Beiträge von cabriofahrerin

    Unheilbarer Krebs - welch ein Martyrium!


    " Lieferservice" - Kapitel eins des Romans "Glückliche Ehe"
    Die Betitelung passt perfekt zum anschließenden Inhalt. In flapsigem Schreibstil stellt uns der Autor Rafael Yglesias die beiden Freunde Bernhard Weinstein, 25 Jahre, und Enrique Sabas, 21 Jahre, vor. Sie sitzen zusammen in einer Kaffeebar. Bernhard schwärmt von Margaret Cohen, einem hübschen Mädchen mit außergewöhnlichen Qualitäten. Enrique traut Bernhard nicht so recht; er hält die Existenz Margarets für Fiktion. Doch ein Treffen wird arrangiert: "auf seine Bestellung erscheint die Traumfrau, von der er gar nicht gewusst hatte, dass er von ihr träumt". Locker-leicht liest sich der Text.
    "Ahnung" ist - nach dem federleichten ersten Kapitel - ein düsteres und ernsthafteres. Margret und Enrique sind nun 27 Jahre glücklich verheiratet. Sie haben zwei Jungs, Gregory und Max (16 Jahre alt). Die Familie gehört zur oberen Mittelklasse New Yorks und kann ihr Leben sorglos genießen.
    Doch drei Jahre zuvor hat das Schicksal in aller Härte zugeschlagen: Bei Margaret wurde Blasenkrebs diagnostiziert. Seit einem halben Jahr kann sie keine Nahrung mehr aufnehmen. Alle medizinischen Maßnahmen und technischen Möglichkeiten sind erschöpft. Nichts kann mehr helfen.
    Rafael Yglesias beschreibt den Krankheitsverlauf in aller Härte und brutaler Offenheit. Wir sehen Margaret nackt und abgemagert vor uns; ihr Körper ist durchlöchert von den Versorgungsschläuchen. Wir lesen von den vielen Operationen, dem persönlichen Einsatz Enriques, der nahezu rund um die Uhr bei seiner Frau ist. Er hat sie zeitweise gepflegt; nun kann er sie nur noch "in den Armen halten, ermutigen, trösten, aufheitern und lieben". Dabei empfindet er Furcht wie noch nie zuvor.
    Die zeitlebens aktive Margaret nimmt ihre Erkrankung anfangs an. Sie kämpft mit all ihrer Kraft dagegen an. Als alles aussichtslos erscheint, fordert sie Operationen, die die Ärzte kaum noch für sinnvoll erachten. Aber nun am Ende kann sie nicht mehr. Sie bittet ihren Mann: "Ich will sterben. Du musst mir dabei helfen."
    In den "Erinnerungen" setzt sich inhaltlich das vorsichtige Kennenlernen der Beiden bis zur ersten Verabredung fort. So alternieren die weiteren Kapitel: Fokussierung auf den weiteren Leidensweg Margarets im Wechsel mit der weiteren Entwicklung der Beziehung. Diese thematischen Kapitel fand ich zwar teilweise langatmig, aber sie sind wohl als bewusst eingesetztes Stilmittel des Autors zu verstehen: Der Leser kann Luft holen, er kann das Gelesene verarbeiten, Kraft tanken und wieder zu Margaret zurückkehren.
    Das Buch kann man nicht so leicht abschütteln. Es fordert Aufmerksamkeit und Respekt. Da der Tod unausweichlich ist, wird das Lesen für manchen zu einer seelischen Belastungsprobe werden. Ein mutiges Buch.

    Da birst das Moor, ein Seufzer geht hervor aus der tiefen Höhle ...


    Ruth Galloway, 40 Jahre alt, unverheiratet, ist Archäologie-Dozentin an der University of North Norfolk, Spezialgebiet Forensik. Zusammen mit zwei Katzen bewohnt sie eines von drei kleinen Häusern am Rand des Salzmoors. Sie fühlt sich wohl, ja geradezu hingezogen zu dieser unerbittlichen, trostlosen Landschaft.
    Zwei kleine Mädchen, Lucy Downey und Scarlet Henderson, sind innerhalb von zehn Jahren verschwunden. Detective Chief Inspector Harry Nelson arbeitet mit vollem Einsatz an den Fällen. Als er dann noch zwölf rätselhafte anonyme Briefe erhält, wendet er sich an Ruth. Kann sie vielleicht einige Teile deuten (wir erfahren in diesem Zusammenhang viel über nordische Mythologie) und Hinweise zu den verschwundenen Kindern finden?
    Detective Nelson und Ruth fahren ins Salzmoor zum Ort des Knochenfundes - dabei handelt es sich um einen "schmalen Arm mit einem Taufarmband". Sind das die Reste eines Säuglings? Ist es eine Moorleiche, oder sind es die Überreste der vermissten Lucy? Der Horror ... Was mag noch alles zum Vorschein kommen?
    Die Autorin beobachtet Handlungsorte und Personen mit scharfem Auge. Ruths einsames Haus, ihren Arbeitsplatz an der Uni, ihre Beziehung zu Eltern und Kollegen kann sich der Leser gut vorstellen. Die Novemberstimmung im Moor ( "ein gottverlassenes, unwirtliches Sumpfland") und die ihm eigene typische Flora und Fauna fängt die Autorin mit ihrer einfühlsamen Beschreibung sehr gut ein und spricht dabei alle unsere Sinne an: Wir spüren förmlich die Nässe, das Undurchsichtige, und die leise wahrgenommenen Geräusche klingen wie verstärkt. Unser Schaudern, Frösteln und Gruseln erreicht seinen Höhepunkt, wenn wir erfahren, dass sich an dieser Stelle ein henge befindet - ein steinzeitlicher kreisförmiger Erdwall, der als Kultstätte für Gaben und Opferhandlungen schon in der Eisenzeit diente. Eine perfekte Kulisse für einen spannenden forensischen Thriller.

    Was geschah wirklich am 26.9.1980?


    2009: Der jetzige Präsident des BKA wendet sich an den ehemaligen Zielfahnder Georg Dengler, der nach 10-jähriger Tätigkeit seinen Dienst frustriert verlassen hat. Dengler soll die Akten zum größten Attentat in der Geschichte der BRD, den Bombenanschlag vom 26. 9. 1980 auf dem Münchner Oktoberfest, noch einmal untersuchen. Er erhält Einsicht in alle Akten, und mit Hilfe seines Freundes, des Journalisten Leopold Harder, kann er auch in Zeitungsartikeln aus dem Jahr 1980 recherchieren. Doch je mehr Informationen er sammelt, desto undurchdringlicher werden die Geschehnisse. Dengler fragt sich, warum man ausgerechnet ihm den Fall anvertraut hat, und warum ausgerechnet jetzt? Der Fall war doch eigentlich schon abgeschlossen und in der Versenkung verschwunden.
    Wie brisant das Attentat ist, wird Dengler immer bewusster. Was geschah da 1980 auf den nationalen und internationalen Ebenen der Politik? Konnte der Anschlag etwa für manchen Politiker oder manche Partei Gewinn bringend sein?
    Hinter Denglers Rücken laufen unfassbare Aktionen, von denen er selbst nichts ahnt - hier sind wir als Leser im Vorteil.
    Der Verfassungsschutz bildet ein Arbeitsteam.
    Gleichzeitig fühlt sich die parlamentarische Staatssekretärin Charlotte von Schmolke - dank ihres bedeutungsschweren Namens konnte sie die Karriereleiter nur herauffallen - unter Druck. Die Wahlen stehen vor der Tür. Öffentlichkeitsheischend, gleichzeitig total frustriert von ihrer Arbeit (denn man hat sie wie eine "Puppe" benutzt und ihr alles vorgekaut) muss und will sie etwas ändern ...
    Das Buch ist in vielen kurzen Textsequenzen strukturiert. Orte und Personen ändern sich; dennoch verliert der Leser nie den Handlungsfaden, weil der Autor mit seinem klaren, direkten, nüchternen Schreibstil immer wieder Anknüpfungspunkte bietet. Der journalistisch berichtende Handlungsverlauf, der zeitnahe Geschehnisse wie Weltwirtschaftskrise, die Wahl Barack Obamas, ja sogar die Schweinegrippe mit einbezieht, bewirkt, dass der Leser immer mittendrin ist. Was Wolfgang Schorlau schreibt, ist präzise dokumentiert: Das kann alles nur wahr sein (also: Fiktion vom Feinsten).
    Und es ist unfassbar. Denn internationale Machenschaften, die gegenseitige Infiltration von Politik, Geheimdienst und globaler Wirtschaft haben nur das eine Ziel: Jeder will seine eigenen Interessen durchsetzen, und dazu ist jedem jedes Mittel recht.
    Ein beeindruckender POLIT-THRILLER: Absolut lesenswert, spannungsgeladen von der ersten bis zur letzten Zeile. TOP!

    Lebkuchen zur Adventszeit


    Nürnberg 1387: Agnes und Benedicta leben unfreiwillig im Kloster Engelthal, dem der Ruf voran eilt, ein Ort der wahrhaftigen Engel zu sein. Gebete, Gebote, Verbote, Demut und Unterwerfung werden von den Nonnen verlangt. Beide sehnen sich nach der Welt außerhalb der Klostermauern.
    Julian, der Neffe der Priorin, begegnet bei seinen häufigen Besuchen im Kloster Benedicta, und beide empfinden sofort gegenseitige Zuneigung. Nun ist es um Benedicta geschehen. Sie will raus aus diesem Gefängnis. Doch sie ist Nonne, sie hat einen heiligen Eid geschworen ...
    Alljährlich zur Fastenzeit backt das Nürnberger Predigerkloster Pfefferkuchen. Da aber das gesamte Küchenpersonal erkrankt ist, soll nun das Kloster Engelthal einspringen.
    Hier kommt die große Chance für Benedicta und Agnes: Sie kennen ein Lebkuchenrezept. Damit gewinnen sie allgemeine Anerkennung.
    Julian und Benedicta gestehen ihre Liebe der Priorin. Sie hilft ihnen zu einem neuen Leben außerhalb der Klostermauern. Doch leicht ist das Leben wahrhaftig nicht. Viele unerwartete Ereignisse brechen über Benedicta und Agnes herein ...
    Für den Leser entwickelt sich das alles fesselnd und unterhaltsam zugleich.
    Die Erzählweise ist locker, klar und leicht verständlich. Manche Passagen sind amüsant und humorvoll. Worte aus dem Mittelalter, z. B. "Zelter" für "Pferd", vermitteln dem Leser den Zeitgeist. Der Handlungsverlauf fließt schnell. Immer neue, z. T. völlig unerwartete Handlungsperspektiven spulen sich ab. Langatmige detaillierte Ortsbeschreibungen fehlen völlig. Die vielen Dialoge - manche sind spitz und schnippisch - treiben das Geschehen vorwärts. Man will dran bleiben. Zusätzlich hat die Autorin Sybille Schrödter manchen Personen einen Schleier unausgesprochener Geheimnisse übergeworfen. Die Neugierde ist geweckt.
    "Die Lebküchnerin" ist ein ansprechender, netter, unterhaltsamer Roman - ganz passend zur Vorweihnachtszeit.

    Zu wenig Spannung - zu viel Philosophie

    Ägypten zur Zeit Thutmosis III.:
    Der vierjährige Huy, Sohn einfacher Bauern, darf die Tempelschule in Iunu besuchen, um Schreiben und Lesen zu lernen. Sein reicher Onkel Ker übernimmt großzügig die Kosten.
    Über sein anfängliches Heimweh kommt er schnell hinweg, da er Thutmosis, Sohn des Fürsten Nacht als vertrauensvollen guten Freund kennenlernt. Zu Fest- und Feiertagen wird er in der Adelsfamilie mit Mutter und zwei Töchtern wie ein Sohn des Hauses gastfreundlich aufgenommen.
    Huy ist ein intelligenter Bursche mit guter Auffassungsgabe. Er wird sowohl von den Priestern als auch von den Mitschülern geschätzt. Bis auf einen: Senefer, ebenfalls Sohn eines Adelgeschlechts. Er ist neidisch auf Huy und mobbt ihn, wann immer er eine Gelegenheit dazu findet. Einmal provoziert er Huy dermaßen - er schimpft ihn einen Sumpfbewohner -, dass es zu einem handfesten Streit kommt und Senefer Huy tödlich verletzt.
    Huy wird in seine Heimatstadt ins Haus der Toten gebracht. Als die Priester den Leichnam untersuchen und für die Bestattung vorbereiten wollen, erwacht Huy zu neuem Leben. Während seiner Zeit des "Komas" hat er eine Wandlung "durchlebt". Er ist der "Auserwählte" der Götter, die ihm Gaben mitgegeben haben, die ihn zu Höherem befähigen.
    Seine Familie, die eher glaubt, er sei von Dämonen besessen, distanziert sich von ihm. Huy kehrt sehr bald in die Tempelschule zurück und darf nun, als Auserwählter, die bedeutenden fünf Bücher Thots studieren.
    Bis zu diesem Ereignis hat mir das Buch sehr gefallen. Die Handlung war fesselnd, die Stimmung von Alltagssituationen atmosphärisch dicht beschrieben. Der Speiseplan lockte zum Probieren.
    Und das außergewöhnliche Ereignis - die Auferstehung Huys von den Toten zurück zu den Lebenden - ist glaubhaft und überzeugend dargestellt: kein fauler Zauber oder Mystik.
    Doch dann folgen ewig lange Seiten philosophischer Gedankengänge. Ein sehr komplexer Text, den ich trotz wiederholten Lesens kaum verstanden habe. Selbst Huy sagt, dass er "keinen Schimmer von Verstehen" hat und ein "wirres Durcheinander in seinem Geist" herrscht.
    Schade, ich bin leider mit einer anderen Erwartungshaltung an dieses Buch heran gegangen und wurde letztlich enttäuscht ...

    Krimi voller Esprit und Bonmots


    Thomas Raab erhielt 2008 für sein erstes Buch "Der Metzger muss nachsitzen" den Glauser-Preis in der Sparte "Debüt". Außerdem wurde er für den LITERAturpreis für Belletristik 2008 nominiert.
    Mit seinem dritten Buch "Der Metzger geht fremd" beweist Thomas Raab erneut sein Können.
    Im landschaftlich unberührten Schwabenländle lässt es sich Danjela Djurkovic im Kurhotel Sonnenhof gut gehen. Als ihr Lebensabschnittsgefährte, der Restaurator Willibald Adrian Metzger, einen Anruf von ihr erhält, in dem sie ihm von einer nackten Leiche im Schwimmbad berichtet, macht er sich sofort auf den Weg. Da nicht im Besitz eines Führerscheins, ist er auf Busse und Bahnen angewiesen. Für die nächsten Tage wird die Pension Regina seine Unterkunft; diese liegt leider fünf Kilometer vom Kurbad entfernt. Immerhin: Um seine Geliebte Danjela zu besuchen, darf er das Fahrrad des Hausherrn benutzen. So rast Metzger alsbald unter Lebensgefahr bergab (denn es ist ein Rad mit 21 Gängen ohne Rücktrittbremse, und er selbst ist wohlbeleibt ...). Zunächst hält er sich, "den Körper in Abfahrtsposition", doch schließlich landet er "im flüchtigen Handstand" in einem Heuhaufen.
    Derweil lädt Prof. Dr. Winfried Berthold alle Gäste und Angestellte des Sanatoriums in den Speisesaal. In einer nie gekannten Art weist er seine disziplinlosen Patienten zurecht: Er besteht auf Einhaltung der Hausordnung. Nur bei strikter, pünktlicher Anwendung der Therapien könnten sie gesund und erholt nach Hause kommen. Und nicht tot, wie leider Herr August David Friedmann ...
    In diesem Kurbad erlebt man mehr Freud denn Leid. Hier treibt's jede mit jedem; sogar der Professor ist kein "Kostverächter", sondern ein "Lustmolch". Der Eindruck, eher in einem "Swingerclub" als in einem Kurhaus zu sein, verdichtet sich bei Adrian Metzger schnell, und deshalb würde er seine Geliebte gern mit nach Hause nehmen. Sie aber möchte lieber dreist herumschnüffeln, um Beweise für ihre Mord- und Totschlagtheorien zu finden. Nach einer abenteuerlichen Kletterpartie über die benachbarten Balkone dringt sie in das Zimmer des Toten August David Friedmann ein und findet unter dem Bett einige fragwürdige Gegenstände ...
    Ein paar Leichen, abgeschnittene Finger, Eheringe, die man nicht sogleich zuordnen kann, undurchschaubare Verhältnisse in der Familie Friedmann - all dies gibt dem Roman einen kriminalistischen Touch. Zwei Nebenschauplätze, die auch optisch (drucktechnisch) abgetrennt sind, bleiben dagegen inhaltlich lange unklar. So ist dieses Buch kein spannender Krimi, der nur so voll abstruser Gewaltszenen strotzt, sondern er brilliert mit anderen Qualitäten:
    Es ist das artistische Spiel des Autors, mit Worten und Sätzen zu jonglieren. Er bringt nahezu auf jeder Seite den Leser zum Lachen. Das schafft kaum ein Komödiant während seiner Abendveranstaltung. Ob es sich um die Beschreibung der Landschaft, des Frühstückbuffets, des zickigen Verhaltens der Damen handelt - nahezu alles ist ein wenig komisch beschrieben, ohne dabei lächerlich zu wirken. Verdrehte Redewendungen oder Vergleiche sind nicht zu toppen.
    Diesen Roman sollte man wie ein Dessert genießen: langsam lesen und jedes Wort auf der Zunge schmelzen lassen. Viel Vergnügen!

    Wo blühen die Zitronen??


    Als Italienfan habe ich mich sehr auf den Krimi von Massimo Carlotto und Marco Videtta gefreut.
    Den Inhalt des ersten Drittels empfand ich als atmosphärisch und inhaltlich überfüllt mit typischen Italien-Klischees: Zwei priviligierte Familien, die des Avvocato Antonio Visentin und die der Contessa Selvaggia Calchi Renier werden vorgestellt. Sie nutzen ihre Stellung aus, um für sich Gewinn und Vorteile zu erzielen. Ihre beiden Söhne lieben Giovanna Barovier. Filippo, der Sohn der Contessa, hatte eine Affäre mit Giovanna, und er liebt sie immer noch. Sie verlobt sich aber mit Francesco, Sohn des Avvocato. Am Vorabend ihrer Hochzeit mit Francesco wird sie ermordet.
    Im Dorf und in den Familien liegt vieles im Argen, und so läuft die Suche nach Giovannas Mörder in alle Richtungen: Kriminalität im Drogen- und Prostituiertenmilieu, ein von Giovanna aufgedeckter Giftmüllskandal (die Camorra ist mit im Geschäft), Korruption, Ausländerfeindlichkeit, Globalisierung (die Chinesen kommen, Unternehmen sollen nach Rumänien ausgelagert werden) - all dies und noch mehr packen die Autoren in ihr Buch. Wäre weniger mehr gewesen?
    Als völlig überraschend eine vermisste Person wieder auftaucht, bekommt der Roman Schwung, und neue Themen, die zur Aufklärung des Mordfalls dienen können, geraten ins Blickfeld.
    Das Autorenduo hat mit seinem Buch ein schäbiges, schmutziges Bild von Italien gezeichnet. Nirgendwo darin habe ich meine eigenen vielfach erlebten Eindrücke eines nicht ganz so hoffnungslos verkommenen Landes finden können.
    Insgesamt ist dieses Buch durchaus lesenswert, aber meiner Meinung nach ist es eher ein gesellschaftskritischer Roman denn ein Krimi. Jedenfalls sollten Krimi-Fans ihre Erwartungen an einen fesselnden, spannungsgeladenen Krimi nicht zu hoch stecken.

    "Stories" - Geschichten, die das Leben schreibt


    Ferdinand von Schirach hat ein Buch mit elf Geschichten veröffentlicht, die er selbst erlebt hat - als Verteidiger in Strafprozessen. Gebunden an seine Schweigepflicht, wird er die Ereignisse verändert haben, um den Schutz der realen Personen zu wahren. Als Verteidiger ist er parteiisch und steht auf der Seite seines Mandanten. Als Erzähler ist er frei.
    Von Schirach hat mit seiner Auswahl für den Leser ein Kaleidoskop unterschiedlichster Straffälle ausgewählt. Wir lesen von einer Ehe mit tödlichem Ende, von dem Diebstahl einer wertvollen Teeschale, einem Kannibalen, Kriminalität im Drogen- und Prostituiertenmilieu und anderen Taten.
    Gemeinsamkeiten aller dargestellten Fälle sind ihre absolut unerwarteten Verläufe, die psychischen Veränderungen der handelnden Personen und eine unbeschreibliche Brutalität.
    Manche Fälle verlaufen "im Sande". So entlastet ein Mann seinen angeklagten kriminellen Mitbruder durch eine geschickte Zeugenaussage. Ein anderer Mann mit eindeutigem Hang zum Kannibalismus entzieht von Schirach sein Mandat.
    Während man die meisten Geschichten mit Distanz lesen kann, sind andere dabei, denen man sich gefühlsmäßig nicht entziehen kann. Das Leid ist manchmal so stark, dass man es selbst spüren kann.
    Wir erleben die nach außen hin intakte Ehe eines anerkannten Mediziners, der nach 48 Jahren physischer und psychischer Demütigung seinen Lebenszustand nicht mehr aushält und seine "geliebte" Ingrid umbringt. Da von Schirach gemächlich und präsise beschreibt, wie es zu der Tat kommen konnte, wird sie zu einer zwingenden, nicht mehr abwendbaren Konsequenz. Auch diese überzeugende Erzählweise ist allen beschriebenen Fällen zu eigen.
    Furchtbar zu lesen ist, wie zwei Kinder in einer mutterlosen Familie aufwachsen: Ein liebloser, strenger Vater verlangt von ihnen bedingungslose Disziplin und Verzicht. Obwohl Vermögen vorhanden ist, müssen die Kinder sich ihr Taschengeld erarbeiten, z. B. indem sie Löwenzahn ausstechen.
    An manchen Stellen klärt von Schirach den Leser sehr kurz, aber ausreichend informativ über das deutsche Rechtssystem, insbesondere den Prozessverlauf auf.
    Auch die immer wieder diskutierte Frage nach dem Sinn von "Strafe" spricht er an und erörtert das rechtsphilosophische Problem (vgl. S. 17).
    Das Buch liest sich sehr schnell. Von Schirachs Sprachstil ist klar; seine Sätze sind meist kurz und einfach.
    Sicher lesen wir tagtäglich von neuen kriminellen Geschehnissen, aber so stark, wie von Schirach seine Erzählungen aufbereitet hat, indem er uns ins Innerste der Handelnden schauen lässt, bleibt Nachdenkenswertes hängen. Sind wir parteiisch geworden? Stehen wir mehr auf der Seite des Kriminellen als auf der der Opfer?
    Bilden Sie sich selbst ein Urteil, indem Sie dieses Buch lesen.

    Balsam für die Seele


    François Lelord, der zunächst als praktizierender Psychologe arbeitete, bevor er die Schriftstellerei begann, hat schon mehrere internationale Bestseller verfasst (deren Inhalte aber nicht aufeinander aufbauen). Seine Lebensweisheiten, seine Anleitung zum Glück und zu einem erfüllten Leben möchte er in seinen Büchern auf amüsante, unterhaltsame Weise weitergeben. So entstand die Idee zu seinem Protagonisten Petit Hector und seinen Erlebnissen. Nun bringt er sein neues Buch "Hector & Hector und die Geheimnisse des Lebens" heraus.
    Petit Hector, ein Einzelkind, lebt wohlbehütet mit Maman Clara und Vater Hector zusammen. Sie sind die "BestenElternderWelt". Papa ist Psychiater, Maman arbeitet als Schriftstellerin. Sie gehören zur Upper class.
    Petit Hector ist ein Kind wie aus dem Bilderbuch: sensibel, angepasst, einsichtig und klug.
    In dieser Familie spricht man viel miteinander. Dabei ist alles auf den kleinen Jungen zentriert, der seinen Alltag sehr bewusst erlebt und seine Beobachtungen den Eltern mitteilt. Zu allen Unbilden des Lebens finden sie Hilfen, und sie vermitteln ihrem Kind reichlich Lebensweisheiten. Am Ende jedes Kapitels fasst Petit Hector sie (kursiv gedruckt) zusammen.
    Besonders nett ist der Waldspazierung von Vater und Sohn. Letzterer eröffnet seine für ihn schweren Sorgen und kommentiert drastisch: "Mir reicht das mit den Sorgen."
    Phantasievoll beschrieben wird auch, wie Maman und Petit Hector den Zoo besuchen. Dort entdecken sie, dass die Lebensweisheit, dass man immer die guten Seiten des Lebens zu sehen versuchen solle, auch für Löwen gelten kann. Das ist eine amüsante, ungewöhnliche - und überzeugende Beobachtung.
    Die Beschreibungen der kindlichen Erlebnisse - Zoobesuch, Schummeln in der Schule, Fußballspiel mit Freunden und Amandine, das einzige Mädchen, das Petit Hector interessiert - erinnern mich sehr an die liebenswerten Bestseller von René Goscinny mit Illustrationen von J. J. Sempé aus den Sechziger Jahren: Le petit Nicolas (Der kleine Nick).
    Diese Bücher werden von Groß und Klein gelesen, und wenn man sich in sie verliebt hat, kann man sich nicht mehr davon lösen. Man will sie nicht nur lesen, sondern auch besitzen. So erhalten sie einen besonderen Platz im Bücherregal.

    Ohne Geld läuft gar nichts!

    Unter Führung des Protagonisten Parker überfällt eine kleine Gruppe Gangster einen Geldtransport in Massachusetts. Da die Polizei schnell vor Ort ist, müssen sie den größten Teil ihrer Beute verstecken und fliehen. Presse und Fernsehen berichten ausführlich von diesem Aufsehen erregenden Verbrechen.
    Dann trennen sich die Wege der Männer - aber alle wollen sie nur möglichst rasch das Geld holen.
    McWhitney arbeitet wieder in seiner Bar.
    Nick Delesia wird von der Polizei verhaftet, als er mit einem "schmutzigen" Schein bezahlt (denn die Seriennummern aller Scheine waren registriert). Nachdem er einen Marshall erschießt, kann er aus dem Gefängnis entfliehen.
    Parker plant mit seiner Freundin Claire, getarnt als Ehepaar Willis, einen Kurzurlaub in der Nähe des Tatortes. Hier möchte er die Situation auskundschaften.
    Aber nicht nur die Gangster zieht es an den Tatort:
    Die Polizei startet einen Großeinsatz und kontrolliert mit Straßensperren die Bevölkerung.
    Auch Sandra Lozcalzo, eine Kopfgeldjägerin, ist zur Stelle. Sie gibt aber keineswegs der Polizei Hinweise, sondern verspricht sich größeren Profit, wenn sie sich an Parker hängt.
    Zeitweise wird die urige Frühstückspension Bosky Rounds zum turbulenten Hauptschauplatz, denn bei der geschwätzigen Mrs. Bartlett findet sich der harte Kern der Akteure ein. Hier laufen Polizisten, Sandra Lozcalzo, das Ehepaar Willis und andere einander über den Weg, ohne sich zu begegnen - geschweige denn zu erkennen.
    Dieser Krimi ist ein Lesegenuss. Er kommt ohne Blut und Folter aus. Das Plot-Konzept - Überfall auf einen Geldtransport - ist zwar nicht gerade neu, sondern schon oft literarisch und filmisch variiert worden. Aber Richard Stark gestaltet es auf originelle, den Leser fesselnde Weise. Im Vordergrund seines Erzählens stehen die Charaktere der Gangster: Keiner traut dem anderen, jeder möchte alleine "Kasse machen" - und dennoch kommen sie wieder zusammen. Dabei scharen sie immer mehr Personen um sich, die ihnen bei ihrem Coup helfen sollen. Sie schmieden Pläne - aber irgendwie kommt es immer anders als vorhergesehen. Und: Ohne Geld läuft gar nichts ... Das ist alles sehr reizvoll zu lesen.
    Bei manchen Textpassagen hat man den Eindruck, dem Autor (und dem Übersetzer) sitze der Schalk im Nacken. So wird Mrs. Bartlett von ihren Gästen im Stillen liebevoll "Mrs. Apfelkuchen" und ihre Pension "Quartier für Hänsel und Gretel" genannt. "Laubgucker" heißen die Touristen ... und es gibt noch viele weitere solch witzige Einfälle zu beschmunzeln.

    Lovestory - ein Jo-Jo-Spiel

    Die 48-jährige Rina zieht mit ihrer Tochter Noa, dem Hund und der Katze in eine kleine Wohnung mit Balkon in einen Stadtteil Haifas. Ihr älterer Sohn Michael führt ein eigenständiges Leben. Ihr Lebensabschnittsgefährte, Jakob, steht ihr immer treu, geduldig und hilfreich zur Seite.
    Rina ist keine Emanze - im Gegenteil: ihre eigene Psyche ist labil, ihr Psychologe hält sie für zartbesaitet. Ihre Intuition, ihr humorvoller Kontakt zum Gott, den sie wie eine lebendige Person erlebt, die Botschaften ihrer toten Schwester Seffi und die Deutungen des Kaffeesatzes ihrer "Privathexe" Masal helfen ihr bei wichtigen Entscheidungen. Diese Art Lebenshilfe gefällt mir sehr gut und zeichnet Rinas Charakter weich und liebenswert.
    An einem Freitagmorgen zwingen starke Schmerzen im Oberkörper Rina zu einer ärztlichen Untersuchung. Die Diagnose ist furchtbar: ein schwer zu operierender Tumor.
    Nach ausgiebiger Recherche lässt sie sich von Dr. Eres Green operieren. Wie eine Prinzessin fordert Rina ein Krankenzimmer für sich alleine; die Schwestern sind ihr zu ruppig und nervig - ja, sie stören sie sogar bei ihrer wohlverdienten Ruhe. Jedes Wehwechen muss von ihrem Operateur begutachtet und behandelt werden.
    Und so verliebt sie sich wie eine pubertierende 14-Jährige in ihren Arzt. Sie schickt ihm ein kindisches Gedicht, und schon wird ihre Liebe von Eres erwidert.
    Aus dem Krankenhaus entlassen, vertieft sich die Liebe des Paares. Der treue Jakob verlässt Rina. Eres erklärt ihr seine Liebe, und nun wartet sie nur darauf, dass er seine Frau Klara und Tochter Avi verlässt, um sie zu heiraten. '
    Rina verhält sich wie ein Dummchen. Wieder und wieder ist sie sauer auf Eres, weil er die Trennung von seiner Familie nicht konsequent durchzieht. Aber mit kleinen Schmeicheleien lässt sie sich dann doch wieder einlullen.
    Mir hat das Buch zu Anfang sehr gefallen, aber die öde, langweilige, kitschige und schmalzige Beschreibung der Paarbeziehung hat mich nicht überzeugt. Das Verhalten Rinas zu ihrer Umwelt, insbesondere ihre oberflächliche Schwärmerei für Eres, passt nicht zu den anfangs beschriebenen positiven Eindrücken. Für mich ist das Buch ein Flop.