Giuliano da Empoli - Der Magier im Kreml / ‎ Le mage du Kremlin

  • Dieses Buch ist die Lebensbeichte einer fiktiven Figur, des Wadim Baranow, der über viele Jahre hinweg als einflussreichster Berater Putins und ideologischer Vordenker die Fäden im Kreml gesponnen hat. Die Figur des Baranow ist recht unverhohlen auf die reale Person des Wladislaw Surkow gemünzt, der diese Position tatsächlich bis zu seinem Zerwürfnis mit Putin innehatte und als "Kreml-Chefideologe" gehandelt wurde. In diesem Debütroman versucht sich der italienische Politikwissenschaftler und -berater Giuliano da Empoli an einem Psychogramm der Kremlspitze, gefiltert durch die Augen seiner Baranow-Figur.

    Dazu ist noch zu sagen, dass dieses Buch vor dem Überfall im Februar 2022 geschrieben worden ist und kurz darauf erschien. So spielt der Ukrainekrieg in diesen Betrachtungen eine untergeordnete Rolle, und dies nur in Form des "Ukraine-Konflikts" um die Ostgebiete der Ukraine und der Krim.


    Interview mit einem Propagandisten


    Die Rahmenhandlung, in der diese Lebensbeichte eingebettet ist, bleibt dabei dürftig und zweitrangig. Ein junger Franzose forscht in Moskauer Archiven zu Jewgeni Samjatin, der bereits in den 1920er Jahren eine mit Blick auf heutige Verhältnisse prophetisch anmutende Dystopie verfasst hat. Über einen Tweet bzw. eine Antwort darauf wird der mittlerweile im Ruhestand stehende Baranow auf den jungen Mann aufmerksam und lädt ihn zu sich ein. Bei einem geistigen Getränk beginnt der Gastgeber zu erzählen und schildert seine Politkarriere an der Seite Putins.


    Dabei wird dieser keineswegs als Marionette umgedeutet. Eher fragt man sich anfangs, welchen Anteil Baranow denn nun an Putins Politik gehabt hat, da Putins Aufstieg vornehmlich auf das Gespür und auf die Entscheidungs- und Risikobereitschaft Putins zurückgeführt wird. Im Laufe des Abends tritt aber Baranow als führender Ideologe hervor. Anhand einzelner Stationen in der Politkarriere schildert Baranow beispielsweise, wie die Protestaktionen, die die Gruppe "Pussy Riot" in orthodoxen Kirchen ausgeführt hatte, dem Kreml demoskopisch eher genützt hatte, oder wie die Vorbereitungen zu den Winterspielen in Sotschi propagandistisch ausgeschlachtet werden sollten.


    Die Versuche, auf literarischem Wege die Logik des Kremls nachzuvollziehen, geht insofern auf, als dass da Empoli hier Spekulationen ausbreitet, die zwar auf feinsinnigen Analysen fußen, so ahnt man, aber über das hinausgehen, was man sachlich arbeitend vertreten könnte. So spricht Baranow stellvertretend für den Kreml über deren Sicht auf den Westen und den Fehlern, die dieser sich Russland gegenüber zu Schulden hat kommen lassen. Dabei wird man aushalten müssen, dass Baranow, obgleich zum Zeitpunkt der Handlung bei Putin in Ungnade gefallen und aus dem Kreml ausgeschieden, seinem französischen Gast zum Thema Ukraine-Krieg ungefiltert und unkommentiert linientreue Lesarten darlegt, die der Ukraine als Nation ein Existenzrecht absprechen. Das ist lobenswert, da es die ideologische Posionierung der russischen Führung ernst nimmt und nicht bloß als zynischen Pragmatismus abtut, der nur für die breiten Massen gedacht ist, wirkt aber streckenweise befremdlich, da die Figur Baranows innerhalb des Romans nicht eingeordnet oder kontrastiert wird, abschließend sogar als liebender Vater, der sich an seinem späten Vaterglück erfreut, dargestellt wird. Das Einordnen wird also dem Leser selbst zugemutet.


    Fazit


    Unterm Strich ist "Der Magier im Kreml" ein beeindruckender, wenngleich trocken zu genießender Politroman, der durch Scharfsinnigkeit besticht. Einen ausgefeilten Plot oder eine dialektische Aufarbeitung sollte man nicht erwarten, wollte man eine Enttäuschung vermeiden, aber die Beobachtungen, die da Empoli in seine Figur fließen lässt, sind es durchaus wert, gelesen und erwogen zu werden.


    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

  • K.-G. Beck-Ewe

    Hat den Titel des Themas von „Giuliano da Empoli - Der Magier im Kreml“ zu „Giuliano da Empoli - Der Magier im Kreml / ‎ Le mage du Kremlin“ geändert.