Arno Frank - Seemann vom Siebener

  • Kurzmeinung

    Maesli
    Ein Roman über einen Ort, der Treffpunkt für viele Erinnerungen und einige Neuanfänge ist
  • Klappentext/Verlagstext

    Brütende Hitze, ein Freibad und mittendrin sechs Menschen, deren Lebenswege sich für einen schicksalhaften Moment miteinander verbinden. Arno Franks zweiter Roman erzählt von dem Wunsch auszubrechen und von der Sehnsucht danach anzukommen, von den verborgenen Konsequenzen unserer Entscheidungen und von jenen Orten, die unvergessen bleiben. Ein Buch, so leuchtend wie der letzte Sommertag.

    Es ist heiß. Und die halbe Stadt im Freibad. Da ist Kiontke, der Bademeister, der noch immer am Beckenrand steht, auch wenn die Leute meinen, dass es ihn eigentlich hätte umhauen müssen, dieses Unglück damals. Da ist Renate, die hinter der Kasse sitzt und zu viel raucht und die zwei, vier, acht Sachen an Kiontke mag, was sie natürlich niemals zugeben würde. Joe hingegen versucht anzuschwimmen gegen die vielen verpassten Gelegenheiten in ihrem Leben. Lennart hat es unfreiwillig zurückverschlagen, zu den Anfängen, die seinen späteren Weg bestimmt haben. Da ist Isobel, die das Freibad schon kannte, als es das Freibad noch gar nicht gab, und da sind die beiden Geschwister, die den Seemann machen wollen, erst vom Dreier, dann vom Fünfer, und schließlich vom Siebener – aber der ist gesperrt, seit Jahren schon, seit diesem Unglück damals, das wie ein fernes Donnergrollen unter diesem flirrenden Sommertag liegt.


    Der Autor

    Arno Frank, geboren 1971, ist Publizist und arbeitet als freier Journalist vor allem für den SPIEGEL, die taz und den Deutschlandfunk. Er lebt mit seiner Familie in Wiesbaden. Zuletzt erschien von ihm der Roman "So, und jetzt kommst du" (2017).


    Inhalt

    Als Lennart durch eine kryptische SMS von der Beerdigung seines Jugendfreundes Max im pfälzischen Ottersweiler erfährt, bucht er kurzentschlossen einen Flug nach Deutschland und sagt seinen beruflichen Termin in den USA ab. Lennart hatte mit Max und Josefine/Joe seine Sommer im Freibad des Ortes verbracht und war schon als Jugendlicher ein besessener Porträtfotograf. Damals von den Freunden als Paparazzo bespöttelt, sind seine Porträts inzwischen preisgekrönt, aber nicht unumstritten. Auf Dauer zu dritt „allerbeste Freunde“ zu bleiben, zeigte sich jedoch komplizierter als erträumt, als sich körperliche und geistige Anziehung nicht mehr trennen ließen. Lennarts Beziehung zu Max war spätestens beendet, als der ihn in Kalifornien besuchte und sich „alles größer vorgestellt hatte“. Lennart hatte auch das Freibad seiner Jugend größer in Erinnerung, findet es typisch deutsch und scheint aus seinem Heimatort herausgewachsen zu sein. Heute wird er im Ort als Fremder wahrgenommen, sobald er seinen ersten - hochdeutschen - Satz formuliert.


    Andeutungen über Schwimmmeister Kiontke geben noch nicht preis, auf welches Ereignis der Vergangenheit die Handlung zusteuert. Die handelnden Figuren sind in den 80ern geboren, das zentrale Geheimnis, auf das Arno Franks Leser:innen lange warten müssen, geschah circa 1995. Franks Figuren verbinden alltägliche Beziehungen, zwischen Eltern und Kindern, Geschwistern, Liebenden, Schülern und Lehrerin, Angestellten und Chef, Dagebliebenen und Fortgegangenen. Wer dageblieben ist, mag keine Veränderungen, das zeitlose Freibad symbolisiert diese Haltung.


    Renate war als Jugendliche in der Psychiatrie und arbeitet heute an der Kasse des Freibads; ein Arbeitsplatz, der durch einen Automaten ersetzt werden könnte. Nun steht Max’ Beerdigung bevor – und seine Frau Josefine/Joe ist noch unentschlossen, ob sie daran teilnehmen will.


    Als hochinteressante Figur habe ich Isobel Trautmann erlebt, bei der die Beteiligten Latein hatten. Mit weit über 80 Jahren schwimmt sie jeden Tag. Wenn sie gelegentlich den Faden ihres Lebens verliert, gerät sie in phantastische Szenarien, kann die Realität zusammenfalten und wird darin z. B. zur Liliputanerin. Ihr Mann entwarf das Schwimmbad um einen Baum-Veteranen herum, und die Leute aus Ottersweiler scheinen bis heute damit hochzufrieden zu sein. Ein normales Bad, in dem Kiontke die beweglichen Teile schmiert, alles gern adrett hat und nachts von seinen Dämonen eingeholt wird.


    Als Fan von Schwimmbad-Romanen wäre ich in die Handlung gern flott eingetaucht, doch die Figuren ließen ihre Masken leider erst nach einem Viertel des Romans fallen. Ihre Insider-Gespräche wirkten anfangs auf mich floskelhaft; man kennt sich, jeder weiß, wer mit wem liiert war und erinnert sich an das für den Ort traumatische Ereignis – und was ist mit den Leser:innen?


    Fazit

    Ein komplexer stimmungsvoller Roman, der sehr glaubwürdige Figuren der 80er Generation noch einmal im Freibad ihrer Jugend aufeinander treffen lässt, aber mich als Leserin m. A. zu lange im Unklaren ließ, wer warum welches Problem mit den anderen hatte.


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    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: -- Naylor - Die Stimme der Kraken

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    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Das 80er-Feeling kann Frank großartig, das fand ich schon in "So, und jetzt kommst Du" klasse.


    Danke für Deine Eindrücke!

  • "Seemann vom Siebener" von Arno Frank beschreibt einen heißen Sommertag in einem Dorffreibad in der Pfalz. Einem Freibad, auf dem der Schatten einer Tragödie liegt, die sich dort vor wenigen Jahren ereignet hat.



    Dorffreibäder sind seit jeher Orte, an denen im Sommer alle aufeinandertreffen, Familien mit Kindern, Jugendliche, Singles, Pärchen, Senioren. Ein Mikrokosmos mit eigener Dynamik und einem eigenen Rhythmus, der aufmerksamen Beobachtern Einblicke in das Leben der Besucher gewährt und einen interessanten Schauplatz für dieses Buch bildet.


    Der Roman wechselt häufig die Erzählperspektive und lässt uns den Tag im Freibad aus mehreren Blickwinkeln erleben: Da ist Kiontke, der langjährige Bademeister, Renate, die Frau an der Kasse, Sergej vom Kiosk, und da sind die Besucher Melanie, Lennart, Josephine und Frau Trautheimer, die aus unterschiedlichen Gründen das Freibad aufsuchen und deren Wege sich dort kreuzen. Und dann ist da noch das namenlose Mädchen mit seinem Bruder, das als Ich-Erzählerin besonders heraussticht. Das Leben aller ist auf verschiedene Weise mit dem Freibad verbunden, als Arbeitsplatz, als Ort der Erinnerung an vergangene Tage, an die Leichtigkeit und die Verheißungen der Jugend, an Tragisches und Schmerzhaftes, an Wendepunkte im Leben. Und im Laufe der Geschichte wird klar, dass auch dieser Tag ein solcher Wendepunkt sein kann, der Dinge abschließt und einen neuen Anfang ermöglicht.


    Das Buch lebt von Arno Franks Gefühl für Sprache und seinem genauen Blick auf die kleinen, unscheinbaren Dinge. Besonders gelungen fand ich die Zeichnung der einzelnen Personen, deren Charaktere bis in die Sprache hinein so detailliert und nuanciert ausgearbeitet sind, dass ich sie in allen Einzel- und Eigenheiten lebhaft vor Augen hatte.


    Ein sehr berührender, leiser Roman mit wehmütigen, aber auch hoffnungsvollen Momenten, und eine Hommage an die unscheinbaren alten Freibäder, die denen, die hinhören, vom Leben erzählen.

  • Tiefgründiger als zunächst angenommen

    Ottersweiler ist ein kleines pfälzisches Dorf mit einem schönen Freibad. Dort treffen sich an diesem heißen Sommertag die unterschiedlichsten Leute. Dauerschwimmer, die jeden Tag dort anzutreffen sind wie die ehemalige Lehrerin Frau Trautmann, und andere, die schon jahrelang nicht mehr dort waren wie der bekannte Fotograf Lennart, den es in die USA verschlagen hat und der nur deshalb in den Ort seiner Kindheit zurückgekehrt ist, weil sein ehemals bester Freund Max am Abend beerdigt wird. Dann ist da noch das namenlose Mädchen, dem das Buch seinen Titel verdankt, denn sie will an diesem Tag ein Trauma überwinden und einen Seemann, eine Art Kopfsprung, vom Sieben-Meter-Brett hinlegen. An der Kasse des Schwimmbads sitzt Renate, die sich die Zeit mit Kreuzworträtseln vertreibt und nicht zu vergessen das Urgestein des Schwimmbads, der Bademeister Kiontke, der mir im Lauf des Buchs immer sympathischer wurde.


    „Seemann vom Siebener“ ist in drei Teile unterteilt. Im ersten Teil werden die Personen vorgestellt, allerdings auf eine für mich sehr verwirrende Weise. Beispielsweise ist mal von Isobel die Rede, dann wieder von Frau Trautheimer. Zu Beginn weiß man nicht, dass es sich um ein und dieselbe Person handelt. Es sind Puzzlestücke, die noch nicht zusammenpassen. Am Ende dieses Abschnitts war ich ziemlich enttäuscht und der Meinung, dass mir dieses Buch nicht gefallen wird. Doch schon im zweiten Abschnitt ändert sich das Bild. Man beginnt Zusammenhänge zu sehen oder zumindest zu erahnen. Im dritten Abschnitt steuern die Ereignisse auf einen dramatischen Höhepunkt zu, dessen Ausgang allerdings offenbleibt. Sicher ist jedoch, dass dieser Tag im Schwimmbad für jede der Hauptpersonen eine Veränderung herbeigeführt hat.


    Sehr schön ist im Übrigen auch die Beschreibung der Atmosphäre des Schwimmbads: die Betonstufen, auf denen sich die Sonnenhungrigen tummeln, nach dem Motto „sehen und gesehen werden“, die jugendlichen Turmspringer, der Frittenduft, der vom Kiosk her über das Becken weht und natürlich die Trägheit eines heißen Sommertags.


    Ein wirklich beeindruckendes Buch, in dem allerdings vieles nur angedeutet wird und somit Platz für Spekulation lässt. Wenn ich das Buch nicht im Rahmen einer Leserunde gelesen hätte, wäre mir mit Sicherheit manche Andeutung und Interpretation entgangen. Ein Buch, bei dem sich das Durchhalten lohnt, denn der erste Eindruck täuscht. Es ist weitaus tiefgründiger als der Beginn vermuten lässt. :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

  • Inhalt:

    Es ist heiß. Freibadwetter. Da sind das Schwimmbecken, die Liegewiese und der Sprungturm mit dem Siebener, der gesperrt ist seit dem Unglück damals. Aber die Vergangenheit lässt sich nicht ewig abriegeln. Das weiß Kiontke, der Bademeister, so gut wie alle anderen hier. Wie Joe und Lenny, oder Isobel, die immer mehr im Gestern lebt. Für sie alle ist das Freibad ein Ort, der ihren Lebensweg bestimmt. Mit feinem Humor und großem Einfühlungsvermögen erzählt Arno Frank vom Weggehen und Zurückkommen, vom Bleiben und der Suche nach dem Glück. Ein Buch, so leuchtend wie der letzte Spätsommertag.

    Brütende Hitze. Die halbe Stadt ist im Freibad. Da ist Kiontke, der Bademeister, der noch immer am Beckenrand steht, auch wenn die Leute meinen, dass es ihn eigentlich hätte umhauen müssen, dieses Unglück damals. Da ist Renate, die hinter der Kasse sitzt und zu viel raucht und die zwei, vier, acht Sachen an Kiontke mag, was sie natürlich niemals zugeben würde. Joe wiederum versucht anzuschwimmen gegen das Loch in ihrem Leben und die ungebetenen Erinnerungen. Lennart hat es aus der großen Welt hierher zurückverschlagen, zurück zu den Anfängen und zu Joe. Da ist Isobel, die das Freibad schon kannte, als es das Freibad noch gar nicht gab, und da ist ein Mädchen, das den Seemann machen will, erst vom Dreier, dann vom Fünfer, und schließlich vom Siebener – aber der ist gesperrt, seit Jahren schon, seit dieser Katastrophe damals, die wie ein fernes Donnergrollen unter diesem flirrenden Sommertag liegt.



    Fazit: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

    Nicht nur offenes Ende, auch offene Fragen zur Gegenwart und Vergangenheit


    Die Zeitspanne, die die Geschichte „Seemann vom Siebener“ umspannt ist über einige Jahre. Direkt im Buch geht es aber hauptsächlich um einen einzigen Tag. Über die Seiten verteilt werden die einzelnen Figuren eingeführt und nähern sich den anderen – mehr oder weniger – an. Man erkennt Verbindungen und versteht Zusammenhänge. Durch Erinnerungen der verschiedenen Protagonisten klären sich auch Dinge aus der Vergangenheit auf.


    Es ist ein Buch, indem die Personen keine wirkliche Entwicklung durchmachen. Der Fokus liegt eher darauf, Verknüpfungen, Verbindungen zu erkennen und die Figuren plastischer werden zu lassen.


    Arno Frank hat sein Buch mit einem offenen Ende versehen. Das muss man mögen, oder eben auch nicht. Aber hier haben wir nicht nur ein offenes Ende, sondern leider auch viele offene Fragen zur Gegenwart und Vergangenheit, nicht nur zur Zukunft. Für mich blieb einfach zu viel in der Schwebe und ungesagt.


    Der Schreibstil ist dafür angenehm zu lesen, ohne nennenswerten Höhen und Tiefen. Das Erzähltempo bewegt sich im sehr gemächlichen Bereich. Ausgenommen zum Schluss, hier kommt kurzfristig wirklich Fahrt auf, um dann plötzlich zu enden.


    Mein Fazit ist, man muss erstens offene Enden mögen und darf nicht vor unbeantworteten Fragen zurückschrecken.


    2024 - bis Ende März :study: : 22

    2023 - 100 gelesene Bücher :applause:

    2022 - 84 gelesene Bücher

    2021 - 88 gelesene Bücher

    2020 - 64 gelesene Bücher

    2019 - 65 gelesene Bücher

    2018 - 61 gelesene Bücher


  • Sieben unterschiedliche Menschen gehen am letzten Sommertag der Saison, bevor sich der Wetterumschwung mit kühlen Temperaturen ankündigt, ins Freibad. Jeden beschäftigen eigene Gedanken, doch an diesem Tag, an diesem Ort, diesem Moment des Schicksals kommen sie zusammen und ihre Geschichten überschneiden sich. Das klapprige Freibad aus den Siebzigerjahren wird eine eigene Welt, der ihre Leben widerspiegelt und wird ein Beginn, als ein junges Mädchen vom gesperrten Springturm, dem Siebener, den Seemann wagt.


    „Der Siebener heißt nur so, in Wahrheit misst er siebeneinhalb Meter, er liegt auf halbem Weg vom Fünfer zum Zehner, das hat schon seine Richtigkeit“.


    Meine persönlichen Leseeindrücke

    Das Literaturjahr 2023 scheint sich dem Element Wasser zu widmen. Selten habe ich so viele Bücher, Buchcover und Geschichten rund um die chemische Verbindung von Wasserstoff und Sauerstoff, kurz: H2O, gesehen und gelesen. Klar, geruchslos, farblos und geschmacksneutral - so simpel lassen sich die Grundeigenschaften von Wasser zusammenfassen, doch was die Literatur daraus macht, ist alles andere als banal!

    Der Sommer hat zumindest in Südtirol dieses Jahr noch gar nicht begonnen und da lese ich ein Buch, das mit dem letzten Sommertag im Freibad aufhört!


    Ein warmer, wunderbarer Tag wird das. So hat der Kiontke es in der Zeitung gelesen, so hat er es im Radio gehört, so hat er es in den Knochen, ohne auf das Barometer zu gucken.


    Sieben Personen sind die aktiven Protagonisten des Romans, obwohl es schon einige mehr sind, die hier eine Rolle spielen. Man könnte meinen, das wären definitiv zu viele, aber es wird niemals kompliziert, denn die Geschichten sind so geschickt ineinander verknüpft, dass es mir als Leserin leicht fällt, alles schön auseinander zu halten und wieder mühelos zusammenzusetzten.

    Dieser eine Tag im Provinz-Freibad, wie ihn Arno Frank beschreibt, erinnert mich an meine Kindheit, an das besondere Sommerfreibadgefühl, die Hitze, das kühle Nass, die Frittenbude, die lärmenden Kinder, die alten Damen, den Bademeister und die Kassierer, die Springtürme, von denen auch ich gesprungen bin (nur vom 1 m Brett!!).


    Lennart sieht das Bad in seiner ganzen sonnigen Pracht vor sich liegen, die Becken, den Turm, das Grün der Wiesen. Die schlichte Seligkeit. Solche Orte gibt es nirgendwo sonst auf der Welt, denkt er.


    Sieben Personen mit sieben Geschichten, an einem Ort, der trotz kleiner Erneuerungen stets der gleiche geblieben ist, geben nicht nur ein Stück Beständigkeit sondern auch einen Halt an diesem besonderen letzten Sommertag der Saison. Dies alles liest sich ganz wunderbar leicht, weil Arno Frank nicht nur feinen Humor, sondern großes Einfühlvermögen an den Tag legt.


    Fazit

    „Seemann vom Siebener“ ist eine Hommage an das Provinz-Freibad, das trotzig der kapitalistischen Veränderung standhält und seinen Besuchern damit ein Stück Beständigkeit bietet. Zumindest diesen letzten Sommertag der Saison, der für einige Badbegeisterte in besonderer Erinnerung bleiben wird.


    Der Seemann ist der schönste aller Sprünge. Weil er so schlicht wirkt. Keinerlei Bemühungen, die Sekunden des Sturzes mit Artistik aufzufüllen. Kein Salto, keine Schraube, nicht einmal eine Arschbombe, für die man immerhin die Beine anziehen muss. Nein, der Seemann kennt keine Verrenkungen.

  • REZENSION – Sechs Jahre nach seinem autobiografisch geprägten Romandebüt „So, und jetzt kommst du“ (2017) veröffentlichte der Journalist Arno Frank (52) nun seinen zweiten Roman „Seemann vom Siebener“, erschienen im März beim Tropen Verlag. Der Roman überrascht durch seine Schlichtheit, schildert doch der Autor auf 240 Seiten nichts anderes als das uns allen wohl bekannte Freizeitgeschehen an einem heißen Spätsommertag in einem „klapprigen Freibad aus den Siebzigerjahren … einem „Bezirk fürs Nichtstun, aber auf rührend deutsche Weise, also verkleidet als Sportplatz zur aquatischen Leibesertüchtigung“. Die eigentliche Faszination des Romans liegt in seiner Vielschichtigkeit und tiefgründigen Charakterisierung seiner Figuren – dem Anschein nach ganz normale Badegäste unterschiedlichen Alters, wie sie jeder von uns bei einem Besuch in einem solchen Freibad beobachten kann. Und doch ist jeder von ihnen auf seine Art besonders: Wir erfahren von persönlichen Schicksalen und Krisen, Sehnsüchten und Hoffnungen. Arno Frank schildert in seinem Buch, wie es in dessen Klappentext treffend formuliert ist, „einen Sommertag, der das ganze Leben erzählt, … vom Weggehen und Zurückkommen, vom Bleiben und der Suche nach dem Glück“.

    Als Leser ziehen wir mit Franks Protagonisten unsere Bahn im Schwimmbecken oder sonnen uns auf der Liegewiese mit Blick auf den Sieben-Meter-Sprungturm, der schon vor langer Zeit nach einem tragischen Unglücksfall gesperrt wurde, und beobachten die Menschen in unserem Blickfeld. Da ist der altgediente Bademeister Kiontke, der seit dem von ihm unverschuldeten Unglücksfall dennoch mit Schuldgefühlen lebt. An der Kasse sitzt wie immer seine Kollegin Renate, die, ohne sich dessen bewusst zu sein, doch irgendwie Gefallen am Bademeister hat. Wir lernen Josefine „locker jenseits der Vierzig“ kennen, die, seit Jahren von ihrem Mann getrennt, unsicher ist, ob sie heute wirklich zu dessen Beisetzung gehen soll, stattdessen im Bad zu vergessen sucht. „Ihre Ehe war wie ein Kühlschrank geworden, dessen Gefrierfach nicht ganz richtig schließt.“ Hier trifft sie auf ihre Jugendliebe Lennart, einen international bekannten Porträt- und Kriegsfotografen, der in einer Lebens- und Wirkungskrise steckt, nur anlässlich der Beisetzung seines Jugendfreundes in die kleinstädtische Heimatwelt zurückgekehrt ist und feststellt, dass sich hier kaum etwas verändert hat. „Nirgendwo ist die Zeit so widerständig gegen Veränderung wie im Schwimmbad“, weiß auch Bademeister Kiontke.

    Besonders einfühlend beschreibt Arno Frank, die an Demenz leidende Isobel Trautheimer, deren längst verstorbener Ehemann Rüdiger dieses Freibad vor Jahrzehnten geplant und ihr zuliebe um die alte Linde herum gebaut hat. Sie selbst kennt als langjährige Lehrerin viele der Badegäste schon aus deren Schulzeit, hat sie aber vergessen. Isobel verliert sich zunehmend in ihren Tagträumen – zurück in ihrer Zeit als Jungverheiratete, als es dieses Freibad noch gar nicht gab. Sie hat mit ihrem Leben bereits friedvoll abgeschlossen, während eine junge Frau, von einer schweren Lebenskrise gepeinigt, sich davon mit dem verbotenen Sprung vom Siebener endlich befreien und ein neues Leben beginnen will.

    Hinter dem fröhlichen, nur scheinbar oberflächlichen Treiben im Schwimmbad steckt in „Seemann vom Siebener“ in Wahrheit so viel Tiefgang, dass sich dem Leser die von Frank Arno mitfühlend geschilderten Schicksale seiner Protagonisten wie die Sommerhitze einbrennen. Nach Lektüre dieses Buches dürfte es beim nächsten Besuch im Freibad nicht mehr so einfach sein, die Stunden wie früher leicht und unbeschwert zu genießen, ohne sich dabei dieses Romans zu erinnern und die fröhliche Stimmung umgebender Badegäste zu hinterfragen.