Chinua Achebe - Alles zerfällt/Things fall apart

  • Original : Englisch/Nigeria (1958)
    Mit einer Einleitung von Chimamanda Ngozi Adichie in dieser unten verlinkten deutschen Ausgabe


    INHALT :
    « Alles zerfällt » erzählt die miteinander verbundenen Etappen im Leben Okonkwos, einen Krieger und starken Mann eines Ibo-Dorfes in Nigeria : Im ersten Teil, einer kraftvollen Fabel vom unsterblichen Konflikt zwischen dem Individuum und der Gesellschaft, spürt man dem Verlust des Angenommenseins in der Stammeswelt nach. Der zweite Teil, so modern wie der erste zeitlos und alt ist, betrifft den Zusammenprall der Kulturen und die Zerstörung von Okonkwos Welt bei der Ankunft christlicher Missionare europïaschen und afrikanischen Ursprungs. Diese perfekt aufeinander abgestimmten Dramen werden gespeist durch eine Wahrnehmung sowohl des Lebens der Natur, der menschlichen Gesellschaft als auch den geheimnisvollen Regungen der Seele. (vom Klappentext der englischen Ausgabe ausgehend, aber leicht verändert da mE nicht korrekt)


    GLIEDERUNG :
    Drei durchnumerierte Teile mit je 13, 6 und 6 Kapiteln.


    BEMERKUNGEN/EIGENE MEINUNG :
    Die erste Periode spielt ausschliesslich in einer innerstammlichen, von Weissen unberührten Welt. Der Autor, selber Angehöriger des Ibo-Stammes, schildert den Alltag innerhalb des Stammes, der aus neun Dörfern besteht. Hauptperson ist der Krieger, Kämpfer und Bauer Okonkwo, der nunmehr drei Frauen und sechs Kinder hat. Erzählt wird das von den Jahreszeiten, Riten und verschiedenen Höhepunkten geprägte, fast zeitlose, rhythmische Leben. Ich las Kommentare, die all das « langweilig » fanden… Nun, welche Erwartungen hat man an eine Schilderung eines Stammeslebens ? Wer sich für eine Schilderung quasi von Innenansicht her interessiert, findet hier reichliche und eindrückliche Materie zum Nachdenken, Kennenlernen und Staunen. Dabei stellt uns der nigeriansiche Autor, trotz seiner öffentlichen Positionierung als Verteidiger afrikanischer, insbesonderer der Ibo-, Kultur, keine Schwarz-Weiss-Malerei vor : Man wird auch die Härten dieses Stammeslebens erkennen, selbst die tatsächlich vorhandene Kritik an gewissen Riten, Regeln der bestehenden Kultur, die die Hauptperson gar in die Verbannung schicken wird, ins Dorf seiner Mutter. Oder die den Ritualtod des Adoptivsohnes auslösen (Geschichte, die anders als die von Abraham und Isaak ausgehen wird…) Der Titel taucht hier schon als Beschreibung einer Tendenz vielleicht aller Kulturen auf ?! Und einige Menschen zerbrechen innerhalb dieses Umfeldes !


    Erst gute zwei Drittel nach diesem rein « afrikanischen » Teil tritt überhaupt der erste Weisse auf die Bühne. Sein als Unglück interpretiertes Auftauchen führt in einem (anderen als Okonkwos) Dorf zu seiner Ermordung und heftigen Folgen. Das Erscheinen weisser (und afrikanischer!) Missionare wird langfristige Folgen haben...


    Vorangestellt ist dem Roman ein Vers des Dichters Yeats (Epigraph) aus dem sehr bekannten Gedicht « The second coming »:


    Turning and turning in the widening gyre
    The falcon cannot hear the falconer;
    Things fall apart; the centre cannot hold;
    Mere anarchy is loosed upon the world,
    The blood-dimmed tide is loosed, and everywhere
    The ceremony of innocence is drowned;
    The best lack all conviction, while the worst
    Are full of passionate intensity.


    (Quelle und mehr unter : https://en.wikipedia.org/wiki/The_Second_Coming_(poem) )


    Sicherlich ist dieses Gedicht noch unendlich vielsinniger, aber auf das Buch übertragen (immerhin stammt ja auch der englische Originaltitel daraus) haben einige alleine vom Zerfall der afrikanischen Kultur durch die Ankunft der Weissen, und einer reinen Kritik des Kolonialismus' gesprochen. Und es ist wahr, dass dies die afrikanische Kultur vielernorts an ein Ende brachte, und Achebe sicherlich dies betonte. Der Roman ist jedoch noch vielschichtiger, da er Zerfallsmomente auch schon quasi vor dem Auftauchen der westlichen Zivilisation(?) andeutet: die Stammesangehörigen diskutieren hier und da über Sinn und Absurdität von Riten, die zB den Tod Unschuldiger wollen etc. Sicherlich wird hier eine Kultur zusammengehalten durch das gemeinsame Leben von Regeln und Tradtionen. So ist es wohl überall. Doch vielleicht sind die entropischen Elemente überall am Werk, und ist der Zusammenbruch dieser oder jener Strukturen quasi inhärent ? Dies gilt wohl für alle Kulturen und gesellschaftlichen Ausformungen !?


    Das Buch wirft viele Fragestellungen auf, und ist einfach, aber hervorragend erzählt. Es schöpft sprachlich aus der reichen, mündlichen Überlieferung (Geschichten und Sprichwörter) des nigerianischen Stammes. Für mich eine echte Entdeckung eines grossen Autors, eines bedeutenden Buches (das meist gelesenste Buch der modernen afrikanischen Kultur mit 8 Millionen verkaufter Exemplare, übersetzt in 50 Sprachen)!


    AUTOR :
    Chinua Achebe wurde als Albert Chinụalụmọgụ Achebe im November 1930 in Ogidi im Osten Nigerias als Sohn eines Katechisten aus dem Stamm der Igbo geboren. Er war ein sehr begabter Schüler und studierte nach einem Versuch in Medizin englische Literatur am University College von Ibadan. Er lehrte seitdem als Professor an nigerianischen, englischen und amerikanischen Universitäten. Als die Gegend von Biafra sich 1967 abspalten wollte unterstützte er diese Unabhängigkeitsbestrebungen. Infolge eines Autounfalls im Jahre 1990 war Achebegelähmt. Er wurde ebenfalls besonders für seine Stellungnahmen zu Korruption und schlechtem Regierungsstil im Lande respektiert, lehnte zB eine offizielle Ehrung durch die Autoritäten ab..


    Er schrieb mehrere Romane, auch Kinderbücher und Essay-Anthologien. 2002 wurde Achebe für sein politisches Engagement mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geehrt, 2007 erhielt er den Man Booker International Prize. Chinua Achebe starb 2013 in Boston.
    (Quellen : Kurzbeschreibung amz.de, Artikel in « Le Monde » ; Klappentext der fanz. Ausgabe ; wikipedia-Artikel auf Englisch)


    Taschenbuch: 240 Seiten
    Verlag: FISCHER Taschenbuch; Auflage: 1 (27. November 2014)
    Sprache: Deutsch
    ISBN-10: 3596905745
    ISBN-13: 978-3596905744

  • Hier eine Verlinkung zu einer der Ausgaben auf Englisch, Originalsprache des Romans!


    Things fall apart


    Taschenbuch: 224 Seiten
    Verlag: Anchor; Auflage: Nachdr. (1. September 1994)
    Sprache: Englisch
    ISBN-10: 0385474547
    ISBN-13: 978-0385474542

  • Inhalt

    Als Sohn eines Vaters, der ihm kein gutes Vorbild war, muss Okonkwo sich seinen Platz in der Dorfgemeinschaft hart erkämpfen. Der junge Nigerianer gelangt mit seinem Sieg in einem Boxkampf zu Ansehen; doch er wird niemals seine Angst vor Schwäche und dem Scheitern verlieren. Die Igbo in Nigeria leben zur Zeit der Handlung (1850 bis 1890) in Großfamilien, die zur besseren Verteidigung nach außen Dorfgemeinschaften bilden. Ein angesehener Igbo muss mit den Erträgen seiner Felder mehrere Frauen und zahlreiche Kinder ernähren und als Krieger die Gemeinschaft verteidigen können. Eine strenge Hierarchie legt den Rang jedes Familienmitglieds fest. Die Arbeit von Männern und Frauen im Haus und auf dem Feld ist unveränderbar an ihre Geschlechtsrolle gebunden. Nur Männer bauen Yamswurzeln an, Frauen die restlichen Feldfrüchte. Traditionen und Aberglaube spielen im Dorf eine bedeutende Rolle. Das Auftreten von Krankheiten und den Tod im Kindesalter können die Dorfbewohner sich nur durch die Macht von Geistern erklären. Wichtige Entscheidungen (wie ein Krieg gegen einen Nachbarstamm) beschliesst das Orakel. Obwohl jeder im Ort die junge Witwe kennt, die in das Gewand der Orakelpriesterin schlüpft, unterwerfen sich die Dorfbewohner gehorsam ihrem Spruch. Streng nach Stammestradition nimmt Okonkwo zur Abwendung von Blutrache den Jungen Ikemefuna als Geisel in seinen Haushalt auf. Ikemefunas und Okonkwos Stämme liegen miteinander im Streit. Das Heranwachsen von Ikemefuna mit Okonkwos eigenen Söhnen lässt Okonkwos Angst vor Schwäche hervorbrechen. Das Familienoberhaupt fürchtet, sein ältester Sohn könnte zu schwach sein, um die Großfamilie zu führen. Während sich in der Person Obierikas im Dorf bereits deutlich Widerspruch gegen die alten Sitten und Tabus regt, wird die Gemeinschaft mit christlichen Missionaren und der Nigeria durch die britische Kolonialamacht aufgepresste Rechtsprechung konfrontiert.


    Fazit

    Chinua Achebe wollte mit seinem Roman das Afrikabild von Lesern im Ausland entzerren und ihnen verdeutlichen, dass nicht die Weißen erst mit der Kolonialisierung des afrikanischen Kontinents den "ungebildeten" Völkern Kultur brachten. Die Schilderung des Niedergangs einer Kultur durch die Starre ihrer Traditionen, wie auch das tragische Scheitern Okonkwos durch sein Beharren auf den Überlieferungen, sind als zeitlose Konflikte auf andere Kulturen übertragbar. Solange Männer wie Okonkwo aus Angst um ihr Ansehen an überholten Rollenbildern festhalten und die Stärken ihrer Söhne und Töchter nicht wahrnehmen können, bleiben die Probleme des afrikanischen Kontinents auf dem Weg in die Moderne unlösbar.


    zu Roman und Übersetzung

    Chinua Achebe (*1930) hat mit seiner Trilogie um Okonkwo und seine Nachkommen weltweit das Afrikabild seiner Leser geprägt. Things fall apart erschien 1958, wurde in über fünfzig Sprachen übersetzt und soll noch immer das in Europa meistgelesene Werk eines afrikanischen Autors sein. 1958 fragten sich (laut Vorwort) europäische Verleger, ob das Buch eines afrikanischen Autors überhaupt verkäuflich sein würde. Inzwischen sind mehr als 8 Millionen Exemplare davon verkauft worden. "Things fall apart" (dt. "Okonkwo oder Das Alte stürzt") ist - teils in gekürzter Fassung - Schullektüre in vielen englischsprachigen und afrikanischen Staaten.


    Der Titel "Things fall apart" entstammt dem Gedicht Second Coming von William Butler Yeats:

    Turning and turning in the widening gyre/

    The falcon cannot here the falconer/

    Things fall apart; the center cannot hold;/

    Mere anarchy is loosed upon the world.


    Achebes Klassiker folgt der afrikanischen Erzähltradition und enthält zahlreiche Sprichwörter, die sich vollständig wohl nur Igbo-Sprechern erschließen wie Chimamanda Ngozi Adichie (*1977), die das Vorwort verfasste. Mit dem Vorwort der jungen nigerianischen Autorin und ausführlichen Anmerkungen des Verlags zur Igbo-Sprache wird aus der Neuübersetzung des klassischen Texts ein zeitlos gültiges Buch, das ganz in Achebes Absicht tiefes Verständnis für das moderne Afrika wecken kann, wo noch immer das Zusammenleben der Völker durch Aberglauben bestimmt wird.


    Die Fortsetzung "No longer at Ease" (1960, "Heimkehr in ein fremdes Land") erzählt von Okonkwos Enkel Obi, der dritte Band "Arrow of God" (1964, "Der Pfeil Gottes") von seinem Sohn Nwoye. Eine deutsche Ausgabe erschien übersetzt von Richard Moering unter dem Titel "Okonkwo" 1959 im Goverts Verlag und 1976 im Aufbau Verlag. Dagmar Hensler übersetzte die 1983 in der edition suhrkamp erschienene Ausgabe. 2008 fand eine Konferenz zum 50. Erscheinungstag des Buches statt, die sich mit Übersetzungsfragen, dem Einsatz im Unterricht und der Sprache des Romans befasste, dokumentiert im (vergriffenen) Kongressbericht ISBN 978-94-012-0683-9. Neu erscheint im Juli 2012 der Kongressbericht Hrsg. von Whittacker: Chinua Achebe's "Things Fall Apart": 1958-2008. ISBN 978-9042033962


    Textauszug

    "Drei Jahre lebte Ikemefuna im Haushalt Okonkwos, und die Ältesten Umuofias schienen ihn vergessen zu haben. Er schoss auf wie die Blattranken der Yams in der Regenzeit und strotzte vor Lebenskraft. Er war eins mit seiner neuen Familie. Nwoye war er ein älterer Bruder, vom ersten Augenblick an hatte er in dem Jüngeren neues Feuer entfacht. Er gab ihm das Gefühl, erwachsen zu sein, und sie verbrachten die Abende nicht mehr in der Hütte seiner Mutter, während sie kochte, sondern saßen nun bei Okonkwo im obi oder sahen zu, wie er von seiner Ölpalme den Saft für den Abendwein zapfte. Nichts freute Nwoye jetzt mehr, als von seiner Mutter oder einer anderen Frau seines Vaters eine der schwierigen und männlichen Aufgaben des Hauses übertragen zu bekommen. Überbrachte ihm ein jüngerer Bruder oder eine kleine Schwester eine entsprechende Aufforderung, tat Nwoye ärgerlich und maulte laut über die Frauen und ihre Belange. Okonkwo freute sich insgeheim über die Entwicklung seines Sohns, und er wusste wohl, dass sie Ikemefuna zu verdanken war. " (S. 69)


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    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Nigeria, Ende 19., Anfang 20. Jahrhundert: Okonkwo gehört dem Stamm der Igbo an, sein Vater war ein Taugenichts, aber er hat es geschafft aus eigener Kraft zu etwas zu bringen und sich einen guten Status im Dorf zu sichern. Als christliche Missionare im Dorf eintreffen, ändert das das Leben des ganzen Stammes für immer.


    Chinua Achebe, selbst Nigerianer, veröffentlichte diesen Roman bereits 1958. In einem sehr interessanten Vorwort erfährt man einiges über den Autor und den (zunächst geplanten) Roman, der letztlich in die Afrika-Trilogie mündete, „Alles zerfällt“ ist der erste Band dieserTrilogie und erzählt das Leben eines afrikanischen Stammes „von innen“, Anmerkungen im Anhang vertiefen manches.


    Der Roman lässt sich sehr gut lesen, wird aber manchen erschüttern. Nicht immer wird deutlich, warum der Stamm dieses oder jenes tut, und für unser eigenes Verständnis wirkt vieles fremd und „barbarisch“. Hier hilft aber der Blick von innen, den der Autor einnimmt, der eben nicht wertet, und so sollte man es auch als Leser halten, und den Kontext der Zeit und des Ortes berücksichtigen. Dabei hilft, dass viele verschiedene Lebenslagen erzählt werden. Der Eingriff des „weißen Mannes“ in die Kultur ist heftig, wenn auch zunächst schleichend, aber nach und nach wird sie komplett zerstört, die Würdenträger des Dorfes gedemütigt, die Jugend verliert die bisherigen Werte – die Veränderung, die der Stamm durchmacht, ist gravierend. Nicht nur Okonkwo zerbricht daran.

    Der Roman ist gut geeignet, das urtümliche Afrika aus Sicht der Afrikaner kennen zu lernen. Es zeigt auch die Zerstörung einer Kultur durch eine andere auf, die sich für höher entwickelt hält und es daher nicht für nötig hält, sich erst einmal mit ihr auseinanderzusetzen – ein Roman, den man gelesen haben sollte.

  • Ich muss gestehen, dass mich dieser Roman nicht so ganz begeistern konnte. Ich hatte in meiner Dritte-Welt-Ladenphase in den 80ern einige afrikanische Romane gelesen, die mich deutlich mehr angesprochen hatten. Die Darstellung der damaligen Lebensweisen aus der Innensicht ist nicht uninteressant gewesen, aber irgendwie konnten die Charaktere mich nicht wirklich ansprechen. Moralisch wirft das Buch viele Fragen auf und der Verzicht auf Schwarz-weiß-Malerei ist willkommen, aber es hat mir nur ein paar neue Details vermittelt, die ie Lesezeit nicht ganz wert gewesen ist.