Verlagstext:
1835: Der junge Zoologe Gus wird vom Naturhistorischen Museum in Lille nach Island geschickt, um die Fauna des Nordatlantik zu studieren. Dort wird er Zeuge eines Massakers an einer Kolonie von Riesenalken, einer pinguinähnlichen Vogelart. Gus kann einen der Vögel retten, ohne zu ahnen, dass er gerade das letzte Exemplar seiner Art geborgen hat. Er nennt ihn Prosp – und zwischen dem neugierigen Forscher und dem anfänglich misstrauischen Tier entsteht eine tiefe Freundschaft. Gus wird nach und nach klar, dass er womöglich etwas Einzigartiges und Unvorstellbares miterlebt: Das Aussterben einer Spezies. Was bedeutet es, ein Tier zu lieben, das es nie wieder geben wird? Gus entwickelt eine Obsession mit dem Schicksal seines gefiederten Freundes – eine Obsession, bei der alles andere auf der Strecke bleibt...
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Meine Meinung:
Grimberts schmaler Roman ist eine traurige und wichtige Geschichte rund um das Aussterben einer Vogelart und wie das die Welt ein Stück ärmer macht.
Es hätte auch eine sehr interessante Geschichte werden können, wenn sie ein wenig anders erzählt worden wäre. Wo es im ersten Teil (auf den Orkneys) unnötige Längen gab, fand ich den zweiten Teil (auf den Färöern) viel zu gestrafft. Die Figuren und Schauplätze blieben mir fremd und zu vieles wurde einfach behauptet, berichtet und zusammengefasst statt gezeigt oder auserzählt. Das betrifft besonders das Verhältnis des Forschers zu seiner Frau und seinen Kindern, aber durchaus auch seine Gedanken und Gefühle rund um den Vogel.
Erst den dritten Teil in Kopenhagen und Island habe ich als gelungener wahrgenommen. Sowohl der Protagonist als auch die Autorin scheinen hier endlich aufgewacht zu sein – der Protagonist im Blick auf die immer beängstigendere buchstäbliche Einzigartigkeit seines Vogels, die Autorin im Blick auf das schlüssige Auserzählen und Zeigen der Vorgänge rund um Gus und Prosp.
Hier wurde endlich die im Klappentext erwähnte enge Beziehung zwischen Gus und dem Riesenalk erkennbar. Als sie am Ende in einem Häuschen im Nordwesten Islands hausten, verschwammen sogar durch die Zweisamkeit und die gemeinsamen Gewohnheiten – jagen, essen, schlafen – die Grenzen zwischen Mensch und Riesenalk völlig, sie bildeten gemeinsam eine hybride Spezies. Gus‘ Gewissen schlug immer massiver zu und trieb ihn in eine Reihe von Depressionen, als er erkannte, wie leer und sinnlos das einsame Leben seines alternden Vogels war, von dem ihm allmählich klar wurde, dass er – anders, als Gus von Seebären und Wissenschaftskollegen suggeriert bekam – eben doch der Letzte seiner Art sein könnte, weil die anderen Riesenalken eben doch nicht einfach an einen anderen Ort auf der Erde umgesiedelt waren, sondern weil der Mensch schlicht alle anderen Exemplare dieser Art ausgerottet hatte. In Gus wuchs nun die Reue darüber, dass er Prosp gefangen genommen und ihn zwar versorgt und beschützt, aber versäumt hatte, ihm eine Artgenossin als Gefährtin zu besorgen, als das noch möglich war.
In diesem Zusammenhang fand ich es frappierend, wie die damaligen Forscher den Einfluss des Menschen auf das Artensterben unterschätzten. Diese traurigen, sich aber wiederum ständig im Kreis drehenden Reflexionen waren es zwar durchaus wert, über das für Gus unfassbare Verschwinden von Prosps Artgenossen und das Schicksal von Prosp selbst nachzudenken, irritierten aber wiederholt mit ihren Redundanzen. Grimbert wollte erkennbar sichergehen, dass man Gus‘ Gedanken und Gefühle sowie das Anliegen der Autorin auch wirklich verstanden hat. Mich hat das einfach nur ermüdet. (Erhellend fand ich dagegen die knappen Bemerkungen zur Wissenschaftsgeschichte im Nachwort.)
Am Ende (und das verrät bereits der Klappentext) ist schließlich auch Gus der Letzte seiner Art: der letzte Mensch, der den letzten Riesenalk gesehen hat. Die Autorin legt ihm prophetische Worte in den Mund, die er zu seinem einzigen menschlichen Freund spricht: "Es gibt nur noch tote Tiere, und auch wir sind so gut wie tot."
Trotz der tollen Grundidee konnte das Buch mich also leider nur teilweise abholen. Wahrscheinlich bin ich im Blick auf liebenswert-skurrile oder auch erschreckende Wissenschaftsgeschichte einfach zu verwöhnt von den großartigen Büchern einer Christine Wunnicke oder eines Christoph Ransmayr in diesem Subgenre. Auf so etwas in der Art hatte ich gehofft, wurde aber leider enttäuscht. Das Buch war nicht schlecht, blieb aber für meinen Geschmack trotz des interessanten (und leider hochaktuellen) Themas und der anerkennenswerten Recherchearbeit der Autorin über weite Passagen fad.
3,5 Sterne
(Das Buch erscheint im Juli; ich habe aber keine Hinweise auf eine Sperrfrist gefunden.)