Yaa Gyasi – Heimkehren / Homegoing

  • Original : Englisch/USA, 2016


    INHALT :
    Ghana im 18. Jahrhundert: Die beiden Halbschwestern Effia und Esi wachsen auf, ohne voneinander zu wissen. Während Effia mit einem weißen Engländer verheiratet wird und ein komfortables Leben in Cape Coast führt, wird ihre Halbschwester Esi als Sklavin mit Tausenden anderen auf die Baumwollplantagen Amerikas verschleppt. Mit enormer emotionaler Kraft und über acht Generationen hinweg erzählt Yaa Gyasi die bis in die Gegenwart reichende Geschichte zweier Familien, die auf der afrikanischen und amerikanischen Seite des Ozeans ums Überleben kämpfen...(Text zur bislang nur existierenden Hörbuchausgabe)


    BEMERKUNGEN :
    Ausgangspunkt ist die Goldküste in der Mitte des XVIII. Jahrhunderts, ein Küstenabschnitt in Westafrika (siehe auch : https://de.wikipedia.org/wiki/Goldk%C3%BCste_ , spätere britische Kolonie (siehe : https://de.wikipedia.org/wiki/Goldk%C3%BCste_(Westafrika) ) und eben das heutige Ghana (siehe : https://de.wikipedia.org/wiki/Ghana ). Die Geschichte wird die beiden Halbschwestern Effia und Esi trennen : die eine heiratet einen britischen Soldaten des naheliegenden Cape-Coast-Castles, die andere gerät in die Sklaverei, und wird nach Amerika verschifft.


    Auf überaus packende, fesselnde Weise wechseln wir von Kapitel zu Kapitel jeweils den Kontinent, verfolgen mal diesen Familienstrang, mal jenen, sind mal in Afrika, mal in den USA. Das geht über sieben, bzw acht Generationen hinweg bis hin zur Jetztzeit. Dabei sind die Nuancen und Urteile sehr fein : nicht einfach nur zB die einerseits absolut bösen Weissen, und dort nur die Opfer. Sondern Yaa Gyasi zögert nicht, jeweils die Versäumnisse beider Seite aufzudecken, auch die Beteiligung zB von afrikanischen Stämmen am Sklavenhandel. Neid, Eifersucht, Vorurteile… Das macht aus einem beschworenen « Zivilisationskrieg » zwischen Weiss und Schwarz zB auch ein viel weiterreichendes Problem von universell vorhandenen Schwächen und Fehlern. Und vermeidet die Falle, den afrikanischstämmigen Menschen allein in einer Opferrolle zu sehen oder darzustellen. Hier hat die Autorin meines Erachtens eine Reife und einen bedeutenden Blickwechsel vollzogen.


    Es mag ein klein wenig auffallen und verstören, dass die Nachkommen der beiden Halbschwestern auf die ein oder andere Weise fast immer bedeutende, immer recht schöne, starke etc, Menschen waren. Mag es anzeigen, wie reich das Leben jeden ausstattet(e) ?! Dennoch ist ihnen auch der Widerspruch zueigen. Gyasi erzählt nicht immer einfach die ganze Lebensgeschichte in allen Generationen : hier und da springt sie, um von wesentlichen, sprechenden Schlüsselmomenten zu reden. Oft dem Übergang von der einen in die nächste Generation.


    Die Verwurzelung auf den beiden Kontinenten zeigt auch die Geschwisterlichkeit getrennter Familienzweige, und die geheimen Verbindungen und Heimatlosigkeiten, die den Betroffenen zueigen ist.


    Hier einige Gedanken, die ich sehr ansprechend fand :


    Einen Geschichtsprofessor in Ghana lässt sie sagen : « Die Geschichte ist eine Schilderung, die oft von dem gechrieben wird, der die Macht besitzt ( ...erinnerte mich an Bert Brecht!). Man mass sich fragen, « Wer ist derjenige, dessen Geschichte ich nicht kenne ? Welche Stimme hat sich nicht bemerkbar machen dürfen ? » Yaa Gyasi tut's !

    «Manchmal siehst du nicht, dass das Übel in der Welt mit dem Übel in deiner eigenen Mitte, in deiner Familie, angefangen hat. »



    « Man ist nicht einfach ganz an seinem Platz, weder hier, noch da. »

    « Wir sind ein Teil von etwas, das weit in die Ferne zurückreicht… jeder nimmt daran teil, nicht isoliert, sondern auf fundamentalste Art und Weise. »

    « Wie sind eine Summe dieser Epochen », (die unsere Vorfahren durchquert haben).


    Wie kann man sich wiederfinden, wenn man voneinander getrennt worden ist ?


    Bei all diesen eher tiefer gehenden Ideen und Interpretationsansätzen darf man auch ruhig behaupten, dass dies einfach und an sich ein packender Roman, ein fesslendes, weitausholendes Familienepos ist, der hier im BT vielen gefallen könnte ! Dieses Buch hat mir ausgesprochen gut gefallen ! Top !


    AUTORIN :
    Yaa Gyasi, 1989 in Mampong/Ghana geboren, und kam 1991 in die USA. Sie ist die Tochter eines Französischprofessors in Huntsville/Alabama und einer Krankenschwester. Zunächst lebten sie ebenfalls in Illinois und Tennessee. Ihr Debüt »Heimkehren«, im Alter von 26 Jahren geschrieben, erhielt ein überwältigendes Presseecho und wurde vielfach ausgezeichnet. Die Autorin lebt in Berkeley, Kalifornien.


    Ein Link zur Ausgabe im englischsprachigen Original :
    Taschenbuch: 320 Seiten
    Verlag: Viking; Auflage: 01 (7. Juni 2016)
    Sprache: Englisch
    ISBN-10: 0241242738
    ISBN-13: 978-0241242735

  • Link zur bislang nur als Hörbuch existierenden deutschsprachigen Fassung "Heimkehren". Hoffentlich bald verfügbar in der gedruckten Version?


    Verlag: Der Audio Verlag (4. August 2017)
    Sprache: Deutsch
    ISBN-10: 3742402374
    ISBN-13: 978-3742402370

  • Ich selber las die französische Fassung unter ziemlich gefälschtem Titel « No home », ein Anglizismus, der eine ganz andere Tonalität hat als das Homegoing/Heimkehren !


    XVIIIe siècle, au plus fort de la traite des esclaves. Effia et Esi naissent de la même mère, dans deux villages rivaux du Ghana. La sublime Effi a est mariée de force à un Anglais, le capitaine du Fort de Cape Coast. Leur chambre surplombe les cachots où sont enfermés les captifs qui deviendront esclaves une fois l’océan traversé. Effi a ignore que sa soeur Esi y est emprisonnée, avant d’être expédiée en Amérique où des champs de coton jusqu’à Harlem, ses enfants et petits- enfants seront inlassablement jugés pour la couleur de leur peau. La descendance
    d’Effia, métissée et éduquée, connaît une autre forme de souffrance : perpétuer sur place le commerce triangulaire familial puis survivre dans un pays meurtri pour des générations.

    Navigant brillamment entre Afrique et Amérique, Yaa Gyasi écrit le destin d’une famille à l’arbre généalogique brisé par la cruauté des hommes. Un voyage dans le temps inoubliable.


    Broché: 450 pages
    Editeur : Calmann-Lévy (4 janvier 2017)
    Collection : Littérature Etrangère
    Langue : Français
    ISBN-10: 270215963X
    ISBN-13: 978-2702159637

  • Alex Haley beschrieb in seinem Welterfolg 'Roots' auf mehr als 700 Seiten das Leben von Kunta Kinte und seinen Nachkommen - Yaa Gyasi benötigt für die Geschichte der Halbschwestern Effia und Esi und ihren Nachfahren nur 400 Seiten, ohne dass ich beim Lesen das Gefühl hatte, nur unvollständige Ausschnitte mitgeteilt zu bekommen.
    14 Kapitel hat das Buch, jedes ist einem Abkömmling einer Generation gewidmet, beginnend mit Effia und Esi, die sich nie kennenlernten. Während Effia, die die uneheliche Tochter des Hausmädchens Maame ist, das direkt nach ihrer Geburt floh, gegen Ende des 18. Jahrhunderts mit einem britischen Festungsgouverneur verheiratet wird, wird Esi, Maames eheliche Tochter, ca. zur gleichen Zeit vom Stamme Effias gefangengenommen und als Sklavin verkauft. Sie und ihre Nachkommen werden in den USA leben und aufwachsen unter den erbärmlichsten Bedingungen, die man sich vorstellen kann. Selbst das Verbot der Sklaverei ändert kaum etwas an den gnadenlosen Zuständen, in denen sie sich befinden.
    Effias Nachfahren hingegen bleiben in Ghana, profitieren weiterhin vom Sklavenhandel oder entziehen sich ihm auf radikale Weise mit der Hoffnung, so ihr Glück zu finden.
    Obwohl von jeder Person stets nur 20 bis 30 Seiten lang erzählt wird, reichen diese vollständig aus, um sich eine Vorstellung von ihrem Lebensweg und dem seiner bzw. ihrer Eltern zu machen. Geschickt werden Erinnerungen und Rückblicke in die laufende Geschichte eingeflochten, sodass ich kontinuierlich der Fortentwicklung dieser Familie folgen konnte, die bis in die heutige Zeit von der Sklaverei gekennzeichnet ist.
    Dieses Buch ist beeindruckend und grandios, aber auch entsetzlich grausam, wobei ich keine Grausamkeit im blutrünstigen Sinne meine. Denn was Yaa Gyasi hier erzählt, mag eine fiktive Geschichte sein, aber das wovon sie berichtet, beruht auf realen Geschehnissen.

    :study: Das Eis von Laline Paul

    :study: Der Zauberberg von Thomas Mann
    :musik: QUALITYLAND von Marc-Uwe Kling

  • Absolut überzeugend


    Eine tolle Geschichte mit unzähligen Aspekten und Facetten: Sklaverei, Ghana, afroamerikanische Geschichte, Familienähnlichkeiten, Identitätssuche und einiges mehr.
    Ein wirklich glückliches Leben führt keins der vorgestellten Familienmitglieder. Trotzdem geht es immer weiter - meistens ist auch ein Streben nach einem besseren, glücklicheren Leben zu erkennen.
    Das ist alles oft eigentlich recht traurig, aber wirkliches Mitleid kommt nicht auf, da der Text keinen Vorwurf erhebt, gleichzeitig aber auch nicht verharmlost. Der schmale Grad zwischen diesen beiden Sichtweisen ist von der Autorin grandios getroffen.

  • Die Geschehnisse in diesem Buch sind so eindringlich, so dicht und erschütternd, dass ich das Buch nur sehr langsam und in kleinen Portionen lesen konnte. Habe mich von einer Generation zur nächsten vorangearbeitet, alles in Ruhe auf mich wirken lassen und zwischendurch mehrere andere Bücher gelesen. Anders wäre es nicht gegangen. Ich hatte zunächst nicht verstanden, warum Yaa Gyasi am Anfang ihres Romans so viele innerfamiliäre Konflikte aufwirft und die Streitigkeiten zwischen den Asante und Fante so hervorhebt. Im Licht der letzten Kapitel betrachtet, ergibt es jedoch Sinn und schließt das Geschehen des Romans wieder zu einem Kreis: Gewalt und Unrecht in der Gesellschaft sind zuerst in den Familien sichtbar. Natürlich bedingt sich das gegenseitig; eine instabile Gesellschaft schafft nicht gerade die besten Voraussetzungen für das Wachstum stabiler familiärer Beziehungen.


    Und das hat mir Yaa Gyasis Geschichten-Roman mehr als jede andere meiner Lektüren zu diesem Thema vor Augen geführt: Wie sehr die Sklaverei und die damit verbundenen Lebensumstände die betroffenen Menschen entwurzelt und daran gehindert haben, sich selbst und ihre Angehörigen in eine stabile Familiengeschichte einzubetten. Viele waren immer wieder neu auf sich allein gestellt. Manche hatten das Glück, dass Angehörige da waren. Die Erzählweise, immer nur eine oder ein paar wichtige Schnittstellen im Leben der jeweiligen Hauptfigur aus dem Gesamtgeschehen herauszureißen, passt perfekt zu den Realitäten, mit denen diese Menschen umgehen mussten, nämlich selbst jeden Moment damit rechnen und klarkommen zu müssen, willkürlich aus allem herausgerissen zu werden. So, wie es mir allein beim Lesen schon Mühe gemacht hat, den einzelnen Generationen zu folgen und mich dabei noch an die Bruchstücke der letzten Generation zu erinnern, weil deren Leben nur so ausschnitthaft dargestellt wurde und man kaum genug Zeit hatte, mit ihnen warmzuwerden, so standen auch diesen im Roman dargestellten Menschen oft nur Bruchstücke (wenn überhaupt) an Familiengeschichte zur Verfügung, viele mussten mehrmals in ihrem Leben von vorn beginnen, allzu oft nicht auf selbstbestimmte Weise.


    Am Anfang der Lektüre hatte mir schmerzlich das Licht am Horizont gefehlt; in den letzten Kapiteln versteht es die Autorin, verloren geglaubte Stränge wieder zusammenzuführen, mehrere Kreise auf gelungene und z.T. überraschende Weise zu schließen und Figuren mit sich selbst und ihrer Herkunft zu versöhnen, auch wenn sich vieles davon den ProtagonistInnen selbst in Träumen und mystischen Ahnungen offenbart. Als LeserIn weiß man diese Dinge genauer zu deuten, und so konnte ich das Buch am Ende zufrieden aus der Hand legen und nicht mit den destruktiven Gefühlen, die sich am Anfang noch oft bei mir eingestellt hatten.


    Ich vergebe fünf dicke Sterne, werde gern mehr von der Autorin lesen, falls sie nachlegt, und habe dieses Buch ganz weit oben auf meine Liste zu verschenkender Bücher gesetzt.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    :study: Jutta Aurahs - Katzen :cat:

    :study: Han Kang - Griechischstunden

    :musik: Asako Yuzuki - Butter (Re-???)

    :musik: Satoshi Yagisawa - Die Tage in der Buchhandlung Morisaki

    :montag: Deb Olin Unferth - Happy Green Family (Reread)

    :montag: Rumi - Die Musik, die wir sind





  • Inhalt

    Die Lebenswege der Schwestern Effia und Esi und ihrer Nachkommen werden durch die Nationalität und Hautfarbe ihrer Väter bestimmt. Effia heiratet im 18. Jahrhundert den weißen Offizier James Collins, der in der Festung Dienst tut, in der ihre Halbschwester Esi vor dem Transport zur Sklavenarbeit in Amerika gefangen gehalten wird. In Form eines Familienromans, der sich über acht Generationen bis in die Gegenwart erstreckt, beschreibt Yaa Gyasi den historischen Hintergrund der Sklaverei. Ohne Schwarze, die andere Stämme überfallen, um ihre Gefangenen in die Sklaverei zu verkaufen, und ohne Großbritannien und die Niederlande, die die Stammeskriege unterstützten und davon profitierten, wäre die Sklaverei in den amerikanischen Südstaaten und in der Karibik nicht so lange möglich gewesen.


    In chronologischer Reihenfolge, abwechselnd in Ghana und in Amerika spielend, wird in jeweils einem Kapitel von den zwölf Nachkommen der Schwestern erzählt. Man erfährt von den Clanstrukturen, in denen Häuptlinge möglichst viele Frauen heirateten, um viele Nachkommen zu haben und von strategisch geplanten Eheschließungen. In Amerika lässt sich das Schicksal von Esis Enkel Kojo und seinen sieben Kindern verfolgen. Das Ende des Amerikanischen Bürgerkrieges bedeutet längst nicht das Ende der Sklaverei; Kojo ist zwar ein befreiter Sklave, arbeitet im Kohlebergbau jedoch unter Arbeitsbedingungen, die der Sklaverei nicht nachstehen. Auf beiden Kontinenten lässt sich verfolgen, wie Aberglaube, mangelnde Bildung und Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe eine Form von Sklaverei sein können. Der ghanaische und der amerikanische Familienzweig werden schließlich wieder miteinander verbunden als Effias Nachkomme Yaw in der Gegenwart in die USA auswandert und seine Tochter Marjorie sich mit ihrer Identität auseinandersetzen muss. Marjorie findet beim Besuch in Ghana Zugang zur Geschichte ihrer Vorfahren, muss sich jedoch auch damit auseinandersetzen, dass ihr britisches Englisch sie unter Afroamerikanern als „Weiße“ brandmarkt.


    Auch ohne den Stammbaum am Ende des Romans lässt sich den Einzelschicksalen problemlos folgen. Zusammengehalten werden die Ereignisse durch die Festung, in der sich die Wege der Schwestern hätten kreuzen können und durch einen golddurchzogenen Schmuckstein, der in der ghanaischen Linie weiter vererbt wird. Wenige im Text eingeschobene Jahreszahlen ermöglichen eine zeitliche Orientierung.


    Fazit

    Anhand von Einzelschicksalen vermittelt Yaa Gyasi in einem mitreißenden Familienroman einen entscheidenden Abschnitt ghanaischer Geschichte, der anregt, sich weiter mit den Aschanti/Asante und den Fante zu beschäftigen. Parallel zu Colin Whiteheads "Underground Railroad" erschienen, liefert Gyasis Roman die fehlende ghanaische Hälfte, die aus beiden Romanen zum Thema Sklaverei erst ein Ganzes macht. Wer nicht beide Romane lesen will, sollte mit "Heimkehren" zum leichter zugänglichen Roman greifen.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: -- Toibin - Long Island

    :musik: -- Catton - Gestirne; Rehear


    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow