Noch kurz zur Innigkeit zwischen Miles und Rupert: Mich hat sie anfangs auch verwundert. Nicht, weil ich eine amouröse Entwicklung vermutet habe, sondern doch eher, weil sich bis hierhin an mehreren Andeutungen und Kleinigkeiten gezeigt hat, dass die Freundschaft der beiden noch gar nicht so eng ist. Ich hätte die aneinander gerückten Betten, das Zurückstreichen der Haarlocke und andere zärtliche Gesten eher bei Freunden erwartet, die sich schon ewig und in- und auswendig kennen, Freunde, die einander alles erzählen. Das ist hier ja aber gerade nicht so, und das macht es für mich so ungewöhnlich. Fast, als wäre die Reihenfolge verdreht.
Auf der anderen Seite ist es trotz der Geheimniskrämerei, die ich Miles noch immer etwas krumm nehme, auch offensichtlich, dass er Rupert ein recht großes Vertrauen entgegenbringt. Denn man nimmt sicher nicht einen eher flüchtigen Bekannten mit auf eine Art Flucht. Dann würde man wohl eher alleine reisen. Miles Motive sind dennoch immer noch etwas unklar. Dass er Rupert eine nicht geringe Zuneigung entgegenbringt, ist offensichtlich - er ruft die Rettungsaktion für Thierrys Restaurant ins Leben, um damit explizit Rupert einen Gefallen zu tun - und dennoch bleibt er verschlossen, was seine eigene Person angeht.
Rupert wiederum - ich mag ihn irgendwie, aber hach, ich möchte ihn immer noch manchmal schütteln, weil er sich selbst so klein macht. Interessanterweise habe ich das beim ersten Lesen vor ein paar Jahren nicht so deutlich empfunden, aber ich habe mich selbst in dieser Zeit verändert, vielleicht liegt es daran. Rupert macht sich selbst das Leben so schwer, und das, obwohl doch niemand mit Abneigung auf ihn reagiert. Ich stelle mir sein Elternhaus sehr dominant vor. Das rückt vielleicht auch die Aktion mit dem Brief noch mal in ein anderes Licht ... Rupert fühlt sich irgendwie verpflichtet, seine Abwesenheit zu erklären, aber er scheut das persönliche Gespräch. Stattdessen tischt er seinen Eltern per Brief wirklich gemeine Räuberpistole auf - warum sollte er so etwas in einer liebevollen Eltern-Kind-Beziehung tun?
Nun zum 7. Kapitel:
Gisele kommt mir bisher weder ausgesprochen unsympathisch vor noch zu klischeebeladen. Im Gegenteil: Als erste Figur im Roman bringt sie Miles Abneigung entgegen und zeigt das auch, dafür bekommt sie von mir immerhin ein paar Pluspunkte. Nicht, weil ich Miles nicht leiden könnte, sondern einfach weil mir suspekt ist, dass wirklich jeder ihn zu mögen scheint. Giseles Abneigung macht Miles für mich menschlicher. Rupert genießt ihre Aufmerksamkeit, auch wenn er das Julien gegenüber leugnet. Auf den Grund für ihre Aufmerksamkeit bin ich gespannt, Miles äußert ja einen konkreten Verdacht.
Und damit komme ich zum Kern des Kapitels, das auch für den ganzen Roman wichtig ist, denke ich: der Ausflug zu Ruperts Geburtstag (den dieser selbst erst mal ganz vergessen hatte). Miles hat sich sehr viel Mühe gegeben und er geht nun deutlich auf Rupert zu und offenbart ihm einiges aus seiner Gefühlswelt, wie er für den Freund empfindet und dass er eifersüchtig ist auf Gisele. Während ich seine Worte fast schon gerührt gelesen habe, lösen sie in Rupert jedoch zunächst Panik aus. Hier kommt ihm zum ersten Mal die Vermutung, der Freund könne mehr als nur freundschaftliche Gefühle für ihn hegen, und diese Vorstellung überfordert ihn derart, dass er spontan fliehen möchte. Auch Miles zeigt sich erschüttert ob der heftigen Reaktion des Freundes, mit der ich in dieser Intensität auch nicht gerechnet hatte. Auch wenn Rupert durchaus zu Hysterie neigt, war ich an dieser Stelle überrascht. Und ich bin umso gespannter, wie sich das Verhältnis der beiden weiter entwickeln wird und welche Rolle Gisele noch zukommt.