissenschaft vielsprachige, internationale Teams homogenen Gruppen überlegen sein können.


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