Ernest J. Gaines – Jeffersons Würde

  • Original: A lesson before dying (1993)


    Louisiana in den 40iger Jahren: Jefferson, ein junger mittelloser Schwarzer ohne große Schulbildung wird eines Verbrechens angeklagt, das er nicht begangen hat: des Mordes an einem Weißen. Während des Prozesses wird er gedemütigt und gar vom eigenen Anwalt als Tier, Ferkel dahingestellt, um eventuell so ein mildes Urteil zu erheischen. Das „weiße“ Gericht verurteilt ihn zum Tode. Seine Patentante beschließt, dass ihr Jefferson durch einen „würdigen“ Tod diese Demütigungen abschütteln soll und bittet den Lehrer, Grant Wiggins, sich um die Erziehung ihres Patensohnes zu kümmern.


    Was Gaines im ersten Kapitel erzählt, würde bei anderen Autoren die „Story“ bilden: Verbrechen, Prozess eines Unschuldigen, Verurteilung! Da fragt man sich was denn nun schon die kommenden fast zweihundertachtzig Seiten füllen wird! Doch dies ist nur der Ausgangspunkt. Die erfahrene Demütigung in diesem Schauspiel von Gerichtsverhandlung ist nur die Spitze einer Geschichte von Demütigungen eines Volkes seit drei Jahrhunderten. Und das Opfer ist in Jefferson ein jeder (zunächst seiner Rasse): er ist wie ein Sündenbock, ein Stellvertreter. Wie aber wird sich dieser Opfermechanismus verwandeln? Wie mag der Wunsch der Patentante erfüllt werden, dass ihr Jefferson in Würde stirbt, auf zwei Beinen, und nicht auf vieren? Gaines beschreibt den Lernprozess Jefferson, ja, aber auch den Weg, den hier z.B. der Ich-Erzähler, nämlich der junge, widerwillige Erzieher Grant, zu durchgehen hat.
    Ein phantastischer Roman aus dem tiefen Süden der USA, der zwar in den 40igern spielt, also einer Epoche, in der die Gesellschaft durch und durch von sozialer Ungerechtigkeit und Rassismus geprägt war, aber – Anfang der 90iger geschrieben – auch heute eine direkte „message“ für das Zusammenleben von Schwarz und Weiß hat und vor allem einlädt, mit hocherhobenem Haupt durchs Leben zu gehen und die innere Versklavung hinter sich zu lassen!


    Eine echte Entdeckung für mich!!!


    Ernest J. Gaines wurde 1933 auf einer Plantage in Louisiana geboren und arbeitete auf dieser schon als Neunjähriger. Mit 15 zieht er mit seiner Familie nach Kalifornien und kann intensiver sich Studien und der Lektüre widmen. Er bedauert, dass „seine“ Welt noch so gar keinen Zugang zu dieser Welt hat und beginnt selber, erste Kurzgeschichten und Romane zu schreiben. Mit oben vorgestelltem Roman gewann er 1994 den Book Critics Circle Award.


    Zu einer englischen Ausgabe:


    Paperback: 272 pages
    Publisher: Vintage Books; 1st Vintage Contemporaries Ed edition (31 Dec 1994)
    Language English
    ISBN-10: 0375702709
    ISBN-13: 978-0375702709

  • Dieses Buch habe ich vor über 10 Jahren mal angefangen zu lesen, und wie ich eben festgestellt habe, liegt das Lesezeichen auf Seite 26...


    Danke für deine tolle Rezi und dass du mir das Buch wieder in Erinnerung gebracht hast! Ich werde es zu meinen Büchern legen, die ich in der nächsten Zeit lesen möchte!!! :thumleft:

    Das Missliche an neuen Büchern ist, dass sie uns hindern, die alten zu lesen.
    J.Joubert

  • Klappentext:


    Platziert im Louisiana in den späten 40er Jahren erzählt Gaines' Roman die Geschichte von Jefferson, einem jungen schwarzen Mann, der bei einem Schusswechsel zwischen einem Ladenbesitzer und zwei jungen Männern mit am Tatort gewesen ist. Obwohl unschuldig, wird Jefferson wegen Mordes verurteilt und soll nun auf dem elektrischen Stuhl landen. Grant Wiggins, der Lehrer der örtlichen schwarzenschule, akzeptiert widerwillig die Aufgabe, Jefferson vor seinem Tod noch Würde und Stolz beizubringen.


    Eigene Beurteilung:


    In erster Linie ist dieser Roman eine Betrachtung der Lebenssituationen von Afro-Amerikanern in den späten 40er Jahren in den Südstaaten. Die Geschichte um Jefferson erscheint dabei dann gelegentlich ein wenig aufgesetzt.


    Bis auf Jeffersons Figur ist dieser Roman eine gute Darstellung der Lebnensumstände der Menschen in der damaligen Zeit und ihrer möglichen gefühle und Gedanken dazu.

  • drKlaus, ich hatte das Buch hier: Ernest J. Gaines – Jeffersons Würde
    schon einmal vorgestellt. Vielleicht kann man die Freds zusammenfuegen.


    Ich war zu leicht anderen Schlussfolgerungen gekommen, da ich in diesem Buch ueber eine konkrete historische Einbettung hinaus ganz klar auch eine gleichnisfoermige Einladung sehe, eine Menschenwuerde zu ergreifen.

  • Gut 2 Jahre verbrachte dieses Büchlein auf meinem SUB, ich hatte es gleich nach Toms Vorstellung bei booklooker ergattert, und doch kam ich erst jetzt dazu, es zu lesen. Gut Ding braucht eben manchmal weil .... es ist ein wunderbares Buch, eine kleine Perle, das viele, viele Leser verdient.


    Die Person des zu unrecht verurteilten Jefferson bildet zwar den Aufhänger der Story, eigentlich geht es aber um etwas ganz anderes. Um die Zustände, die noch Jahrzehnte nach Abschaffung der Sklaverei herrschten, die Behanldung der Schwarzen (begonnen von belanglosen Alltagsdingen bis hin zu Schule, Ausbildung, Zusammenleben, etc) herrschen. Sogar Jeffersons Anwalt begibt sich auf niedrigstes Niveau und versucht, genau mit diesen Argumenten eine mildere Strafe zu erreichen.
    Meiner Meinung nach ging es weniger um die Entwicklung es Jefferson als um die Entwicklung des Lehrers Wiggins. Er hatte als Junger seine Ideale, wollte dieser Welt entkommen, glitt aber genauso in den Trott hinein. Erst mit der Konfrontation von Jeffersons Schicksal beginnt er sein eigenes Leben zu überdenken und macht selber eine wunderbare WAndlung durch!


    Auch wenn es sprachlich eher einfach gehalten ist, ein sehr lesenswertes, sehr empfehlenswertes Buch! Wiedereinmal DANKE Tom, für eine außergewöhnliche Buchempfehlung!

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


    *Life is what happens to you while you are busy making other plans* (Henry Miller)

  • Es freut mich besonders, wenn Du dann diese vorgestellten Bücher liebst! Und das auch ein gutes Buch eine gute Weile auf unseren Subs liegt, ist ja nicht selten. Ich habe den Verdacht, noch für Jahre hinweg "nur" solche Bücher auf Lager zu haben...


    Gerade dieser Autor hat noch einiges auf Lager! Und während man in Frankreich in diesem Frühjahr Schlag auf Schlag vier Bücher in neuen Übersetzungen herausgebracht hat, darf man sich in Deutschland - wenn ich recht geschaut habe - mit alten Ausgaben begnügen.

  • Da darf ich mich wohl noch auf eine sehr schöne "Perle" in meinem SuB freuen :D


    Zitat

    Gerade dieser Autor hat noch einiges auf Lager! Und während man in Frankreich in diesem Frühjahr Schlag auf Schlag vier Bücher in neuen Übersetzungen herausgebracht hat, darf man sich in Deutschland - wenn ich recht geschaut habe - mit alten Ausgaben begnügen.

    Schade!

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


    SuB-Leichen-Challenge 2024: Alle Bücher bis inkl. 2022 [-X

    Klassiker-Challenge 2024


  • Soo, als angehender Abiturient wird mich "A lesson before dying" im nächsten Semester begleiten und da ich gerade im Urlaub bin, fand ich schonmal Zeit das Buch zu lesen.


    Dieses Buch bekommt fünf Sterne von mir und ich vergebe sie, meiner Meinung nach, ohne Übertreibung!
    Als Schullektüre für die gymnasiale Oberstufe in Niedersachsen ist dieses Buch echt eine gute Wahl!
    Letztes Jahr hat mich "A star called Henry" noch ziemlich begeistert, aber Ernest J. Gaines' "A lesson before dying" hat das noch getoppt!


    Als Stilmittel finde ich es gut gelungen, dass Jeffersons Prozess bereits im ersten Kapitel erzählt wird, denn von da aus werden die Entwicklungen von Jefferson und seinem Lehrer Wiggins beschrieben! (Ich beziehe die vorherigen Beiträge jetzt in meinen Beitrag mit ein :wink: )
    Da ich mich sehr für Geschichte interessiere, wusste ich vorher schon sehr viel über den Rassismus in Amerika, durch das Buch rückt aber noch ein ganz anderer Faktor dieses Rassismus in der Vordergrund, nämlich der "alltägliche", nicht "offen gezeigte" Rassismus im Amerika der 40er Jahre. Hier sind nicht bekloppte Ku-Klux-Klan Rassisten am Werk, in Gaines' Buch sind mehr die "normalen", weißen Bürger im Vordergrund und die Täter.



    Der amerikanische Rassismus ist das Hauptthema in Gaines' Buch und durch den Einblick in das Leben der Afro-Amerikaner im amerikanischen Süden der 40er Jahre, gelingt es dem Autor dieses Thema realistisch und mit all seiner Perversität darzulegen! Vielleicht kennt man diesen Teil der amerikanischen Geschichte bereits durch Dokumentationen oder durch andere Bücher, aber mit Gaines' Buch wird einem dieses Thema, in einem gut verständlichen Englisch, ins Gehirn eingebrannt!
    Die Hauptprotagonisten sind klar der verurteilte Jefferson und sein Lehrer Grant Wiggins. Beide erfahren im Buch einen überzeugende Entwicklung, manchmal wirkt es zwar etwas vorausahnend, aber man wird eigentlich immer am Lesen gehalten...


    Eine letzte Anmerkung meinerseits:
    Dieses Buch hat mir mal wieder den Irrsinn allen Rassismus gezeigt... Weshalb sollte Weiße besser, intelligenter, fähiger als Farbige sein? Warum sollte es höher gestellte Rassen geben?
    Ich kann einfach nicht verstehen, wie es tatsächlich Leute gab, die das glaubten!
    Die Geschichte zeigt, es war so und viele denken auch noch heute so und das ist krank!!! Durch viel Recherche kenne ich viele Gründe, weshalb solche Menschenbilde entstanden sind, aber verstehen kann ich es beim besten Willen nicht!
    Also, als Abschluss:


    "ALLE MENSCHEN SIND AUSLÄNDER, FAST ÜBERALL;
    ALLE RASSISTEN SIND ARSCHLÖCHER, ÜBERALL!"

    :study: - 2016 - Bücher: 06 / Seiten: 2.668 / Hörbucher: 08 / Minuten: 3.099 / Comics: 03 / Seiten: 892

  • Hallo Narrentaenzer,


    das hat mich nun echt gefreut und ueberrascht, dass solch ein Buch auf der Leseliste bei Euch steht. Prima1 Und toll, wie Du dieses Buch ja schon jetzt gelesen hast und einordnest.


    Zum Thema Rassismus hast Du einiges gesagt...:
    Ja, was mich da ebenfalls - wie Du es sagst - bedrueckt ist der "alltaegliche" Rassismus vermeintlich "normaler" Menschen, und eben nicht nur von Randfiguren wie aus dem Klu Klux Klan oder gewissen eindeutigen Szenen.
    Das aber wiederum macht mich dann auch verdammt vorsichtig, wenn ich z.B. andere oder mich selber einordnen soll (das geht jetzt hier ueber das Buch hinaus, doch Du schriebst ja, dass Du Dich mit dem Thema beschaeftigst). Wie viele "liebe" Menschen sind eben doch bewohnt, wenn auch nicht immer von absoluten Mordgedanken, so doch von Vorurteilen, Einordnungen... Manche dieser Ideen sind so hinterlistig, dass diese Menschen ruhigen Gewissens sagen, dass sie doch "die tolerantesten" waeren und ueberhaupt kein Problem sehen etc. Das faellt mir z.B. hier in gewissen Freds auf..., doch das sage ich mal so nebenbei.
    Vielleicht sind alle Rassisten also Arschloecher, doch Vorsicht vor dem eigenen Rassisten in uns...

  • Hallo tom, danke für deinen Beitrag! Es geht zwar ein wenig über das Buch hinaus, aber baut ja im Prinzip auf dem Buch auf und ist interessant für alle User, wie ich finde.
    Ich hab mir deinen Beitrag grad nochmal durchgelesen und möchte doch gerne noch darauf antworten...
    Erstmal ist klar, das Thema ist verdammt schwierig und ich denke wir können leider auch keine Allheillösung gegen den Rassismus dieser Welt finden, das haben schon ganz andere versucht :wink:


    Es ist richtig, wie du schreibst, dass man sehr vorsichtig sein muss, wenn man sagt "Rassisten sind Arschlöcher", und selbst vielleicht in eine ähnliche Richtung was Vorurteile, etc. betrifft, denkt.
    Die Frage scheint daher also zu lauten, wann ist Rassismus, Rassismus? Wo ist also die Grenze?
    Es gibt da die Menschen, die auf der Straße sind und sich denken "...das ist ja wieder typisch türkisch" und es gibt da die Menschen, die wissentlich "ihre" eigene Rassen bevorzugen... Das führt zu dem Gedanken, dass in uns allen ein kleiner Rassist steckt. Wie du ja auch schreibst "Vorsicht vor dem eigenen Rassisten in uns..."
    Hier kann der Vorwurf laut werden "Wenn ihr Rassisten bekämpft, warum behandelt ihr sie dann genauso, wie sie andere Menschen behandeln?" Das muss sich wahrscheinlich jeder Antirassist oder Antifaschist (vorsicht, beide Begriffe sollten getrennt benutzt werden, ich vermenge das hier mal aus reinem Unwillen einen Roman zu schreiben), wozu ich mich selber zählen würde, anhören.
    Demnach kommt die Zwischenfrage "Ist der Antirassist, der sich gegen einen Rassisten stellt, automatisch auch ein Rassist? Wie steht das, wenn der Rassist gleichzeitig aus einem anderen Land, als man selber kommen würde?" ... Ziemlich paradox! :wink:


    Ich stimme dir jedenfalls zu, dass es wohl kaum/keinen Menschen gibt, der keine Vorurteile, etc. gegenüber anderen Menschen hat, denn das ist wohl ein typisch menschlicher Makel! Diesen Punkt würde ich auch eher mit dem Begriff Faschismus beschreiben, da man das dadurch etwas breiter fassen kann, aber im Kern kann man da zustimmen. Allerdings gibt es für mich da noch einen Unterschied... Rassismus selbst, egal wie er "ausgeführt" ist meiner Meinung nach ein Verbrechen! "Ausgeführter Rassismus" wäre in dem Fall die bewusste Bevorzugung eines anderen Menschen aufgrund seiner Hautfarbe, Rasse, Religion, etc... oder die offensichtlich auf Grund der Herkunft, Hautfarbe, etc. resultierende, ausgesprochene Beleidigung... Im Prinzip das, was ein Mensch "aktiv" gegen einen anderen Menschen, aus rassistischen Motiven, unternimmt... "Passiv" wären Gedanken, die man für sich selber hat oder alles, was nicht direkt gegen einen anderen Menschen gerichtet ist (kein Kontakt in irgendeiner Art)... Gegen so einen "passiven" Rassismus ist kaum/nichts zu machen, bzw. könnte sowas durch Bildung verringert werden...


    Nun ja, jetzt ist das doch irgendwie ein Roman geworden... Ich bin kein Politikwissenschaftler und mit dem Thema befasse ich mich so gesehen "nur" privat, aber ich hab das hoffentlich alles verständlich rübergebracht! :)

    :study: - 2016 - Bücher: 06 / Seiten: 2.668 / Hörbucher: 08 / Minuten: 3.099 / Comics: 03 / Seiten: 892