Eva Menasse - Dunkelblum

  • Kurzmeinung

    Dysnomia
    Sprachlich ansprechend, aber leider hat Eva Menasse mich auf dem Weg immer wieder verloren
  • Kurzmeinung

    Marie
    Mit Personenverzeichnis wär es leserfreundlicher. Ansonsten: Sprache, Aufbau, Atmosphäre sehr gut aufeinander abgestimmt
  • Es passiert einiges 1989, was die Bewohner von Dunkelblum beunruhigt. Sie hatten schon immer ihre Probleme mit den Drüberen und nun sammeln sich erneut hinter der Grenze Flüchtlinge. Außerdem taucht ein Fremder auf, der überall Fragen stellt, und dann gibt es noch die Differenzen zum Thema Wasserversorgung. Zu allem Übel kommen dann noch junge Menschen, die den verschlossenen und verwahrlosten „dritten Friedhof“ in Ordnung bringen wollen. Die Bewohner von Dunkelblum waren in stiller Übereinkunft davon ausgegangen, dass niemand an der Vergangenheit rührt, doch nun kommen die Erinnerungen hoch.


    Dunkelblum ist ein fiktiver Ort mit fiktiven Bewohnern, der in der Nähe zur ungarischen Grenze angesiedelt ist, genau in dem Teil des Burgenlandes, wo sich in den letzten Kriegstagen das Massaker von Rechnitz zugetragen hat.


    Eva Menasse hat es mir am Anfang nicht leicht gemacht mit ihrem Roman, denn es gibt reichlich Personen und sie springt zwischen den Personen und den Zeiten hin und her. Es taten sich unzählige Fragen auf und sobald sich eine beantwortet hatte, gab es weitere Fragen. Doch je länger ich gelesen habe, umso mehr konnte sie und die Dunkelblumer mich packen. Die Autorin fabuliert mit Lust und legt so viele Fäden aus, dass man sich wundert, wie daraus am Ende etwas Ganzes entstehen kann. Doch diese Zweifel sind nicht angebracht, denn der Autorin gelingt es vorzüglich diese losen Fäden zu verknüpfen.


    Die Figuren sind sehr gut und facettenreich gezeichnet. Auch wenn die Dunkelblumer nicht unbedingt sympathisch sind, so sind sie doch menschlich, denn jeder hat wohl seine hellen und seine dunklen Seiten. Die, welche die Vergangenheit miterlebt haben, sind wahre Meister im Verdrängen, Vergessen und Vertuschen. Dabei wissen nicht alle, was da wirklich geschehen ist, das wissen laut Eva Menasse nur „alle Beteiligten gemeinsam“. Doch ihnen allen ist gemein, dass sie an der Vergangenheit nicht rühren wollen. Gleichwohl erfahren wir Leser, was geschehen ist, wie man sich schuldig gemacht oder weggesehen hat, wie man eingesteckt und ausgeteilt hat, wie dies so zurechtgerückt wurde, dass das Leben weitergehen konnte, als sei nichts geschehen.


    Die Atmosphäre in Dunkelblum ist ziemlich düster und die Geheimnisse sind es auch.


    Ich bin froh, dass mich meine Anfangsschwierigkeiten mit „Dunkelblum“ nicht abgeschreckt haben, denn dieser Roman ist wirklich ein Highlight und er schreit förmlich danach, nochmal gelesen zu werden, weil es in dieser komplexen Geschichte sicherlich noch einiges zu entdecken gibt.

  • Ein (fiktives) kleines österreichisches Städtchen, direkt an der Grenze zu Ungarn gibt diesem Roman von Eva MENASSE seinen Namen und definiert gleichzeitig den Schauplatz.

    Auf zwei Zeitebenen werden diverse Psychogramme und ein Soziogramm seiner Einwohner aufgespannt. Das Thema ist die Verstrickung (fast) der gesamten älteren Männer in die Verbrechen, die im Namen des Nazi-Regimes in der Endphase des Krieges auch in diesem Ort begangen wurden.

    Die damaligen Geschehnisse wurden lange Jahre erfolgreich verdrängt und als nebulöse Grauzone in einer Art kollektivem Unterbewusstsein eingeschlossen. Alte Wunden waren überwiegend verheilt; es herrschte die Überzeugung vor, dass man die Dinge besser ruhen lassen sollte.


    Die selbst verordnete Amnesie wird aber durch zwei Männer gestört, die aus verschiedenen Motiven gleichzeitig in das festgefügte System eindringen. Sie haben zwar biografische Bezüge zu dem Ort, waren aber lange genug weg, um mit den Augen und mit der Unabhängigkeit von Fremden zu agieren.

    Ihre Neugier, ihre Fragen decken bald die ersten Sollbruchstellen des Schweigekartells auf. Es stellt sich heraus, dass es in der vermeintlichen Homogenität doch Risse gibt – insbesondere in der nachgeborenen Generation.

    Und dann kommen auch noch junge Leute, die sich um den vergessenen Jüdischen Friedhof kümmern wollen…


    MENASSE konstruiert eine komplexe Enthüllungsgeschichte, in der Schicht für Schicht die Macht- und Schuldstrukturen der Vergangenheit und ihre Nachwirkung bis in die Gegenwart freigelegt werden. Exemplarisch werden in verschachtelten Zeitsprüngen die sozialen Interaktionsmuster der wichtigsten Familien seziert – bis sich irgendwann die Mosaiksteine zu einem klaren Bild zusammensetzen.

    Die Autorin ist nah bei den Leuten. Sie schildert mit großer Akribie und psychologischen Gespür die jeweilsindividuellen Verleugnungsstrategien. Nicht alle Alten sind im Grunde immer noch Nazis – aber kaum jemand ist jemals bereit gewesen, sich zu Verantwortung oder Schuld zu bekennen. Es waren ja besondere Zeiten…


    Als Leser/in muss man sich entscheiden, ob man wirklich all diese vielschichtigen Verstrickungen durchdringen möchte, um am Ende das bestätigt zu bekommen, was man wohl auch vorher schon ahnte. Die Schweige-Mentalität, die von MENASSE weit ausholend durch die Dunkelblum-Bewohner personalisiert wird, ließe sich ohne Probleme auch weniger aufwendig beschreiben.

    Damit ist die Stärke des Romans – das erzählerische Schwelgen in Details eines von der finsteren Vergangenheit noch nicht befreiten Biotops – gleichzeitig auch seine mögliche Schwäche: Nicht jede/r mag es so breit und ausführlich; nicht für alle sind die individuellen Eigenschaften der Figuren so relevant. Man muss sich schon auf sowas einlassen wollen…


    Ohne Zweifel ist MENASSEs Roman auch ein sehr besonderes (österreichisches) Sprachkunstwerk. Wenn man sich noch dazu entscheidet, sich die Geschichte von der Autorin vorlesen zu lassen, erscheint die lokale Färbung geradezu überbordend. Für hochdeutsche Ohren bekommt der Text damit noch stärker etwas Folkloristisches, Altmodisches – was wiederum zum historischen Grundthema passt.

  • Ich bin ebenso begeistert von diesem Roman, obwohl ich mit Zweifeln begonnen hatte, da mir Menasses "Quasikristalle" nicht gefielen. Aber die Zweifel waren unbegründet, ich habe das Buch von vorn bis hinten genossen.


    Eva Menasse hat es mir am Anfang nicht leicht gemacht mit ihrem Roman, denn es gibt reichlich Personen und sie springt zwischen den Personen und den Zeiten hin und her. Es taten sich unzählige Fragen auf und sobald sich eine beantwortet hatte, gab es weitere Fragen. Doch je länger ich gelesen habe, umso mehr konnte sie und die Dunkelblumer mich packen.

    Mir ging es ähnlich, denn anfangs ist es ein wenig verwirrend mit den vielen Personen. Hilfreich fand ich dabei den kleinen Stadtplan vorn und hinten im Buch, in dem die Häuser mit ihren Besitzern eingetragen sind; so konnte ich mich immer schnell wieder orientieren. Aber sehr schnell war ich gefangen wie Du. :)


    MENASSE konstruiert eine komplexe Enthüllungsgeschichte, in der Schicht für Schicht die Macht- und Schuldstrukturen der Vergangenheit und ihre Nachwirkung bis in die Gegenwart freigelegt werden. Exemplarisch werden in verschachtelten Zeitsprüngen die sozialen Interaktionsmuster der wichtigsten Familien seziert – bis sich irgendwann die Mosaiksteine zu einem klaren Bild zusammensetzen.

    Das hast Du perfekt auf den Punkt gebracht. Denn vor allem die Nachwirkungen nach dem Krieg bis eben ins Jahr 1989 spielen dabei die entscheidende Rolle in Dunkelblums Geschichte und seiner Nicht-Verarbeitung und Verdrängung der Geschehnisse. Hilfreich für mich war, dass ich selbst in einem Dorf mit solchen festgeschriebenen Machtstrukturen aufgewachsen bin. Daher konnte ich mir die Geschehnisse v.a. in den ersten Jahren nach dem Krieg sehr gut vorstellen. Wer in einer eher anonymen Umgebung einer Großstadt lebt, hadert vielleicht eher mit dem Beschriebenen.

    Auch wenn die Dunkelblumer nicht unbedingt sympathisch sind, so sind sie doch menschlich, denn jeder hat wohl seine hellen und seine dunklen Seiten.

    Auch das fand ich gut, dass (bis auf eine Ausnahme) jeder in der Geschichte schlicht menschlich dargestellt wird.

    Damit ist die Stärke des Romans – das erzählerische Schwelgen in Details eines von der finsteren Vergangenheit noch nicht befreiten Biotops – gleichzeitig auch seine mögliche Schwäche: Nicht jede/r mag es so breit und ausführlich; nicht für alle sind die individuellen Eigenschaften der Figuren so relevant. Man muss sich schon auf sowas einlassen wollen…

    Ich hab diese Ausführlichkeit nicht als Schwäche empfunden, für mich war sie genau richtig. Ich bin nicht sicher, ob mit weniger Liebe zum Detail nicht doch so manches untergegangen oder nicht ausreichend begründet wäre. Gerade die Individualität der Figuren, aber eben auch die ihrer eigenen Geschichte in der Geschichte, ergeben doch erst das Ganze. So wie die Wahrheit nur von allen gemeinsam gewusst wird, so wird die Geschichte doch nur von allen mit ihren ganz persönlichen Geschichten getragen.


    Ein absolut lesenswertes Buch :)

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • Ich bin ebenso begeistert von diesem Roman, obwohl ich mit Zweifeln begonnen hatte, da mir Menasses "Quasikristalle" nicht gefielen.

    Falls Du noch mal was von Eva Menasse lesen möchtest, kann ich auch "Vienna" sehr empfehlen.


    Auf "Dunkelblum" macht Ihr mich immer neugieriger.

  • Dunkelblum, ein Städtchen im Osten Österreichs an der Grenze zu Ungarn liegend im Bundesland Burgenland, hat ein Problem. Bei Grabungsarbeiten auf der Rotensteinwiese etwas außerhalb des Stadtgebietes wird eine Leiche gefunden und bald stellt sich heraus, dass die Knochen angeblich einem Weltkriegssoldaten gehören.

    Eine alte Sache, durch Zufall herausgeapert. Wenn der Herr Graun nur drei Schritte weiter weg gegraben hätte, wäre das nie mehr zum Vorschein gekommen.

    Zu dieser Zeit beschäftigt sich bereits ein Trio fortschrittlich denkender, an der Geschichte und echter Aufarbeitung interessierte Dunkelblumern (Flocke, Herr Rehberg, Eszter Lowetz) an einer Chronik und Museumsplanung über ihr Städchen mit der Dorfvergangenheit. Doch die Begeisterung für diese Geschichtsinteresse stößt bei den Dunkelblumern nicht auf die erhoffte Zustimmung und eigentlich scheint jeder daran interessiert zu sein, nichts aufzudecken.

    Dieses Gespräch hat nie stattgefunden, das war hier alte Tradition, damit waren sie bisher immer gut gefahren.


    Meine persönlichen Leseeindrücke

    Zentrales Thema des Romans ist die Ermordung von Juden zu Ostern vor 45 Jahren, kurz vor Ende des 2. Weltkrieges. Um dieses Ereignis konstruiert Eva Menasse die Erzählung von Dunkelblum, durchaus unterhaltsam, stellenweise recht amüsant und süffisant. Doch das stete Hin und Her zwischen Vergangenheit und Gegenwart und die sehr vielen akribisch beschriebenen Romanfiguren machen mir während des Lesens zu schaffen. Mit den vielen Handlungssträngen überspannt Eva Menasse einfach den Bogen und ich verliere jegliche Leidenschaft an der Aufklärung.


    Fazit

    Dunkelblum von Eva Menasse ist ein Roman über ein Verbrechen, das im gleichnamigen Städtchen im Osten Österreichs an der Grenze zu Ungarn liegend, kurz vor Ende des 2. Weltkrieges geschehen ist. Es erzählt wie die Dunkelblumer von Nazis ethnischen Säuberungstätigkeiten profitierten und sich gegen eine Dorfchronik, die eine junge Dunkelblumerin 45 Jahre später mit einigen Zeitzeugen aufarbeitet, entgegenstellen. Aufgrund der Erzähldynamik und den ungewöhnlich vielen, akribisch beschriebenen Romanfiguren empfehle ich, den Roman recht zügig zu lesen und nicht viel Zeit zwischen den einzelnen Leseabschnitten verstreichen zu lassen.

  • Sprachlich fand ich das Buch hervorragend. Ich habe es auch mit großer Begeisterung begonnen, aber wirklich „packend“ fand ich nur das erste Drittel. Vielleicht war der Zeitpunkt auch schlecht gewählt, ich kam leider kaum zum Lesen und dann auch nur in - für mich untypischen - Minischritten voran. So kann man sich auch nicht auf die Handlung einlassen.

    Für mich war es letztlich okay, aber nicht mehr.


    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: von :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:


    Ich bleibe aber dran, was Eva Menasse betrifft.

  • Vielleicht war der Zeitpunkt auch schlecht gewählt, ich kam leider kaum zum Lesen und dann auch nur in - für mich untypischen - Minischritten voran.

    Das macht bestimmt viel aus. Ich hätte das Buch nicht in Minischritten lesen können, dann wäre ich nicht in die vielen Geschichten hinein gekommen.

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • Vielleicht war der Zeitpunkt auch schlecht gewählt, ich kam leider kaum zum Lesen und dann auch nur in - für mich untypischen - Minischritten voran.

    Das macht bestimmt viel aus. Ich hätte das Buch nicht in Minischritten lesen können, dann wäre ich nicht in die vielen Geschichten hinein gekommen.

    In Minischritten bin ich leider nur vorangekommen, weil die Handlung mich nicht packen konnte. Es war eine Mischung aus Zeitmangel und Buch an sich. Hätte es mich mehr gepackt, wäre der Zeitmangel nicht maßgeblich für den Lesefortschritt gewesen.

  • Ich bin nun auch "endlich durch" und kann mich nur anschließen. Sprachlich sehr gelungen, aber auch mir ist es sehr schwer gefallen, dabei zu bleiben. Einige Handlungsstränge haben mich gepackt und jedes Mal dachte ich, dass sich das Blatt nun wendet, aber ich habe leider immer wieder den Bezug verloren und am Ende ungewöhnlich lange gebraucht, das Buch zu Ende zu lesen und habe mich stattdessen zwischendurch immer wieder anderen Werken zugewendet. Bei einem anderen Werk von Menasse ging es mit ähnlich, daher werde ich mich jetzt wohl erstmal anderen Autoren widmen.

    "Sie hatte einen Kobold in sich, der necken und tanzen wollte, und einen Träumergeist, der Märchen dichten wollte, und eine beständige Sehnsucht, das tägliche kleine Leben mit dem großen herrlichen Leben zu verknüpfen, das in Liedern und Gemälden, in schönen Büchern und im Sturm der Wälder und des Meeres klang." - Hermann Hesse