John van der Kiste - Franz Joseph I. / Emperor Francis Joseph

  • Worum es geht
    Am 18. August 1830 geboren, steht Franz Joseph nach seinem Onkel Kaiser Ferdinand und seinem Vater Erzherzog Franz Karl in der Thronfolge an dritter Stelle. Seine ehrgeizige Mutter, Erzherzogin Sophie, eine bayrische Prinzessin aus dem Hause Wittelsbach, gilt in Anbetracht der geistigen und körperlichen Behinderung ihres kaiserlichen Schwagers und angesichts ihres charakterschwachen Ehemannes als "der einzige Mann in der Hofburg".
    Mit tatkräftiger Unterstützung seiner Mutter tritt der erst 18-jährige Franz Joseph nach der Abdankung seines Onkels und der Verzichtserklärung seines Vaters im Revolutionsjahr 1848 sein schweres Erbe an. Ein Attentat im Februar 1853 überlebt der junge Kaiser nur knapp, doch steigt danach sein Beliebtheitsgrad sprunghaft an. Der Anschlag auf das Leben ihres Sohnes verstärkt die Entschlossenheit der Erzherzogin, Franz Joseph ehestmöglich zu verheiraten. Sophie hat eine ihrer Nichten ins Auge gefasst. Doch statt der von ihr favorisierten Helene führt Franz Joseph im April 1854 deren jüngere Schwester, die erst 16-jährige Elisabeth, zum Traualtar. Noch ahnt der verliebte junge Mann nicht, dass er mit seiner "Engelssisi" eine denkbar ungeeignete Wahl getroffen hat, die ihm zeitlebens viele Sorgen bereiten, und den Platz an seiner Seite nur ungenügend ausfüllen sollte.
    Zwei verheerende kriegerische Niederlagen in den folgenden Jahren, 1859 gegen Italien und 1866 gegen Preußen, fügen dem persönlichen Ansehen des Kaisers und dem Hause Habsburg vorübergehend so großen Schaden zu, dass Franz Joseph sogar fürchtet, abdanken zu müssen. In seinen absolutistischen Machtansprüchen geschwächt, kann sich der Kaiser den Forderungen nach Modernisierung nicht mehr verschließen.
    1867 kommt es zum Ausgleich mit Ungarn, worauf aus dem Kaiserreich Österreich die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn wird. Die liberal gesinnte Kaiserin unterstützt die ungarischen Bestrebungen nach Kräften, während der Ausgleich für Franz Joseph beinahe einer persönlichen Demütigung gleichkommt.
    Neben vielen privaten Schicksalsschlägen, die Franz Joseph während seiner langen Regierungszeit ertragen musste, bereiteten ihm aber auch die immer wieder aufflammenden nationalen Konflikte innerhalb der Donaumonarchie große Sorgen. Darüber hinaus stand der Kaiser von Österreich natürlich auch im politischen Spannungsfeld der Großmächte seiner Zeit.
    Die 1890-er Jahre sind ein Jahrzehnt der sozialen Unruhen. Eine parlamentarische Regierung wird durch Krawalle und Dauerreden während der Sitzungen immer wieder handlungsunfähig gemacht. Franz Josephs Versuche als konstitutioneller Monarch zu regieren, kann man somit als gescheitert betrachten. Weil der Kaiser die Wiederholung der Ereignisse von 1848 fürchtete, griff er bis an sein Lebensende regelmäßig auf die Möglichkeit zurück, durch kaiserliche Notverordnung zu regieren. Einer seiner ersten Biografen, der Abgeordnete Joseph Redlich, sah im Zerbrechen des konstitutionellen Prinzips den Untergang des Habsburgerreiches unaufhaltsam voranschreiten.
    Mit den Schüssen von Sarajewo und der Kriegserklärung des greisen Herrschers an Serbien, hatte der Anfang vom Ende begonnen. Doch Kaiser Franz Joseph saß nach wie vor als fleischgewordene Institution einer untergehenden Epoche an seinem Schreibtisch.
    Auch am letzten Tag seines Lebens, dem 21. November 1916, blieb er dieser Gepflogenheit treu, obwohl er Fieber hatte und sich erschöpft fühlte. Beim etwas früheren Zubettgehen als üblich, beauftragte er seinen Kammerdiener noch, ihn wie gewöhnlich um halb vier Uhr morgens zu wecken, da er mit seiner Arbeit nicht fertig geworden sei.


    Wie es mir gefallen hat
    Wer kennt ihn nicht, den würdevollen alten Herrn mit dem weißen Backenbart in schmucker Uniform, wie er über seine Akten gebeugt am Schreibtisch sitzt, als trüge er die Last der ganzen Welt auf seinen Schultern. Zu ertragen hatte Kaiser Franz Joseph in seinen 86 Lebensjahren, von denen er die Donaumonarchie 68 Jahre lang regierte, immerhin einiges.
    Gerade in den ersten Jahren seiner Herrschaft war er nicht sonderlich beliebt. Kriege brachten seinen Thron mehr als einmal ins Wanken und politische Unruhen begleiteten seine gesamte Regierungszeit. Der Kaiser widerstand aber nicht nur den Stürmen der Zeit, bereits zu seinen Lebenszeiten war Franz Joseph zu einem Denkmal geworden, einem Symbol für Gewissenhaftigkeit und Pflichttreue, einem unbeugsamen Willen und eiserner Disziplin, dessen reine Existenz den riesigen Vielvölkerstaat noch am Leben erhielt. Viele seiner Untertanen hatten ja nie einen anderen Souverän gekannt, und fürchteten, mit seinem Tod einem ungewissen Schicksal ausgeliefert zu sein. Unbestritten waren auch andere, reaktionäre Kräfte am Werk, doch vielen Menschen galt ihr Kaiser als Garant für Sicherheit und Beständigkeit. Dass Franz Joseph sein Reich im hohen Alter noch im Kriegszustand erleben musste, hat ihn gewiss sehr belastet, doch nahm er auch diese traurige Wende als ein von der Vorsehung beschlossenes, unausweichliches Schicksal ergeben an.
    Nicht nur in seinem kaiserlichen Amt sah sich der Monarch zahlreichen Turbulenzen ausgesetzt, auch in seinem Privatleben blieb ihm kaum ein Unglück erspart. Als Sohn einer dominanten Mutter und Gatte einer schwierigen und exzentrischen Gemahlin, saß er in seinem Bemühen, es beiden stets recht zu machen, gerade in seinen ersten Ehejahren oftmals zwischen allen Stühlen. Franz Joseph musste aber auch eine Reihe gewaltsamer Todesfälle im engsten Familienkreis verkraften. 1867 wurde sein Bruder, Kaiser Maximilian von Mexiko, hingerichtet, 1889 wählte sein einziger Sohn, Kronprinz Rudolf den Freitod, 1898 fiel Kaiserin Elisabeth einem Attentat zum Opfer, und 1914 ereilte das Thronfolgerpaar dasselbe Schicksal.
    Gut gefallen hat mir an dieser Biografie, dass der Autor Franz Joseph seinen Lesern als Regenten und Privatperson in einem sehr ausgewogenen Verhältnis vorstellt. Dadurch ermüdet er den interessierten Laien nicht mit zu vielen Details über die fraglos schwierige politische Situation, vor deren Hintergrund der Kaiser zeit seines Lebens handeln musste.
    Müßig wäre es wohl, sich darüber Gedanken zu machen, ob das Schicksal Europas anders verlaufen wäre, wenn der Kaiser bereits in jüngeren Jahren mehr Mut zu durchgreifenden Reformen bewiesen hätte, oder wenigstens liberaleren Ansichten aus seinem näheren Umfeld aufgeschlossener gegenübergestanden wäre. Der Autor maßt sich über die politische Handlungsfähigkeit des Kaisers jedenfalls kein Urteil an, sondern zeigt ihn in jeder Phase seiner Regierungszeit als einen nach bestem Wissen und Gewissen Agierenden. Dass er, im Bewusstsein des Gottesgnadentums seines Amtes erzogen, auch auf den Erhalt der Monarchie bedacht war, wird den unvoreingenommenen Leser nicht weiter verwundern. Ob man ihm angesichts der großen Herausforderung, das schwankende Schiff des Vielvölkerstaates sicher in ein neues Jahrhundert zu führen, mangelnde Weitsicht und starres Festhalten am Althergebrachten zum Vorwurf machen kann, mag ebenfalls dahingestellt bleiben.
    Auch in Hinsicht auf das Privatleben des Kaisers begnügt sich John van der Kiste mit den bekannten Tatsachen, und lässt keinen Spielraum für Spekulationen. Diese Herangehensweise passt sehr gut zum nüchternen Charakter des Kaisers, der wenig Sinn für "Wolkenkraxeleien" jeder Art hatte. Für Franz Joseph schien es aber auch unmöglich zu sein, das Amt des Kaisers von der Privatperson, die dahinter stand, zu trennen. Von der ehrgeizigen Mutter zu Höherem bestimmt, wollte es ihm nie so recht gelingen, die ihm anerzogene Distanz seinen Mitmenschen gegenüber, selbst zu engsten Angehörigen, zu überwinden. Freundschaften spielten im Leben Franz Josephs wohl keine Rolle, war der Monarch doch stets auf absoluten Gehorsam, sowohl seitens seiner Untergebenen als auch sämtlicher Familienmitglieder, bedacht. Diese Haltung ließ engere Bindungen kaum zu, während sich die Einzige, der sich der Kaiser bedingungslos hätte öffnen können, nur selten in Wien aufhielt. Zudem interessierte sich Elisabeth auch bei Anwesenheit nicht im geringsten für die Sorgen ihres Gemahls, kreiste ihr ganzes Denken doch nur um ihre eigene Person. Überdies war ihr der Kaiser so ergeben, dass er sie mit seinen Problemen nie behelligt hätte.
    Dass Franz Joseph in der Schauspielerin Katharina Schratt eine Vertraute fand, eine "liebe Freundin", die seine Einsamkeit über fast 30 Jahre milderte, war wohl das größte Glück seines Lebens.
    Die vorliegende Biografie zeigt Franz Joseph nicht nur in seiner Funktion als Kaiser, sondern auch als Ehemann, Bruder, Vater und Sohn mit seinen Vorlieben und Abneigungen, seinen Stärken und Schwächen.
    Weder dem Herrscher eines im Wandel begriffenen, fast unregierbaren Reiches, noch dem in seinen persönlichen Ansprüchen sehr bescheidenen Menschen, kann ich nach beendeter Lektüre meine Hochachtung versagen.