Ich muss zugeben, dass es mir schwer fällt, dieses Buch adäquat zu bewerten. Eines vorweg: Schreiben konnte Roger Willemsen, das steht für mich außer Frage. Seine Sprache in "Die Enden der Welt" ist stark beschreibend, mit langen Aufzählungen und manchmal schon fast poetisch. In einigen der Geschichten gelingt es ihm sehr gut, diese Grenzsituationen an den verschiedensten Orten der Welt einzufangen. Zum Beispiel dann, wenn er von einer Frau spricht, die ihr ganzes Leben lang eine bestimmte Straßenkurve nicht umrundet hat. Da warte das Unglück, sagt sie. Und Willemsen, ganz der aufgeklärte Europäer glaubt, sie überreden, ja sogar überzeugen zu können. Am Ende ist er jedoch nur der dumme Tourist, als die Frau ihm sinngemäß klar macht: "Sie glauben doch nicht, dass ich nur auf einen Touristen wie Sie gewartet habe, um etwas zu tun, was ich mein Leben lang aus guten Gründen vermieden habe."
Oft schildert Roger Willemsen auch Situationen, über die man herzlich lachen muss, eben weil er den Finger gekonnt in die Wunde legt. Er trifft den Ton der verschiedenen Typen von Reisenden perfekt, manchmal fühlt man sich sogar selbst ein wenig ertappt. Er analysiert die leidenschaftlichen Souvenirkäufer, die Armutstouristen, die Kreuzfahrtsehepaare und noch viele mehr. Immer kritisch charakterisierend, aber nicht abwertend oder verletzend. So reist der Autor mit uns quer durch die Welt, von Kontinent zu Kontinent springend. Seinen Anfang macht er in seiner Heimat, der Eifel, zu der er am Ende auch nochmals einen Bogen schlagen wird.
Nun zum Negativen: Manche Geschichten sind einfach unheimlich dröge. Entweder sie strotzen nur so vor ellenlangen Beschreibungen eines bestimmten Details oder eines historischen Hintergrundes, während sich handlungstechnisch rein gar nichts tut. Oder sie münden am Ende in eine verworrene Liebesgeschichte oder Sexszene. Wie viel von diesen Dingen biografisch ist, das möchte ich gar nicht wissen, aber scheinbar flogen Herrn Willemsen auf der ganzen Welt die Herzen und die BHs gerade nur so zu. Und das sind dann auch die Momente, wo ich mich frage: was lese ich da?
Einen Reisebericht? Dazu bieten manche Geschichten einfach zu wenig Fakten oder Beschreibungen über den eigentlichen Ort. Eine Sammlung von Liebesgeschichten? Von Liebe ist hier nur selten die Rede, maximal von Sexualität und unterschiedlichen Lebensentwürfen. Am besten bedient ist wohl, wer dieses Buch als das akzeptiert, was es ist: eine ungeordnete Sammlung von Kurzgeschichten, die sich den "Enden" unserer Welt annähern, mal kurz und knapp, mal ausufernd. Mal poetisch, mal banal. Mal sachlich-historisch, mal emotional. Nicht jede Geschichte hat zu mir gesprochen, aber das muss sie ja auch gar nicht.
Fazit: Geschichten von wechselnder Qualität, die sich gut "immer mal wieder" lesen lassen