Beiträge von kleine_hexe

    Nette Liebesgeschichte

    Lucy Score schreibt ganz nette und entspannende Liebesgeschichten für uns, Mädels. Das Buch beginnt mit einem traurigen Ereignis, der Beerdigung von Sloanes Vater. Diese Zeremonie gibt Lucy Score die Gelegenheit uns die Protagonisten des Buches vorzustellen. Guter Trick. So müssen wir nicht lange in Erinnerungen kramen aus dem ersten Buch von Lucy Score in dieser Reihe. Außerdem sind die damaligen Protagonisten in diesem Buch nur Nebendarsteller.. Hier fokussieren wir uns auf Sloane und Lucian und ihren Werdegang von Jugendfreunden zu Feinden zu einem Liebespaar und Ehepaar. Das Happy End ist vorhersehbar und unausweichlich, aber der Werdegang, die Verwicklungen, die Bösen und die Guten die dazu beigetragen haben, von Sloanes Vater als positive Gestalt zu Lucians VAter, Alkoholiker und Schlägertyp, korrupten Richtern und guten und bösen Polizisten, all dies macht die Geschichte lesenswert. Die Story liest sich interessant und spannend. Die Liebesszenen inklusive. schlagfertige Dialoge, die die geneigte Leserin oft zum Schmunzeln bringen, erhöhen den Lesegenuss. Man muss das Buch ja nicht mehrere Male lesen. Einfach ein paar Stunden in lesbarem Kitsch verbringen und jede Winterdepression wird leichter ertragbar.

    Ewige Jugend

    Schöne Geschichte und ein hochinteressanter Einstieg, der mich eben auf die schöne Geschichte neugierig gemacht hat. Zwei Freundinnen, grundverschieden vom Temperament her, gehen auf eine merkwürdige Party, die eine bleibt auf der Party, die andere verlässt sie und begegnet einem faszinierenden Studenten. Von hier an spinnt Merit Niemeitz ihre Geschichte um das Thema der ewigen Jugend fort, wir steigen in eine geheimnisvolle und gefährliche Welt der Magie ein.

    Es scheint, als ob eine Gruppe von Studenten, ein sozusagen innerer Kreis, dazu imstande sei, Gedanken und Gefühle anderer Studenten zu manipulieren, bis hin zum Selbstmord. Solche Anhäufungen von Selbstmorden passieren alle paar Jahre, immer an Elite-Universitäten, der Reihe nach, wenn an einer Uni Gras drüber gewachsen ist, kehren sie zurück.

    Mabel, die besorgt um ihre Freundin Zoe ist, die immer mehr Ashton verfällt, findet heraus, dass Ashton und seine Entourage einem jahrhundertealten Bund der Stare angehören. Was es aber mit diesen Staren auf sich hat, wird uns erst nach und nach enthüllt. Darin ist Niemeitz eine Großmeisterin, ihre Leserschaft mit Andeutungen und Teilenthüllungen bei der Stange zu halten. Die Auflösung ist fast schon ungeheuerlich und unglaublich. Aber wir Mädels glauben ja auch an Einhörner und schick glitzernde Vampire, warum also nicht auch an einen jahrhundertealten Bund der Stare?

    Spaß beiseite, dieses Buch ist in Sachen Fantasy und Liebesgeschichte richtig gut und bereitet den Leserinnen angenehmen Gruselspaß (gibt es solch ein Wort?). Es ist so, wie wir uns Chicklit von seiner schönsten Seite vorstellen. Mädels, greift zu!.

    Wer ist der Gute, wer ist der Böse?

    Beim Lesen dieses Buches musste ich anfangs an Thomas Mann denken. Die Assoziation fällt nicht schwer. Der Zauberberg von Thomas Mann spielt auch mit diesen Themen: Schweiz, Davos, Lungensanatorium, Tuberkulose, Patienten die sterben, nur um durch andere ersetzt zu werden, Menschen aus ganz Europa kommen da zusammen. Damit aber hören die Gemeinsamkeiten auf. Der Stil ist ein ganz anderer, als bei Thomas Mann (OK, der ist unerreichbar), der Satzbau ist knapp, der Stil direkt.

    Die Handlung nimmt einen sofort gefangen. Schon bald fragt man sich, wer ist krank, wer simuliert? Wer spioniert für wen und gegen wen? In Davos scheinen sich legale und geheime Vertreter aller Krieg führenden Nationen die Klinke in die Hand zu drücken. Neid, Missgunst, Hass, Ressentiments gegen andere Völker sind an der Tagesordnung. Wir erfahren auch über die Gewaltherrschaft der Belgier über den Kongo oder wie die Armee des deutschen Kaisers Belgien überrannt hat, um schneller in Frankreich einzufallen und was für ein brutales Blutbad das war, sowohl im Kongo als auch in Belgien. Das sind Nebenschauplätze der Geschichte, die leider zu schnell Gefahr laufen, in Vergessenheit zu geraten. Luca Brosch macht uns diese Taten gegenwärtig, holt sie ans Tageslicht. Auch die Rolle Deutschlands im Ausbruch der großen Oktoberrevolution in Russland findet Eingang ins Buch. Die Hölle von Verdun ist äußerst präsent im Roman. Eine Krankenschwester, ein Arzt und Deserteur, ein Soldat, sie haben sich dort zwar nicht getroffen, aber das gleiche erlebt und sind davon für ihr Leben gezeichnet. Diese Erfahrungen fließen in die Romanhandlung ein. helfen uns die Beweggründe der handelnden Personen zu verstehen. Die Schweizer, als neutrale Personen, wollen kräftig mit dabei verdienen. Der Krieg ist ja für alle da. Für manche zum Sterben, für andere, um noch reicher zu werden, auch wenn das eigene Land dadurch in Gefahr gerät, von einer der kriegführenden Parteien überrannt zu werden.

    Der Schluss des Buches ist noch nicht das Ende des Romans. Dafür sind zu viele Enden lose oder gar offen. Es sind zu viele Fragen unbeantwortet.Die Handlung erstreckt sich über ein paar Monate, zwischen November 1916 und das erste Drittel von 1917. Was geschieht mit den Spionen und Personen, die das erste Buch überlebt haben? Es ist so passend und praktisch, dass alle, die Johanna und Elli gefährlich werden könnten, einen gewaltsamen Tod sterben auf den letzten Seiten und dadurch Johanna den Weg ebnen als Ehefrau eines schweizer Magnaten und Spionin des deutschen Kaiserreichs. Was geschieht mit Johanna nach Kriegsende Wird sie für die Räterepublik spionieren müssen und wird irgendwann die Gestapo an sie herantreten und sie zur unfreiwilligen Mitarbeit zwingen? Luca Brosch, lassen Sie uns bitte nicht zu lange warten auf die Fortsetzung!

    Ein Vogelbuch mit Herz, Sinn und Verstand

    Amsel, Drossel, Fink und Star und die ganze Vogelschar, sie sind alle hier in diesem Nachschlagewerk vertreten. Von der 11 cm großen Tannenmeise zum eineinhalb m großen Höckerschwan, von Tag- und Nachtaktiven Vögeln, von Wald und Flur und Garten und Städte bewohnenden und nistenden Vögeln, sie sind alle hier drin, in diesem wunderbaren Buch. Hervorragend aufgesetzt, mit sehr detaillierten Bildern und Beschreibungen. Die vielen Informationen rund um die heimische Vogelwelt erweitern unseren Horizont. Die Tipps und Ratschläge für Katzenhalter, Gartenbesitzer, Spaziergänger und Vogelbeobachter fand ich sehr nützlich. Leider kenne ich sehr viele Besitzer freilaufender Katzen, die nicht einsehen wollen, ihre Katzen den Zugang ins Freie während der Brutzeit der Vögel zu begrenzen. Diesen Menschen müsste man dieses Buch in die Hand drücken!

    Denis Scheck hat Recht

    Denis Scheck hat wieder einmal Recht. Hallgumur Helgason und sein Übersetzer Karl-Ludwig Wotzig haben ein großartiges Buch geschrieben, respektive meisterhaft ins Deutsche übersetzt. Die Sprachbilder haben es in sich. Allein den Autor mit einer allwissenden Eule gleichzusetzen ist einmalig. Oder einen Hund Papa zu nennen, damit der Waisenjunge wenigstens jemanden hat, zu dem er Papa sagen kann, ist umwerfend. Diese fast schon surrealen Sprachbilder ziehen sich durch das ganze Buch fort, irgendwann sind sie dermaßen in das Gesamtkunstwerk eingefügt, das sie einem kaum noch auffallen. Obwohl, Gesturs Aussage, er würde nur zwei Mal im Jahr baden und das bei seinem sehr aktiven Liebesleben hat mich tief einatmen lassen. Aber erst nachdem ich die Nase aus dem Buch draußen hatte. Das olfaktive Kopfkino startete durch in meinem Kopf.

    Das Buch wirkt wie eine Momentaufnahme der isländischen Gesellschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts, mit seinen Isländern, Dänen und Norwegern, mit seiner Bescheidenheit und Exzessen, mit seinem Reichtum für einige wenige und mit der bitteren Armut der meisten Isländer. Das pralle Leben schlägt einem auf jeder Seite entgegen. Die Katastrophe die sich am Ende des Buches ereignet gehört auch zu Island, als Teil der großartigen Natur dieser einzigartigen Insel.

    Ja, Dennis Scheck hatte Recht.

    Teenager mal anders

    Sehr spannender Einstieg in die Geschichte. Wer ist der Gute, wer ist der Böse? Wird sich noch herausstellen! Lebhaft geschrieben, ausdrucksstark und anziehend. Und vor allem: pädagogisch überhaupt nicht wertvoll! Titelbild, Titel und Klappentext sind gut aufeinander eingestellt.

    Und doch, und doch hat mir das Buch einen bitteren Geschmack hinterlassen. Man hört und liest immer wieder über Soldatenkinder in Afrika und man ist entsetzt darüber, weil den Kindern die Kindheit in Afrika brutalst geraubt wird und sie zu Mördern werden, ohne sich Gedanken über Gut und Böse zu machen. Und nun heißen wir ein Buch gut, das genau das gleiche aber mit Kindern aus den USA oder Europa macht. Wir sagen, was für ein Tausendsassa dieser Junge ist, wie er sich mit allen Kampftechniken, Waffenarten, oder Sicherheitssystemen auskennt, wie er Erwachsene und Jugendliche um sich herum beschützt und sich für sie aufopfert. Praktisch ein minderjähriger Jason Bourne. Wow! Wirklich? In diesem Alter sollte der Bub lieber Ego-Shooter am PC spielen, nicht die “reale” Welt im Alleingang retten.

    Positiv am Buch ist, Chris Morton will die Jugendlichen weg von den Ego-Shooter Spielen am PC locken und hin zum Buch wenden. Mit diesem Thema aber bekämpft er den Teufel mit dem Beelzebub.

    Gaetano Lamprecht ermittelt wieder

    Christian Klinger hat erneut einen Krimi mit zwei Hauptgestalten geschrieben: Gaetano Lamprecht und die Stadt Triest. Ein Wiedersehen mit Gaetano Lamprecht, Inspektor der Polizei von Triest und leidenschaftlicher Radfahrer ist mir eine besondere Freude. Es ist das für Europa schicksalhafte Jahr 1914. Der Erste Weltkrieg ist gerade ausgebrochen, Oberitalien gehört (noch) zur Donaumonarchie, der Hurrapatriotismus in Triest ist noch groß, sowohl auf österreichischer Seite als auch auf italienischer Seite, die eine Vereinigung mit dem Königreich Italien anstrebt.

    Klinger erhöht anfangs die Spannung (er ködert die Leserschaft, wenn Sie so wollen) mit wechselnden Szenen zwischen den Mördern einerseits und Gaetano andererseits. Gaetano muss auf mehreren Ebenen kämpfen, einmal privat, da entwickelt er sich zum "Womanizer", er steht zwischen drei Frauen und kann sich nicht entscheiden. Beruflich muss er einen, dann zwei Morde aufklären, gleichzeitig Provokateure und Agitateure für die italienische Seite herausfinden. Und zu allem Überfluss bekommt er den Einberufungsbefehl, weil er sich freiwillig zum Dienst an der Waffe gemeldet hätte. ER hat das aber nicht getan. zuerst argwöhnt er, neidische Kollegen hätten ihm das eingebrockt, doch dann stellt sich heraus, dass der eigene Vater in einem Anfall patriotischer Raserei sich selbst und den Sohn freiwillig gemeldet hat. Während aber der Antrag des Vaters abgelehnt wird, weil zu alt, kann Gaetano nur mit Mühe und Intervention seines Vorgesetzten die Einberufung noch verschieben, bis die Morde, an denen er arbeitet, aufgeklärt sind. Interessant ist, diese Morde fußen auf einen Mord der fast 150 Jahre zurück liegt. Johann Joachim Winckelmann, der Begründer der modernen Archäologie, wurde in Triest getötet und eine wertvolle etruskische Statuette gestohlen. Um diese Statuette und den damit verbundenen Fluch drehen sich die Morde, die Gaetano aufklären muss. Dabei muss Gaetano all sein Können unter Beweis stellen und wilde Verfolgungsjagden bestehen.

    Das Buch liest sich leicht und in einem Rutsch. Gaetano Lamprecht, der sich zwischen den Frauen nicht entscheiden kann, ist,wie auch im ersten Roman, sehr sympathisch und aufrichtig. Als ihn Freifrau von Sacher fast befiehlt, ihre Tochter aus dem Polizeidienst zu entlassen, weigert er sich strikt und formvollendet und verlässt sehr abrupt ihr Haus.

    Wiener Blut, Wiener Blut…

    Die Geschichten im Wien des ausgehenden 19. Jahrhunderts von Oliver Pötzsch sind immer spannende Krimis, aber auch ein interessantes Stück Zeitgeschichte des fin de siècle. Wenn man bedenkt, im dritten Roman um den Totengräber August Rothmayer, Polizeiinspektor Leo von Herzfeldt und Tatortfotografin JuliaWolf spielt die Handlung im Jahr 1895, nur 9 Jahre vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, am Ende dessen das habsburgische Reich zerschlagen und auf das Kronland reduziert, so hält man Ausschau nach etwaigen Anzeichen des großen Krieges. Aber nichts dergleichen. Wien scheint nur von Wiener oder Grazer Menschen bevölkert zu sein, keine Tschechen, Slowenen, Ruthener, Kroaten Italiener oder Ungarn sind dabei. Das ist auch ein interessanter Aspekt von Oliver Pötzsch Roman. Wien kommt sehr authentisch rüber: Die alte ehrwürdige KuK Hauptstadt mit ihren Denkmälern, Kirchen, Museen, Prachtstraßen, Prater, Cafés, Restaurants und auch Bordellen, sie sind alle da. Und vergessen wir nicht den Wiener Zentralfriedhof, der heute so groß ist, dass sogar eine Buslinie dafür eingerichtet wurde.

    Die Handlung, oder besser gesagt, die beiden Handlungsstränge, sind hervorragend aufgebaut und miteinander verwoben. Zuerst denkt man, die sind getrennt voneinander, dann bekommen wir die Vermutung zugesteckt, sie führen zueinander und sind eigentlich eine einzige vielfache Mordgeschichte, nur um am Ende doch als zwei separate Kriminalfälle mit getrennten Ermittlungen, hauptsächlich von unserem bekannten und geschätzten Trio geleitet, dargestellt zu werden. Oliver Pötzsch vermag es hervorragend, die Handlungslinien zu führen, zu verknoten und wieder zu trennen.

    Ich liebe Pötzschs Beschreibungen vom alten Wien. Und ich liebe das heutige, gegenwärtige Wien und habe mich richtig vertieft in den kleinen Stadtplan im Innenteil des Einbands. Ich habe die beiden großen Museen in Wien besucht, das Naturhistorische ist mir in Erinnerung geblieben mit den Fossilien- und Gesteinssammmlungen. Den “Rassensaal”, von dem Pötzsch im Nachwort schreibt, gab es nicht mehr bei meinen Besuchen. Den Stephansdom (aber ohne Krypta) habe ich besichtigt und auch Konzerte gehört. Einen Tag haben wir am Wiener Zentralfriedhof verbracht. Leider konnten wir Herrn Rothmayers Häuschen nicht entdecken. Ich glaube, ein erneuter Besuch in Wien ist fällig.

    Das älteste Gewerbe der Welt

    Das Leben der Prostituierten war und ist nicht leicht. Weder im Altertum noch heutzutage. Ob aus Armut von der Familie verkauft oder geraubt, Sklavinnen sind sie alle. Ob aus Karthago, Rom, dem antiken Griechenland oder heute aus Osteuropa, Sexsklavinnen sind sie alle.

    Dieses Buch ist hervorragend recherchiert, sehr spannend geschrieben und regt zum Nachdenken an. Die latente Gewalt die jederzeit den Sklavinnen droht, sei es von Freiern, Zuhälter, Bordellbesitzern und deren Handlangern wird in diesem Roman überdeutlich. Die Frauen sind nur dem Namen nach Wölfinnen. Eigentlich werden sie den Wölfen zum Fraß vorgeworfen. Manchmal haben sie Glück, wenn sie nur zur musikalischen Unterhaltung einer Gesellschaft gebucht werden, oder wenn ein reicher Mann sie für einige Tage aus dieser Hölle zu sich holt oder ein Gönner sie freikauft. Die meisten sterben noch jung, verbraucht, schwanger, oder alt, vom Mitleid der jungen Prostituierten lebend. Es gibt auch junge Männer, die ebenso zur Prostitution gezwungen werden.

    Wenn eine Frau freigekauft wird, ist sie bereit, dafür alles zu opfern, auch ihre große Liebe. Denn Liebe unter Sklaven, die unterschiedlichen Herrn gehören, bringt nichts. Außer Not, Herzeleid und womöglich neue Sklaven.

    Dieses Buch spielt im antiken Pompeji, im Jahr 74. Nur 5 Jahre später wird der Vesuv ausbrechen. Ob jemand aus diesem Buch überleben wird?

    Aber das Buch ist nicht nur ein fundierter historischer Roman. Es zeigt auch das Leben der heutigen Prostituierten. Denn egal ob antikes Pompeji oder der heutige Kiez in Hamburg, Sexsklavinnen führen immer ein hartes und gefährliches Leben.

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    Überall ist Nincshof!

    Ein Hoch auf den schrägen österreichischen Humor. Johanna Sebauer hat uns hier eine herrliche Kostprobe österreichischen Humors geliefert. Sehr fein gezeichnet, subtil und zum Nachdenken und Genießen, ist dieser Humor herzerwärmend, ohne in Ironie zu verfallen. Die Gestalten wirken liebenswürdig und wie aus dem (Provinz)Leben gegriffen. Nincshof ist klein. Missverständnisse und Lügen waren hier "schwierig zu navigierende Gewässer in einem Dorf wie Nincshof in dem alle der paar Hundert Einwohner einander kannten." (S. 13)

    Erna Rohdiebl ist die unbestrittene Heldin des Romans. Bald 80, erlaubt sie sich so manche Freiheiten, wie z. B. nächtens unerlaubt in einem fremden Swimming Pool zu baden. Oder gegen die drei schrulligen Oblivisten aufbegehren und sich mit Isa Bachgasser, Wienerin und bekannte Dokumentarfilmerin, anzufreunden.

    Überhaupt, die drei Oblivisten: das sind der seiner Repräsentationspflichten überdrüssig gewordene Bürgermeister, der schüchterne und sture Valentin und Sipp Sepp, älter als die Zeit. Sie beschließen, im Alleingang das Dorf Nincshof ins große Vergessen zurückzuführen. Die Touristen stören sie, die neuen Bewohner aus Wien und deren Ideen den Tourismus anzukurbeln sowieso. Die Oblivisten greifen zu unlauteren Mitteln: Jauche wird auf Fahrradtouristen versprüht, Ortsschilder werden entfernt, Interneteinträge werden gelöscht, Seiten aus Enzyklopädien werden herausgerissen, Bücherdiebstähle aus Büchereien. Sie schrecken auch nicht vor Kidnapping der wertvollen und einzig trächtigen Irrziege aus Europa. Die drei kennen keine Skrupel und überreden Erna mitzumachen. Das Ganze wird detailliert und spritzig humorvoll beschrieben, bis die ganze Chose auffliegt und die Geschichte zu einem herrlich schrägen Ende kommt. Natürlich darf der Pusztafeigenschnaps dabei nicht fehlen. Und bitte stellt Euch vor, wie die gefangene Ziege in Ernas Küche gestunken haben muss!

    Mittelalterlicher Fantasy vom Feinsten

    Dies war wieder einmal ein gelungener Auftakt einer neuen Trilogie. Das Buch hat mich von der ersten Seite an fasziniert. Die allererste Kampfszene, mit der die Handlung eröffnet wurde, war zwar brutal, aber nicht so blutrünstig, dass frau nicht weiterlesen wollte. Die folgenden Schlachten waren ein anderes Kaliber hingegen. Das auf der Stelle im Getümmel treten, das Hauen und Stechen, die grausamen Verletzungen, die sich die Kämpfer gegenseitig zufügen, die waren nichts für zartbesaitete Leser*innen. Diese Szenen erinnern an Schlachten aus den Filmen von Akiro Kurosawa. Dafür waren die agierenden Personen, die Handlung an sich, die Zusammenhänge und das Verweben der Handlungsstränge faszinierend.

    Anthony Ryan schöpft aus dem Vollen. Er hat einen opulenten barocken Roman geschaffen, der trotz seiner Komplexität und vieler Details nie den Fokus verliert. Alwyn, der Gesetzlose, lernt als Minensklave Lesen und Schreiben, er wird zum Chronisten seiner Zeit. Er kämpft und er schreibt, er tötet und er rettet Leben, er erkennt den Wahn um ihn herum, ohne seinen scharfen Verstand zu verlieren.

    Ryan schafft hier, in dieser Fantasy-Welt, eine eigene Religion mit Göttern und Priestern. Vieles erinnert an die Werke von Tolkien: eine Gruppe von Gefährten überstehen etliche Schlachten gemeinsam. Alwyn ist mal Frodo (Herr der Ringe), aber manchmal auch Parzival (bitte an das gleichnamige Epos aus dem Hochmittelalter von Wolfram von Eschenbach denken), der ein "Tumber Tor” reinen Herzens war. Es gibt etliche Parallelen zu Tolkien. Ich meine das keinesfalls abwertend. Ryan steht Tolkien in nichts nach. Wenn man solch eine komplexe Welt erschafft, sind manche Gemeinsamkeiten unvermeidbar.

    Krimis aus Skandinavien sind die besten!


    Das Buch beginnt so harmlos: auf dem Bootssteg einer Schäreninsel soll eine kleine Midsommerparty steigen. Der längste Tag, der keine richtige Nacht aufkommen lässt soll mit Geschäftspartnern und deren Ehefrauen gefeiert werden. Die pubertierende Tochter des Hauses muss da mitmachen und repräsentieren. Doch die Party findet ein jähes Ende, als alle plötzlich erschossen werden. Nur die junge Astrid entkommt, geistesgegenwärtig hat sie sich unter den Tisch fallen lassen und von da in das Wasser unter dem Bootssteg. Von da an beginnt der eigentliche Thriller. Vorher erfahren wir noch, wie Julia Malmros, ehemalige Polizistin und nun Krimiautorin und der junge gut situierte Hacker Kim Ribbing sich kennenlernen. Ungewollt werden sie in den Untersuchungen zu den Morden im Schärengarten hinzugezogen. Kim entdeckt Astrid im Wasser und zieht sie heraus. Kim und Julia beginnen parallel zur Polizei auch zu ermitteln, sie helfen sich gegenseitig und es kommen immer mehr Details ans Tageslicht. Vom Schärengarten erweitern sich die Ermittlungen nach Stockholm, Shanghai, Kuba und auf einer Bohrinsel vor Norwegens Küste, weil der Fall immer internationaler wird und weite Kreise zieht.

    Der Thriller wird noch interessanter durch die erotische Anziehungskraft zwischen Julia und Kim und Johnnys Eifersucht, Julias Ex-Ehemann. Faszinierend ist es, Kims Werdegang zu erfahren. Seine qualvolle Kindheit beim sadistischen Großvater und wie Kim Rache genommen hat, seine offene Rechnung mit einem anderen Sadisten, Martin Rudbeck. Erst als sich Martin Rudbeck an Astrid, der Überlebenden der Midsommermorde vergreifen will, beschließt Kim, es ist an der Zeit, diese offene Rechnung ebenfalls zu begleichen. Kim ist ein interessanter Charakter, mit sehr vielfältigen Kenntnissen und Fähigkeiten. gefährlich und anziehend zugleich, wirkt er faszinierend. Julia hingegen ist bodenständig und realistisch. Als sie erkennt, dass ihre Ehe mit Johnny in eine Sackgasse geraten ist, lässt sie sich scheiden und lebt sehr wohl allein weiter. Die Begegnung mit Kim bedeutet ihr sehr viel, ohne es offen zuzugeben. Lindquist beschreibt diese Gestalten sehr lebensnah und mit Feingefühl.

    Die Handlung spielt auf mehreren Ebenen, die Kindheit von Kim, die Krimiautorin, die einen neuen Roman schreiben wird und ein Massaker auf einer Schäreninsel im Midsommer. Das Zusammenspiel der Hauptgestalten, die ganze Dynamik die sich zwischen ihnen entwickelt macht das Buch noch interessanter, abgesehen von der Handlung.

    Die Lektüre war spannend. Sowohl die Anfangsszene, in der die Morde geschehen, als auch die beiden anderen Showdowns gegen Ende des Buches waren atemberaubend. Kims Flashbacks in seine Kindheit und Jugend waren an einigen Stellen direkt verstörend zu lesen. Sie geben direkt Aufschluss auf sein gegenwärtiges Handeln. Vor allem die Schlussszene hat mir imponiert.

    Fazit: klare Leseempfehlung für einen nach klassischem Krimi aufgebauten Roman. Spannung, Erotik und glaubwürdige Handlung lassen dieses Buch lesenswert erscheinen.

    Skandinavische Krimis gehören zur Meisterklasse

    Das Autorenduo Pascal Engmann und Johannes Selaker hat einen sehr interessanten und vielschichtigen Krimi vorgelegt. Traumatische Erinnerungen aus den Balkankriegen verknüpfen sich mit gegenwärtigen Kriminalfällen für einen Ermittler der Stockholmer Polizei. Hinzu addiert sich noch die Wiederbegegnung mit einer jungen Frau, in die er sich während seines Bosnien-Einsatzes verliebt hatte. Eine junge Journalistin, Vera Berg muss sich um einen fremden Jungen, Sigge kümmern, obwohl sie einen neuen Job antreten müsste. Sigges Vater Johnny ist einfach abgehauen und hat sich wochenlang nicht mehr gemeldet. Vera kann Sigge nicht einfach der Jugendfürsorge übergeben. Kurzentschlossen nimmt sie ihn mit, in ihr neues Leben nach Stockholm.

    Es geschehen mehrere Frauenmorde, Tomas ermittelt vonseiten der Polizei, Vera als Journalistin. Sie bedienen sich unterschiedlicher Informationsquellen, kommen aber zum gleichen Schluss. Der Serienmörder macht sich gewisse Umstände in Schwedens Polizeiapparat zunutze, um ungehindert morden zu können. Zeitweise gerät Tomas selbst in Verdacht, die Morde getan zu haben. Der Krimi ist sehr interessant, vor allem durch die Verwicklungen, die sich für die Protagonisten ergeben. Dieses Buch schreit nach einer Fortsetzung. Das Ende ist dermaßen offen, dass es für mich direkt frustrierend war. Vera muss Johnny gegenübertreten, Tomas steht eine blutige Auseinandersetzung mit seinem Bruder entgegen. Von keiner dieser Konfliktsituationen wissen wir, wie sie ausgehen wird. Ich hoffe sehr, die Herrn Engman und Selaker wissen, was sich gehört!

    Ein Highlight des Buches ist die Fußball WM die 1994 in den USA ausgetragen wurde und die Spiele der schwedischen Nationalmannschaft im Buch eine wichtige Rolle spielen. Woran kann ich mich an diese WM erinnern? Da war doch ein Skandal um Effenberg, der dem amerikanischen Publikum den Effenberg-Finger gezeigt hatte. Ich eiß nicht einmal mehr, wie weit unsere Mannen damals gekommen waren. Ist mir ehrlich gesagt, auch nicht so wichtig um es zu googeln.Ich kann mich noch an das deutsche Sommermärchen 2006 erinnern: da hatten unsere geschätzten Politiker heimlich und im Schatten des kollektiven Fußballrausches eine drastische Diätenerhöhung für sich selbst durchgesetzt. Ja, ja, Fußball Weltmeisterschaften sind immer wichtig.

    Doch zurück zum Buch: der lebhafte Stil, die knappen Dialoge, die oft wie aus einer Theaterszene herausgeschnitten sind, die interessante Handlung, die Vera oder Tomas als Hauptagierenden haben, machen daraus eine sehr angenehme Lektüre.

    Ich mag skandinavische Krimis. Sie haben Tiefgang und zeigen gleichzeitig auch die menschliche Seite der Protagonisten.

    Die Geschichte des Aeneas heute

    Vergil schrieb vor gut 2000 Jahren die Aeneis und brachte somit den ersten Sequel in der Literaturgeschichte zu Wege. Denn Homer schrieb die Ilias über den trojanischen Krieg und die Odyssee, über den von den Gestaden Trojas heimkehrenden Odysseus. Nun hat also Vergil Aeneas’ Flucht aus dem brennenden Troja und seine Fahrt nach Westen in heldenhaften Gesängen beschrieben. Don Winslow greift dieses Thema der Flucht auf und macht daraus einen Roman epischen Ausmaßes. Was Don Windows hier tut, ist Aeneas' Geschichte in die heutige Zeit und in die Staaten zu versetzen. Obwohl - ich weiß nicht, ob Aeneas Mannen sich in einer Taverne mit Transvestiten oder Drag Queens abgegeben haben.

    Auch der Vorgängerroman, City of Fire, basiert auf ein antikes Epos, Ilias von Homer. Der Kampf um Troja der mit der völligen Zerstörung der Stadt und dem Sieg der Griechen über die Trojaner endet, wird im modernen Rhode Island im Kampf zwischen der irischen Band um Danny Ryan und der italienischen Mafia-Familie der Morettis aufgegriffen.

    Nun also hat die Zerstörung der irischen Bande stattgefunden und Danny / Aeneas flieht mit Vater und Sohn und seinen überlebenden Getreuen auch gen Westen, den Westen der USA. City of Dreams ist Hollywood, Königin Dido aus dem alten Karthago ist die wunderschöne, talentierte und Drogenabhängige Diane Carson. Genau wie im Altertum verlieben sich Danny und Diane und wollen einfach nur zusammen glücklich sein, doch es gibt immer größere Probleme. In der Aeneas mischen Götter und Nebenbuhler sich ins Geschehen ein, hier, im modernen Hollywood sind es alte Mafiastrukturen die den Liebenden im Weg stehen.

    Und das ist gerade das Interessante am Buch: man kann es sehr gut lesen, auch ohne die antiken Vorbilder zu kennen, denn es ist spannend, voller Leben, Ironie und Witz, die Handlung lässt einen kaum das Buch aus der Hand legen. Wer aber die antiken Vorbilder kennt, hat ein zusätzliches Schmankerl zum Lesevergnügen und einen Grund mehr, mal wieder die alten Werke zur Hand zu nehmen. Der Stil und das Thema erinnern an Mario Puzos Paten und brauchen den Vergleich nicht zu scheuen.

    Was wäre wenn?

    Was wäre wenn Victorias Mutter, Tante Viv und Cousin Cal nicht tödlich verunglückt wären? Hätte die Mutter es vermocht, den wilden und brutalen Seth beizeiten zu zähmen, ihn zu beruhigen?

    Was wäre wenn Victorias Mutter Seth bestraft hätte, weil er die Nachbarin Ruby-Alice Akers mit Steinen beworfen und verletzt hatte? Aber die streng gläubige Mutter, immer mit einem passenden Bibelspruch zur Hand, hat Seths Tat sogar sanktioniert. Die Nachbarin wich von der von den Yola-Bewohnern etablierten Norm ab, also galt sie als Freiwild, genau wie Jahre später Wilson Moon. Wil war Indianer, kam von außerhalb, also war er schuldig, ergo Freiwild.

    Was wäre wenn der Vater zu Victoria gehalten hätte, sie mehr in Schutz genommen hätte, vor Seth und Ogden? Hätte sie dann noch fliehen müssen? Die Schwangerschaft geheim halten müssen? Oder hätte sie das Kind daheim entbinden und sogar behalten können? Was wäre wenn der Vater Seth und Ogden aus dem Haus geschmissen hätte, ehe Victoria fliehen musste?

    Was wäre wenn der Großteil der Bewohner von Yola nicht solch ein verlogener bigotter Haufen gewesen wäre, in dem Andersdenkende, Andersartigkeit und Schwache toleriert wurden? Es nicht gut hießen, Menschen mit Steinen zu bewerfen und Indianer verjagt würden? Aber Yolas Bewohner sind schnell dabei, über andere den Stab zu brechen, Böses über sie zu kolportieren, ihnen den Rücken zu kehren. Als Victoria Haus und Grundstück verkauft und Ruby-Alice Akers bei sich aufnimmt, verurteilt sie die Stadt, macht sie zur Außenseiterin. Doch Victoria ist schon durch eine harte Schule gegangen. Sie kümmert sich nicht um diese selbstgerechten Menschen. Sie verfolgt unbeirrt ihre Ziele und baut sich eine neue Existenz in Paonia auf. Nicht nur für sich selbst, sondern auch für ihre geliebten und wertvollen Pfirsichbäume.

    In all diesen Jahren denkt sie ständig an ihren Sohn, sucht die Wiese im Wald auf, in der sie ihr halb verhungertes Baby in ein fremdes Auto gelegt hat.

    Was wäre wenn die andere Frau das fremde Kind nicht angenommen hätte?

    Interessant, wie sowohl Victoria als auch Lucas jeweils einen hartherzigen, aggressiven und verlogenen Bruder haben, Seth und Maxwell, die Victoria und Lucas das Leben schwer machen.

    Was wäre wenn? Ganz einfach, dann hätten wir dieses wunderbare Buch in der meisterhaften Übersetzung von Wibke Kuhn nicht in den Händen.

    Shelley Read greift in ihrem Buch schwere Themen auf: die untergeordnete und rechtlose Rolle der Frau in den 40ern bis Ende der sechziger Jahre in der Gesellschaft, Rassismus und die Misshandlung der Native People in den USA, als ob der Slogan des 19. Jahrhunderts - nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer - auch Mitte des 20. Jahrhunderts noch gültig ist. Ein weiteres Thema ist die Behandlung behinderter Menschen, entweder mit psychischen oder physischen Problemen. Wenn Präsident Roosevelt sich öffentlich mit dem Rollstuhl gezeigt hätte, wäre die Akzeptanz der behinderten Menschen, ob kriegsversehrt oder Andersartigkeit, in der breiten Masse der Bevölkerung gestiegen.

    Die phantastischen Naturbeschreibungen im Buch, das Mädchen, das allein gegen die Gesellschaft kämpfen muss, und dann als Siegerin hervorgeht, erinnert an "Der Gesang der Flußkrebse", aber dann hören auch die Gemeinsamkeiten auf. Höchstens, dass beide Bücher stilsicher und herzergreifend gut sind.

    Mit dem Schlauchboot übers Mittelmeer - klingt bekannt, oder?

    Sehr ergreifendes Buch, das den Leser direkt und von Anfang an in medias res bringt. Eine typisch deutsche Familie in den vierziger Jahren im 20. Jahrhundert, bestehend aus Mutter und drei Kindern, weil der Vater an der Front ist, zeigt sich von seiner schönsten und menschlichsten Seite. Die junge Frau und ihre drei Kinder überstehen die wilden und gnadenlosen Bombardements von Dresden, verlieren trotz allem aber nicht ihre Menschlichkeit. So gelingt es den beiden Jungen heimlich polnisch-jüdischen Zwangsarbeiterinnen etwas Brot zuzustellen, die Mutter bringt die Frauen in einen abgeschlossenen Raum unter, stellt sich gegen den Reserveoffizier Huber und weist ihn in seine Schranken. Nachdem sie total ausgebombt wurden, müssen sie hinaus aufs Land fliehen, wo der Krieg nicht solche Verwüstungen angerichtet hat und wo die Flüchtenden den Alteingesessenen ein Dorn im Auge sind. Das Ende des Krieges erleben sie in Clausnitz, wo sie beim ehemaligen Arbeitgeber des Vaters Unterschlupf finden. Da gibt es auch ein Zwangsarbeitslager, aber von amerikanischen Soldaten. Die werden besser behandelt, die Soldaten geben den Kindern von ihren Schokoladen- und Kaugummi Rationen ab. Nach Kriegsende werden die US-Soldaten freigelassen und ziehen sofort ab Richtung Westen. Grete und ihre Kinder bleiben zurück, obwohl die Soldaten sie anflehen, mitzukommen. Aber sie wollen die Heimat nicht verlassen, ohne zu ahnen, wie viel Elend und Not auf sie zukommen wird. Zuerst werden Grete und Inge tagelang von russischen Soldaten vergewaltigt, dann der Weg zurück nach Dresden, mit einem Abstecher zu Gretes Vater und und ihrer Schwester in Chemnitz, wo sie nicht willkommen sind. In Dresden Notunterkünfte, dann Notwohnungen, die unerwartete Heimkehr des Vaters aus dem Krieg, endlich hat es den Anschein, es will aufwärts gehen. Aber mittlerweile ist der Kalte Krieg in vollem Gange, die politischen Lager sind voll abgehärtet, die Grenzen dicht. Dieto will unbedingt Artist werden, angespornt durch die Erzählungen des Vaters, wie er die russische Gefangenschaft überlebt hat. Dieto verwirklicht seinen Traum, es folgen Auftritte innerhalb der DDR, aber auch in den anderen sozialistischen Bruderländern. Zusammen mit seiner Verlobten Johanna, die aus einer Artistenfamilie stammt, wollen sie in den Westen fliehen, sie fühlen sich in den einengenden ostdeutschen Verhältnissen nicht mehr wohl.

    Die Beschreibung der Gefahren und Strapazen, der Mühen und haarsträubenden Abenteuer, die das junge Paar auf sich genommen hat, bis sie endlich in den Westen gelangen, sind sehr eindrucksvoll und dramatisch beschrieben. Wie viele versuchen es nicht heute noch, mit dem Schlauchboot übers Mittelmeer zu fliehen, weil sie das Leben in der Diktatur in ihren Herkunftsländern nicht mehr aushalten. Diese Parallele hat sich mir unwillkürlich aufgedrängt bei der Lektüre des Buches.

    Der Erzählfluss ist abwechselnd, mal dramatisch, wie z.B. die Kriegszeit oder die Flucht in den Westen, mal fließt er ruhig dahin, beschaulich und gediegen. Belustigend fand ich die Begründung, weshalb ein Teil der Handlung von Hanau nach Salzburg verlegt wurde. Hera Lind hat einen sogenannten “Tatsachenroman”, nach wahren Begebenheiten verfasst, in Zusammenarbeit mit Dieto Kretschmann. Wenn wir diese Tatsachen als literarische “alternative Fakten” betrachten, kann ich gut damit leben. Literatur ist ja eine Vermischung von Wahrheit und Fiktion.

    Manche Details erinnern dermaßen stark an die Ost-West Unterschiede, die normalerweise denen im Westen geborenen gar nicht auffallen würden: der Geschmack einer Cola, z.B., oder von Senf aus dem Westen. Oder der Qualitätsunterschied zwischen einem Koffer aus der DDR und einem Koffer aus der BRD Dieto wird auch der Unterschied zwischen einem dunkelgrünen Polyesteranzug hergestellt in einem VEB der DDR und einem echten Smoking schnell bewusst. Im Polyester darf er nicht in den noblen Speisesalon auf einem Kreuzschiff essen gehen. Das sind so Anekdoten, die das Leben schreibt.

    Wiedersehen mit Gryszinski

    Ich habe schon die Begegnung mit Gryszinski in Uta Seebergers ersten Roman sehr genossen. Und jetzt stelle ich fest, der Mann und seine Familie gefallen mir noch besser.

    Major Wilhelm Freiherr von Gryszinski liebt und genießt sein Leben in München. Die vielen Schmankerln in den diversen Metzgereien, Bäckereien, Cafés und Restaurants haben es ihm angetan. Und seiner Leibesfülle. “Seitdem er zum ersten Mal auf eine knusprige Bratenkruste gebissen hatte, schätzte Gryszinski den infernalischen Krach der beim Kauen im Kopf entstand und alles andere ausblendete. Es glich einer meditativen Übung. Zudem war die Bratensemmel das ideale Isntrument, um die Gryszinski’sche Praxis zur Festigung flüchtiger Gedanken zu erproben: Diese Gedanken, die wie kleine Vögel im Innern seiner körperlichen Hülle umherflatterten und sich nur rein zufällig berührten oder einander auswichen, wurden nach seiner Methode von einer schweren Menge Essen eingefangen, nach unten gedrückt und komprimiert, um am Ende als konsistente Idee wie Phönix aus der Asche zu entsteigen und emporzuschweben, und zwar direkt in seinen Kopf. Ein geniales System, fand Gryszinski, auch wenn seine Gemahlin ihn schlicht als verfressen bezeichnete.” (S. 60 - 61)

    Die allabendliche Runde, die Vater und Sohn Fritz fast schon ritualhaft in der Küche absolvieren, das "Topfgucken" finde ich herrlich. Ganz entgegen den Gepflogenheiten seiner Zeit zeigt Gryszinski seine Liebe zu Frau und Kind offen, spielt mit dem Sohn in den wenigen Momenten, in denen er Zeit hat, lässt seine Frau als Schriftstellerin unter eigenem Namen veröffentlichen, bespricht seine schwierigen Fälle mit ihr, geht mit ihr auf Ermittlungsreisen nach Paris und St. Petersburg. Genau 20 Jahre später, mitten im Ersten Weltkrieg, wird sein Sohn Friedrich Gryszinski die Reise des Vaters wiederholen, nach Paris und dann St. Petersburg, um einen alten ungelösten Fall des Vaters endlich zu lösen. Beide Reisen werden im Buch spannend erzählt. Als Friedrich reist, kommt noch die Gefahr hinzu, als deutscher Spion in Feindesland entlarvt zu werden.

    Die zwei Handlungsebenen, in denen der Roman spielt, 1896 und 1916, einmal in Friedenszeiten und dann in Kriegszeiten geben gekonnt den Zeitkolorit und die politischen und gesellschaftlichen Bedingungen wieder.

    Einen kleinen bitteren Wermutstropfen fand ich dann doch im Buch, leider. In der Beschreibung, wie Haussmann Paris neu gestaltete, ist Seeburg ein Patzer unterlaufen: “Der mit derselben erlöserhaften Geste, mit der Jesus das Rote Meer teilte…”. (S.126) Sorry, Frau Seeburg, das war nicht Jesus. Moses hieß der Mann. Ist bestimmt nur ein Flüchtigkeitsfehler, den leider auch das Lektorat übersehen hat. Aber das ist in meinen AUgen nur ein kleiner Schönheitsfehler, der diesem gelungenen historischen Krimi keinen Abbruch tut. Also volle Punktzahl meinerseits.

    Fängt die Alegria und die Saudade Portugals ein (und ein wenig Foda-se)


    Zuerst einmal: das Coverbild ist bezaubernd. Die Mischung von maritimer Landschaft und die landestypischen portugiesischen Azulejos (Kacheln)ist einmalig gelungen. Es bereitet uns vorab auf die portugiesische Szenerie und Mentalität vor.

    Die Handlung ist linear, ohne viele Nebenhandlungen aufgebaut. Eine deutsche Polizistin mit portugiesischen Wurzeln wird ohne ihr Wollen und Dazutun in die Ermittlungen zum Todesfall einer Fresko-Restauratorin hinzugezogen. Am Ende ist der Fall restlos geklärt, der Mörder ist wieder mal nicht der Gärtner. Der Polizeichef schluckt die Kröte, dass Ria nicht Mitglied der portugiesischen Polizei ist und akzeptiert sie. Er kann einfach nicht auf Ihre Kompetenz, Fachwissen und Intuition bei den Ermittlungen und Verhören verzichten. Zum Schluss bietet sich der jungen Frau die Gelegenheit, offiziell bei der Polizei von Torreira anzuheuern. Das bedeutet, wir dürfen uns auf weitere Krimis mit Ria Almeida als Ermittlerin freuen.

    Handlung und Schreibstil sind überzeugend. Jedem Kapitel ist ein Begriff aus dem Portugiesischen vorangestellt, mit einer detaillierten Übersetzung und einem festen Bezug zum Kapitel. Beim Leser wird dadurch auch der Bezug zu Portugal hergestellt. Auch die kurzen und interessanten Beschreibungen von portugiesischen Orten, Straßen, Lokalen tragen dazu bei.

    Die portugiesischen Leckereien, die im Buch erwähnt werden, ließen mir das Wasser im Mund zusammenlaufen. Absolut lecker. Aber ich frage mich, bei so vielen Leckereien, ob es noch schlanke Menschen in Portugal gibt und mit wie viel Hüftgold Touristen in ihre Heimatländer zurückkehren?

    Nie wieder Diktatur!

    Ein beeindruckendes Buch. Ein wenig Menschlichkeit im gnadenlosen Krieg: Ein alter Mann und sein Enkel nehmen einen deutschen Deserteur bei sich auf, helfen sich gegenseitig. Der deutsche Soldat hilft im Haus und Hof mit, bringt dem jungen Kajan Klavierspielen bei und die deutsche Sprache. Kajan seinerseits lehrt Cornelius das Albanische. Und dann kommt das Kriegsende. Cornelius wird von albanischen Partisanen abgeführt, er soll heim nach Dresden. Kajans Eltern kehren zurück aus dem Krieg, Selie, seine Mutter besteigt einen bedeutungsvollen Posten in Tirana, Kajan wird ein berühmter Klavierspieler in Albanien.

    Inzwischen hat die Diktatur der albanischen kommunistischen Partei alles im festen und tödlichen Würgegriff. Wer nur ansatzweise anders denkt, wird sofort verhaftet, Alles wird sofort politisch gedeutet. Wenn man sich harmlos mit Freunden trifft, ist das eine “illegale Gründung reaktionärer Zellen” und “Verbreitung von gefährlichem Propagandamaterial”(S. 109). Der Terror geht noch weiter. Angehörige von “Landesverrätern”, Flüchtlingen, auch von missglückten Fluchtversuchen müssen ins Straflager oder ins Gefängnis. Das albanische Regime steht dem Nordkoreanischen in nichts nach. Um die Linientreue zu beweisen, werden Menschen zu Verrätern am eigenen Fleisch und Blut, opfern sie und denunzieren sie der Polizei, ohne sie anzuhören, ohne ihnen die geringste Chance einer Erklärung zu bieten.

    Das Leben in Tirana und in Ost-Berlin verlaufen auf fast identischen Schienen. Alles erscheint grau, unfreundlich, gefährlich. Die Menschen blicken immer nur zu Boden, gehen mit gebeugten Schultern und gesenkten Köpfen. Angst ist allgegenwärtig, die Stasi ist in Ostberlin genauso effizient wie der Inlandsgeheimdienst in Tirana.

    Der schlichte geradlinige Stil, die klaren Bilder, die vom schweren und einfachen Leben in den albanischen Bergen bezeugen, die Szenen in Ostberlin, in Westberlin und in den Vereinigten Staaten, alles ist Teil dieses beeindruckenden Buches. Unerwartete Wiedersehen, totgeglaubte Menschen, das Wiederfinden der großen Liebe, zuerst in den USA, dann in Albanien, alles fügt sich harmonisch wie in einem wunderbaren Klavierkonzert zusammen. Der Epilog ist der Schlussakkord, der die letzten Fäden die noch offen geblieben waren, verbindet, das Schicksal der Haupt- und Nebengestalten des Buches klärt und uns aufatmen lässt. Die stille Hoffnung keimt auf, mögen die heute noch bestehenden Diktaturen in Europa und in der Welt auch zu Ende gehen, ob friedlich, wie in der ehemaligen Tschechoslowakei, Ungarn oder der DDR, oder blutig, wie in Rumänien, Hauptsache sie gehen zu Ende und kehren nie, nie wieder.

    Frieden ohne Angst

    Das Buch fasziniert vom ersten Satz an. Dieser Fantasy braucht den Vergleich mit Harry Potter, Die Bestimmung, oder die Tribute von Panem nicht zu scheuen. Lebensechte Dialoge machen das Lesen angenehm. Die nachvollziehbaren Gedankengänge und logischen Handlungen des Prinzen lassen ihn liebenswert erscheinen. Er hat das Zeug zum wahren Helden. Und wie ein wahrer Held entschließt er sich aus dem goldenen Käfig auszubrechen, sich nicht den Befehlen Skarfs zu beugen und den Smilo zu retten, anstatt ihn zu töten. Prinz Arkyn rettet auch dem fremden Mädchen Saga das Leben. Zu dritt machen sie sich nun auf, die Berge zu erforschen, Arkyns Vater zu finden und die Menschen von Waraka von der Knechtschaft Skarfs und der Großen Schlange zu befreien. Kein leichtes Unterfangen. Interessant ist, wie Arkyn an diese riesige Aufgabe rangeht. Er will keine Menschen oder Tiere töten, er verlässt sich auf die Überzeugungskraft der Worte. Er kann mit Tieren kommunizieren und Menschen von der Richtigkeit seiner Gedanken überzeugen. So kann er schließlich den Sieg davontragen und Skarf als Betrüger entlarven.

    Der verhätschelte Prinz aus dem goldenen Käfig wird zum wahren Anführer und das Bindeglied zwischen den Menschen und den uralten Tierwesen von Waraka. Das offene Ende des Buches, mit dem ankommenden Schiff aus Sagas Heimat lässt auf eine Fortsetzung hoffen.

    Das Buch ist in der Gegenwartsform geschrieben, im Hier und Jetzt. Als es mir bewusst geworden ist, war ich schon mitten im Geschehen im tiefen Wald. Goldfarb hat diese Erzählweise gewählt, um der Handlung mehr Präsenz zu geben, dem Leser mehr das Gefühl zu geben, “in echt” dabei zu sein. Kluger Schachzug. Im allgemeinen werden solche Bücher im Präteritum - der Legendenzeit erzählt. Aber vielleicht wollte der Autor auch auf die Aktualität seines Fantasy hinweisen: wenn die Konflikte auch noch so unüberwindbar erscheinen, der Krieg imminent oder schon ausgebrochen ist, man kann immer noch das Leben ehren und retten, mit Verhandlungen und verbalen Argumenten Frieden stiften, eine Botschaft die ankommt.

    Das Titelbild ist faszinierend. Die große Säbelzahnkatze die über die zwei verschlungenen Hände wacht, die dunklen Farben, die Wikingerschiffe im Hintergrund alles ist darauf ausgerichtet, das Interesse der jungen Leserschaft zu wecken. Und nach der Lektüre kann man die einzelnen Motive auf dem Cover auch genauer deuten.