Beiträge von evelynmartina

    Eine etwas bizarre Sicht auf die Dinge


    Der 79-jährige Heinz Labensky, der die DDR eigentlich nie verlassen hat, fristet sein Dasein in einem Seniorenheim in Erfurt. Als er schließlich eines Tages einen Brief von der Tochter seiner Jugendliebe bekommt mit der Nachricht, dass seine heißgeliebte Rita eventuell tot aufgefunden wurde, macht er sich auf den Weg zur Ostsee, um der Sache auf den Grund zu gehen. Auf der Busfahrt dorthin trifft er auf unterschiedliche Menschen, denen er bewegte Episoden aus seinem früheren Leben erzählt.


    Am Anfang haben es Anja und Michael Tsokos tatsächlich geschafft, mich mitzunehmen auf einen Trip in die deutsch-deutsche Vergangenheit mit einer sympathischen, wenn auch ein wenig naiven Hauptfigur, und das in einem flotten Schreibstil mit Humor und Wortwitz. Doch leider hat sich der Reiz in den für meinen Geschmack ein wenig langatmigen und zu weit hergeholten Geschichten des alten Kauzes, in denen Realität und Fantasie zusammentreffen, zunehmend verloren. Ich habe zwar einiges über Menschen, Sitten und Bräuche der DDR dazugelernt, vieles über wirklich stattgefundene Ereignisse und reale Personen der damaligen Zeit wiedergefunden, aber so richtig fesseln konnte mich das Geschehen im Gesamten nicht. Obwohl das Ende bis zu einem gewissen Grade versöhnlich stimmt, bis dahin ist es eine lange Reise, genauso lang wie die des Heinz Labensky.

    Umfassende Familienaufstellung in Romanform und heutiger Zeit


    Familie Schönwald, bestehend aus inzwischen betagten Eltern sowie drei erwachsenen Kindern, treffen in Berlin zusammen, da die Tochter eine queere Buchhandlung eröffnen will. Doch soweit kommt es nicht, denn junge Leute aus der digitalen Welt machen dem Vorhaben einen Strich durch die Rechnung. Angeblich soll nämlich der finanzielle Hintergrund in der Nazi-Vergangenheit des Großvaters liegen. Aber nicht nur der Opa, sondern auch jedes einzelne Familienmitglied scheint ein Geheimnis mit sich zu tragen, das nach und nach zu Tage tritt.


    Nach einem temporeichen Beginn flacht die eigentliche Familiengeschichte nach meinem Empfinden etwas ab, blitzt jedoch immer wieder auf und führt schließlich zu einem erwartbaren Ende. Bis dahin wird der Leser gefordert - lange, verschachtelte Sätze; permanente Zeit- und Ortssprünge; brisante, topaktuelle Themen der Gesellschaft und Politik und zwischendrin eigenwillige, problembehaftete Haupt- und Nebenfiguren, die sorgfältig porträtiert werden und langsam Gestalt annehmen. Man muss am Ball bleiben, um den Faden nicht zu verlieren, den Philipp Oehmke übrigens zu keinem Zeitpunkt verliert, auch wenn er des Öfteren vom Kern abschweift und sich im Fabulieren übt. Dass der Autor Redakteur ist und war, ist der Art und Weise seines Erzählens und seiner Wortwahl deutlich anzumerken, finde ich - up-to-date und auf der Höhe der Zeit, außerdem mit einem Schuss Humor und Sarkasmus versehen. Noch dazu hat er offensichtlich ein paar Eckpunkte aus seinem bisherigen Leben mit ins Geschehen einfließen lassen.


    Gelesen habe ich die Geschichte der Schönwalds ganz gerne, mich in dem einen oder anderen ein Stück weit wiedergefunden und im Gesamten gut unterhalten gefühlt. Manche Längen hat es für mich während des Schmökerns dennoch gegeben und zum Schluss den Gedanken: „Too much“, um beim Sprachstil des Romans zu bleiben. Ein bisschen weniger von allem wäre vielleicht mehr gewesen.

    Potenzial verschenkt


    Der Eine, der Andere und die Dritte, die im Laufe des Geschichte
    namentlich benannt werden, befinden sich in den Tiefen des
    Mittelmeeres in einer Art Zwischenwelt. Sie sind nicht wirklich tot,
    ihre Körper verwesen jedoch bereits, während ihr Geist noch
    lebendig scheint. Denn das Trio, das Gedanken lesen und sich erinnern
    kann, führt zum Teil gewollt philosophische Gespräche über das
    Hier und Jetzt und die Vergangenheit. Nach und nach erfährt der
    Leser, wie es um das Leben der Ertrunkenen bestellt war und wie es zu
    ihrem Untergang gekommen ist.


    Mit Neugier und Spannung habe ich das Buch zur Hand genommen, schließlich könnten „Gespräche auf dem Meeresgrund“ ja ganz interessant
    werden, dachte ich. Aber leider verliert sich Root Leeb, die gängig
    und flüssig schreibt, in den ihr offensichtlich wichtigen Themen wie
    Gesellschaftspolitik, Klimaschutz und Feminismus, kratzt diese
    lediglich an und lässt den Tief- und Wellengang vermissen. Die
    Handlung plätschert dahin, die Figuren bleiben so schemenhaft wie
    ihr dargestelltes Äußeres und berühren nicht, mich jedenfalls
    nicht. Als dann noch Poseidon und Meeresnymphen auftauchen, war mir
    das Ganze doch des Guten zu viel, und ich war froh, dass das
    Kammerspiel nur rund 150 Seiten umfasst.


    Schade, Cover und Gestaltung des Buches mit Lesebändchen und passenden
    nautischen Bildern sprechen durchaus an, der Inhalt hingegen konnte
    mich nicht wirklich fesseln und vollkommen überzeugen.

    Vergangenheitsbewältigung und ein Stück Zeitgeschichte


    Was macht ein betagter Mensch, der immer wieder von seiner Vergangenheit eingeholt und nicht in Ruhe gelassen wird? Er verschafft sich Luft, indem er Erlebtes in Worte fasst, diese auf Tonbandkassetten festhält und damit gleichzeitig ein Stück Zeitgeschichte an die Nachwelt weitergibt.
    So jedenfalls macht es die über 90-jährige Klara, die während des Nationalsozialismus Leiterin eines Kinderheims in Oranienbaum wird und mit gesellschaftlichen sowie politischen Entwicklungen, absonderlichem Gedankengut und deren unmittelbaren Folgen hautnah in Berührung kommt, zumal sie die Betreuung eines jüdischen Mädchens übernommen hat.


    „Die karierten Mädchen“ von Alexa Hennig von Lange erzählt Klara’s Geschichte, die auf wahren Begebenheiten beruht und sich absolut authentisch darstellt. Der Leser lernt eine starke Frau kennen, nimmt an ihrem Leben und Schicksal teil, fiebert mit und wird noch dazu in ein leider schreckliches Kapitel deutscher Vergangenheit zurückversetzt. Die Autorin hat es mit ihrem einfachen, dennoch bildhaften und eindrücklichen Schreib- und Erzählstil sowie einer überaus sympathischen Hauptfigur geschafft, mich ein- und gefangenzunehmen. Ich bin eingetaucht, habe mitgelitten und mich an keiner Stelle gelangweilt gefühlt.


    Der erste Teil der Trilogie wirkt bei mir noch immer nach und lässt auf die Fortsetzungen hoffen. Ihn zu lesen, lohnt sich in meinen Augen wirklich.
    Hut ab für ein gelungenes Buch gegen das Vergessen.

    Drei Frauen und Nigeria


    In „Freundin bleibst du für immer“ von Tomi Obaru lernt der Leser Funmi, Enitan und Zainab kennen, drei Freundinnen aus Nigeria. Ihre Freundschaft beginnt während der Studienzeit. Danach geht jede ihren Weg, der Kontakt bricht allerdings nie wirklich ab, bis es schließlich am Hochzeitstag von Funmis Tochter ein Wiedersehen gibt. Doch was hat sich während der langen Trennungszeit ereignet, was haben die Drei erlebt und stellt sich ihre Freundschaft heute noch genauso dar, wie sie früher einmal war?


    Tomi Obaru zeichnet in ihrem Roman drei eindringliche Portraits von Frauen, die authentisch und sympathisch erscheinen und in ihrer Art nicht unterschiedlicher sein könnten. Ihre Geschichte springt zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin und her, ohne zu verwirren. Nach und nach kommen immer mehr Details der Drei über ihr Leben und Wirken, ihre Ehemänner und Kinder, ihre Schicksale und Freuden zu Tage, sodass schlussendlich ein rundes Bild entsteht. Nebenbei erfährt der Leser einiges über nigerianische Sitten und Gebräuche, soziale Gegebenheiten und politische Ereignisse im Land.


    Auch wenn ich mir an manchen Stellen etwas mehr Tiefgang und weniger afrikanische Worte in puncto Speisen und Kleidung gewünscht hätte, habe ich das Buch gerne gelesen und mich gut unterhalten gefühlt. Der Schreibstil ist gefügig und einprägsam. Die Erzählung bietet meines Erachtens einen gewissen Spannungsbogen, wird nicht behäbig und blass und zeigt noch dazu interessante Einblicke in die nigerianische Gesellschaft und Kultur.


    Kurzum, ein in meinen Augen lesenswerter, kurzweiliger Debütroman mit überaus ansprechendem Cover, der sich eindeutig an die Frauenwelt richtet und von dieser getrost zur Hand genommen werden kann.

    Nicht mein Buch


    Giovanna, aus einem Elternhaus der italienischen Mittelschicht stammend, steckt mitten in der Pubertät, als sie von ihrem Vater hört, dass sie immer hässlicher wird und ihrer Tante Vittoria zunehmend ähnelt, dem schwarzen Schaf der Familie, das im verruchten Teil Neapels lebt. Giovanna kennt die Schwester ihres Vaters nicht und will sie unbedingt kennenlernen. Dabei stößt sie auf Intrigen, Lügen und unglaubliche Geheimnisse in der Familiengeschichte, die nicht ohne Folgen bleiben.


    Auf Elena Ferrante und ihren neuen Roman „Das lügenhafte Leben der Erwachsenen“ war ich sehr gespannt, denn ich habe mit ihrer in jeder Buchhandlung omnipräsenten Neapolitanischen Saga bis jetzt noch keine Bekanntschaft gemacht.
    Die Schreib- und Erzählweise der Autorin hat mir in dieser Geschichte sehr gut gefallen, ich mag komplexe Sätze, wenngleich es Ferrante für meine Begriffe nicht hundertprozentig geschafft hat, den Zeitgeist Neapels in den 1990er Jahren einzufangen. Eine Aneinanderreihung von Straßennamen und Plätzen bringt noch lange nicht eine echte Atmosphäre. Auch der Milieu-Unterschied zwischen den Stadtteilen wird in meinen Augen nicht deutlich genug vermittelt. Es reicht nicht, permanent zu erwähnen, dass in Dialekt gesprochen wird, wenn man diesen nicht lesen kann.
    Zudem konnten mich weder die Figuren noch die Handlung wirklich fesseln. Giovanna, deren zerrissene Teenager-Welt zwar authentisch dargestellt wird, ist mir fremd geblieben wie auch ihr Umfeld. Einzig und allein ihre Tante hat mich interessiert, deren Charakter dann aber im Gesamten ein wenig untergeht.
    So habe ich das Geschehen im Verlauf als langatmig und stellenweise recht langweilig empfunden und ab Mitte des Buches nur noch quer gelesen.


    Unterm Strich war besagtes Buch von Elena Ferrante nicht wirklich meines, was aber nicht heißt, dass ihre anderen Werke nicht irgendwann den Weg zu mir finden werden.

    Schier unglaublich, aber wahr


    Das Mädchen, das ein Stück Welt rettete, heißt Stefania, auch Fusia genannt, und lebt im Polen der 1930/40er Jahre. Sie stammt aus einer kinderreichen katholischen Bauernfamilie und kommt als junges Mädchen vom Land in die Stadt, um dort bei einer jüdischen Geschäftsfamilie ihr Geld zu verdienen. Doch dann beginnen Judenverfolgung, Ghettoisierung, Krieg und Leid. Fusia beschließt, ihre Gastfamilie sowie weitere Juden bei sich zu verstecken und sie somit vor dem sicheren Tod zu bewahren. Ein gefährliches Unterfangen nimmt seinen Lauf.


    Wäre der Roman nicht nach einer wahren Geschichte verfasst – zur Recherche reiste die Autorin Sharon Cameron mit Fusias Sohn nach Polen und traf dort deren Schwester und Zeitzeugen -, so bekäme man wahrscheinlich Zweifel an der enormen Kraft und Stärke und dem unerbittlichen Willen eines Teenagers, Leben zu retten. Fusia durchlebt schier Unglaubliches, beweist unendlich viel Mut und versucht tapfer und selbstbewusst, Hunger und Angst zu besiegen. Die Figur und ihr Auftreten ist gelungen, weckt sofort Sympathie und Mitgefühl. Überhaupt steckt zwischen den Zeilen neben Zeitgeist und Spannung eine Menge Empathie und Sensibilität, aber auch Schrecken und Grauen.


    Ich habe die Geschichte Fusias und ihrer Wegbegleiter sehr gerne verfolgt. Die Autorin schreibt einfach und prägnant, noch dazu bildhaft, sodass das Lesen ob des ernsten Themas Freude bereitet und zu keinem Zeitpunkt langweilig wird. Schnell bin ich im Geschehen angekommen und mit wachsender Erwartung auf das Folgende stetig am Ball geblieben.


    Dieses Jugendbuch, das meines Erachtens genauso für Erwachsene lesenswert ist, erinnert an eine schreckliche Epoche der Vergangenheit, richtet sich gegen das Vergessen und mahnt gerade in der heutigen Zeit zu mehr Toleranz und Mitmenschlichkeit. Von solchen Büchern kann es meiner Meinung nach nie genug geben.

    Normal oder sonderbar?


    Greta Thunberg, seit einiger Zeit als Umweltaktivistin bekannt in aller Munde, sagt: „Ich glaube, auf gewisse Weise sind wir Autisten die Normalen, während alle anderen etwas sonderbar sind.“


    Greta hat genau wie Jasmijn, die Hauptfigur aus “Mein Leben als Sonntagskind” von Judith Visser, das Asperger Syndrom. Dass die Autorin selbst unter dieser Form des Autismus leidet, entnimmt man ihrer Vita. Wie viel Persönliches und wie viel Erdachtes zwischen den Zeilen ihres Werkes steckt, weiß nur sie allein.


    Judith Visser nimmt den Leser mit in die kindliche und jugendliche Welt eines Mädchens, das anders scheint wie Mädchen im gleichen Alter, das sich lieber zurückzieht, wenn's laut wird, das lieber mit ihrem Hund spielt, als mit Bekannten etwas zu unternehmen, das vieles wörtlich nimmt und durch alltägliche Situationen oft überfordert wird, und das wenig spricht. Der Klappentext stimmt übrigens in der Form nicht wirklich. Jasmijn redet sehr wohl, aber lediglich mit ihr vertrauten Personen.


    Die berührende Geschichte hat mich gefangen genommen und ihre überaus sympathische Protagonistin zum Nachdenken, aber auch zum Schmunzeln gebracht. In einfachem Erzähl- und Sprachstil wird Jasmijn's Erlebnis- und Gefühlswelt echt, berührend und ergreifend geschildert, während Jasmijn‘s Umfeld meines Erachtens doch ein wenig blass bleibt. Ab und an habe ich mich zwischen den Seiten sogar wiedergefunden. Manchmal empfinde ich das mitunter übertrieben hektische und oberflächliche Treiben um mich herum kaum erträglich und belastend und wünsche mir Flucht und Ruhe. Bin ich deshalb nicht normal?


    Kurzum, ich habe den Roman über einen besonderen und außergewöhnlichen jungen Menschen gerne gelesen, mich zu keinem Zeitpunkt gelangweilt - und das will was heißen bei einer Länge von 600 Seiten - und lege das Buch jedem ans Herz, der mehr über Autismus erfahren und augenscheinlich sonderbare Menschen besser verstehen möchte.

    Ein etwas langer Muttertag


    Wer kennt sie nicht - Nele Neuhaus, die sich im Laufe der letzten Jahre vor allem mit ihren Taunus Krimis einen Namen gemacht hat? Ihre Werke liegen präsent in jeder Buchhandlung und wurden zum Teil bereits verfilmt.


    In ihrem neuen Kriminalroman „Muttertag“ geht es nicht nur um die Leiche eines älteren Mannes, in dessen Anwesen noch dazu Knochenreste toter Frauen gefunden werden, sondern auch um eine Frau, die in der Schweiz nach ihrer leiblichen Mutter sucht. Wie beide Geschehnisse miteinander zusammenhängen, bringt das sympathische Ermittler-Duo Pia Sander und Oliver von Bodenstein ans Tageslicht, das zudem Unterstützung von einem Profiler erhält.


    Ja, keine Frage, die Autorin schafft es zweifelsohne, Spannung aufzubauen, zwei Handlungsstränge zu verknüpfen, Gedanken des Täters einzuflechten und das alles in einfacher und klarer Sprache und in regionaler und zeitgemäßer Manier.

    Dennoch hat die Geschichte gerade in der Mitte des Buches aus meiner Sicht doch einige Längen und zieht sich durch Wiederholungen von Fakten und Ergebnissen bisweilen dahin. Gegen Ende nimmt sie allerdings Fahrt auf, wobei der eigentliche Plot nicht neu und außergewöhnlich erscheint. Der wirkliche Überraschungseffekt hat mir tatsächlich gefehlt.


    Unterm Strich liefert Nele Neuhaus mit „Muttertag“ meiner Meinung nach solide Krimikost mit Hand und Fuß ab, die für unterhaltsame Lesestunden sorgen kann, mich aber nicht so richtig packen konnte.


    Der Verlag verzichtet übrigens auf die Folien-Umverpackung des Buches, was ich sehr lobenswert finde.

    Tun wir so, als sei alles normal“


    „Ein Winter in Paris“ von Jean-Philippe Blondel erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, der auf der Suche nach seinem Lebensweg ist.


    Der 19-jährige Victor studiert an einem Pariser Elite-Lycée Literaturwissenschaften. Dort herrschen harte Regeln, und dominante Lehrer machen den Studenten das Leben schwer. Aus der Provinz kommend scheint Victor per se als Außenseiter abgestempelt, wird von seinen Kommilitonen nicht beachtet und von seinen Dozenten gepiesackt. Einzig und allein zu Mathieu, einem Mitstudenten, mit dem Victor ab und an in Pausen eine Zigarette raucht, bahnt sich ein näherer Kontakt an. Doch bevor sich die beiden besser kennenlernen können, stürzt sich Mathieu in den Tod. Mathieu's Selbstmord wird fortan Victor's aktuelle Situation und seine Zukunft maßgeblich beeinflussen.


    Jean-Philippe Blondel hat mit Victor eine interessante, echte Figur geschaffen, die er in den Mittelpunkt seines Romans setzt. Rundherum platziert er fast schon desinteressierte Eltern, von sich überzeugte Professoren, auf sich bezogene Mitstreiter und dann ein Ereignis, das eigentlich alle wachrütteln sollte. Der Autor beschäftigt sich in prägnanter Sprache auf sensible und eindringliche Art und Weise mit Fragen nach dem Warum, mit Schuld und dem Umgang mit dem Verlust eines Menschen sowie dessen Auswirkung auf das betroffene Umfeld.


    Ich habe den Roman an einem Nachmittag verschlungen. Beim Lesen fühlte ich mich des Öfteren an meine Studienzeit erinnert, zumal die Handlung in den 1980er Jahren spielt. Die Erzählung stimmte mich traurig, am Ende aber hoffnungsvoll und zufrieden. Ich habe dann sogar noch einmal den Anfang gelesen, so hat sich für mich der Kreis komplett geschlossen.


    Ob und wie viel Autobiographisches in Jean-Philippe Blondel's „Ein Winter in Paris“ steckt, weiß nur der Autor selbst. Jedenfalls ist sein neues Werk meiner Meinung nach ein kleiner, leiser und tiefsinniger Schatz, bei dem sich das Öffnen lohnt.

    Eine persönliche Geschichte


    Christian Berkel, bekannt durch Film und Fernsehen, erzählt in seinem ersten Roman „Der Apfelbaum“ seine ganz persönliche Geschichte, von der nur er weiß, was wirklich oder erfunden ist.


    Er geht zusammen mit seiner an Demenz leidenden Mutter zurück zu seinen Wurzeln ins Berlin der 1930er Jahre, in denen sich Sala und Otto, zwei völlig unterschiedliche Menschen, kennen und lieben lernen. Ihre Liebe dauert über Jahrzehnte an, obwohl es ihnen die Zeit, in der Religionszugehörigkeit, Überleben und Existenzsnot eine entscheidende Rolle spielen, nicht leicht macht.


    Ich lese gerne Lebens- und Liebesgeschichten und tauche auch gern in die Vergangenheit ein, besonders in die Zeit des Nationalsozialismus und 2. Weltkrieges, doch bei diesem Roman ist es mir nicht gelungen, am Geschehen intensiv teilzunehmen und mitzufiebern. Obwohl der Zeitgeist aus meiner Sicht recht gut eingefangen wird, habe ich die Zeitsprünge im Geschehen, den plötzlichen Wechsel zwischen Gestern und Heute als den Lesefluss störend und anstrengend empfunden. Die Handlung im Gesamten zieht sich in meinen Augen zum Teil zäh in die Länge. Zudem sind mir die Figuren, nicht gerade wenige, fremd geblieben. Distanziert, oberflächlich und nicht greifbar ist die Liebe zwischen Sala und Otto an mir vorbeigegangen.


    Eine ganz persönliche Lebensgeschichte, auch wenn sie öffentlich wird, bleibt immer eine eigene, mit Gefühlen und Emotionen verbundene Geschichte, auf die der Leser als Außenstehender blickt und die ihn vielleicht nicht in dem Maße bewegen kann wie den Verfasser selbst.


    Christian Berkel, den Schauspieler, schätze ich sehr, mit dem Autor und seinem Werk bin ich nicht warm geworden.

    Eva, 21 Angeklagte und ihre Opfer


    Eva wird zur Dolmetscherin in die Frankfurter Auschwitzprozesse berufen. Bis dahin hat die junge Eva die Zeit zusammen mit ihren Geschwistern im Hause der Eltern, die eine Gaststätte namens „Deutsches Haus“ betreiben, unbedarft und nichts wissend über deutsche Vergangenheit verbracht und sich vorrangig auf ihre Verlobung mit dem Unternehmersohn Jürgen konzentriert. Doch plötzlich sieht sie sich 21 Angeklagten gegenüber, grausamen Taten und unschuldigen Opfern. Eine Situation, die nicht nur Eva's Leben beeinflussen wird, sondern auch das ihres Umfelds.


    Die Drehbuchautorin Annette Hess führt den Leser in ihrem ersten Roman „Deutsches Haus“ zurück in die 1960er Jahre nach Frankfurt, in die Stadt, in der 1963 die Auschwitzprozesse begannen. Sie erzählt ein Stück Zeitgeschichte, die nie vergessen werden sollte, und verbindet sie mit einer ureigenen Lebens- und keinesfalls schnulzigen Liebesgeschichte. Dieser Drahtseilakt gelingt ihr meiner Meinung nach hervorragend: Authentisch und echt die Figuren, klug und durchdacht der Aufbau, einfach und prägnant die Sprache.


    Ich bin sofort im Geschehen angekommen und konnte nicht mehr aufhören zu lesen. Annette Hess fängt den Zeitgeist hervorragend ein und vermittelt die Ignoranz der Täter von damals, ihre grauenvollen Misshandlungen und Morde und das Leiden der Opfer auf beeindruckende Art und Weise. Auch die Entwicklung Eva's vom naiven Mäuschen zur starken Frau habe ich mit großem Interesse verfolgt. Wie die Autorin genauso spannend und teilweise überraschend die offensichtlichen Geheimnisse in Eva's Umgebung peu à peu lüftet, hat mir außerordentlich gut gefallen.


    „Deutsches Haus“ mit Deutscher Geschichte - ein bewegender Roman, fesselnd, lehrreich und aktueller denn je.

    Drei Leben, eine Leiche im Kofferraum und einiges mehr


    Die Geschichte von Richard und Lucia, beide Anfang 60, und der jungen Evelyn spielt im Winter des heutigen Brooklyn. Die Drei schweißt ein eigentlich belangloses Ereignis zusammen, das jedoch weitreichende Folgen haben wird. Richard, ein einsamer, schrulliger Professor, fährt auf ein Auto auf, an dessen Steuer das Kindermädchen Evelyn sitzt, ein illegal eingewanderter Flüchtling aus Guatemala. Stunden später steht Evelyn vor Richard's Haustür und bittet um Hilfe, denn in ihrem Kofferraum liegt eine Leiche. Völlig überfordert fragt der Hausherr seine lebenslustige, chilenische Untermieterin Lucia um Rat. Gemeinsam fassen sie den Entschluss, den Leichnam verschwinden zu lassen.


    Der Roman „Ein unvergänglicher Sommer“ von Isabel Allende, dessen Originaltitel übersetzt „Mitten im Winter“ lautet, ist eine Liebesgeschichte, ein Krimi, eine Reise in die Vergangenheit dreier Leben, eine politische Aufarbeitung südamerikanischer Verhältnisse und gleichzeitig eine Darstellung aktueller Fragen und Probleme, verbunden mit menschlichen Schicksalen.

    Isabel Allende hat sich in diesem Buch viel vorgenommen, für meine Begriffe zu viel. Der eigentliche Handlungsstrang bleibt zwar erhalten, wird aber ständig durch Rückblenden unterbrochen, in denen sich die Autorin des Öfteren zu verlieren scheint. Die Zeichnung der Charakteren gelingt ihr meiner Meinung nach perfekt, jede einzelne Person ist gut vorstellbar, das Miteinander hingegen bleibt nicht immer greifbar.


    Daß Isabel Allende schreiben und erzählen kann, lässt sich wohl nicht abstreiten. Ich habe ihr neues Werk durchaus gern gelesen, allerdings echte Gefühle, die ergreifen und bewegen, im Großen und Ganzen vermisst. Letztendlich wirkt die Story um die Leiche an den Haaren herbeigezogen und hanebüchen, trotzdem schlüssig.


    Fazit: Ein Roman, der zu unterhalten vermag und auch eine gewisse Spannung mit sich bringt, in meinen Augen aber überfrachtet wird durch eine Menge Themen, von denen jedes Einzelne eine gesonderte Geschichte verdient hätte.

    Herausforderung für den Leser


    Henning Mankell macht es dem Leser in seinem ersten, bereits 1973 verfassten Roman „Der Sprengmeister“ nicht leicht, in die Geschichte des Oskar Johansson einzutauchen, einer Lebensgeschichte, die maßgeblich durch die Folgen eines Arbeitslebens bestimmt wurde.

    Bei einer Sprengung wird Oskar, ein einfacher Arbeiter im Schweden Anfang/Mitte des 20. Jahrhunderts schwer verletzt. Fortan hat er beruflich wie privat mit den Auswirkungen zu kämpfen, gibt jedoch nicht auf und meistert sein Leben auf seine Art und Weise bis zum Ende.


    Bekannt wurde Henning Mankell durch seine vielzähligen Wallander-Krimis, in denen seine Erzählkunst zum Vorschein kommt. Bereits in dem weit früher entstandenen Roman zeigt sich besonders, dass Mankell schreiben kann, jedoch anders, nämlich ungewöhnlich und speziell.

    Er wechselt Zeiten und Perspektiven, formuliert kurz und prägnant und manchmal scheinbar zusammenhanglos und nicht nachvollziehbar. Bruchstückhaft und springend reihen sich Episoden aus Oskars Leben aneinander, die zum Schluss den Kreis eines Lebens schließen, das in einer Zeit des Aufbruchs und Aufstands in Schweden stattgefunden hat.

    Die Figurenzeichnung des Oskar gelingt Mankell in meinen Augen nahezu perfekt - Oskar, politisch und familiär, eigenbrötlerisch und sozial, anwesend, aber nicht teilhabend, und vor allem sympathisch. Gesellschaftliche und geschichtliche Ereignisse fließen mit ins Geschehen ein und vervollständigen somit das Bild eines schwedischen Arbeiterlebens in der damaligen Zeit.


    Ich habe diesen kleinen Roman gern gelesen, da er sich aufgrund seines Stils deutlich von herkömmlichen Romanen abhebt und sich gerade der Charakter Oskar interessant darstellt. So richtig gepackt wurde ich dennoch nicht ganz, dafür fehlen meiner Meinung nach wirkliche Gefühle und Emotionen, die durch den nicht durchgängigen Verlauf schlichtweg auf der Strecke bleiben.


    Fazit: Es lohnt sich, die andere Seite des Henning Mankell zu entdecken, auch wenn der Weg anstrengend und nicht einfach sein mag, unterm Strich dennoch ein lesenswertes und nicht alltägliches Büchlein.

    Nach einer wahren Begebenheit


    Wie Charlotte in Federica De Cesco's Roman „Der englische Liebhaber“ den Nachlass ihrer Mutter Anna regelt und dabei deren Lebensschicksal besser verstehen lernt, so hat sich die Autorin selbst mit Schmuckstücken, Bild- und Tonaufnahmen sowie Tagebucheintragungen ihrer sterbenskranken Tante beschäftigt, Anlass und Motivation genug, eine außergewöhnliche Geschichte niederzuschreiben, die Fiktion mit Realem verbindet und ins Nachkriegs-Münster zu einer Liebe führt, die zwischen zwei ehemaligen Feinden eigentlich nicht sein durfte.


    Die junge Anna, Dolmetscherin bei der britischen Besatzungsmacht verliebt sich in den geheimnisvollen Offizier Jeremy. Trotz verschiedener Nationalitäten und unterschiedlicher Herkunft entdecken die beiden Gemeinsamkeiten in Bezug auf Kriegsereignisse und die Frage nach dem Warum und der Schuld für Vernichtung und Tod. Sie vertrauen einander und erleben eine Zeit unter Argwohn und Beobachtung. Doch so plötzlich wie Jeremy in Anna's Leben aufgetaucht ist, so plötzlich ist er verschwunden. Zurück bleibt die schwangere Anna, die Jeremy nicht vergessen kann und fortan das uneheliche Kind eines britischen Soldaten groß ziehen muss.


    Schnell und recht flüssig, in klarer, direkter Sprache, zum Teil philosophisch und poetisch, liest sich die gesamte Erzählung, wenn auch für meine Begriffe an manchen Stellen etwas hölzern, dennoch bildhaft, gefühlvoll und keinesfalls kitschig. Die Figurenzeichnung gelingt der Autorin in meinen Augen perfekt, ebenso wie die Situationsbeschreibung auf mehreren Zeitebenen. Alles ist vorstellbar und nachzuvollziehen. Der Ausgang der über Jahrzehnte andauernden Liebe lässt sich zwar erahnen und klärt nicht jede offene Frage, ist aber für mich stimmig und passend.


    Ich bin sofort ins Buch eingetaucht und konnte es kaum aus der Hand legen. Der beachtliche Schreibstil, das Thema wie auch die Umsetzung und Vermittlung des Zeitgeists haben mir sehr gefallen. Wer sich für die Neuere Geschichte Deutschlands interessiert und zudem nicht alltägliche Romanfiguren mag, wird sich vielleicht genauso an dem „englischen Liebhaber“ erfreuen wie ich.


    Noch ein Wort zu Buch-Cover und Text: Zum einen finde ich das Titelbild nicht besonders originell, Jeremy trägt übrigens einen Schnurrbart, zum anderen hat der Inhalt aus meiner Sicht wenig mit „Vom Winde verweht“ zu tun.

    Kluftinger - ziemlich privat


    In seinem neuen Fall wird Kommissar Kluftinger zum Opfer und steht im Zentrum der Ermittlungen. Jemand trachtet nach seinem Leib und Leben. Doch wer ist dieser jemand, der ein Sterbekreuz mit seinem Namen auf dem Altusrieder Friedhof aufstellt und seine Todesanzeige in der Zeitung aufgibt? Ein überführter Täter aus früherer Zeit, der sich nun rächen will? Oder hängt doch alles mit weitgreifenden, bis dato unbekannten Ereignissen aus Kluftingers Vergangenheit zusammen?


    Volker Klüpfel und Michael Kobr, die beiden Autoren der legendären Krimi Reihe um einen eigenwilligen Kommissar im Allgäu und dessen Verbrecherjagden, liefern mit ihrem neuen Roman “Kluftinger” im Vergleich zu den Vorgängerromanen ein völlig anders gestricktes Werk ab, das Einblicke in das Privatleben und das frühere Leben von Kommissar Kluftinger gibt. Wer Klufti bis jetzt noch nicht kannte, wird ihn in diesem Buch genau kennenlernen, und seine eingefleischten Fans noch genauer.


    Betont leicht und locker, humorvoll und nicht minder spannend lesen sich die Zeilen, die von der Gegenwart in die Vergangenheit und wieder zurückspringen und schlussendlich die mysteriösen Umstände rundum die Hauptfigur aufklären, aber leider nicht vollständig.


    Auch wenn sich für meinen Geschmack stellenweise eine gewisse Langatmigkeit im Geschehen und Verlauf breit macht, und das Ende nicht wirklich zufriedenstellt, so habe ich mich insgesamt gut unterhalten gefühlt. Man muss ihn mögen, den Klufti, und zwar mit all seinen Ecken und Kanten, dann könnte man trotz offenen Ausgangs Spaß an diesem Krimi haben. Ich mag das bayerische Urgestein mitsamt dem deutlich spürbaren Lokalkolorit und freue mich auf das nächste Klufti-Erlebnis.

    Das Fräulein Sonntag und der Herr mit den Problemen


    Als Edgar einmal über sich und Antonia sinniert, bezeichnet er sie als das Fräulein Sonntag und sich selbst als den Herrn mit den Problemen. Wie wahr scheint diese Erkenntnis, die sich durch das ganze Buch zieht.


    "Eine Liebe, in Gedanken" von Kristine Bilkau handelt von Antonia und Edgar, zwei jungen Menschen, die sich in den 1960er Jahren, einer Zeit des Um- und Aufbruchs in Deutschland, kennen und lieben lernen. Antonia, eine selbstbewusste Frau, die weiß, was sie will, verliebt sich Hals über Kopf in Edgar, der eher unzufrieden und nachdenklich sein Dasein fristet. Als er die Chance seines Lebens in Hongkong sieht, beschließen die beiden, dort zusammen Fuß zu fassen. Doch es kommt anders als geplant. Edgar beendet noch vor Antonia's Nachzug nach China die Beziehung, scheinbar grundlos.

    Jahrzehnte später, nach Antonia's Tod begibt sich deren Tochter auf Spurensuche nach der vermeintlich einzig wahren und lebenslangen Liebe ihrer Mutter. Sie hat den Wunsch, den inzwischen über 70-jährigen Edgar zu treffen, um ihn nach dem Warum zu fragen.


    Durch permanente Szenenwechsel und eine außerordentlichen Schreib- und Erzählstil schafft es Kristine Bilkau, Gegenwart mit Vergangenheit zu kombinieren. den Zeitgeist perfekt einzufangen und ihren Protagonisten Gesichter zu geben. Besonders gelungen ist ihr in meinen Augen die Figur Antonia, die sie hervorragend porträtiert. Das Geschehen springt von Damals zu Heute und gestaltet sich bildreich und emotional. Am Ende stellt sich nicht nur Antonia's namenlose Tochter viele Fragen, auch der Leser hat die Hoffnung auf klare Antworten, die jedoch nicht vollkommen erfüllt wird.


    Insgesamt hat mir der Roman gut gefallen, obwohl sich das Geschehen für meinen Geschmack ein wenig hinzog, wartete ich doch sehnsüchtig auf die Begegnung und Aussprache zwischen Edgar und Antonia's Tochter und vor allem auf Erklärungen. Ich musste bis zum Schluss warten und blieb danach nicht restlos glücklich zurück.


    "Eine Liebe, in Gedanken" von Kristine Bilkau, ungewöhnlich und unkonventionell und gerade deshalb vielleicht lesenswert, auch wenn es schon eine Menge Bücher über Mütter-Töchter-Beziehungen und zeitlebens unerfüllte Liebesbeziehungen gibt. Mit einem Happy End und wesentlich mehr, als die Inhaltsangabe bereits verrät, sollte man allerdings nicht rechnen.

    Wer war Helena Demuth?


    Helena Demuth war die Geliebte von Karl Marx, dem deutschen Philosophen, Gesellschaftskritiker und Protagonisten der Arbeiterbewegung.


    Nach dem Tod des Vaters verlässt Helena, genannt Lenchen, im Alter von acht Jahren ihr ärmliches Elternhaus, um als Dienstmädchen in Trier ihre Mutter und Geschwister finanziell unterstützen zu können. Durch Zufall findet sie eine Anstellung in einer Adelsfamilie und freundet sich mit deren Tochter Jenny an, die später Karl Marx heiratet. Lenchen führt schließlich den Haushalt der Marxens, und nicht nur das: Sie wird zum Kindermädchen, Schuldnerberater und zur Geliebten.


    An Karl Marx, seinem Kommunistischen Manifest und seinem „Kapital“ kommt zweifelsohne keiner vorbei, doch wer weiß mehr über ihn und sein Privat- bzw. Liebesleben? Ich jedenfalls nicht. So war mir völlig neu, dass er eine Geliebte hatte, die scheinbar über sich selbst hinausgewachsen ist und den Marxen-Alltag mit all seinen Höhen und Tiefen nach ihrer Gabe gemanagt hat.


    „Revolution im Herzen“ von Claudia und Nadja Beinert gibt Einblicke in eine außergewöhnliche Familie des 19. Jahrhunderts, deren Oberhaupt Geschichte geschrieben hat.

    Der Roman liest sich einfach und gefällig, vermittelt den politischen und gesellschaftlichen Zeitgeist und vermag zu informieren und gleichzeitig zu unterhalten. Die Idee, historische und fiktive Personen in der Handlung miteinander zu verknüpfen, wird gekonnt umgesetzt. Die Figur des Lenchens, die in Ich-Form erzählt, halte ich für besonders gelungen, sie wirkt echt und überaus sympathisch.


    Auch wenn die eigentliche Liebesgeschichte zwischen Lenchen und Karl erst spät zum Thema wird und bis dahin nach meinem Geschmack ein paar Längen mit wenig Spannung zu überwinden sind, habe ich das Buch gerne gelesen und nebenbei Einiges über Leben und Werken des Karl Marx erfahren.

    Unser Leben ist ein Geschenk und die Konsequenz ist der Tod


    Maddy ist tot. Wie es scheint, hat sie Selbstmord begangen. Sie hinterlässt einen arbeitssüchtigen Mann und eine mitten in der Pubertät steckende Tochter, die sich von nun an mit der Frage nach dem Warum konfrontiert sehen.
    Aber Maddy, die perfekte Hausfrau und Mutter, hat Brady und Eve noch nicht ganz verlassen, sie befindet sich nämlich in einem Stadium zwischen Erde und dem Jenseits. Von dort beobachtet sie die beiden, versucht gedanklich Einfluss zu nehmen und das Leben ihrer Familie zu ordnen, indem sie unter anderem nach einem passenden Ersatz ihrer Person sucht.


    Abby Fabiaschi hat für meine Begriffe ein bewegendes Erstlingswerk geschrieben, das das Herz berührt, das traurig und zugleich zuversichtlich stimmt, und den Leser mit einem positiven Gefühl zurücklässt. Jedenfalls ist es mir so ergangen.
    Natürlich nehmen Trauer und Schmerz, Zweifel und Schuldgefühle einen großen Raum im Geschehen ein, doch darüber hinaus finden sich zwischen den Zeilen bemerkenswerte Weisheiten, nahezu philosophische Überlegungen und eine gehörige Portion schwarzer Humor.
    Die Handlung wird zu keinem Zeitpunkt langweilig, da verschiedene Erzählperspektiven zum Einsatz kommen. Auch wirkt sie weder kitschig noch aufgesetzt und bietet zum Schluss sogar eine wirkliche Überraschung.
    Sämtliche Figuren zeigen sich echt, machen einen sympathischen Eindruck und durchlaufen innerhalb des Geschehens eine beachtliche Entwicklung in sich und miteinander.


    „Für immer ist die längste Zeit“ hat mir gut gefallen, logisch aufgebaut sowie bildlich und emotional erzählt. Ich habe an den Schicksalen teilgenommen, mitgelitten und schlussendlich über vieles nachgedacht.
    Der Originaltitel lautet übrigens: „I Liked my Life“. Wäre es nicht schön, wenn jeder gegenwärtig von sich behaupten könnte, daß er sein Leben hier und jetzt mag?

    Ein guter Anfang und ein gutes Ende machen noch lange kein gutes Buch

    "Olga", das neue Werk von Bernhard Schlink, zeigt die Lebensgeschichte einer Frau auf, die sich über beinahe hundert Jahre erstreckt.
    Olga, das arme Mädchen, das am liebsten steht und schaut, und Herbert, der reiche Junge, der am liebsten rennt und sich nicht aufhalten lassen will, lernen sich Ende des 19. Jahrhunderts im Grenzgebiet zwischen Preußen und Polen kennen und lieben. Doch während Olga klare Vorstellungen von ihrem Leben hat, scheint Herbert rastlos und unstet. Er flieht vor sich und der Welt und unternimmt Reisen und Expeditionen mit Folgen - von einer kehrt er nicht mehr zurück. Olga, allein gelassen, verdient ihren Lebensunterhalt zunächst als Lehrerin, dann als Näherin, übersteht zwei Weltkriege, Flucht und Krankheit und gibt die Hoffnung nicht auf, ihr Geliebter kehre irgendwann zurück.


    Der Roman gliedert sich in drei Teile. Der erste Teil umfasst den Beginn der ungewöhnlichen Liebesbeziehung; im zweiten wechselt die Erzählperspektive zu Ferdinand, dem Sohn des Haushalts, in dem Olga später als Näherin arbeitet; der dritte enthält Briefe, die Olga an den verschollenen Herbert adressiert hat.


    Bernhard Schlink schreibt und beschreibt pragmatisch, ruhig und leise. Seine Sprache und die versteckten, fast philosophischen Botschaften zwischen den Zeilen machen Spaß am Lesen. Dennoch habe ich im Laufe der Erzählung, in der man als Leser von einem geschichtlichen Ereignis zum nächsten gehetzt wird, vor allem Tiefgang und Emotionalität vermisst, die eigentlich erst im letzten Drittel des Buches zu spüren sind. Besonders schwer habe ich mir mit dem mittleren Abschnitt getan, in dem der nach meinem Empfinden zu blasse Ferdinand versucht, seine Freundschaft zu Olga darzustellen und Olga's Leben im Nachhinein zu beleuchten, und dies auf in meinen Augen wenig fesselnde Art.
    Olga hat für mich als Hauptfigur erst am Ende Kontur und Gesicht bekommen, bis dahin ist sie mir unnahbar und fremd geblieben, ebenso wie Herbert, der mich überhaupt nicht mitnehmen konnte.


    Die Handlung wirkt durchdacht und schlüssig, bietet einige Überraschungen und klärt offene Fragen zuletzt. Auch der Aufbau der Geschichte ist nicht uninteressant. Doch insgesamt betrachtet konnte mich "Olga" von Bernhard Schlink nicht restlos begeistern, dafür waren mir der Gang durchs Jahrhundert zu oberflächlich und das Personal zu kalt. "Mehr" vom Anfang und Ende hätte mir besser gefallen.