ZitatSoweit wir wissen, wurde der Name "Germanen" von den Bewohnern jenseits des Rheins niemals als Eigenbezeichnung benutzt...eine germanische Identität gab es so nicht. Diese Bewohner waren Sugambrer, Tenkterer, Chatten, Cherusker, Marser oder Chauken, mit eigener Identität, Kultur und Geschichte.
(S.31 ff)
Die geschriebene Historie um die Schlacht am Teutoburger Wald ist eine Geschichte der Eroberer. Ausnahmslos römische Quellen liegen in schriftlicher Form und Überlieferung vor. Was wir den Ureinwohnern Amerikas zugestehen, sollten wir diesen "Germanen" allerdings auch zuerkennen, den Begriff der Multiple Nations.
Auch war die Schlacht, die im Jahr 9 n.Chr. stattfand, im Grunde keine Schlacht im militärhistorischen Sinn. Es war mehr eine fast endlose Kette von gezielten, gut vorbereiteten Guerrillaüberfällen, auf die neuralgischen Punkte des fast endlosen römischen Kolonne gerichtet, die sich da durch die Urwälder quälte. Das ganze dauerte vier Tage und Nächte und hatte die völlige Vernichtung zweier römischer Legionen zur Folge, mit dem Tross zusammen, sprechen die letzten Forschungsergebnisse von ca.18000 Soldaten.
Der Ort Kalkriese, der heute bis auf weiteres als Schlachtort gilt, war dabei die Lokalisation der größten Fundkonzentration an Artefakten. Im Grunde aber gab es Funde in einem Gebiet, das sich über 30 Km in die Umgebung erstreckte.
Der wichtigsten Chronisten dieser Vorfälle waren die römischen Historiker Cassius Dio und Tacitus, die später geborgenen Rollen der Legionsschreiber lagen ihnen vor. Vom Land und seinen Bewohnern hatten sie dabei nur eine nebelhafte Vorstellung, ihnen ging es vor allem darum, dieses Desaster mit beissendem Spott für die römische Militärführung unter Varus zu kommentieren.
Was den Anführer der Aufständischen, als solche sahen die Römer die Stämme, angeht, wurde schon früh in Legionsberichten die Person des Arminius ausgemacht.
Dieser Arminius war ein römisch erzogener Anführer von Hilfstruppen, den sog. Gens foederata, die römische Legionen am Rhein und östlich davon zu unterstützen hatten.
Weder war Arminius ein "Germanenfürst", noch ein Stammesführer, sondern allerhöchstens ein Anführer auf Zeit gewählt, was der spätere Begriff "Herzog" bedeutete: Ein Krieger, der aufgrund seiner Fähigkeiten und Kenntnisse des römischen Militärwesens für diese eine spezielle Operation gewählt war.
Wolters nimmt sich die Zeit, diese Grundlagen genau darzustellen, um die Entwicklungslinien aufzuzeigen.
Die Wirkung dieser Kampfhandlungen war in der Tat so einschneidend, daß sie bis in unsere Zeit hinein spürbar wird. Die Expansion des Römischen Imperiums wurde zum ersten Mal nachhaltig gestoppt. Auch die späteren Feldzüge des Germanicus änderten daran nichts mehr, das sog.Germanien wurde niemals römisch besetzt. Noch das Christentum als spätrömischer Import hatte damit bis in die Karolingerzeit hinein später zu kämpfen. Römische Kultur, Staatsordnung, Religion und Macht endete am Rhein.
Reinhard Wolters nimmt diese Entwicklungslinien zum Anlass, mit einigen skurrilen Ansichten über "Germanentum" und "Deutschtum" aufzuräumen. Von einer "Gründungsbewegung des Deutschen" durch die Schlacht am Teutoburger Wald kann überhaupt keine Rede sein. Es gab weder im Bewusstsein der Stämme, noch ihrer Nachbarn, schon gar nicht durch Überlieferung auch nur das geringste nationale Einheitsgefühl. Der Begriff Deutsch wird noch eintausend Jahre keine Bedeutung haben, sowenig, wie Arminius "Hermann" hieß. Mit lobenswerter Deutlichkeit räumt Wolters mit diesen, im 19.Jhdt.aufgekommenen, unhistorischen Irrtümern auf.
Das Buch ist klar gegliedert, ich gebe die wichtigsten Kapitel wieder:
1. Der "Barbar" als Nachbar.
Das römische Leben am Rhein
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2. Roms Vordringen zur Elbe
Drusus, Germanicus
3. Städte, Militäranlagen, Verwaltungsbezirke rechts des Rheins
Gab es eine "Provincia Germanica"?
4. Karrieren im Dienste Roms
a) Publius Quinctilius Varus
b) Arminius, der Cherusker
5. Schriftliche Quellen und Überlieferungen:
Cassius Dio
Tacitus
Parallelüberlieferungen
Die Frage nach der Glaubwürdigkeit.
6. Die Varusschlacht als epochale Wende.
Die Örtlichkeiten der Varusschlacht
Kalkriese und andere Orte.
7. Nationale Überhebung um die Varusschlacht.
Vom Hermannsdenkmal zum Rassenwahn.
Auswüchse früherer Deutungen.
Es ist ein Glücksfall, wenn ein Althistoriker wie Reinhard Wolters für ein solches Projekt gewonnen wird. Abgeklärt und nüchtern analysiert der wohl beste Kenner römischer Geschichte in Deutschland die kaum noch überschaubare Flut der Artefakte, Bodenfunde und Ergebnisse der Geoarchäologie. Er stellt klar, daß eine wirkliche Schlacht nie stattfand und gegen die überlegenen Legionen Roms kaum zu gewinnen gewesen wäre. Stattdessen war die "Varusschlacht" eine frühe Art von Guerillakrieg, wie er in der Geschichte verschiedentlich von unterlegenen Gegnern gewonnen wurde.
Wichtiger war dieses Ereignis aber im Hinblick auf die Entwicklung der römischen Politik. Hier kam es in der Folge zu einem breit angelegten Paradigmenwechsel von der Expansionspolitik zu konservativem Verhalten und Bewahrung der Grenzen. Die Zukunft der römischen Politik lag in der Grenzbewahrung statt Grenzerweiterung.
Für mich war es mitunter verblüffend, mit welch einfachen und eingängigen Worten Wolters die zum Teil recht schwierigen Sachverhalte schlüssig zu erklären verstand.
Seiner Herleitung und Argumentation kann ich nur ganzheitlich zustimmen, da bleiben keine losen Fäden übrig, außer den Dingen, die noch der Weiterforschung bedürfen.
Hier bleibt mir nur der Kritikpunkt, das Wolters teilweise zu zaghaft in der Deutung scheint. Zuviel Florett, wo auch der Säbel einmal zum Einsatz kommen dürfte, vor allem, wenn man so brilliant zu analysieren weiß. Das sind aber nur Petitessen, insgesamt sind es absolut verdiente 4 1/2
Prof. Reinhard Wolters ist Althistoriker und Archäologe und als Numismatiker ( Münzexperte) weltbekannt. Er ist Direktor der Numismatik der Universität Tübingen und wertet weltweit Bodenfunde aus.