Beiträge von Buchdoktor

    Klappentext/Verlagstext
    Likes, Shopping, Candy Crush – wo verstecken sich Belohnungsreize in unserem Alltag und wie abhängig sind wir?

    Belohnungsreize sind allgegenwärtig. Soziale Netzwerke, Onlineshopping, Sexualität, Ernährung, Gaming: Geködert werden wir überall. Ungesteuerter Dauerkonsum und emotionale Enthemmung nehmen zu. Belohnungsaufschub, Fokussierungsfähigkeit, Frustrationstoleranz und Impulskontrolle werden zum Problem. Die Neurologin und Sexualtherapeutin Heike Melzer deckt auf, wo sich Belohnungsreize im Alltag verstecken, was sie bewirken und wie wir die Kontrolle zurückgewinnen. Fundiert und praxisnah gibt sie erhellende Einblicke in die Risiken und Chancen im Umgang damit. Ein notwendiges Buch, das hilft, den Alltag in Zeiten des Überflusses selbstbestimmt zu gestalten.


    Die Autorin
    Heike Melzer ist Neurologin, ärztliche Psychotherapeutin und Business-Coach. Sie führt eine Praxis für Paar- und Sexualtherapie in München und auf Sylt. Sie ist gefragte Dozentin, Referentin und Interviewpartnerin. 2018 erschien ihr Buch Scharfstellung. Die neue sexuelle Revolution.


    Inhalt

    Heike Melzer beschreibt als Basiswissen zunächst, wie Belohnungsreize auf unser Gehirn wirken, wie der Dopaminstoffwechsel abläuft und warum schlechte Angewohnheiten, Trampelpfaden ähnlich, sich nur schwer wieder reduzieren lassen. Insbesondere die kindliche Hirnentwicklung ist ihr ein Anliegen, für die dreidimensionale Aktivitäten erforderlich wären, die heute durch intensive Nutzung von Tablets und Smartphones nicht mehr gewährleistet seien. Ziel ihre Buchs ist, versteckte Haken sichtbar zu machen und Auswege zu zeigen aus Suchtverhalten, das auf der ständigen Verfügbarkeit von elektronischen Geräten und Internetzugang beruht. Aus ihrer therapeutischen Tätigkeit berichtet sie, dass Impulsivität und mangelnde Steuerungsfähigkeit nicht nur charakteristisch für die Hirnentwicklung Jugendlicher seien, sondern dass nach einer Plateauphase im Erwachsenenleben durch hirnorganische Veränderungen im Alter die Impulskontrolle wieder abnehmen kann.


    Konkret zeigt Heike Melzer an anonymisierten Patientengeschichten Ernährung, Sexualität, Spiel, Soziale Medien und Shoppen als Suchtverhalten. In ihren Beispielen treten Spiel- und Sexsucht als männliches Verhalten auf, Shoppen als Eskapismus von Frauen, während ungesunde Ernährung wider besseres Wissen eine Sonderrolle einnimmt, weil dafür kein Internetzugang erforderlich ist. Das Medien- und Smartphone-Verhalten einiger Patienten erlebt die Neurologin mit Entsetzen, u. a. wenn Internetnutzung die Plattform für Spielsucht, Mehrfach-Dating und Pornografie-Konsum liefert. Interessant fand ich den Hinweis auf den mühsamen Weg, bis Spielsucht endlich als Suchterkrankung nach ICD-10 anerkannt wurde, offenbar verzögert durch einflussreiche Branchen und Interessengruppen, die Sucht-Merkmale negierten, von denen sie finanziell profitierten.


    Heike Melzer argumentiert spürbar als Sexualtherapeutin – zumeist männlicher – sexsüchtiger Klienten, die durch suchtartiges virtuelles Doppelleben ihr berufliches, privates und soziales Leben komplett zerstört hatten. Ein kritischer Blick fällt auf die „fünf Köpfe“, die die fünf mächtigsten IT-Konzerne gründeten, und die Folgen des Behavioral Targeting (Auswahl verhaltensbasierter Inhalte). Für Melzer sind mangelnde Impulskontrolle als Auslöser für Suchtverhalten Erwachsener und ADHS zwei Seiten einer Medaille. Wer sich bereits mit der Hirnentwicklung in der Pubertät oder ADHS befasst hat, wird in „Versteckte Köder“ problemlos einsteigen können.


    Fazit
    Ein wichtiges, inhaltlich anspruchsvolles Buch, in dem zumeist männliche Süchte und ihre sozialen Folgen breiten Raum einnehmen. Der wissenschaftliche Hintergrund zum Einstieg setzt Toleranz für den Fachwortschatz voraus, die Patientengeschichten sind niederschwelliger zu lesen.


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    19.3. TB-Ausgabe

    Ein kleiner Ort in Connecticut: Johnnie kommt aus dem Zweiten Weltkrieg zurück. Die Kleinstadt ist nicht das Idyll, zu dem Johnnie sie in seiner Sehnsucht gemacht hat – ebenso wenig wie Glory die wunderbare Ehefrau ist, wie er nach und nach erkennen muss. Johnnie empfindet sich nicht nur als Kriegsveteran, sondern auch als Veteran »des nicht enden wollenden Kampfes zwischen denen, die zu Hause blieben, und denen, die weggingen«. Das Städtchen Lennox ist klatschsüchtig, böswillig und dünkelhaft. Es pflegt seine Verachtung für alles Fremde: das schwarze Dienstmädchen Neola, der portugiesische Gärtner, der jüdische Anwalt und die irischen Katholiken der Stadt gelten als »anders« und nicht dazugehörig. Ann Petry zeigt, was passiert, wenn alle Fassaden bröckeln und ein großer Teil der Einwohner von Lennox sich als menschlich mies, intolerant, reaktionär oder gierig entpuppen. Bis auf wenige Ausnahmen …

    18.02. Pluto Day. Zeige ein Cover mit einem Planeten darauf.


    Ursula K. LeGuins ›Freie Geister‹ ist eine der bedeutendsten Utopien des 20. Jahrhunderts, in der die Systemfrage – Kommunismus, Kapitalismus oder Anarchismus? – mit aller Deutlichkeit gestellt wird. Ältere Ausgaben sind unter den Titeln ›Planet der Habenichtse‹ und ›Die Enteigneten‹ erschienen.

    Der einzige Ort auf dem Anarres, der durch eine Mauer von seiner Umgebung abgetrennt wird, ist der Raumhafen. Von hier aus werden die Edelmetalle, die in den Minen des Planeten abgebaut werden, einmal im Jahr zum Nachbarplaneten Urras geflogen.

    Für die Herrschenden von Urras ist das anarchistische Anarres nicht mehr als eine abhängige Bergbaukolonie, die es möglichst effektiv auszubeuten gilt. Für die Bewohner von Anarres ist ihre Heimat jedoch der einzige Ort im ganzen Sonnensystem, wo sie wirklich frei sind – frei von Unterdrückung, aber auch frei von dem Zwang, künstlich erzeugte Bedürfnisse befriedigen zu müssen.

    Als sich auch auf Anarres erste Herrschaftsstrukturen zu bilden beginnen, begibt sich der Physiker Shevek auf eine riskante Reise nach Urras. Er möchte in Dialog mit dortigen Wissenschaftlern treten und gerät dabei zwischen alle Fronten.


    Klappentext/Verlagstext
    Was in einer ruhigen Landschaft passiert, kann einen manchmal schockieren. So ist es in Bad Axe County, Wisconsin, wo das Leben einer lebenslustigen Teenagerin auf den Kopf gestellt wurde. Vor zwölf Jahren wurden Heidi Whites Eltern auf ihrer Milchfarm in Wisconsin erschossen. Die Polizei erklärte, dass ihr Vater ihre Mutter und dann sich selbst getötet hatte und schloss den Fall ab. Noch in dieser Nacht fand Heidi den einen Hinweis, von dem sie wusste, dass er zur Wahrheit führen könnte – wenn die Ermittler nur zuhören würden. Nun, zwölf schwere Jahre später, ist sie Interims-Sheriff von BAD AXE COUNTY. Trotz aller Herausforderungen, zu denen unter anderem das Leben als Ehefrau der lokalen Baseball Legende Harley Kick und Mutter von drei kleinen Kindern gehört, kommt Sheriff Heidi Kick gut in der Männerwelt zurecht. Zumindest mit der einen Hälfte des Countys, die sie gewählt hat. Die andere Hälfte versucht alles, sie wieder loszuwerden.

    Und als ein tödlicher Eissturm naht, nehmen die Spannungen zu und lange verborgene Geheimnisse kommen an die Oberfläche. Als eisiger Regen Straßen auswäscht und Flüsse über die Ufer treten, findet sich Heidi auf der Spur einer vermissten Teenagerin wieder. Jemand platziert Hinweise, die sie finden soll, und bringt einige unangenehme Wahrheiten ans Licht, die beunruhigend nahe auf ihr Zuhause hinweisen. Heidi muss einen Mord aufklären, ein vermisstes Mädchen retten und ein Monster vor Gericht bringen. Sie steht kurz davor, ihre Gemeinde bis ins Mark zu erschüttern – und herauszufinden, was in der Nacht, in der ihre Eltern starben, wirklich passiert ist.


    Der Autor

    John Galligans Karriere als Romanautor begann mit dem von der Kritik gefeierten Roman „Red Sky, Red Dragony“, der auf seinen Erfahrungen beruht, als er in Japan gelebt und gelehrt hat und durch das Land gereist ist. Bad Axe County, der Auftakt seiner Mystery/Thriller-Serie, wurde 2019 veröffentlicht, der zweite Heidi-Kick-Krimi „Dead Man Dancing“ 2020.


    Inhalt
    Mit knapp 18 Jahren wurde Heidi White zur Dairy Queen im fiktiven Bad Axe County gekrönt – und der Kongress-Abgeordnete Cyrus Johnsrud stellte klar, dass sie damit in den Besitz mächtiger Männer übergegangen war und er sie ungehindert betatschen konnte. Gleichzeitig wird Heidi mit dem Mord an ihren Eltern konfrontiert, die eine kriselnde Farm auf wertvollem Landbesitz hinterlassen. Der korrupte Sheriff Gibbs bildet sich ein, er könnte einer Farmertochter Lügen über Tatwaffe und Tathergang des angeblichen Selbstmords aufbinden. Nach 12 Jahren ist Heidi zurück, als Interims-Sheriff nach Gibbs Tod, verheiratet mit Harvey Kick, der in der fernen Stadt aufwuchs, und Mutter dreier Kleinkinder unter 5 Jahren. Ein Paar (dabei ein zugezogener Ehemann), 3 Kinder, 2 Jobs … Heidis Wahlkampf um den Sheriff-Posten wird nicht einfach sein, abgesehen von der Verteilung der Familienarbeit, über deren Umfang Harvey offensichtlich Illusionen hegt.


    Zwar hat der ungesühnte Tod ihrer Eltern und die damalige Kränkung durch Gibbs Heidi wieder in die Coulee-Landschaft zurückgebracht. Gibbs korruptes Netzwerk wird ihre Wahl jedoch mit allen Mitteln verhindern; denn Heidi wird im County mit Sicherheit die Verflechtung aus Rotlichtmilieu, Zwangsprostitution, Menschenhandel und Hehlerei nicht unangetastet lassen. Als sich im Internet das lokale Männer-Netzwerk gegen ihre Wahl rüstet, muss Heidi erkennen, dass der Clan eng mit den Rattlers (Klapperschlangen), dem lokalen Baseball-Team verflochten ist - und dass Harvey als Baseball-Spieler und -Trainer über exakt das Wissen verfügt, das braven Farmertöchtern fehlt und das sie zum Ausheben der Schlangengrube dringend braucht.


    Das fiktive Bad Axe County bot dem alten Sheriff Gibbs mit seiner Landschaft und zahlreichen einsam liegenden Gemäuern großzügig Raum für illegale Geschäfte. Neben dem vertuschten Mord an Heidis Eltern ist auch das Verschwinden der minderjährigen Sophie ungeklärt. Weiterer Handlungsstränge erzählen vom Transport einer Mädchenleiche in der Gegenwart und dem Mädchen Pepper in der Hand eines abstoßenden Typen, der meint, dass er mit Frauen tun kann, was er will. Als in der Ortsbücherei der betagte Bibliothekar niedergeschlagen wird, weil er einen Band alter Zeitungen aus dem Archiv geholt hat, muss Heidi sich endlich mit dem Zusammenhang von Baseball und Kapitalverbrechen befassen. Warum hat nach dem Vorfall der einzige Augenzeuge die Bücherei in solcher Hast verlassen?


    Heidi schlägt sich wacker herum mit Fahrzeugen, feindseligem Winterwetter, brutalen Kerlen - und verlässt sich auf ihre Lebenserfahrung im Umgang mit „heimtückischem Nutzvieh“ auf der Farm. Da ein zweiter Band schon vorliegt, hat sich Harvey Kick hoffentlich um einen Kindersitter für die Zeit gekümmert, in der er seine Mannschaften trainiert.


    Sportlicher Erfolg macht Männer unantastbar, schreibt Sonja Hartl in ihrem lesenswerten Nachwort, und John Galligan will mit seinem Heidi-Kick-Serienauftakt die „Seidenstraße des Frauenhandels“ darstellen, damit sie nicht länger geleugnet werden kann. Wer so wenig Ahnung von Baseball hat wie ich, tut sich mit den Insider-Gesprächen der Beteiligten zwar schwer, aber dass vor MeToo bei Anklagen wegen sexueller Gewalt amerikanische Sportler häufig „nur“ für einige Spiele gesperrt und nicht verurteilt wurden, war selbst zu mir über den großen Teich gedrungen.


    Fazit
    „Bad Axe County“ ist ein dreckiger, brutaler, dabei sehr komplexer Krimi mit dem Ziel, die Verknüpfung von sexueller Gewalt und Sport herauszuarbeiten.


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    Der 17.3. 2002 starb Luise Rinser, geb. am 30.4.1911.


    Mit Romanen wie ›Mitte des Lebens‹, ›Mirjam‹, ›Abaelards Liebe‹ gehörte Luise Rinser zu den meistgelesenen Schriftstellerinnen ihrer Zeit. Romanhaft sind, wie sich zeigt, auch ihre Autobiographien ›Den Wolf umarmen‹ und ›Saturn auf der Sonne‹. Die streitbare Autorin, die die deutsche Kultur der Nachkriegszeit entscheidend mitprägte, sah sich gern als Gegnerin und Opfer des Nazi-Regimes. Aber sie schrieb Huldigungsgedichte an Hitler, leitete BDM-Schulungslager, entwarf Propagandafilme. Manches nie Ausgesprochene konnte Luise Rinser erst in ihren späten Jahren dem Freund José Sánchez de Murillo anvertrauen. Anderes hat sie literarisch verarbeitet: die Spannung zwischen Lebensentwurf und Wirklichkeit als schriftstellerische Inspiration.



    17.03. Welttag des Schlafes. Zeige ein Cover, auf dem etwas oder jemand schläft.


    Joan lebt schon lange nicht mehr zu Hause, doch als die Eltern bei einem Unfall ums Leben kommen, zieht sie zurück zu ihrem Bruder Marlon. Nun müssen sie sich gegenseitig Familie sein – sie, die sich kaum kennen. Marlon ahnt nicht, was seine Schwester nach Ladenschluss in ihrer Boutique tut – und Joan hat nicht vor, es ihm zu verraten. Denn ihre Kunden können gefährlich sein, auch für Marlon.

    77. Welches Cover hat dir im Februar am besten gefallen?


    Rebecca Cohen genießt als Tochter eines sephardischen Unternehmers die Privilegien der Istanbuler Oberschicht. Doch als sich in den 1920er-Jahren die Stimmung in Europa verdüstert, beginnt für sie eine jahrelange Odyssee, die sie über Barcelona und Havanna bis nach New York führt. Auf ihrer Flucht wird Rebecca, kaum Ehefrau und Mutter, zur Witwe, muss ihre Eltern zurücklassen, um ihren Kindern eine Zukunft zu bieten, und ihr Schicksal einem Mann anvertrauen, den sie nur aus Briefen kennt. Doch an jeden neuen Ort trägt sie ihre Erinnerung und ihre Lieder und baut sich daraus gegen alle Widerstände eine neue Heimat.

    »Kantika« (»Lied«) ist eine eindringliche, lyrische Erzählung über Identität und Exil und eine inspirierende Geschichte weiblicher Resilienz, mit der Elizabeth Graver ihrer Großmutter Rebecca Cohen ein Denkmal setzt.

    Am 16.3.1911 wurde Sibylle Bedford (geb. von Schoenebeck) geboren, sie starb 2006.


    Die Erinnerungen der Kosmopolitin, die in Rom ebenso zu Hause war wie in Paris, London oder an der Côte d Azur, die Literatur, Malerei und gutes Essen fast so sehr schätzte wie ihre Freundschaften mit den europäischen Künstlern und Dichtern ihrer Zeit, sind eine Fundgrube für all jene Leser, die sich den Reichtum und die Dramatik des zwanzigsten Jahrhunderts anhand einer außergewöhnlichen Lebensgeschichte vor Augen führen möchten.


    Sybille Bedford, geboren 1911 in Berlin als Tochter des Barons von Schoenebeck und seiner englischen Gattin, wuchs in Deutschland, England, Italien und Frankreich auf. Als junges Mädchen lebte sie mit ihrer Mutter und deren zweiten, italienischen Ehemann an der Côte d’Azur, dem Zufluchtsort für viele europäische Künstler und Intellektuelle der Zeit. Alle ihre Romane und Reiseerzählungen schöpfen aus dem reichen biographischen Hintergrund.

    Sybille Bedford hat außerdem viele Jahre als Gerichtsreporterin berühmten Prozessen beigewohnt und darüber für Esquire und Life berichtet.

    16.03. Tag der Bücherschmuggler. Zeige das Cover eines Buches das du gerne hättest.


    Frauen schreiben anders! Katherine Anne Porter schreibt anders als Eileen Chang, Alfonsina Storni schreibt anders als Marina Zwetajewa, Edith Wharton schreibt anders als Else Lasker-Schüler, Clarice Lispector schreibt anders als Carson McCullers, Marguerite Duras schreibt anders als Tania Blixen, Djuna Barnes schreibt anders als Grazia Deledda, Selma Lagerlöf schreibt anders als Silvina Ocampo, Anaïs Nin schreibt anders als Tove Ditlevsen und Sofja Tolstaja schreibt anders als Virginia Woolf.Diese erste globale Prosasammlung weiblichen Schreibens um und nach 1900 zeigt: Die literarische Moderne war ganz wesentlich weiblich! Nicht nur in Europa, überall auf der Welt veränderte sich das künstlerische Selbstverständnis von Frauen von Grund auf. Sie eroberten sich kreative Freiräume, machten weibliches Denken und Fühlen literaturfähig, vor allem aber schufen sie große Erzählkunst und behaupteten sich so auf dem Feld der Hochliteratur, die bis dahin als exklusive Männerdomäne galt. Ab 1900 ist Weltliteratur nicht mehr bloß ein Gruppenbild mit Dame.
    Sandra Kegel, renommierte Literaturkennerin und -liebhaberin, hat für diesen einzigartigen Band moderne Kurzprosa aus aller Frauen Ländern zusammengetragen – Klassikerinnen, deren Rang unbestritten ist, neben solchen, die erst noch entdeckt werden wollen. Ein längst überfälliges Panorama weiblicher Erzählkunst!

    76. Ein Buch mit einem Abenteuer


    Ellie und ihr Bruder Oleg freuen sich auf einen Tag ohne Eltern und kleine Schwester. In ihrem neuen Zuhause auf dem Land kommen sie ganz gut mal allein zurecht, sogar ohne Ellies Handy. Doch als Eltern und Nachbarin weder am Abend noch in den nächsten Tagen zurückkehren, wird es den beiden unheimlich. Nur die Katze ist noch da.

    Wo sind sie alle? Was ist bloß los?

    Mit Mut und Zuversicht versuchen die beiden mit der Lage klarzukommen. Zu Hause und ziemlich allein - zwei ungleiche Geschwister und ein großes Abenteuer.

    Ellie und Oleg schaffen das. Hundertprozentig.

    Verlagstext/Klappentext

    Jim spielt den Dummen. Es wäre zu gefährlich, wenn die Weißen wüssten, wie intelligent und gebildet er ist. Als man ihn nach New Orleans verkaufen will, flieht er mit Huck gen Norden in die Freiheit. Auf dem Mississippi jagt ein Abenteuer das nächste: Stürme, Überschwemmungen, Begegnungen mit Betrügern und Blackface-Sängern. Immer wieder muss Jim mit seiner schwarzen Identität jonglieren, um sich und seinen jugendlichen Freund zu retten. Percival Everetts „James“ ist einer der maßgeblichen Romane unserer Zeit, eine unerhörte Provokation, die an die Grundfesten des amerikanischen Mythos rührt. Ein auf den Kopf gestellter Klassiker, der uns aufrüttelt und fragt: Wie lesen wir heute? Fesselnd, komisch, subversiv.


    Der Autor
    Percival Everett, geboren 1956 in Fort Gordon/Georgia, ist Schriftsteller und Professor für Englisch an der University of Southern California. Er hat bereits mehr als dreißig Romane veröffentlicht und wurde mit zahlreichen Preisen geehrt. … Deutsch erschienen bislang „Ausradiert“ (2008), „God‘s Country“ (2014), „Ich bin Nicht Sidney Poitier“ (2014), „Erschütterung“ (2022) und „Die Bäume“ (2023).


    Inhalt
    Das Leben eines Sklaven besteht hauptsächlich aus Warten auf Anweisungen und dem Weitergeben von Befehlen an andere Dienstboten. Percival Everetts Icherzähler und alternativer Haussklave Jim muss sich in diesen Wartezeiten heimlich das Lesen beigebracht haben und verfügt über einen üppigen Wortschatz verschrobener Schriftsprache. Da Weiße sich nur wohlfühlen, wenn sie auf andere Menschen herabsehen können, hat Jim zugleich Meisterschaft darin entwickelt, im Gespräch blitzschnell auf den erwarteten vernuschelten, umständlichen Sklaven-Slang umzuschalten. Nur wenn Weiße sich gut fühlen, können Schwarze Angestellte sicher sein. Da Huck Finns von Everett neu geschaffener Kumpel jedoch im Schlaf oder im Fieberwahn spontan seine schrullige Sprache aus Romanen des 19. Jahrhunderts hervorstößt, lebt er mit der Gefahr, seine Intelligenz zu verraten. Zu den bekannten Abenteuern Jims und Hucks lässt sich hier zusätzlich verfolgen, wie ein geflohener oder freigekaufter Sklave in eine Gesetzeslücke fällt, wenn er nicht auch seine Angehörigen freikaufen kann oder ein Weißer ihn unverschämt zu seinem Besitz erklärt, ohne die erforderliche Urkunde vorweisen zu können. Ein Sklave ist kein Mensch, sondern ein Vermögensposten.


    Jim erklärt sich mitten im Roman zu James, doch die im amerikanischen Süden im 19. Jahrhundert übliche Beziehung zwischen Herr und Knecht hat er damit noch lange nicht aus der Welt geschafft. Percival Everetts James konnte mich besonders berühren, weil ich mein Bild des alterslosen Mannes aus Twains Büchern revidieren musste, den Twains Lausbuben nicht anders zu sehen gelernt hatten. Der Auftritt einer Minstrel-Gruppe wiederum entlarvt gnadenlos weiße Musikliebhaber, die nicht etwa Schwarze Musikanten erwarten, sondern Weiße, die sich dilettantisch schwarz schminken. Ein hellhäutiger Jim, dessen „Perücke“ zu echt wirkt, wäre ohne schwarze Schminke auf heller Haut erst gar nicht in den Saal gelassen worden.


    Fazit
    Auch wenn Jims/James Sprache (in der deutschen Übersetzung) in beiden Richtungen zu stark aufgetragen wirkt, eine sensationelle Roman-Idee.


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    Pirkko Saisios Icherzählerin wächst in einfachen Verhältnissen in einem kommunistisch geprägten Haushalt in Helsinki auf. Ihr Vater war Kolonialwarenhändler und hatte Stalins Gesammelte Werke im Regal.

    Mir hatte ihr erstes Buch schon gut gefallen, und deswegen liegt bei mir auch der 2. Band, noch ungelesen.

    Ist es so, dass sich die beiden Bände teilweise inhaltlich überschneiden? Deine ersten Sätze hören sich so an.

    Ich finde eher, dass die Reihenfolge irritiert, da in Deutschland zuerst der 3. Band zum Studium veröffentlicht wurde und danach der 2.

    Die Anregung


    Staying Power is a panoramic history of black Britons. First published in 1984 amid race riots and police brutality, Fryer's history performed a deeply political act, revealing how Africans, Asians, and their descendants had been erased from British history.

    Stretching back to the Roman conquest, encompassing the court of Henry VIII, and following a host of characters from the pioneering nurse and war hero Mary Seacole to the abolitionist Olaudah Equiano, Peter Fryer paints a picture of two thousand years of black presence in Britain. ...

    As Fryer writes in his preface, “This however, though peopled to a large extent by Africans, West Indians, Afro-Americans, and Asians, is a history of the black presence in Britain. And it is written, not just for black or just for white readers, but for all who have a serious interest in the subject.”

    Staying Power presents a radical challenge to racist and nationalist agendas. This edition includes a new foreword by Gary Younge examining the book's continued significance in shaping black British identity today, alongside the now-classic introduction by Paul Gilroy.

    Klappentext/Verlagstext
    Zuleika lebt als Schwarzes Mädchen im pulsierenden London des Römischen Reichs. Sie ist das Kind nubischer Einwanderer, ihr gehört die Straße. Mit elf Jahren verheiratet ihr Vater sie an einen reichen Patrizier. Doch Zuleika fügt sich nicht stillschweigend in ihr Schicksal. Hartnäckig kämpft sie um Freiheit in einer Stadt, deren Gesetze von Geld, Sex und Macht bestimmt werden.

    London, 211 n. Chr.: Zuleika ist widerspenstig, schlagfertig und außerordentlich schön. Und sie ist meist auf sich allein gestellt. Doch ihre Freiheit findet ein jähes Ende, als sie von ihrem Vater mit

    elf Jahren an einen alten fetten Römer verheiratet wird. Trotz aller Widrigkeiten macht sie das Beste aus ihrer Situation. In ihrem goldenen Käfig liest sie die großen Dichter, beginnt selbst zu schreiben und zieht heimlich mit ihren alten Freundinnen um die Häuser. Von wahrer Liebe hat sie keinen blassen Schimmer. Dann begegnet sie dem Kaiser Septimius Severus – und ihre Welt wird aus den Angeln gehoben. Sie beginnt eine leidenschaftliche Affäre mit ihm, wohl wissend, dass ihr als treuloser Ehefrau der Tod durch Vergiften droht. Aber Zuleika will um jeden Preis in glühenden Versen ihre eigene Geschichte erzählen.


    Die Autorin
    Bernardine Evaristo, geboren 1959, wuchs als viertes von acht Kindern in London auf. Sie ist Professorin für Kreatives Schreiben an der Brunel University London und stellvertretende Vorsitzende der Royal Society of Literature. Sie gewann als erste Schwarze Schriftstellerin den Booker-Preis für ihren Roman Mädchen, Frau etc. (2021), der auch in Deutschland ein großer Bestseller war. Zuletzt erschien Manifesto. Warum ich niemals aufgebe (2022).


    Inhalt
    Angeregt durch Peter Fryers Buch „Staying Power“ (1984, 978-0745338309) zur Geschichte Schwarzer Briten seit der Zeit des Römischen Reiches hat Bernardine Evaristo (2001 im Original erschienen) die kesse Zuleika entwickelt, die mit 11 Jahren an Senator Lucius Aurelius Felix verhökert wird. Zuleika, deren Vorfahren aus Khartum/Sudan stammen, wird dem dreimal so alten Mann als brav nähendes, schweigsames Geschöpf angedreht. Der Hautton seiner Bella Negrita soll ihn an Sklavinnen aus Nordafrika erinnern. Gemeinsam mit ihrer Freundin Alba sah die kleine Zuleika sich als weibliche Robin-Hood-Figur, die den Reichen ihren Luxus rauben und das Schicksal der Armen rächen wollte. Dass Albas Bruder Catullus eine elitäre Patrizierschule besucht mit Aussicht auf kaufmännische oder politische Karriere, lässt ihr offenbar kein anderes Spielfeld als den der Unruhestifterin. Die Dritte im Bunde der Aufmüpfigen wird im Erwachsenenleben die Barbesitzerin Venus sein, womöglich eine frühe trans Person. Für die Eheschließung mit dem Senator, der sein Leben in Rom wie gehabt mit Nebenfrauen und deren Kindern führt, wird Zuleika gebadet, gepeelt, geschminkt, um unter dem fetten alten Mann ihre erste „Nacht im Reich des Todes“ zu verbringen. Bildung durch einen Hauslehrer ist für Zuleika geplant, obwohl Alba später feststellen wird, dass das Leben einer Frau dadurch unnötig kompliziert wird. Standesgemäß schöner Schein schien Lucius wichtiger zu sein als geübter Small Talk: die Ehefrau eines römischen Senators verlässt das Haus nicht ohne Begleitung von Sklaven.


    Fazit

    Abgesehen von der Verheiratung einer Elfjährigen als Nebenfrau liefert die Autorin einen unterhaltsamen Blick auf Londinium zur Zeit des Römischen Reichs (ab 43 n Chr.) durch die Augen einer gnadenlos frechen Protagonistin. Von der 12er-Latrine bis zur geplanten Orgie wird allerlei aus dem römischen Alltag geboten. Männer kommen, wie zu erwarten, schlecht weg, sie sind dick, weltfremd, gewalttätig oder ungebildet. Wie von Evaristo gewohnt, sind auch Zuleikas Beobachtungen atemlos ohne Punkt und Komma erzählt, an Stelle der erwarteten Satzzeichen stehen Absätze. Auch Zuleika musste vermutlich schnell denken, sprechen und schreiben, ehe ihr das Wort abgeschnitten wurde, da sie als Trophäe diente, weniger als Gefährtin.


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