Gonçalo M. Tavares - Learning to Pray in the Age of Technique / Aprender a Rezar na Era da Técnica

  • Original : Aprender a Rezar na Era da Técnica (Portugiesisch, 2007)
    Übersetzer ins Englische : Daniel Hahn (2011)


    ZUM BUCH :Von Anfang des Buches an ist der Ton angeschlagen: Lenz Buchmann geht einen Weg, auf dem er durch Kraft, Gewalt und auch tiefer Missachtung der anderen das Erbe des militärischen Vaters antritt, anscheinend des einzigen Menschen, den er je geachtet hat?!


    Er wird zu einem bekannten Chirurgen der Stadt, einem Meister seines Faches. Doch wer hier irgendwelche menschliche Empathie vermutet liegt falsch. Auch hier ist es der Zauber, eventuell mit einem Handgriff als Herr und Schiedsrichter dazustehen. Dieser Mann steht in allen Bezügen als der Typus eines herrschenden, zynischen Menschen da: die ältere; sterbende Patientin, die ihn um Überlieferung einer letzten Nachricht an ihre Nächsten bittet, wird links liegen gelassen und der Brief zerstört. Sein älterer Bruder nahm nur zu lange die Rolle des „Erstgeborenen“ ein, er, der zu einem „Zweiten“ bestimmt geboren war. Kinder kommen in der Ehe nicht in Frage: sie würden unnütze künftige Ansprüche haben. Ein Landstreicher wird nur nach langer Hinhaltung beköstigt und muss sich als Augenzeuge hergeben, wenn Lenz seine Frau „serviert“... Unter gewissen Umständen wird dieser Mann ohne Augenzucken zum Killer: wer kann auf ein Lebensrecht schon pochen?


    Kurz: ein Mensch, der anscheinend nur Widerspruch in unseren Herzen auslöst, der aber – kann das sein? – vom Erfolg getragen wird, und wie automatisch eine Treppenstufe weiter nehmen wird: Der nächste Schritt ist das völlige Engagement in DER Partei, in der er in Windeseile zum Topmenschen und gar zur Nummer Zwei wird.


    Doch dann geschieht das Uneingeplante: Nun ist er selber betroffen von einer schleichenden Krankheit... und es vertauschen sich die Rollen.


    Merkt man es? Dies ist eine Geschichte eines „unaufhaltsamen Aufstieges“ und noch plötzlicheren Abstieges eines Typus, der zum Diener der Gewalt geboren ist. Vielleicht das, was man einen „Diktatortypus“ nennen könnte. Selten konnte man in einer solchen fast technischen, analytischen Sprache so distanziert, und doch zutiefst fein beobachtet, einen ähnlichen Werdegang verfolgen! Und tatsächlich ist das Buch allein von der Strukturierung her, der fein säuberlichen Einteilung in gut übertitelte Kapitel und Unterkapitel fast wie eine Gebrauchsanweisung oder eine Anamnese zu lesen!


    Das Buch gibt unglaublich was her als Denkmaterial. Kann man sein Leben auf die Weigerung aufbauen, mit anderen wirklich zusammenzuleben? Lebt dieser Lenz nicht von der Illusion der eigenen Unverwundbarkeit? Ist das hier dargestellte Zeitalter das des „Todes Gottes“? Und womit haben wir ihn ersetzt? Worauf gründen sich Diktaturen?


    Was abstoßend erscheint und auch ist, erweist sich in der umgedrehten Schlussfolgerung als Einladung, sich nicht als Herrentier zu verstehen, sondern es zu lernen, sich in Bezug zu setzen in aller Freude. So verstehe ich denn auch den zunächst etwas seltsam anmutenden Titel: Es selbst im Zeitalter der propagierten Unabhängigkeit und Herrschaft sich erlauben, Empfangender oder auch Bittender zu sein.


    Eine ganz große Entdeckung für mich! Mag die deutsche Übersetzung nicht zu lange auf sich warten lassen.


    (französische Inhaltsangaben und Kritiken siehe auch hier beim Verleger: http://www.viviane-hamy.fr/fiche-ouvrage.asp?O=252 )


    ZUM AUTOR:
    Gonçalo M. Tavares wurde 1970 in Luanda, Republik Angola (damals noch portugiesische Kolonie), als Sohn eines Bauarbeiters geboren. Seine Kindheit verbrachte er in Aveiro, bevor er mit 18 Jahren nach Lissabon zog. Er studierte zunächst Physik, Sport und Kunst und unterrichtet heute als Dozent Epistemologie an der Universität Lissabon.


    Er hatte sein literarisches Debüt im Jahre 2001 mit dem Lyrikband Livro de Dança, seitdem hat er gut 20 Bücher publiziert, die verschiedenste Gattungen umfassen, so Lyrik, Dramatik, Roman, Erzählung, Kinderbuch, Essays.


    Tavares gliedert seine Literatur in Reihen, von denen "O Bairro" (Das Stadtviertel) sowie die Roman-Tetralogie "O Reino" (Das Reich) die bekanntesten sind. "O Bairro" bevölkert sich sukzessive mit bekannten Persönlichkeiten aus der Literaturgeschichte (Brecht, Henri, Valéry, Walser etc ..), die er in Bänden mit Kurzprosa paraphrasiert.


    Viele seiner Bücher sind in zahlreiche Sprachen übersetzt worden, auch ins Deutsche.


    Dieses von, mir vorgestellte Buch erhielt 2010 in Frankreich den „Preis des besten ausländischen Romans“. Sein bedeutendster Preis bisher war der Prémio José Saramago, der ihm 2005 verliehen wurde. Bei der Laudatio sagte Saramago die in Portugal mittlerweile legendär gewordenen Sätze: „Goncalo M. Tavares hat kein Recht, im Alter von 35 Jahren so gut zu schreiben. Man hätte Lust, ihn zu schlagen.“ Dieses Lob des Nobelpreisträgers erklärt, warum Tavares als würdiger Nachfolger von José Saramago und Antonio Lobo Antunes gehandelt wird. (Quelle und mehr unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Gon%C3%A7alo_M._Tavares )
    Offizielle Webseite des Autors: http://goncalomtavares.blogspot.com/


    Ich habe die englische Ausgabe verlinkt, da sie hier wohl den meisten eher zugänglich ist. Gelesen habe ich allerdings dieses Buch in der französischen Fassung!


    Paperback: 360 pages
    Publisher: Dalkey Archive Press (1 Oct 2011)
    Language English
    ISBN-10: 1564786277
    ISBN-13: 978-1564786272




    Französische Ausgabe :


    Apprendre à prier à l'ère de la technique : Position dans le monde de Lenz Buchmann


    Übersetzer auf Französisch: Dominique Nédellec


    Taschenbuch: 365 Seiten
    Verlag: Editions Viviane Hamy (23. September 2010)
    ISBN-10: 2878583248
    ISBN-13: 978-2878583243