Aus der Amazon.de-Redaktion
Foster Lipowitz hat alles erreicht. Sein Unterhaltungsimperium hat das Land mit zynischen Soaps, seichten Songs und filmischen Werken, die Titel tragen wie „Blood Lust 1 –4“, förmlich überzogen. Nun, da der Krebs ihn rasch dahinrafft, wandelt der Medienmogul sich vom Saulus zum Paulus. Die wenige ihm verbleibende Zeit soll der Schaffung wahrer Werte dienen. Im tiefsten Indiana gründet er „New Renaissance“, eine Eliteschule, an der junge Künstler förmlich gezüchtet werden sollen. Der siebenjährige Vincent Spinetti, ein schriftstellerndes Wunderkind, ist einer der Besten!
Da, wie die Legende weiß, nur großes Leid große Kunst gebiert, bekommen die Schüler eine Art schwarzen „Schutzengel“ an ihre Seite gestellt. Über Vincent wacht von nun an Harlan Eiffler als Manager darüber, dass seinem Schützling Vincent auf dem Weg zum Genie nicht allzu wohl wird. Alles um der Kunst willen, versteht sich. Der in der Musikbranche gescheiterte Harlan, Ich-Erzähler dieser Satire, nimmt seinen Job zerstörerisch genau, wie schon der amerikanische Originaltitel Torture the Artist suggeriert. Quäl‘ den Künstler!
Goebels Roman umkreist genau diese Frage, ob künstlerische Großtaten durch bewusst zugefügtes Leid (und Harlans Einfallsreichtum ist diesbezüglich unerschöpflich), gerechtfertigt sind. Das Konzept scheint vordergründig aufzugehen. Aus dem wurzellosen Einzelgänger Vincent, gezeugt während eines One-Night-Stands einer unersättlichen Mutter, wird ein erfolgreicher Songwriter und Drehbuchschreiber. Je tiefer sein Kummer, desto größer sein künstlerischer Output. Da lässt die menschliche Katastrophe erfahrungsgemäß nicht lange auf sich warten.
Am Ende von Vincents Leidensweg, der auch eine giftige Standortbestimmung heutiger Popkultur ist, steht ein zerknirschter Harlan auf den Trümmern seines Lebens. Ihm präsentiert sich eine wahnsinnig gewordene Welt, getarnt als riesige Entertainment-Maschinerie, „die täglich dümmer wird, ihre Werte verliert, sich allmählich in eine riesige Orgie verwandelt, auf der die einzigen freundlichen Worte wollüstige Grunzlaute sind.“
Ich finde dieses Buch grandios geschrieben und auch das gewählte Thema ist durchaus interessant. Wirklich gut gefallen hat mir auch, dass immer wieder Bezug zur "Wirklichkeit" genommen wurde, d.h. es tauchen immer wieder Namen von Künstlern auf, die tatsächlich gelebt haben, und an deren Leben das Vorgehen von New Renaissance begründet wird. So bekommt man als Leser das Gefühl, dass das, was in dem Buch beschrieben wird, tatsächlich alles wahr sein könnte. Die grenzen zwischen Fiktion und Realität werden so verwischt.
Absolut in ihren Bann hat mich die Sprache gezogen. Ich konnte einfach immer so dahin lesen und wurde nie müde, den Ereignissen in Vincents Leben zu folgen, was bei mir sonst eher selten der Fall ist. Es handelt sich um eine klare und verständliche Sprache, die dennoch nicht banal ist. Ich konnte mich damit durchaus identifizieren.
Sehr gelungen ist auch die Charakterisierung der Personen, indem ihre Lieblingsmusiker, die Lieblingsfernsehserie und der Lieblingsfilm genannt werden, weil man da erst einmal merkt, wie viel das doch über die unterschiedlichen Persönlichkeiten aussagt und wie viel leichter es einem gleich fällt, sie "einzuordnen". Dieses Stilmittel, das sich so ziemlich durch das ganze Buch zieht, ist demenstprechend eher etwas ungewöhnlich, aber passend, da es ja gerade auch um diese Dinge geht.
Es scheint tatsächlich oft so, als hätte Goebel kaum etwas dem Zufall überlassen, und dennoch wirkt die Geschichte nicht konstruiert.
Alles in allem handelt es sich hierbei um ein Buch, das ich selbst auch nur durch Zufall entdeckt habe - worüber ich mich natürlich sehr freue - und das ich gerne allen empfehlen möchte, die nicht nur seichte, sondern durchaus niveauvolle Unterhaltung suchen.