Iris Radisch - Camus

  • Worum es geht

    Am 7. November 1913 in sehr ärmlichen Verhältnissen in Algerien geboren, wächst der kleine Albert, dessen Vater 11 Monate nach seiner Geburt in der Marne-Schlacht fiel, als Sohn einer autistisch veranlagten Analphabetin bei einer hartherzigen Großmutter und einem taubstummen Onkel auf. Erster Förderer des talentierten Knaben ist dessen Lehrer Louis Germain, der große Überzeugungsarbeit leisten musste, damit Albert eine höhere Schule besuchen durfte.

    Mit 16 Jahren erkrankt er an Tuberkulose, weshalb ihm sowohl der Eintritt in die Armee als auch eine Karriere als Lehrer verwehrt bleiben. Nach Monaten der Orientierungslosigkeit nimmt Camus eine Stelle als Journalist an.

    Als er 1940 nach Paris übersiedelt, hat er nicht nur eine Scheidung (von seiner 1. Frau Simone Hie) hinter sich, sondern auch einen Romanzyklus (Der Fremde; Der Mythos des Sisyphos; Caligula) im Gepäck. In der Stadt, die Camus nie mehr für längere Zeit verlassen und in der er sich doch nie heimisch fühlen wird, arbeitet er sowohl für einen renommierten Verlag als auch für eine große Tageszeitung, liest zwei Bücher pro Tag und schreibt an der "Pest". Bereits im Dezember 1940 hat er zum zweiten Mal geheiratet. Francine Faure wird im Laufe dieser Ehe einen Selbstmordversuch unternehmen und psychiatrische Behandlung benötigen. Ihr Ehemann wird sie zwar nie verlassen, aber auch nie aufhören, sie zu betrügen. Neben Francine sind mehrere Geliebte die Regel, woran auch die Geburt der Zwillinge Jean und Catherine 1945 nichts ändert.

    1957 erhält Albert Camus den Nobelpreis für Literatur. Als er am 4. Januar 1960 bei einem Verkehrsunfall ums Leben kommt, hat er seinen autobiografischen Roman "Der erste Mensch" bei sich.


    Wie es mir gefallen hat

    In dieser bemerkenswerten Biografie zum 100. Geburtstag des französischen Autors und Denkers Albert Camus gelingt es Iris Radisch ganz vortrefflich ihren Lesern den Verfechter des "Ideal der Einfachheit" - so auch der Untertitel des Buches - nahe zu bringen. Die Autorin geht ganz besonders auf die Verhältnisse ein, in denen Albert Camus aufgewachsen ist. Seinen schnörkellosen und kargen Stil etwa führt sie auf die Sprachlosigkeit der Mutter zurück, die er aber zeitlebens wie eine Heilige verehrte. Ebenso hat er sich nie über die Armut seiner Kindheit beklagt, sie vielmehr als Leitbild für sein Ideal der Einfachheit gewählt.

    Besonders gut arbeitet Frau Radisch Camus Begeisterung für die Kultur des Mittelmeeres heraus, die für ihn stets im Widerspruch zur strengen nationalistischen und imperialistischen Lebensweise Mitteleuropas steht, weil ihr die Freude und Leichtigkeit des Daseins fehlt. In diesem Zusammenhang sei auch mein einziger Kritikpunkt an diesem Buch erwähnt: Camus' Philosophie vom Absurden hätte die Autorin meiner Meinung nach wesentlich umfassender abhandeln dürfen. Es ist sicherlich nicht jedermanns Sache sich den Sisyphos als glücklichen Menschen vorzustellen. Nur allzu leicht könnte die Lösung dieses Problems, nämlich "auszuhalten, was nicht zu ändern ist", dazu verleiten, die Idee des großen Denkers, der sich selber nicht als Philosophen verstanden wissen wollte, als Resignation dem Leben gegenüber zu interpretieren. Dass Albert Camus forderte, "das Leben zu bejahen bis in seine Leiden hinein", wäre eine intensivere Würdigung wert gewesen.

    Gut gefallen hat mir auch, dass die Autorin ihr Buch nach den "Magnetworten", Camus' 10 Lieblingsworten, die er in einem Tagebucheintrag festhielt, aufgebaut hat: Mutter - Sommer - Schmerz - Meer - Elend - Welt - Ehre - Menschen - Erde - Wüste.

    In einer geschliffenen Sprache erzählt Iris Radisch vom "tiefen und heftigen" Leben Albert Camus', der Frauen ebenso schnell verbrannte wie Zigaretten und die fehlende emotionale Zuneigung seiner Kindheit wohl durch unzählige sexuelle Affären - meist zur selben Zeit mit mehreren Frauen - auszugleichen versuchte. "Außer in der Liebe ist die Frau langweilig" heißt es im Tagebuch des berühmten Franzosen.

    Anekdoten oder intime Details über Camus darf sich der Leser nicht erwarten, dessen Biografie hier ganz seinem "Wüstenprinzip des Schreibens" folgt: "Die Wüste zwingt einen, alles abzuwerfen, was überflüssig ist. Und man stellt fest, dass so ziemlich alles überflüssig."

    Umso klarer treten dafür die Ideen und das Schaffen des "Mittelmeer-Autors" zutage, wodurch sich das vorliegende Buch als großartige Einstiegslektüre für alle erweist, die dem Mythos Albert Camus in seinem Werk näher kommen möchten.