"Ihr solltet auf meine Worte hören, mein König!" Kurena blickte über den langen Tisch hinweg, an dessen anderem Ende der Herrscher von Allendas saß. Wie immer schenkte ihr Hondor keine Beachtung, gleichgültig, welchen Nachdruck die alte Seherin in ihre Worte legte.
So beginnt "Allendas", das Romandebüt von Nadine Tatja Güntner, einer 26jährigen Autorin aus dem Hochtaunus. König, Magie, Verrat, Schicksal und Scheitern, alles verdichtet in zwei Sätzen. Wie recht die Seherin Kurena mit ihrer Prophezeiung haben soll, erfährt der atemlose Leser dann bereits auf den ersten Seiten. Das einst so friedliche Königreich Allendas fällt in einer durchkämpften Herbstnacht merkwürdigen Geschöpfen, den so genannten Sellag, in die Hände. Eigentlich wäre das ja schon Stoff für einen ganzen Roman, und doch ist dies nur die furiose Einleitung eines vor überraschenden Wendungen schier überbordenden Werkes, das nichts mehr und nichts weniger ist als eine eigene Welt.
Vieles spricht dafür, "Allendas" in das literarische Genre der Fantasy einzuordnen. Geht es hier doch um Mythen und Krieg, schicksalhafte Begegnungen und ungewisse Reisen durch eine märchenhafte Welt voll von Menschen unterschiedlichster Herkunft und Stämme, Zauberern, Drachen oder fremden Wesen wie den Sellag ... und natürlich spielt dabei auch ein Schatz eine wichtige Rolle. Und doch ist "Allendas" mehr als ein Eskapismus in eine vermeintlich bessere Welt, in der Gut und Böse noch klar zu unterscheiden sind. Der Kosmos von "Allendas" ist weit von einer Idealisierung entfernt, und so werden Allianzen und Zweckbündnisse zwischen den einzelnen Akteuren in einer Geschwindigkeit geschmiedet und verworfen, die fast schon an spannende Wahlnächte erinnern kann, wenn auch mit ungleich interessanteren Protagonisten. Und vielleicht ist es die größte Leistung der hessischen Jungautorin, diesen nicht versiegen wollenden Strom von Geschichten in einen stets stringenten Erzähltakt zu bringen.
Und noch eines unterscheidet "Allendas" von vielen anderen Werken der fantastischen Literatur - die liebevolle und feine Ironie, mit der Güntner ihren Figuren Leben einhaucht und ihnen eine vielschichtige Tiefe und Persönlichkeit gibt, die selbst bei Fantasy-Klassikern ihresgleichen sucht. Natürlich ist "Allendas" vor allem die Geschichte einer echten und tiefen Freundschaft zwischen König Hondor und seinem Hauptmann Herras, die aber erst nach einer Vielzahl von Prüfungen auf wechselhaften Reisen und nicht zuletzt durch die Hilfe ihrer zahlreichen Freunde und Wegbegleiter die Entwicklung zu Helden durchlaufen.
Aber auch die Beweggründe der Invasion der scheinbar "bösen" Sellag bleiben nicht im Dunklen verborgen, und so werden die meisten Leser das wechselhafte Schicksal von Marek und Kalerid mit immer mehr Sympathie verfolgen. Und welches Geheimnis den sprechenden Drachen Toranus und seinen Heiler Nando, Klosterabt Mondernas Bunos oder den Rabenvogel Olog umgibt oder welche Rolle das Schicksal der Seherin Kurena, König Durendas und seinen ungleichen Söhnen Dorian und Derias zuteil werden lässt, sind nur einige der Episoden, durch die Autorin Nadine Tatja Güntner mit sicherer Hand leitet.
Doch so beständig die Vielzahl an Schauplätzen und handelnden Personen zu einem beständigen Perspektivenwechsel zwingen, taucht der Leser doch unweigerlich ganz tief ein in dieses fiktive Historiengemälde einer Reise durch die fremde und doch so vertraute Welt von "Allendas", die ihn erst nach 632 Seiten wieder in die Wirklichkeit entlässt.
Fantasy in bester Tradition
„Allendas“ ist ein Buch in bester Tradition der bekannten Fantasy-Geschichten und doch neu und erfrischend. Ein fiktives Land – Allendas – wird regiert von König Hondor. Frieden und Gerechtigkeit herrschen, seit Jahrhunderten gab es weder Krieg noch Not.
Doch der Frieden in Allendas ist trügerisch. Von einem Tag zum anderen überfallen die Sellag das Land, richten Unheil und Verwüstung an und bringen unsägliches Leid über die Menschen. Hondor und sein Freund und Hauptmann Herras können fliehen, verlieren sich jedoch aus den Augen. Völlig unerfahren im Kampf ums Überleben versuchen beide unabhängig voneinander das Land zu retten.
Geschickt wird Spannung aufgebaut und bis zum Schluss gehalten. Obwohl der Roman ständig über mehrere Erzählebenen wechselt, entsteht keine Irritation – klar und bis ins Detail logisch zieht sich der rote Faden der Handlung über das gesamte Werk hin. Dabei gibt es deutlich strukturierte Gegensätze: das Böse ist feige, hässlich und verschlagen, das Gute dagegen edel, aufrichtig und mutig. Landschaften, die Hauptpersonen und alle anderen Protagonisten werden detailliert gezeichnet. Selbst Kämpfe und Schlachten beschreibt Nadine Tatja Güntner sehr präzise, ohne dabei jedoch ins Brutale oder gar Blutrünstige abzugleiten.
Fabelhafte Figuren besetzen den Handlungsstrang: Waldmenschen, Sellag, geheimnisvolle Wolfswesen, der mysteriöse Vogel Olog, ein Drachen der einen Schatz bewacht ... viele Abenteuer haben König Hondor und Herras zu bestehen. Auf ihrem Weg zur Freiheit treffen sie Verbündete, von denen viele zu Freunden werden.
Gemeinsamkeit und Mut macht stark. Auch wenn sich die Handlung oft wendet und das Glück den Helden nicht immer hold ist, steht am Ende natürlich der Sieg des Guten über das Böse. Dabei wird es dem Leser niemals langweilig, nichts kling nach „irgendwo schon mal gelesen“. Auch der Humor – fein dosiert – kommt nicht zu kurz. Und natürlich auch nicht die Liebe ...
Am Ende haben Hondor und Herras nicht nur ihr Land befreit. Sie haben zudem einen Schatz erobert, viele Verbündete gewonnen, ein Nachbarvolk zu Freunden gemacht – aber sie haben auch Verluste hinnehmen müssen, Erfahrungen gesammelt, dass allzu viel Vertrauen und Sorglosigkeit nicht immer von Nutzen sind.
Infos zum Buch unter www.allendas.com
ISBN 3000194150 (z.Zt. nicht bei Amazon erhältlich, da limitierte Ausgabe).