KLR: Teil 2 des Buches

  • Mittlerweile bin ich bei Kapitel IV. dieses 2. Teiles angelangt.


    Gleich zu Beginn von Teil II ist mir folgende Zeile ins Auge gefallen (S.79):


    Zitat

    Dennoch habe ich ihm erklärt, es läge in meiner Natur, dass meine körperlichen Bedürfnisse oft meine Gefühle stören. An dem Tag, als ich Mama beerdigt hätte, wäre ich erschöpft und müde gewesen. So dass mir nicht klargeworden wäre, was geschah.


    Es war auch zum Zeitpunkt des Verbrechens die Rede von der heißen Sonne, von der brennenden Stirn .... Meurtsalt war wohl in einer ähnlichen Verfassung und ihm ist auch nicht klargeworden, was geschah.


    Aber so richtig realisiert hat er es immer noch nicht. Sein größtes Anliegen ist es, dem Anwalt sympathisch zu sein.
    Während der Zeit im Gefängnis kommt mir schon eine gewisse Läuterung vor, er hat viel Zeit um nachzudenken und in sich hineinzuhorchen. Doch aufgrund seines "Minimalismus" übersteht er wohl auch die Zeit im Gefängnis ohne größere Schwierigkeiten.

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


    *Life is what happens to you while you are busy making other plans* (Henry Miller)

  • Ich bin schon durch, und sehr zufrieden, dass wir dieses Buch für die KLR ausgewählt haben: wahrscheinlich hätte ich es sonst noch Jahre nicht gelesen.


    Seltsamerweise habe ich während den Verhören und noch mehr während der Gerichtsverhandlung sehr viel Sympathie und Mitleid für Meursault empfunden - und dabei fast vergessen, dass wir es mit einem schuldigen Mörder zu tun haben. Aus seinem Verhalten beim Tod der Mutter gleich zu schließen, dass so ein Mensch mit Vorsatz und niedrigen Motiven morden wird - das ist schon ein bisschen vage. Hier wird sehr viel mit Konventionen gearbeitet, die Meursault allesamt bricht - was hat das Trinken von Milchkaffee den mit empfundener Trauer zu tun?
    Gut, Meursault hat wohl keine Trauer empfunden, aber selbst das macht ihn noch nicht zum unmoralischen Mensch.
    Gut, in gewisser Weise ist er unmoralisch, nicht in dem Sinne, dass er absichtlich unmoralisch handelt; ich habe eher den Eindruck "Moral" ist nichts, das sein Verhalten beeinflusst.
    Sehr interessant fand ich auch, dass Meursault über weite Strecken kaum realisiert, dass hier von ihm gesprochen wird, dass dies sein Prozess ist; gipfelnd in der Rede des Verteidigers, der von Meursault als "ich " spricht.


    Über das Ende schreibe ich noch nichts, ich warte, bis Ihr auch soweit seid.


    Katia

  • Ich habe das Buch gestern zu ende gelesen. Und war ganz begeistert :cheers:.
    So ist aber nur der Eindruck von dem ganzen Buch. Was den Protagonisten angeht, da war ich sehr mitgenommen von seinem Schicksal :(.
    In dem ersten Teil habe ich ihn für einen gleichgültigen Einzelgänger gehalten, aber in dem zweiten Teil habe ich verstanden wie wichtig ihm die Zuneigung seiner Mitmenschen ist. Die Äußerungen seiner Gleigültigkeit sehe ich auch als Ehrlichkeit. Er verschweigt es nicht.


    Was seine Zeit im Gefängnis betrifft, das habe ich mit (vielleicht passt der Vergleich gar nicht, aber da ich es vor kurzem gelesen habe :uups: ) der Schachnovelle verglichen, da ist mir nämlich auch durch den Kopf gegangen, warum sich Dr.B nicht mit seinen Erinnerungen abgelenkt hat.
    Der Fremde sagt dazu:

    Zitat

    So erfuhr ich, dass ein Mensch, der nur einen einziegen Tag erlebt hat, mühelos hundert Jahre in einem Gefängnis leben könnte.

    Und da habe ich überlegt, ob die so genannte Gleichgültigkeit nicht einfach eine Art Schutzreflex ist. Außerdem denke ich, dass er mit seinem Leben zufrieden ist, weil er seine Lebensumstände nicht hinterfragt, sondern sich an alles gewöhnt.


    Und ich habe tatsächlich eine ältere Ausgabe gelesen.

    :rambo: >>Nur ein Feigling stirbt für die Republik, ein Jakobiner tötet für sie!<< G. Büchner: Dantons Tod


    :study:

    Einmal editiert, zuletzt von Chantal ()

  • Chantal: Mir kam auch die "Schachnovelle" in den Sinn, so abwegig ist es wohl gar nicht. :-k


    Meursault ist ein Mensch, den ich ganz schwer einschätzen kann. Mir ist er auch nicht unsympathisch.
    Wie er die Gerichtsverhandlung verfolgt und sich Gedanken über das Szenario macht, das fand ich sehr interessant. Phasenweise führt er ja die Rechtsprechung ad absurdum. Sein Anwalt spricht statt ihm, er wird gar nicht gefragt. Irgendwelche Ereignisse, die mit dem gegenständlichen Vorfall überhaupt nichts zu tun haben, werden miteinbezogen. Seine Überlegungen diesbezüglich kann man eigentlich gut nachvollziehen. Ihm ist wohl auch nicht das Ausmaß seiner Tat bewusst.


    Einerseits denke ich, er ist ein sehr intelligenter Mensch, andererseits ist er dann wieder so naiv .... (als er z.B. nicht zuordnen konnte, dass unter "seine Geliebte" Marie gemeint war). "Naiv" ist vielleicht ein falscher Begriff, passt "weltfremd" besser?


    Ein paar Seiten habe ich noch,


    Herzliche Grüße
    Rosalita


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    Einmal editiert, zuletzt von Rosalita ()

  • In dem 2. Teil konnte ich ihn irgendwie verstehen.

      Rosalita

    :rambo: >>Nur ein Feigling stirbt für die Republik, ein Jakobiner tötet für sie!<< G. Büchner: Dantons Tod


    :study:

  • Ich habe die Schachnovelle ja auch erst kürzlich nochmal gelesen, aber ich muss sagen, dass sie mir nicht in den Sinn kam. Vielleicht weil die beiden Gefangenen so unterschiedlich mit ihrer Situation umgehen - das zeigt wohl auch, dass Meursault nicht recht hat: nicht jeder Mensch kann ewig von wenigen Erinnerungen zehren! Und es zeigt damit wie weit weg Meursault in seinem Empfinden von "Durchschnittsmenschen" ist.


    Meursaults "Aussetzer" im Gerichtssaal habe ich ähnlich interpretiert wie die Hitze auf der Beerdigung und beim Mord - die äußere Situation belastet ihn so stark, dass sein Denken eingeschränkt wird, seine Konzentration nachlässt. Hier wird auch nochmal sehr klar, wie wenig ihn Marie als Mensch eigentlich interessiert - er sucht keinen Blickkontakt und vermisst auch nur ihren Körper während er in der Zelle sitzt. Genauer: er vermisst nicht mal ihren Körper, sondern nur einen weiblichen Körper. Sein Argument, dass ihm Frauenbesuche und das Rauchen verboten wären, weil das zur Strafe gehöre, erinnern mich an Kertesz' "Roman eines Schicksalslosen".


    Katia

  • Es ist ja doch eine recht faszinierende Geschichte, die da erzählt wird! :shock:


    Jetzt mal ganz vernünftig: Ein Mann erschießt (grundlos) am Strand einen Menschen. Müssten da nicht die Wogen der Aufregung über diese Tat hoch gehen? Müsste man für diesen Verbrecher nicht lauthals "lebenslang" fordern, ist er doch eine Gefahr für die Mitmenschen.


    Und in diesem Buch wird die Geschichte so erzählt, dass man am Ende fast schon Mitleid mit dem Verbrecher hat, zumindest ist er einem nicht abgrundtief unsympathisch.


    Auch am Ende des Buches kann ich mir über Meurtsalt kein klares Bild machen. Es scheint ja doch, dass seine Passivität, seine Lethargie ein Schutzschild sind (wie Chantal schon oben erwähnte). Er schiebt die Schuld auf die Hitze und die störende Sonne, und somit sieht er sich selber frei von Schuld. Von so extremem Trennen von Geist und Körper habe ich in dieser Form noch nie gelesen.


    Was meint ihr: Warum heißt das Buch "Der Fremde"? :?:

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
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  • Hallo Rosalita,


    das Buch heißt meiner Meinung nach "Der Fremde", weil Meursaults in wirklich jeder Hinsicht ein Fremder ist. Für die breite Masse (Gericht, Zuschauer) sowieso - sie können und wollen sein Verhalten einfach nicht verstehen. Für Marie, die seine Andersartigkeit einfach nicht erkennt und respektiert. Natürlich auch für seine Freunde, die zugeben, er hätte halt nicht viel zu sagen. Ich glaube sogar, im 1.Teil ist Meursault für sich selbst ein Fremder - er muss erst zu sich selbst finden. Der einzige, der ihn nach einem intensiven Gespräch und viel Mühe versteht ist der Geistliche.


    Viele Grüße
    Leseratte

    ...Dann sagte ein Lehrer: Sprich uns vom Lehren.
    Und er sagte:
    Niemand kann Euch etwas eröffnen, das nicht schon im Dämmern Eures Wissens schlummert.


    Khalil Gibran
    Der Prophet

  • Zitat

    Original von Rosalita
    Er schiebt die Schuld auf die Hitze und die störende Sonne, und somit sieht er sich selber frei von Schuld.


    ich finde die Stelle nicht so schnell, aber es wird gesagt, dass er nichts bereut, weil er im Kommenden, in heute und in morgen lebt. Das steht aber im sehr starkem Gegenteil zu seinem Versuch im Gefängnis in seiner Vergangenheit zu leben, in seinen Erinnerungen. Ich denke es ist so, dass er sich in Teil 2 verändert und sich selber versteht.


    Ich glaube das Buch heißt der Fremde, weil er dem Leser bis zum Ende fremd bleibt. Außerdem ist der Protagonist der Welt gegenüber fremd, dass er sozusagen gar nicht in "unsere" Welt reinpasst.


    Er tat mir wirklich leid, sein Schicksal stimmte mich sehr melancholisch.
    Ich fand es sehr traurig, dass er nie verstanden wurde.
    Vielleicht von dem Priester, aber es war doch schon zu spät. :(

    :rambo: >>Nur ein Feigling stirbt für die Republik, ein Jakobiner tötet für sie!<< G. Büchner: Dantons Tod


    :study:

  • Zitat

    Original von Rosalita
    Jetzt mal ganz vernünftig: Ein Mann erschießt (grundlos) am Strand einen Menschen. Müssten da nicht die Wogen der Aufregung über diese Tat hoch gehen? Müsste man für diesen Verbrecher nicht lauthals "lebenslang" fordern, ist er doch eine Gefahr für die Mitmenschen.


    Und in diesem Buch wird die Geschichte so erzählt, dass man am Ende fast schon Mitleid mit dem Verbrecher hat, zumindest ist er einem nicht abgrundtief unsympathisch.


    Ich denke, dass man (ich) Mitleid empfindet, weil die Argumente in diesem Prozess so schief sind, die Argumentation wird eben nicht an der Tat, sondern an anderen Dingen festgemacht. Wenn ich das richtig sehe, geht es auch nicht so sehr darum, ob er schuldig ist oder nicht, sondern welche Strafe er dafür bekommt. Für mich ist die Todesstrafe in eigentlich jedem Fall und insbesondere in diesem unangemessen - daher fühle ich mit ihm mit. Mir war nie ganz klar, was in einem "positiven" Urteil gestanden wäre, aber ich denke ein Freispruch stand nicht zur Debatte.


    Bei den Meinungen über "Der Fremde" schließe ich mich Euch gerne an, allerdings bin ich nicht der Meinung, dass der Priester Meursault verstanden hat. Zumindest fühlt sich der Fremde von dem Priester nicht verstanden, sonst hätte es diesen Ausbruch nicht gegeben. Meursault erkennt die Absurdität seines Lebens, und seine Tirade bezieht sich darauf, dass der Priester (wie alle vorher) ihn in seiner Lebensweise nicht akzeptiert, in diesem speziellen Fall seinen Atheismus.


    Katia

  • Hallo Katja


    "Bei den Meinungen über "Der Fremde" schließe ich mich Euch gerne an, allerdings bin ich nicht der Meinung, dass der Priester Meursault verstanden hat. Zumindest fühlt sich der Fremde von dem Priester nicht verstanden, sonst hätte es diesen Ausbruch nicht gegeben. Meursault erkennt die Absurdität seines Lebens, und seine Tirade bezieht sich darauf, dass der Priester (wie alle vorher) ihn in seiner Lebensweise nicht akzeptiert, in diesem speziellen Fall seinen Atheismus. "


    "Er drehte sich um und ging auf die Wand zu, über die er langsam mit der Hand strich: ""Lieben Sie diese Welt so sehr?"" Fragte er leise. Ich gab ihm keine Antwort."


    An diesem Zitat habe ich ausgemacht, daß der Priester ihn verstanden hat. Könnte Meursault nicht den Ausbruch gehabt haben, WEIL ihn der Priester verstanden hat?



    Wenn man so einen Menschen wirklich verstehen oder ihm nah sein will, muss man sich viel mit ihm beschäftigen - und das hat der Priester durch seine häufigen Besuche getan.


    Als Fazit habe ich Mersault eigentlich nur eines vorzuwerfen: Seine Anpassung und die darausfolgende Ehrlichkeit, die wir als Desinteresse auffassen ist übertrieben.
    Denn soetwas schafft immer Probleme und in seinem Fall verstrickt man sich immer mehr bis zum unabwendbaren Ende. Manchmal ist es besser, im richtigen Moment aufzustehen und die Zügel in die Hand zu nehmen.


    Gruß
    Leseratte

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    Der Prophet

    Einmal editiert, zuletzt von leseratte4 ()

  • Zitat

    Original von leseratte4
    "Er drehte sich um und ging auf die Wand zu, über die er langsam mit der Hand strich: ""Lieben Sie diese Welt so sehr?"" Fragte er leise. Ich gab ihm keine Antwort."


    An diesem Zitat habe ich ausgemacht, daß der Priester ihn verstanden hat. Könnte Meursault nicht den Ausbruch gehabt haben, WEIL ihn der Priester verstanden hat?


    Wenn man so einen Menschen wirklich verstehen oder ihm nah sein will, muss man sich viel mit ihm beschäftigen - und das hat der Priester durch seine häufigen Besuche getan.


    Mir ist nicht ganz klar geworden, wie oft der Priester ihn eigentlich besucht hat, den Meursault hat die meisten Besuche ja wohl abgelehnt.
    Du schreibst oben, Marie hätte Meursaults Andersartigkeit nicht erkennt und nicht respektiert. Der Priester erkennt meiner Meinung nach seine Andersartigkeit, aber er respektiert sie nicht! Er möchte ihn auch wieder in das konventionelle Schema drücken: "Alle, die ich in Ihrere Lage gekannt habe, wandten sich ihm zu." und während Meursault darin nur ein Recht sieht, sieht der Priester eher eine Pflicht.
    Woher kommt Meursaults Ausbruch? Nun, er selbst "weiß nicht warum, etwas in mir ist geplatzt", ich sehe den Grund darin, dass der Priester ihn weiter mit Gott "traktiert", obwohl er sehr klar gemacht hat, dass ihn das nicht interessiert. Vielleicht haben wir beide so ein bisschen recht, und es ist eine Mischung daraus: er ist wütend, dass der Priester auf einer gewissen Ebene seine Lebensweise erkannt hat, aber eben nicht akzeptiert.


    Katia

  • Ihr habt da recht interessante Gedanken, die in etwa auch den meinen entsprechen!


    Vielleicht heißt es auch "Der Fremde" weil sich Meursalt selber doch auch fremd ist? Er hat keine Herrschaft über Geist und Körper, offenbar spielen sich die beiden Teile gegenseitig aus. Dem Körper ist die Seele "fremd" und umgekehrt.


    Die Rolle des Priesters kann ich auch nicht so klar deuten. Recht oft war er nicht bei ihm, glaube ich aber er war halt sehr hartnäckig.
    Es ist wohl so, dass er sozusagen als "Missionar" da gewesen ist, er wollte ihn bekehren und zu Gott führen (als letzter Trost), ihm aber eher den Glauben "aufs Aug drücken", da war nicht viel von Verständnis oder Einfühlungsvermögen zu erkennen.


    Ich glaube, dass Meursault, der sich während der Zeit im Gefängnis ja doch verändert hat, einfach nicht zugeben wollte, dass der Weg zu/mit Gott vielleicht ein möglicher wäre. Er blieb stur seinen Prinzipien treu und sträubte sich dagegen, sich mit diesen Gedanken auseinanderzusetzen.


    So egal ist ihm die Umgebung dann ja auch nicht, wünscht er sich doch zu seiner Hinrichtung viele Zuschauer.

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


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  • Hallo Rosalita,


    So egal ist ihm die Umgebung dann ja auch nicht, wünscht er sich doch zu seiner Hinrichtung viele Zuschauer.[/quote]


    Aber warum wünscht er sich viele Zuschauer? Das passt doch ersteinmal nicht in sein bisheriges Konzept.
    Ansonsten muss ich Katja langsam recht geben. Ich habe die letzten Seiten gerade nocheinmal überflogen.


    Viele Grüße
    Leseratte

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  • hallo leseratte4
    am Ende meines Buches steht:

    Zitat

    Damit sich alles erfühlt, damit ich mich weniger allein fühle, brauche ich nur noch eines zu wünschen: am Tag meiner Hinrichtung viele Zuschauer, die mich mit Schreien des Hasses empfangen.


    Vielleicht will er, nachdem ihm klar gewrden ist, wie glücklich er war und ist,
    erhobenen Hauptes und ohne Reue sterben... und durch Zuschauer würde er sich bestätigt fühlen...

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    :study:

  • Ich habe den "Fremden" nun ausgelesen und bin voller Gedankenfetzen und unstimmigen Assoziationen zum Roman. Aber vielleicht wollte Camus diese Verwirrung hervorrufen, um noch deutlicher zu machen, was für ein widersprüchliches Wesen der Mensch ist.
    Einerseits wird gesagt, dass das Leben im Jetzt die geeignete Strategie für ein erfülltes Leben ist. Meursaults Apathie und Gleichgültigkeit gegenüber seinen Mitmenschen ist doch aber kein "Leben im Jetzt". Er versteckt sich hinter seiner Toleranz und Offenheit vor wahren Bindungen.


    Zitat

    Original von Katia
    Ich habe die Schachnovelle ja auch erst kürzlich nochmal gelesen, aber ich muss sagen, dass sie mir nicht in den Sinn kam. Vielleicht weil die beiden Gefangenen so unterschiedlich mit ihrer Situation umgehen - das zeigt wohl auch, dass Meursault nicht recht hat: nicht jeder Mensch kann ewig von wenigen Erinnerungen zehren! Und es zeigt damit wie weit weg Meursault in seinem Empfinden von "Durchschnittsmenschen" ist.


    Hier stimme ich dir zu - sein Denken und Handeln entspricht weder den Werten und Normen seiner Umgebung. Man gewinnt den Eindruck, als würde er weniger für seinen Mord verurteilt (wird er in der Verhandlung doch auch kaum angesprochen) als für seine "Seelenlosigkeit und Gefühlskälte". Sein Ausraster gegenüber dem Priester treibt die Geschichte auf den Höhepunkt. Aufgrund seiner Einstellung zu Leben und Tod glaubt er nicht an Gott und die Vergebung durch ihn. Auch wenn er sagt, er habe ein glückliches Leben gehabt und sich mit seinem Schicksal ausgesöhnt, kann ich es nicht wirklich glauben. Für eine solche Gemütsruhe hatte er noch zuviele Wünsche und auch Zweifel. Seine Hoffnung auf Begnadigung repräsentiert für mich seinen Wunsch weiterzuleben, trotz der Beteuerung, dass er mit seinem Tod gerechnet hat.
    Für mich entsteht der Eindruck, dass Camus dem Leser Meursault als erhobenen Zeigefinger vorführen möchte, der ihn dazu bringt, sein Leben sinnvoller zu gestalten als diese Hauptfigur.


    Das Buch hat mich sehr nachdenklich gestimmt, bleibt mir weiterhin in Teilen ein Rätsel, in anderen sehr aussagestark. Eine lohnenswerte Lektüre, die ich in einigen Jahren sicher wiederholen werde.

    She wanted to talk, but there seemed to be an embargo on every subject.
    - Jane Austen "Pride and prejudice" - +