OKTOBER
Ich habe viel gelesen in diesem Monat, auch weil ich mir mal wieder einige schnell verschlungene Jugendkrimis vorgenommen habe. Auch ansonsten war viel Genrekost dabei, dazu noch zwei Literaturnobelpreisträger, die aber von Thomas M. Disch, James Tiptree jr. und Charles Willeford locker abgehängt wurden!
138. Pénélope Bagieu: California Dreamin' …
Die Graphic Novel erzählt die Lebensgeschichte von Mama Cass bis zu dem ersten großen Erfolg der Mamas and Papas mit California Dreamin'. Vergnüglich, aber nicht tiefgründig, so dass ich etwas unbefriedigt zurückbleibe, nicht involviert. Das hinter sarkastischen Sprüchen, lautstarken Witzen und drogenunterstützen Ausschweifungen verborgene Leiden der Hauptfigur an der Welt war nicht spürbar. Schön krakeliger Zeichenstil, ganz interessant von unterschiedlichen Erzählerblickwinkeln erzählt, aber alles in allem auch etwas belanglos.
139. Ingvar Ambjörnsen: Der Mann im Schrank …
Ein schmaler Band mit frühen Außenseiter-Erzählungen des in Hamburg lebenden Norwegers, dessen Roman “Weiße Nigger“ ich einst sehr mochte. Manche Geschichten oder Szenen sind famos herausgearbeitet, gut beobachtet, menschlich interessant oder schlichtweg verblüffend. Manche leider auch schnell vergessen.
140. Chris Wright: Blacklung …
Ein düsterer, brutal skurriler Piraten-Comicroman über einen schnöseligen Lehrer, der die Memoiren eines Piratenkapitäns aufschreiben soll. Eine Geschichte voller Gewalt, Schmutz und Verderben. Die Geschichte ist bei weitem nicht so kraftvoll, wie sie sein könnte. So dass nur die beeindruckenden Zeichnungen und die Figurengestaltung das Buch im Drei-Sterne-Bereich halten. Schade! REZENSION
141. James Tiptree jr.: 10000 Lichtjahre von zu Haus …
Kurzgeschichtensammlung der amerikanischen Psychologin Alice B. Sherldon, die in der Mitte ihres Lebens anfing, unter Männerpseudonym die Science-Fiction-Literatur auf den Kopf zu stellen. Total abwechslungsreich, mal Hochgeschwindigkeitsfarce, mal Space Opera, mal atmosphärisches Stück, mal derart originell, dass es einem die Schuhe auszieht. Lauter Unikate, was ich selbst den Geschichten zugutehalten muss, die mir nicht so gut gefallen haben! In den Geschichten des Bandes geht es fast immer um kulturelle Unterschiede, die Schwierigkeiten der Kommunikation und die großen Kulturwissenschaftsbrocken Gender, Rasse, Klasse! Lieblingstexte in diesem Band: „Der Mann, der sich auf den Heimweg machte“, „Ich bin zu groß, aber ich spiele gern“, „Ein Leben für eine Decke der Hudson Bay Company“ und auch „Treu dir, Terra, auf unsere Art“. Und und und! Aber sowas von haarscharf an 5 Sternen vorbeigeschrammt!
142. H. P. Lovecraft: Die Katzen von Ulthar und andere Erzählungen [Reread] …
Durch meinen Reread abgewerteter Kurzgeschichtenband mit den Fantasy-Erzählungen Lovecrafts rund um das geheimnisvolle Traumland und Randolph Carters Traumreise – mit einigen Seitenverweisen auf den Cthulhu-Mythos. Die kurzen Geschichten sind ziemlich gut (die Titelgeschichte und "Das weiße Schiff" haben mindestens 4 Sterne verdient). Die lange Novelle „Die Traumsuche nach dem unbekannten Kadath“, die fast das ganze Buch ausmacht, ist allerdings nur eine Aneinanderreihung bizarrer Szenerien, die ohne großes Interesse an mir vorbeigerauscht ist. Warum, auf welche Weise und wie intensiv die Hauptfigur nach ihrem Ziel sucht und Dinge erlebt, wurde mir nicht klar. Etliche Szenen ohne großen Erlebnischarakter, dafür mit verschwurbelten Adjektivketten langweilten mich sogar.
143. Stefan Wolf: Hexenjagd in Lerchenbach (TKKG #16) …
Sommerliche Hinterwäldner-Dorfatmosphäre mit diversen widerlichen Typen und einigem Wissenswertem über Hexen, Spinnen und Phantombilder. Giftanschlag, Totschläger, Fahrerflucht mit Todesfolge und pädophile Sittlichkeitsverbrecher – was Verbrechen angeht wird, wird ordentlich aufgefahren. Die Zeichnung der Hauptfiguren ist treffend, ausgewogen und angenehm freundschaftlich. Unterhaltsam.
144. Stefan Wolf: Das Paket mit dem Totenkopf (TKKG #4) …
Da war mir ein wenig zu viel an Handlung, so dass man kaum bei den Figuren verweilte, sich kaum Entwicklungen abzeichneten. Aber zum Glück keine albernen Verbrecherdialoge und auch nicht überkonstruiert. Mit etlichen schönen Szenen, zum Beispiel auch die in der Hörspielfassung fehlende Begegnung mit einem Junkie-Schüler.
145. Brian W. Aldiss: Der Malacia-Gobelin ...
Spekulative Fiction, die in einer alternativen Frühen Neuzeit spielt. Im Grunde ein bunter, abenteuerlicher Fantasyroman über eine Gesellschaft, die stolz darauf ist, sich nicht zu verändern, über Hierarchien und Machtstrukturen, aber auch über Loyalität und das Werden eines sozialen Bewusstseins. Etwas zu uneindeutig für meinen Geschmack, daher nur 3,5 Sterne. Aber unterhaltsam zu lesen wie ein frivoler Liebesreigen. REZENSION
146. Stefan Wolf: Gold und Dynamit (Tom & Locke Mini-Tramp-Buch #1) …
Das erste Mini-Tramp-Buch der Reihe bringt eine kriminelle Geschichte aus England, wo Locke und Tom über einen vermeintlich Toten, zwei Bankräuber, versteckte 40 Kilo Goldbarren, verbrecherische Gefängnisaufseher und eine ehemalige Geisel stolpern. Etwas gehetzt bei aller Kürze, aber leidlich unterhaltsam.
147. Jules Feiffer: Der Mann an der Decke …
Das erste Kinderbuch des famosen Comiczeichners, Cartoonisten und Illustratoren über einen jugendlichen Comiczeichner, der einen eigenen Kopf hat, aber wenig Selbstvertrauen. Der Plot ist nicht weltbewegend, aber die ungekünstelte, unkitschige Beiläufigkeit, mit der kindliche (und erwachsene) Befindlichkeiten erzählt werden, ist bemerkenswert. Es geht um den Glauben, nicht zu genügen, um nicht geschätzte Kreativität, um Eigensinn, Kummer und das Scheitern auf ganzer Linie. Ist jedes Scheitern im Grunde nur ein kleiner Teil zukünftigen Erfolges? Oder ist Scheitern einfach nur ein großes Versagen – und wer es nicht auf Anhieb schafft, sollte es besser gleich bleiben lassen? Der herzerwärmende Schluss ist so unpeinlich und liebenswert, dass es eine wahre Freude ist. Und er sichert die (etwas wackeligen) vier Sterne!
148. Thomas M. Disch: Camp Concentration …
Faustischer New-Wave-Science-Fiction-Roman über Menschenversuche an Gefangenen. Ein dichtes Gemenge schwieriger Fragen über Religion und Forschergeist, das Aufopfern für eine Idee, sei es für Gott, Satan oder den Menschen. Niemals langweilig, wenn auch nicht immer spannend. Außergewöhnlicher Lesestoff. REZENSION
149. Charles Willeford: Ketzerei in Orange … :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertungHalb: :love:
Meisterlicher Noir-Roman, der eine düstere Charakterstudie mit bissigen Kommentaren über den Kunstbetrieb und das parasitäte Wechselspiel von Kritiker und Künstler verbindet. Pulp Fiction mit hohem Erkenntisgewinn: Rabenschwarzer Thriller, Caper-Roman und Kunstwelt-Satire in einem. Für Menschen, die wissen, dass Thriller etwas mit Spannungsmache und nicht mit Blut und Gemetzel zu tun hat. :arrow: REZENSION
150. Max Goldt & Stephan Katz: Adieu Sweet Bahnhof … :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:
Ja, ich finde das lustig! :loool: Die ersten Cartoons und Mini-Comics sind zwar doof, aber spätestens bei der Geschichte mit dem Kongress für Frauen, die Björk hassen, war ich mit dabei! :totlach:
151. Thomas M. Disch & John T. Sladek: Alice im Negerland … :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :love:
Das hätte ich nicht gedacht! Der Roman schlägt dermaßen über die Stränge, dass es die reinste Freude ist. Solche Geschichten auf diese Art so stimmig und bei aller vordergründigen Kolportage so vielschichtig zu erzählen, schafft heute eigentlich nur Joe R. Lansdale. Ein Strudel aus Bösartigkeit, Rassismus, Mordlust, Verderbtheit, Dummheit, Wahnsinn und Schmutz. Der beste Thriller meines bisherigen Lesejahres. Sowas von fünf Sterne! :applause: :arrow: REZENSION
152. Michail A. Scholochow: Ernte am Don … :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertungHalb:
Ein ausufernder, zweiteiliger Roman im Stil des sozialistischen Realismus über die Enteignung und Kollektivierung der Landwirtschaft in den 1920er- und 1930er-Jahren am Don im Süden der Sowjetunion. Erster Teil ist ideologisch erstaunlich ausgewogen und interessant. Im zweiten Teil, der den Dorfalltag in der Kolchose in den Vordergrund schiebt, mehren sich mitunter recht platte, offensichtliche Propaganda-Tricks. Manche Stränge versanden, die Figuren sind eher eindimensional – und alles ist von unerträglichem, männlichen Chauvinismus geprägt. :arrow: REZENSION
153. William Faulkner: Als ich im Sterben lag … :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:
Melancholischer Roman über Dickköpfigkeit, Sündhaftigkeit und die menschliche Dummheit. Wird immer mehr zur fast sensationslüsternen Farce, was mir den Roman einigermaßen vergällt hat. Alles in allem dennoch lesenswerte vier Sterne, da der positive Eindruck der ersten Zweidrittel des Buches auch am Ende noch klar überwiegt. :arrow: REZENSION
154. Christopher Knock: Edgar Wallace und der Fall Queen's Dance (#6) … :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:
Sechster Roman der Jugendkrimireihe, die beliebte England-Klischees und Gangster- und Gruselkrimistandards für junge Leser aufbereitet. Hinter dem Pseudonym steckt wahrscheinlich der versierte Felix Huby. Konventionell, aber sehr temporeich und spannend. Es wird scharf geschossen! Ich mag den etwas ruppigen, urbanen Style. :arrow: REZENSION
155. Christopher Knock: Edgar Wallace und der Fall Software (#7) … :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:
Eine erstaunlich vielschichtige Agentengeschichte aus der Welt der wissenschaftlichen und militärischen Spionage aus der Zeit des Kalten Krieges. Wer sich von dem lahmen Titel abschrecken lässt, verpasst etwas. Sehr spannend! Die Motivation eines der feindlichen Spione wirft ein sehr interessantes Licht auf die Geschichte. :arrow: REZENSION
156. Christopher Fowler: Über den Dächern von London … :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:
Spekulative Fiktion aus einem alternativweltlichen London der 1980er-Jahre, im Grunde dem Horror-Genre zuzuschlagen, da sich die Handlung um Okkultismus und Geheimbünde dreht. Der Splatter-Anteil ist erstaunlich hoch. Der Aufhänger ist verdammt vielversprechend und wird erstaunlich glaubhaft vorbereitet: Über den Dächern von London existiert seit Jahrzehnten unbemerkt eine Parallelgesellschaft von Aussteigern, die den Zwängen der Markt- und Konsumgesellschaft entsagen und ihr sogar den Kampf ansagen wollen. Zwischen vielen Hochhäusern sind Kabel gespannt, über die sich die Aussteiger der „Dachwelt“ fortbewegen. Doch hoch oben findet eine Art Bürgerkrieg statt: Eine im Grunde faschistische Abspaltung der Aussteiger kämpft um die Vorherrschaft und schreckt nicht vor schrecklichen Bluttaten zurück, die auch auf der Erde nicht unbemerkt bleiben. Zwei Unbeteiligte aus der normalen Sphäre können die Dinge nicht ruhen lassen und erkunden die gefährliche Dachwelt … Leider sind die Charaktere alle so unendlich hohl und lahm. Auch wurde mir während der – ja, schon – spannenden Handlung einfach nicht glaubhaft gemacht, warum ich mich für die Geschichte eigentlich interessieren soll. Was wollen die Aussteiger der Dachwelt, was machen sie den ganzen Tag, warum soll ich mit ihnen mitfühlen? Spannend, brutal, aber auch ziemlich hohl. Viele verschenkte Möglichkeiten, eine wirklich interessante Revoluzzergeschichte zu erzählen. :|
157. H. G. Francis: Ein Koffer voller Geld (Detektiv Clipper #1) … :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:
Nach zwei Original-Hörspielen mit dem an Columbo angelehnten Privatdetektiv James Clipper aus London schrieb Hans Gerhard Franciskowski noch zwei Jugendkriminalromane mit Detektiv Clipper und den beiden jugendlichen Hobbydetektivbrüdern Ronny und Ed Fox. Eine sehr schön auf die Ermittlungen konzentrierte Geschichte über einen vertauschten Geldkoffer, einen gemieteten Rolls-Royce, einen Bankraub und einen armen Jungen, der wohl keinen Finderlohn bekommen wird. Dass der Arm-Reich-Gegensatz mehr als nötig in die Geschichte eingebaut wird, hat mir sehr gut gefallen. :thumleft: Und wie der sich harmlos gebende Detektiv Clipper immer verblüffend ruhig und durchsetzungstark bleibt, ist sehr beeindruckend und vergnüglich. Für den trockenen Tonfall und die routinierte Erzählung gebe ich gerne 4 Sterne.