Wolfgang Herrndorf: Sand

  • Klappentext:


    Während in München Palästinenser des "Schwarzen September" das Olympische Dorf überfallen, geschehen in der Sahara myteriöse Dinge. In einer Hippie-Kommune werden vier Menschen ermordet, ein Geldkoffer verschwindet, und ein unterbelichteter Kommissar versucht sich an der Aufklärung des Falles. Ein verwirrter Atomspion, eine platinblonde Amerikanerin, ein Mann ohne Gedächtnis - Nordafrika 1972.


    Der Autor:


    Wolfgang Herrndorf, 1965 in Hamburg geboren, hat Malerei studiert und unter anderem für die "Titanic" gezeichnet. 2002 erschien sein Debütroman "In Plüschgewittern", 2007 der Erzählband "Diesseits des Van-Allen-Gürtels" und 2010 der Roman "Tschick", der zum Überraschungserfolg des Jahres wurde und mittlerweile in zwölf Sprachen vorliegt. Wolfgang Herrndorf wurde mit dem Deutschen Erzählerpreis (2008.), dem Brentano-Preis (2011) und dem Deutschen Jugenliteraturpreis ausgezeichnet.


    Meine Meinung


    Nachdem mir der Roman "Tschick" nicht so wirklich gefallen hatte, habe ich mich diesem Buch ohne allzu große Erwartungen gewidmet - und wurde positiv überrascht. Wieder einmal ein deutscher Autor, der sein Handwerk versteht. Dabei war ich vom Cover ausgehend auf einen eher ruhigen und vieleicht langatmigen Roman gefasst, aber dieser Thriller ist wirklich Action pur. Es ist zunächst einmal etwas verwirrend, wie die vielen vorgestellten und irgendwie unzusammenhängend scheinenden Personen und Situationen ein Ganzes ergeben sollen, doch keine Sorge, am Ende wird alles sehr stimmig aufgeklärt und auch noch die kleinste Nebenfigur erfährt einen Abschluss ihrer Geschichte.


    Zunächst einmal hat mir die Aufteilung des Romans sehr gut gefallen. Es gibt fünf Bücher, betitelt mit Das Meer, Die Wüste, Die Berge, Die Oase und Die Nacht, welche sehr stimmig auf das in ihnen enthaltene Geschehen Bezug nehmen. Die einzelnen Kapitel (68 an der Zahl, was sich sehr gut auf den Lesefluss auswirkt) sind mit Überschrift und einem vorangestellten Zitat, passend zum Thema, einer bedeutenden Persönlichkeit versehen. Die Szene am Anfang wird zum Schluss noch einmal wiederholt; wenn auch nicht für die Handlung wichtig, so ergibt sich aus der Geschichte der Szenenfigur doch ein sehr guter Blickwinkel auf die vorherrschenden katastrophalen Lebensumstände einer ärmeren Bevölkerungsschicht des Landes.


    Im ersten Buch werden Personen vorgestellt, die später mehr oder weniger verstärkt zum Geschehen beitragen wie die zwei Polizisten Polidorio und Canisades, die sehr hübsche Amerikanerin Michelle und ein verwirrter Spion Lundgren (die Rolle, die er spielt und was sein Auftrag in diesem Land eigentlich ist, bleibt eher unklar). Die Ereignisse finden in Nordafrika statt und der Titel "Sand" ist sehr gut gewählt, da große Teile des Geschehens ja auch in der Wüste stattfinden.


    Im zweiten Buch kommt die Hauptfigur ins Bild. Ein Mann ohne Erinnerung, der auf dem Dachboden in einem Schuppen nach einer Kopfverletzung zu sich kommt. Er sieht vier Männer in der Wüste debattieren und verschwinden und versucht, aus den erhaschten Gesprächsfetzen seine Identität zusammenzusetzten. Bei seiner Suche nach sich selbst, stößt er an einer Tankstelle auf die Amerikanerin Michelle, die sich seiner annimmt und zusammen erlangen sie immer mehr Hinweise und Puzzlestücke, die aber alles nur noch mysteriöser erscheinen lassen und keine wirkliche Aufklärung auf sein Vorleben geben. Dabei gerät Carl (in Ermangelung seines wahren Namen einigen sich Michelle und der Namenlose auf den Namen eines Herstellers, der auf einem Kleidungsstück des Namenlosen eingestickt ist) in das Schussfeld einer Schieberbande, wird gefangen und gefoltert, kommt frei und ist auf der Flucht vor Männern, die ihm ein Ultimatum stellen. Er scheint in seinem Vorleben so einiges auf dem Kerbholz gehabt zu haben und eine verzweifelte Odyssee auf der Suche nach seiner Identität beginnt. Der Leser beginnt bald zu ahnen, wer Carl denn nun wirklich ist und am Schluss wird auch alles aufgeklärt, allerdings ob Carl auch noch etwas davon hat ?


    Fazit: Ein sehr actionreicher und unterhaltsamer Spionagethriller, wie ich ihn so noch nicht gelesen habe mit bestechender Situationskomik, der viel mit Verwechslungen und Mißverständnissen spielt, die dem Ganzen die Prägung einer Tragikomödie geben. Geschrieben in einem hervorragenden Stil. Manchmal ziemlich brutal und zum Schluss richtig heftig, was Carl auszuhalten und durchzumachen hat. Da musste ich manchmal schon tief Luft holen und fragte mich, wie hält der das aus ???
    Ich habe diesen Roman sehr genossen und bewerte: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

    :study: Jeder Tag, an dem ich nicht lesen kann, ist für mich ein verlorener Tag!

  • Danke für die schöne Rezi! :thumleft: Jetzt bin ich aber doch ganz erstaunt! Hätte mit was ganz anderem gerechnet. "Tschick" steht nämlich auch auf meiner Wunschliste, weil ich gerne mal was von dem Autor lesen wollte, da er ja so in den Himmel gelobt wird, allerdings hat mir da die Leseprobe nicht so recht angesprochen. Aber "Sand" hört sich sehr vielversprechend an, das rutscht gleich mal ein bisschen höher auf der Wunschliste. :D Das mit der verlorenen Identität erinnert mich ein bisschen an "Das zweite Gedächtnis" von Follett, natürlich mit anderem Hintergrund. :wink:

    Viele Grüße
    Aventurin


    :study:Rebecca Gablé - Hiobs Brüder


    SuB: 92 / Gelesen 2016: 7

  • Aventurin: Auf amazon wird "Tschick" als Roadmovie und Jugendroman bezeichnet. Und das trifft es auch genau, wie ich finde. Während es bei "Sand" schon ziemlich brutal zugeht (für Jugendliche eher weniger geeignet), aber witzig geschrieben sind sie beide. Allerdings konnte ich mich bei "Tschick" nicht so ganz mit den Figuren anfreunden und die Sprachkomik bei "Sand" finde ich irgendwie gelungener. Ist allerdings schon länger her, dass ich "Tschick" gelesen habe.

    :study: Jeder Tag, an dem ich nicht lesen kann, ist für mich ein verlorener Tag!

  • Danke für die interessante Rezi! Den Autor will und werde ich bald kennenlernen: ich habe noch "Jenseits des Von-Allen-Gürtels auf dem SUB...


    Eins erschließt sich mir nicht (oder ich verstehe etwas nicht):



    Die Szene am Anfang wird zum Schluss noch einmal wiederholt; wenn auch nicht für die Handlung wichtig, so ergibt sich aus der Geschichte der Szenenfigur doch ein sehr guter Blickwinkel auf die vorherrschenden katastrophalen Lebensumstände einer ärmeren Bevölkerungsschicht des Landes.


    Welchen Landes? Nordafrika oder die Sahara sind ja doch weiterfassende Bezeichnungen...

  • Welchen Landes? Nordafrika oder die Sahara sind ja doch weiterfassende Bezeichnungen

    Im Roman wird das Land nicht näher bezeichnet (es sei denn, ich hab da was überlesen ). Es ist nur von einem arabischen Land und Wüstenregion im Norden Afrikas die Rede. Ich habe das Buch heute wieder in der Bücherei abgegeben, daher kann ich jezt auch nicht mehr nachsehen. Sorry.

    :study: Jeder Tag, an dem ich nicht lesen kann, ist für mich ein verlorener Tag!

  • Vielen Dank für deine Rezension, birgitk.
    Auch mir hat der Roman sehr gefallen; er ist einer meiner Jahreshighlights. Als reinen Spionagethriller habe ich "Sand" nicht gelesen; den Roman in ein Genre einzordnen ist sicher schwierig - m. E. irgendwo zwischen Roman und Spionagethriller-Parodie.
    Wolfgang Herrndorf nennt sein Buch einen Trottelroman; damit hat er sicher recht, wenn man sich sämtliche Charaktere im Buch so ansieht.
    Das Buchcover ist gut gewählt.


    Als Orte werden "Targat" und "Tindirma" erwähnt.
    Targat ist fiktiv und könnte laut diesem Artikel in Marokko liegen.
    Tindirmaist eine Stadt in Mali.
    Der Schauplatz des Romans ist sicher im Nordwesten Afrikas angesiedelt.

  • Vielleicht sollte man den nihilistischen Aspekt des Romans noch erwähnen.
    Ich zitiere mal Kulturradio vom rbb:

    Zitat

    Das Ganze bei aller spielerischen Leichtigkeit des Tons getaucht in schwarzen Nihilismus, in eine existenzialistische Aura von heiterer Hoffnungslosigkeit über die Nichtigkeit und Zufälligkeit des Menschenlebens, wie sie schon die Großmetapher des Wüstensandes nahelegt.


    Den Spoiler besser nur öffnen, wenn man den Roman gelesen hat!

    So many books so little time.

    (Zappa)

    3 Mal editiert, zuletzt von Conor ()

  • Den Namen des Autors habe ich schon vor geraumer Zeit mal notiert und dann günstig die von Euch erwähnten Erzählungen von vor ein paar Jahren gefunden. Zu diesen sechs Erzählungen von "Diesseits des Von-Allen-Gürtels" fällt mir aber nichts Ordentliches für eine ausreichende Rezi ein, und so hänge ich nur mal den Tipp hier ran: Wer den oben beschriebenen Roman oder auch Tschick gemocht hat, wird wohl auch bei diesem Erzählband nicht zu kurz kommen. Vielleicht sollte man aber nicht zu tief analysieren und interpretieren? Ich las es eher als der Rubrik "Lustig mit Stil".


    Kurzbeschreibung (bei Amazon):
    „Es geht also doch: Man kann auf Deutsch intelligente und zugleich extrem lustige Geschichten schreiben.“ (Süddeutsche Zeitung) Die Zwangsbekanntschaft zweier Kunstakademiestudenten wächst sich zu einer uneingestandenen Dreiecksgeschichte aus, die auf der Brenner-Autobahn zu einem unrühmlichen Abschluss kommt. Ein Krankenpfleger setzt sich mit dem Geld eines Patienten nach Asien ab und endet in der Polizeistation eines japanischen Fischerdorfs. Ein Mittdreißiger und ein verzogener Halbstarker unterhalten sich auf einem einsamen Balkon über den Kosmos. – Die Verlorenheit von Herrndorfs Figuren ist groß, und die erzähltechnische Raffinesse sowie der Unterhaltungswert seines Buches sind es auch. „Nicht realistisch, sondern gegenständlich, gläsern und geheimnisvoll, komisch und unheimlich, mitreißend und abstoßend … Ein kurzes langes Buch voller nie nachlassender Spannung." (Gustav Seibt)


    Klappentext
    "Mit so vielen Wirklichkeitselementen so virtuos zu spielen, ohne je am Boden der Tatsachen kleben zu bleiben, das macht Herrndorf im Moment kein deutschsprachiger Autor nach. [...] Es geht also doch: Man kann auf Deutsch intelligente und zugleich extrem lustige Geschichten schreiben." Süddeutsche Zeitung
    "Herrndorf schreibt klug und lakonisch und hat Sinn für Humor. Guten Humor. Und so liest er auch: Gelassen und mit Ironie in der Stimme - man hört ihm gern zu." Hamburger Abendblatt

  • Zurück zum "Sand" :)


    Danke an alle, die mich auf dieses Buch aufmerksam gemacht haben.
    Ein wirklich lesenswerter Roman.


    Meine Meinung:


    Das hier ist eins von solchen Büchern, die für immer in meiner Erinnerung bleiben. Vielleicht weniger der Handlung wegen, viel mehr wegen der Gesamtstimmung und der Atmosphäre des Romans.
    Es war so trostlos, ausweglos, dramatisch, ohne jeglicher Hoffnung, und so gemein, dass es teilweise weh tat.


    Ein ausgezeichneter Autor, der genial erzählen kann und virtuos mit den Wörtern spielt. Ich war in seiner Sprache gefangen.


    Der Roman ist auf fünf Bücher aufgeteilt:
    Das Meer
    Die Wüste
    Die Berge
    Die Oase
    Die Nacht


    Ich muss gestehen, dass ich einige Zeit brauchte, um mich in die Geschichte einzulesen, erst ab Seite 87 als das zweite Buch: Die Wüste anfing, hat mich die Geschichte vollkommen gefangen genommen und in die Trostlosigkeit des Geschehens hineingezogen.


    Als Parodie auf einen Agententhriller, habe ich den Roman nicht erlebt, obwohl der Autor ein ausgezeichnetes Gespür für Witz und Ironie hat.
    Allerdings wirkte auf mich sogar das Ironische bitter.
    Es mag aber sein, dass der "Sand" als eine Parodie gedacht war... Wäre denkbar...
    Als typische Thriller würde ich den Roman ebenfalls nicht bezeichnen.


    Eine Klasse für sich - würde ich sagen, von einem talentierten Erzähler.
    Intensiv, originell und unvergesslich.


    Von mir :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    2024: Bücher: 87/Seiten: 38 703

    2023: Bücher: 189/Seiten: 73 404

    --------------------------------------------------

    Mein Blog: Zauberwelt des Lesens
    ------------------------------

    "Das Nicht-Wahrnehmen von Etwas beweist nicht dessen Nicht-Existenz "

    Dalai Lama

    ------------------------------

    Lese gerade:

    Newman, T. J. - Absturz

    Müller, Asta - Kairra

  • Vielleicht ist für den einen oder anderen Wolfgang Herrndorfs blog Arbeit und Struktur interessant?!

    Und wie :thumleft: Danke Conor :winken:


    Ich wäre sonst auf diesen Link gar nicht aufmerksam geworden. Ist aber absolut lesenswert, sowohl was die Arbeit an dem Roman "Tschick" und "Sand" betrifft, als
    auch der tragische Schicksal des Autor. Nachdem ich sein Blog gelesen habe, sehe ich einiges aus einem anderen Blickwinkel.


    Zumindest ist für mich die Gesamtstimmung des Romans "Sand" jetzt viel besser nachzuvollziehen.
    Mir hat während des Lesens die trostlose Atmosphäre und Vergeblichkeit der Mühe des Protagonisten sehr zu schaffen gemacht.


    P.S. Noch besser ist es den Blog von dieser Seite anzufangen zu lesen.
    So kommt man gleich zu dem ersten Eintrag.

    2024: Bücher: 87/Seiten: 38 703

    2023: Bücher: 189/Seiten: 73 404

    --------------------------------------------------

    Mein Blog: Zauberwelt des Lesens
    ------------------------------

    "Das Nicht-Wahrnehmen von Etwas beweist nicht dessen Nicht-Existenz "

    Dalai Lama

    ------------------------------

    Lese gerade:

    Newman, T. J. - Absturz

    Müller, Asta - Kairra

  • Sehr interessant, @ Conor.


    Zufälligerweise lese ich gerade "Tschick", bin begeistert und halte Ausschau nach weiteren Romanen des Autors.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Ich bin gespannt was die ersten Leser zu diesen -Einträgen aus seinem Blog-zum Buch umfunktioniert- sagen :-k Ich glaub das wäre nichts für mich.
    Und ich habe einen bitteren Beigeschmack, dass man nach dem Tod, sowas vermarktet, auch wenn es das OK vom Autor gab.

    "Ein gutes Buch ist wie ein erholsamer Kurztrip aus dem Alltag."
    »Verlass das Haus nie ohne ein Buch.« Edward Gorey
    "Zu Hause ist da, wo deine Bücher sind" SILBER - Kerstin Gier

  • Ich bin gespannt was die ersten Leser zu diesen -Einträgen aus seinem Blog-zum Buch umfunktioniert- sagen :-k Ich glaub das wäre nichts für mich.

    Um ehrlich zu sein, glaube ich nicht, dass man viel mehr schreiben kann als "so ein talentierter Mensch", "schade, dass er von uns gegangen ist", "seine Entscheidung jedoch erscheint verständlich" und ähnliche Plattitüden mehr nach dem Motto "interessant, wie er den Umgang mit seiner Krankheit schildert". Deshalb sehe ich das auch so, was Du schreibst, Floxine:

    Und ich habe einen bitteren Beigeschmack, dass man nach dem Tod, sowas vermarktet, auch wenn es das OK vom Autor gab.

    wer es wirklich lesen möchte, der kann es im gleichnamigen Blog lesen, aber die Herausgabe als Buch eines so intimen Blogs empfinde ich mehr oder weniger genauso scheußlich wie die Veröffentlichung von Kafkas "Brief an meinen Vater".


    Aber trotzdem finde ich e korrekt, dass Conor die Veröffentlichung bekanntgibt, denn diese wird nun einmal stattfinden. Wer das Buch lesen möchte, kann das genauso tun wie online. Nur evtl. Rezensionen werde ich versuchen zu übergehen, denn meines Erachtens ist die Wahrscheinlichkeit, dass Kommentare dazu platt und letztendlich insensibel 'rüberkommen, viel zu groß.

    » Unexpected intrusions of beauty. This is what life is. «


    Saul Bellow, (1915-2005 ), U.S. author,
    in Herzog

  • wer es wirklich lesen möchte, der kann es im gleichnamigen Blog lesen, aber die Herausgabe als Buch eines so intimen Blogs empfinde ich mehr oder weniger genauso scheußlich

    So ganz kann ich deine Argumentation nicht nachvollziehen. Der (oder das?) Blog wurde ja, wenn ich richtig informiert bin, von ihm öffentlich gemacht. Sicher ist er intim (ich habe Auszüge im aktuellen Spiegel gelesen), aber sind das Bücher/Blogs über Sterbende nicht immer? Wo ist der Unterschied zu anderen Autoren, die ihr Leiden, Sterben, ihre Krankheit der breiten Öffentlichkeit offenbaren? In diesem Falle war es die Entscheidung Herrndorfs, Zugang zu gewähren. Ich kann das verstehen und sehe daran auch nichts Verwerfliches.

  • So ganz kann ich deine Argumentation nicht nachvollziehen. Der (oder das?) Blog wurde ja, wenn ich richtig informiert bin, von ihm öffentlich gemacht. Sicher ist er intim (ich habe Auszüge im aktuellen Spiegel gelesen), aber sind das Bücher/Blogs über Sterbende nicht immer? Wo ist der Unterschied zu anderen Autoren, die ihr Leiden, Sterben, ihre Krankheit der breiten Öffentlichkeit offenbaren? In diesem Falle war es die Entscheidung Herrndorfs, Zugang zu gewähren. Ich kann das verstehen und sehe daran auch nichts Verwerfliches.


    Nein, in dem Sinne, dass Herrndorf seine eigene Entscheidung zur Publikation getroffen hat und man mit einer Buchveröffentlichung nicht gegen seinen Willen handelt, hast Du natürlich recht. Dieser Part stört mich auch nicht.
    Nur wird der Verlag das Buch nicht nur aus dem altruistischen Motiv heraus, also dem Willen Herrndorfs (oder besser seiner Erlaubnis) Folge zu leisten, das Buch veröffentlichen, sondern ein gewisses kleineres (oder auch größeres) finanzielles Interesse spielt dabei schon eine Rolle. Je nach Größe dieses Parts mischt sich ein gewisses Maß an Verwerflichkeit unter (meiner Meinung nach). Hinter dem veröffentlichten Blog stand jedoch kein finanzielles Interesse, oder? Bestand die Diagnose des Leidens überhaupt schon zu Beginn des Blogs? Ich glaube nicht - das wäre ein weiterer Unterschied dazu.
    Ich möchte mich jetzt nicht noch weiter dazu auslassen, und zu Büchern über das Sterben möchte ich auch keine Meinung abgeben (das ist nicht böse gemeint, ich möchte nur einfach nichts dazu sagen, OK? :friends: ). Brianna, ich bin mir auch durchaus bewusst, dass es zu solchen Themen keine definitive und objektiv richtige Position geben kann, die möchte ich nicht beanspruchen. Wenn Du hierzu eine andere Meinung hast, ist sie mindestens genauso gut und gültig. Das schreibe ich ohne bösen Unterton, das ist ehrlich gemeint.

    » Unexpected intrusions of beauty. This is what life is. «


    Saul Bellow, (1915-2005 ), U.S. author,
    in Herzog