Ruth Rendell - Urteil in Stein / A Judgement in Stone

  • Hallo @ll


    Hier mal für euch zuerst einmal die Kurzbeschreibung von Amazon, damit ihr eine Vorstellung des Buches bekommt, über das ich sprechen möchte:


    Zum vollkommenen Glück fehlt der großbürgerlichen Familie Coverdale eigentlich nur noch eine gute Haushälterin. Als sie die zwar nicht sonderlich sympathische, aber tüchtige und genügsame Eunice einstellen, sind alle begeistert von ihrer Perle. Doch die Coverdales ahnen nicht, dass damit das Schicksal der Familie besiegelt ist - denn mit der unauffälligen Eunice haben sie sich den Tod ins Haus geholt ...


    Meine Meinung:
    Der Daily Express sagte zum Buch: "Ruth Rendell ist hier auf der Spitze ihres Könnens. Dies ist wahrscheinlich das beste Buch, das die Autorin je geschrieben hat."
    Also dieser Meinung möchte ich mich nicht anschliessen, denn da habe ich inzwischen stärkere Romane von ihr gelesen;
    Auch dieses Buch zähle ich zu den "guten" Romanen von ihr (eifrige BücherTreffler wissen inzwischen was ich meine :lol: ) und ich kann ihn durchaus empfehlen, denn spannend war er, auch wenn es für die Morde kein echtes Motiv und keinen Vorsatz gab, es ging weder um Geld noch um Sicherheit.


    Diese Idee als Grundlage für einen Kriminalroman zu nehmen, ist ja äusserst ungewöhnlich, und war mir bis heute noch nie in einem Buch begegnet, von daher natürlich interessant zu lesen, wie Ruth Rendell daraus einen kleinen, aber feinen Kriminalroman entstehen liess. :thumleft:


    Grüsse von Bonprix :wink:

  • Hallo bonprix


    ich habe den Roman vor einiger Zeit auch gelesen, mein Urteil ist so ähnlich wie deines, gut, aber nicht erstklassig!

  • *unterschreibauch*


    Aber die Idee des Romans (bonprix' Spoiler) ist ebenso einfach wie genial.


    Auf dem Klappentext meines Buches schreibt der Daily Express: "R.R. ist hier auf der allerhöchsten Höhe ihrer Fähigkeiten Es wäre erstaunlich, wenn sie je ein besseres Buch schriebe." - Und welcher Klappentext hat jetzt recht? Es gibt doch keine zwei Zeitungen dieses Namens??? Oder Übersetzungsprobleme?


    Inhaltlich hätte ich dieses Buch eher den "Vine-" als den "Rendell"-Romanen zugeordnet.


    Marie

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Zitat

    Original von Marie



    Und welcher Klappentext hat jetzt recht? Es gibt doch keine zwei Zeitungen dieses Namens??? Oder Übersetzungsprobleme?


    Ja, dass ist schon eigenartig....und ich habe auch keine Erklärung. :-k


    Zitat

    Inhaltlich hätte ich dieses Buch eher den "Vine-" als den "Rendell"-Romanen zugeordnet.


    Stimmt genau Marie.... :thumright:

  • Mir hat der Roman auch gut gefallen, stimmt es passt eher zu Barbara Vine, aber es ist ja einer ihrer älteren Krimis und sie hat ja erst Mitte der 80er unter dem Pseudonym zu schreiben begonnen.


    Claude Chabrol hat den Stoff übrigens 1995 unter dem Titel "La cérémonie (dt. Titel: Biester)" verfilmt, mit Isabelle Huppert u. Sandrine Bonnaire in den Hauptrollen. Der Film ist recht gut, hält sich aber nicht genau die Vorlage, die Frauen, besonders die Freundin, sind ganz andere Charaktere (und nicht ganz so schräg u. verrückt wie im Buch).

    Gruß Bibliomana :cat:
    "Man kann im Leben auf vieles verzichten, aber nicht auf Katzen und Literatur!"

  • Das Buch wurde auch 1986 von Ousama Rawi verfilmt, mit Rita Tushingham in der Rolle der Eunice Parchman. Der Film ist unter den Titeln A Judgment in Stone und The Housekeeper, sowie dem deutschen Titel Blutiger Engel gelaufen.


    Gruß
    Ute

  • Zitat

    Original von Bonprix



    Ja, dass ist schon eigenartig....und ich habe auch keine Erklärung. :-k


    @Bonprix und Marie


    Habe zumindest einen Teil des Originalzitats finden können: "It will be an amazing achievement if [Rendell] ever writes a better book" (aus dem [London] Daily Express, 1976 oder '77). Es ist nicht unbedingt sicher, daß es einen "1. Teil" als solchen gibt, denn es wird zu fast jedem Buch von ihr gesagt: "Rendell at the height of her storytelling powers" oder "at the height of her powers". Die beiden deutschen Lobeshymnen sind eindeutig Übersetzungen dieses Zitats. Amazon.de hat meiner Ansicht nach schlicht die amerikanische/britische Verkaufsseite zu diesem Buch (die ja bereits vorhanden war, da der Roman bereits älter ist) übersetzt - einschließlich der Zitate; wobei sie seltsamerweise die Times: "Ein Klassiker", weggelassen haben ... Im Klappentext ist es auch eine Übersetzung, erfahrungsgemäß als Schnellschuß von einem genervten Lektor oder einem überforderten Praktikanten zusammengeschustert - deshalb stimmen die Zitate auf deutsch nicht überein.


    Gruß
    Ute

  • @ Ute, :thumright:


    gibt es eigentlich ein (literarisches) Problem, das du nicht lösen kannst?


    Marie

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Medienberichten zufolge können in Deutschland vier Millionen Menschen weder lesen noch schreiben. Ich weiß ja nicht, wie viele Menschen in England nicht lesen und schreiben können, aber immerhin sah sich Ruth Rendell dazu verleitet, Analphabetentum als Auslöser zu nehmen und die Hauptprotagonistin mit diesem Stigma zu versehen, denn ohne Zweifel, für sie bedeutete es ein Stigma, denn wäre sie sonst zur Mörderin geworden?



    Der Inhalt:


    Die Coverdales sind eine so genannte Patchworkfamilie. Gibt es den Ausdruck in England überhaupt? Egal, auf jeden Fall gibt es den Ausdruck bei uns. Das ist eine Familie, wo die Ehepartner geschieden bzw. verwitwet sind, und wo jeder der Partner noch Kinder in die Ehe mit hineinbringt. So geschehen bei den Coverdales. Im Großen und Ganzen ist die Familie glücklich. Jacqueline und George lieben sich, die Kinder kommen auch gut miteinander aus und der Lebensstil, den man im Hause Coverdale führt ist großzügig, aber nicht pompös. Einzig und allein es fehlt an einer guten Haushälterin, denn die „Hausherrin“ liebt die Sauberkeit und möchte lieber mehr Zeit für ihre ehrenamtlichen Verpflichtungen haben. Also beschließt die Familie eine Anzeige aufzugeben. Leider bekommen sie nur eine Zuschrift. Dennoch wird beschlossen, sich diese eine Dame mal anzuschauen. Und Jacqueline ist von ihr entzückt.
    Entzückt deshalb, weil sie spürt, dass diese Frau Respekt vor ihr hat und ihr in demütiger Art und Weise begegnet und sie auch noch „Gnädige Frau“ nennt.


    Eunice erweist sich anfangs als Perle. Sie putzt den ganzen Tag. Das Geschirr glänzt, das Silber blinkt und Jacqueline ist hochzufrieden, bis jetzt. Wenn es da nicht diese Angewohnheit Jacquelines gäbe, ihrer Haushälterin irgendwelche schriftlichen Nachrichten zu hinterlassen. Und wenn der jüngste Sohn der Familie nicht ständig mit einem Buch vor der Nase rumlaufen würde. Und dann ist der „Hausherr“ auch noch Doktor der Philosophie. Im Haus wird also ständig gelesen. Eunice fühlt sich mit der Zeit immer mehr bedroht. Sie hasst das geschriebene Wort.
    Hätte sie nicht ihren Fernseher, den die Familie ihr großzügigerweise gespendet hatte (Eunice kannte bis dato Fernsehen nicht), dann wäre sie sicher kreuzunglücklich gewesen, aber so konnte sie ihre Frustrationen mit dem TV anfangs noch etwas kompensieren. Doch die Situation eskaliert immer mehr, bis eines Tages………..ja, was wohl? Mehr verrate ich nicht.



    Meine Meinung zum Buch:


    Ich hätte nicht geglaubt, dass mich dieses Buch so sehr fesselt. Hätte ich es gewusst, dann hätte ich es schon längst mal gelesen, denn es dümpelte schon so ca. 2 Jahre in meinem Regal dahin.


    Obwohl man zu Anfang wusste, wer die Familie umgebracht hat, so war es doch spannend, herauszufinden, was Eunice nun genau dazu bewogen hat, 4 Menschen zu töten und vor allem wollte ich wissen, wie sie es gemacht hat.
    Das Buch arbeitet sich quasi von Anfang an zum Höhepunkt entgegen.
    Toll auch, wie erzählt wird, dass 2 der Getöteten ihrem Tod hätten entgehen können, wenn sie sich dazu entschieden hätten, an diesem Abend nicht Zuhause zu bleiben. Die Autorin schreibt z.B. dass Melinda, die 20jährige Tochter, besser zu ihrem Freund gefahren wäre, anstatt den Abend bei ihrer Familie zu verbringen. Und dass der Sohn wohl besser in seinem Zimmer geblieben wäre. Aber nein, die gesamte Familie saß an diesem Abend vor dem Fernseher, um sich die Oper Don Giovanni anzusehen. Welch eine Tragik. Die Autorin hebt auch toll den psychotischen Charakter der Haushälterin hervor. Sie beschreibt ihre Kindheit und natürlich erzählt sie auch darüber, wie und warum Eunice zur Analphabetin geworden ist.


    Auch die Charaktere der anderen Figuren im Roman unterscheiden sich mit Abstand voneinander. Ich finde es klasse, wie eindeutig die Autorin die verschiedenen Charaktere voneinander trennen kann. Dies gelingt nicht jedem.


    Sehr passend fand ich auch den Titel. Eine Analphabetin, ein Urteil, welches für Eunice, die Hauptfigur, wie in Stein gemeißelt war.



    Ich habe bisher so ca. 3 bis 4 Bücher dieser Autorin gelesen, aber dieses war mit Abstand das beste.


    Übrigens las ich das Buch zwar nicht in englischer Sprache, aber während eines London-Aufenthaltes :mrgreen:

    :study: Arnaldur Indridason: Nordermoor


    Bücher sind nur dickere Briefe an Freunde. - Jean Paul

  • @ powerdream,


    danke für die ausführliche Rezension :D. Ich habe die Threads der Übersichtlichkeit halber zusammengefügt.

    Liebe Grüße,
    Rita


    ~Ich wäre lieber ein armer Mann in einer Dachkammer voller Bücher als ein König, der nicht lesen mag.~
    Thomas Babington

  • oh..upps....ja, das nächste Mal schaue ich vorher, ob es nicht schon mal so etwas gab. :o

    :study: Arnaldur Indridason: Nordermoor


    Bücher sind nur dickere Briefe an Freunde. - Jean Paul

  • Wunderbare Rezensionen! :thumleft:


    Ich kenne das Hörbuch und fand es nett für nebenbei, aber letztendlich hat sich für mich wieder bestätigt, dass mir die Vine-Romane einfach besser gefallen.


    Ich habe inzwischen mehrere der Rendell-Bücher begonnen und immer wieder weggelegt. Der Schreibstil liegt mir einfach nicht.


    Eine Anmerkung zu der zweiten Rezension:


    Wollt ihr nicht vielleicht eine Spoilerwarnung für powerdreams Rezension anbringen oder die betreffenden Absätze spoilern? Wenn ich das Motiv der Handlung

    nicht gekannt hätte, wäre ich nach dem Lesen der Rezi enttäuscht gewesen und würde überlegen, ob ich "Urteil aus Stein" überhaupt noch lesen möchte...

    She wanted to talk, but there seemed to be an embargo on every subject.
    - Jane Austen "Pride and prejudice" - +

  • Auf der Suche nach einer anderen Rezi bin ich hierdrauf gestoßen.
    "Urteil in Stein" ist eines meiner absoluten Lieblingsbücher dieser Autorin, aber auch allgemein.
    Das Thema Analphabetismus in höchster könnerhafter Dramatik ausgeschlachtet - wunderbar!
    Der Autorin ist es gelungen, mir die Zwangsläufigkeit (fast hätte ich geschrieben "Natürlichkeit" :shock: ) eines fürchterlichen Massakers glaubhaft zu machen!

    "Wie wenig du gelesen hast, wie wenig du kennst - aber vom Zufall des Gelesenen hängt es ab, was du bist." Elias Canetti