Louis Auchincloss - East Side Story

  • Klappentext:
    Eine mitreißende Familiensaga, die den New Yorker Patrizier-Clan Carnochan über anderthalb Jahrhunderte hinweg durchleuchtet und zerfetzt. Am Modell der Carnochans, auf die das Geld stets wirkt wie ein Enzym, ergründet Auchincloss die innere Dynamik der amerikanischen Oberschicht. (Amazon)


    Zum Autor:
    Louis Stanton Auchincloss wurde 1917 in Lawrence/New York geboren und studierte Jura in Yale. Bis 1986 war er Anwalt in einer großen Wall-Street-Sozietät, während er zugleich ein immenses literarisches Œuvre hervorbrachte: Er publizierte er 60 Werke – Romane, Short-Story-Bände, Biografien, Essays sowie seine Autobiografie. Bei DuMont erschienen ›Die Manhattan-Monologe‹, ›East Side Story‹ und ›Eine Frau mit Möglichkeiten‹. Auchincloss starb im Januar 2010 im Alter von 92 Jahren. (Amazon)


    Allgemeine Informationen:
    Originaltitel: East Side Story
    Erstmals erschienen 2003 bei Houghton Mifflin, Boston – New York
    12 Episoden, jeweils benannt nach verschiedenen Familienmitgliedern, von denen einem zwei Kapitel gewidmet sind
    Beginnt Ende des 19. Jahrhunderts, endet in den Nachkriegsjahren
    Bis auf das 1. Kapitel in der Ich-Form tritt ein (oft wertender) allwissender Erzähler auf
    288 Seiten


    Persönliche Meinung:
    Die Chronik einer Familie, die an der East Side lebt. Also dem Viertel der WASP, wie man heute sagen würde. Die Söhne werden auf Eliteschulen geschickt, die Töchter reich verheiratet, mehr kann man als Eltern für seine Kinder nicht tun.
    Nach der Ausbildung werden die meisten Söhne Rechtsanwälte oder finden sich in artverwandten Berufen wieder (darin kennt der Autor sich aus), und die Frauen führen ein großes Haus mit Kindern, Gästen und karitativen Aufgaben.


    Der Autor geht nicht chronologisch vor, sondern springt in den Generationen vor und zurück. Das heißt aber: Er fügt eine komplexe Geschichte aus Einzelbildern zusammen.
    Gut, dass ein Stammbaum vor dem Text zu finden ist, um nachzuschlagen, wer denn jetzt an welchem Zweig der Familie an welcher Stelle zu finden ist. Noch besser wäre allerdings ein Stammbaum mit Geburts- und Todesjahren.


    Aus den Lebensgeschichten der einzelnen Familienmitglieder werden richtungsweisende Episoden erzählt. Mal geht es um den Beruf, mal um die Heirat oder die Kinder, mal setzt sich ein Lebenslauf in dem eines anderen fort, mal kreuzt der eine den anderen.


    Man bekommt als Leser ein Gefühl oder eine Ahnung für das, was diese Familie im Innersten zusammenhält: Geld und Ansehen für die Frauen, Geld, Ansehen und Karriere für die Männer. Selten schert einer aus. Und wenn, dann handelt es sich meist um ein vorübergehendes Intermezzo.


    Auch wenn der Autor die einzelnen Personen markant charakterisiert, wirbeln sie im Kopf des Lesers umher und mehr als einmal nimmt man den Stammbaum zurate: Wer war noch mal derjenige, der im Krieg gefallen ist? Wer hatte die Frau geheiratet, die er nicht liebte, die aber mehr Geld besaß als die geliebte Frau? Wer war der Kinderlose, wer derjenige mit einer ganzen Schar?
    Diese Verwirrung entsteht m.M.n. dadurch, dass die Personen keinen Platz in einer Gesamtgeschichte bekommen, wo sie nicht nur durch ihre Art, sondern auch durch ihre Handlungen im Gesamtgefüge ein Gesicht hätten.
    Hier wird das Gesicht zwar kurz gezeigt, aber – husch – ist es wieder weg, und ein anderes kommt.


    Auch wenn dies alles bedenklich klingt: Ich habe das Buch gern und interessiert gelesen, auch wegen der historischen Hintergründe und der gesellschaftlichen Veränderungen. Aber wenn die „Zeit“ laut Covertext schreibt: „Louis Auchincloss wird die Gore Vidals und Tom Wolfes und Norman Mailers überdauern“, dann halte ich dies für eine gewaltige Übertreibung. Und eine Geringschätzung der anderen Autoren, die es alle – Überraschung!!! – anscheinend mehrmals gibt.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Das Original.


    Anscheinend hat Auchincloss mehrere Romane so angelegt wie diesen, und sein Thema auch nicht weiter variiert. Als ich den Autor eben im Forum gesucht habe, fand ich die Rezension zu seinem Roman "Die Manhattan-Monologe", und jedes Wort könnte man auch auf dieses Buch anwenden. Zunächst dachte ich schon, es handle sich mal wieder um zwei Titelüberschriften für ein und dasselbe Buch, doch der Name der High-Society-Familie ist ein anderer. Wäre der Verlag bei der Veröffentlichung ein bisschen auf Zack gewesen, hätte er die Formulierung des Klappentextes einfach recyceln können. :roll:

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


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  • Deutsche Erstauflage 2007, TB-Auflage unverändert


    Inhalt

    Louis Auchincloss erzählt über mehrere Generationen hinweg vom Familienclan der Carnochans, deren Stammvater aus Paisley/Schottland nach New York einwanderte und bis zum amerikanischen Bürgerkrieg als Tuchhändler erfolgreich war. Aus dem Stammbaum werden einzelne Familienmitglieder in einem jeweils eigenen Kapitel hervorgehoben und in der Familiengeschichte verortet. In der ersten in den USA geborenen Generation geht es noch darum, dass Unternehmern nicht nur Kinder geboren werden, sondern dass darunter auch ein männlicher Nachfolger für das Geschäft heranwachsen sollte. So werden in Peters Generation im Stammbaum „Töchter“ in einem Posten zusammen gefasst, ohne Namen und Geburtsdaten zu nennen. Schon im Amerikanischen Bürgerkrieg (1861-1865) spaltet das Thema Sklaverei die Familie, Vater und beide Söhne stellen sich mit ihrer Haltung dazu moralisch bloß. Douglas kauft sich vom Militärdienst frei und profitiert stattdessen geschäftlich vom Handel mit Uniformen; Peter zeigt weder Talent fürs Geschäft, noch zeugt er Erben, so dass sein Ast im Stammbaum vertrocknet. Douglas vollzieht den Übergang von der schuftenden Einwanderer-Generation zum Aufbau von Dynastien durch taktisch geschickte, vermögensbildende Eheschließungen. Frauen sollen nun nicht mehr nur Erben fürs Geschäft zur Welt bringen, sondern auch Töchter mit Köpfchen, aber bitte nicht zu viel, weil sonst anderen auffallen könnte, dass sie einen Einfaltspinsel geheiratet haben. Das Taktieren und Verhandeln auf dem Markt alter Namen und alten Geldes wirkt alles andere als romantisch.


    Gordon und ein ganzer Trupp von Vettern stehen anschaulich für eine Generation, die durch das presbyterianische Erbe ihres Urahnen geprägt ist, ohne sich dieser Werte unbedingt bewusst zu sein. Wer würde beim Begriff Vettern hier an Vetternwirtschaft denken … Gordon heiratet als erster der Carnochans eine Frau mit Beruf. Seine Ochsentour auf der Karriereleiter einer großen Anwaltskanzlei zeigt, dass weder Geld noch Begabung allein eine Karriere garantieren, wenn beides nicht mit Beziehungen, Menschenkenntnis und einem gehörigen Maß an Raffinesse gekoppelt ist. Nicht nur nach oben kommen ist gefragt, sondern oben bleiben, und dafür müssen schon in der Schulzeit die Fäden geknüpft werden. Egal, ob eine teure Privatschule nichts taugt, Hauptsache, Vater und Onkel waren auch schon dort. Interessante Personen sind neben all den Karrieren und geplatzten Träumen James Tochter Estelle in der Rolle der unverheirateten „Tante“ ohne eigenes Leben und Wallaces Tochter Loulou, die vermutlich am besten von allen mit den gesellschaftlichen und finanziellen Umbrüchen der 50er Jahre umgehen kann.


    Fazit

    In einer für die Epoche passenden, leicht verschnörkelten Sprache zeigt sich Louis Auchincloss als genauer Beobachter der US-Aristokratie und als bissiger Chronist. Er hat selbst als Anwalt gearbeitet und kennt das Milieu, über das er schreibt. Sein für eine Familiengeschichte sehr kurzer Roman ist dicht bepackt mit klassischen Typen und zeitlosen Konflikten, die ihn beinahe wie eine Schablone für Familienromane wirken lassen.


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