Beiträge von evaczyk

    Von menschlichen und anderen Abgründen

    Eine Rezension über Ruth Lillegravens Buch "Tiefer Fjord" zu schreiben, ist nicht ganz einfach - und das liegt keineswegs daran, dass mit dem Buch etwas nicht stimmt, im Gegenteil. Es hat mich von Anfang an gefangen genommen und in Atem gehalten. Doch wie über die Essenz dieses Romans zwischen Thriller und Krimi schreiben, ohne zu spoilern? Denn ein "Whodunnit" ist dies keineswegs, sehr schnell schon ist klar, wer für mehrere Todesfälle verantwortlich ist. Doch wer muss noch dran glauben, wer ist wem auf der Spur und wie werden sich Liebe, Schuld, Loyalität und Verrat schließlich auseinanderdividieren?

    Der Titel ist jedenfalls Programm. Nicht nur, weil ein Fjord in Westnorwegen sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart der Romanhandlung eine Rolle spielt, es geht auch um innere Abgründe in einer scheinbar heilen Welt, um Schuldzuschreibungen und Sterotypisierungen, um glatte Fassaden und politische Ränkespiele. Insofern ein sehr skandinavischer Krimi, der Spannung und reale Missstände verbindet.

    Das große Thema ist häusliche Gewalt, Kindesmisshandlung. Der Arzt Haavard hat in der Klinik immer wieder damit zu tun, seine Frau Clara arbeitet im Justizministerium einen entsprechenden Gesetzesentwurf aus, den sie auch gegen politische Widerstände unbedingt durchsetzen will. Als ein kleiner Junge, angeblich vom Baum gefallen, an seinen schweren und den Ärzten verdächtigen Verletzungen stirbt, wird sein Vater kurz danach im Gebetsraum der Klinik erschossen.

    Die Autorin präsentiert zunächst mehrere mögliche Verdächtige, die zudem alle aus der Ich-Perspektive erzählen. Doch es ist Haavard, der nach einem weiteren gewaltsamen Todesfall festgenommen wird. Er beteuert seine Unschuld. Clara muss schon allein wegen ihrer plötzlich bedrohten politischen Karriere zu ihrem Mann stehen, auch wenn das Verhältnis zwischen den beiden schon lange in Lieblosigkeit erstarrt ist.

    Hat die Polizei ein unschuldiges Opfer falsch platzierter Hinweise festgenommen oder einen durchtriebenen Täter? Geschieht es den Opfern nicht irgendwie recht? Was haben all die anderen Ich-Erzähler zu verbergen, die theoretisch auch die Taten hätten begehen können? Welche Bedeutung spielt Claras Vergangenheit sowohl für ihr Engagement als auch für den Fall? das soll hier natürlich nicht verraten werden, aber Lillegraven schafft es, Misstrauen zu säen und in Abgründe blicken zu lassen. Die grandiose Fjordlandschaft mit zerklüfteten Bergen und eiskaltem Wasser, mit den Wirbeln und Strömungen steht dabei auch für die Zerrissenheit der Hauptfiguren. Heile Welt? Nein, überhaupt nicht, aber ein spannendes und fesselndes Buch, dass ich einfach nicht aus der Hand legen konnte.

    Gewalt und Verrat

    Als W.B. Yeats über irischen Nationalismus und den Osteraufstand von 1916 schrieb, da geschah das überaus poetisch ("A terrible beauty is born"). Doch ehe es den Osteraufstand gab, ehe es die IRA gab, gab es im 19. Jahrhundert die Fenians, die gegen die britische Herrschaft in Irland kämpften - auch in den irischen Communities fern der grünen Insel. In seinem Roman "Der Abstinent" schreibt Ian McGuire über den irischen Freiheitskampf aus ungewöhnlicher Perspektive mit viel hartem, düsteren Realismus. Schrecklich ist hier vieles, doch Schönheit sucht man vergebens in dunklen stinkenden Gassen, Besäufnissen, Gewalt.

    James O´Connor ist katholischer Ire und Polizist in Manchester - damit ist er überall ein Außenseiter: Für die Iren ist er ein Verräter, für die englischen Kollegen einer, dem sie nicht wirklich trauen. Nach dem Tod seiner Frau hat O´Connor den Halt verloren, ist Alkoholiker geworden. Die Versetzung nach Manchester war auch ein Versuch der Vorgesetzten in Dublin, den so zum Problem gewordenen O´Connor loszuwerden.

    Nachdem drei Fenians wegen des Mords an einem Polizisten gehängt wurden, soll O´Connor seine irischen Informanten aushorchen. Denn allen ist klar: Eine Reaktion auf die Hinrichtungen wird nicht ausbleiben. Doch der Mann, der die Toten rächen soll, kommt von weit her: Stephen Doyle, amerikanischer Ire, Ex-Soldat aus dem amerikanischen Bürgerkrieg und voll äußerer und innerer Narben, wird nach England geschickt. Zufällig ist O´Connors Neffe auf dem gleichen Schiff, ein junger Mann, der Irland als Junge verlassen hat und nun eher gezwungenermaßen aus Amerika zurückkehrt.

    O´Connors Spitzel haben herausgekriegt, dass ein Kämpfer aus Amerika erwartet wird - doch als die Polizei alle Reisenden aus der Hafenstadt Liverpool überprüfen lässt, ahnen die Fenians, dass es in ihren Reihen Verräter geben muss. Für O´Connor wird die Auseinandersetzung persönlich und obwohl er alles tut, weitere Tote zu verhindern, ist es das Misstrauen der eigenen Kollegen, das eine Abwärtsspirale in Gang setzt.

    "Der Abstinent" ist weniger ein Krimi als das Psychogramm zweier Gegenspieler, die jeder auf seine Art kaputte Typen sind. Das Manchester des 19. Jahrhunderts bietet eine Bühne für eine Atmosphäre der Hoffnungslosigkeit und Gewalt. Auch wenn es um den irischen Unabhängigkeitskampf geht, so zeigt McGuire doch das Klima einer Gesellschaft voller Ab- und Ausgrenzung, von Armut, die zum Verlassen der Heimat zwingt, vom Leben in einer anderen Armut in der Emigration, von der Solidarität, aber auch Kontrolle und Anpassungsdruck innerhalb der Community.

    McGuire lässt seine Leser eintauchen in eine Vergangenheit, die nicht die gute alte Zeit ist und in der Hoffnung weitgehend unbekannt ist. Dieses Buch hat mich bis fast zum Schluss überzeugt - dort allerdings kam es dann zu einer für mich überraschenden und irgendwie nicht zufriedenstellenden Entwicklung, die mich ein bißchen ratlos zurückließ. Die Sprache McGuires, die düsteren Bilder seines Romans und die eindringliche Atmosphäre beeindrucken jedenfalls.

    Jugendfreundschaft und erste Liebe in den 70-ern

    Eine norddeutsche Kleinstadt in den 1970-er Jahren, wo der Höhepunkt der Rebellion ist, im autonomen Jugendzentrum abzuhängen und zu kiffen. Für die (fast) 16 jährigen Freundinnen Kat und Easy ist das schon die kleine Revolte, die so manches Mal mit Hausarrest endet. Denn im Jugendzentrum gibt es nicht nur den netten aber nervigen Lothar, der immer freigiebig mit seinem Gras ist, da ist auch Fripp, der mit seinen 20 Jahren eigentlich schon ein alter Mann ist, aber den alle cool finden. Kat jedenfalls ist schwer verliebt und fällt aus allen Wolken, als ausgerechnet Fripp und Easy ein Paar werden. Unerwiderte Liebe tut immer weh, aber wenn ausgerechnet die beste Freundin die Auserwählte des Mannes ist, den ein Mädchen will, ist das natürlich noch mal so schlimm.

    Die Jungmädchenträume in der Kleinstadt, das Träumen von Aufbruch und neuen Erfahrungen hat Susann Pasztor in "Die Geschichte von Kat und Easy" glaubwürdig und sensibel eingefangen. Beim Lesen läuft quasi ein Soundtrack der 70-er Jahre Oldies, mit Räucherstäbchen, Patchouli und Outfit aus dem Indienladen.

    Auf einer weiteren Erzählebene führt der Roman in die Gegenwart. Auch Rebellen bekommen graue Haare und, im Fall von Kat, Arthritis in den Knien. Trotz ihren unter den digitalen Machern fortgeschrittenen Alters ist sie erfolgreich mit einem Lebenshilfe-Blog, gewissermaßen Sorgen- und Briefkastentante. Dann kommt ein Brief, der macht ihr klar: Hier kennt jemand die Kat hinter dem Pseudonym Mockingbird. Es geht nicht um die Sorgen und Nöte von Fremden, sondern es ist etwas Persönliches. Und das ausgerechnet zu einer Zeit, als Kat nach vielen Jahren wieder Easy trifft, in deren Ferienhaus auf Kreta.

    Sie haben sich einander entfremdet, obwohl sie sich einmal so nah waren. Zwischen ihnen steht immer noch Unausgesprochenes und die gemeinsame Urlaubwoche muss zeigen, ob Nähe und Vertrautheit wieder hergestellt werden können. Denn die Briefe and"Mockingbird" gehen weiter und verlangen nach Antworten - nicht nur im Blog, sondern auch auf Kreta.

    Mit leichter Hand und eher entspannt erzählt, geht es um die Versöhnung mit der eigenen Vergangenheit, mit der Frage, was eigentlich mal die Freundschaft ausgemacht hat und ob man sich immer noch was zu sagen hat. Ob manche Dinge vielleicht endlich mal ausgesprochen werden. Um Schuld und Vergebung. Auch wenn es um große Fragen geht, ist die Geschichte von Kat und Easy nicht allzu tiefschürfend, eher heiter mit einem Hauch von Melancholie. Auch wenn ich mir teilweise mehr erwartet habe, ein Buch wie eine Spätsommerbrise, in der schon der Herbst zu spüren ist.

    Uff...

    Uff! Das war meine erste Reaktion, als ich "Drei Kameradinnen" von Shida Bazyar aus der Hand legte. Und irgendwie hält diese Reaktion auch Tage später an, während ich versuche, eine Meinung zu diesem Buch zu formulieren, das mich mit ausgesprochen zwiespältigen Gefühlen zurückgelassen hat. Ich hätte es gerne gemocht, die Themen sprechen mich an: Frauen, Freundschaft, multikulturelle Gesellschaft, Alltagsrassismus und der Umgang damit. Und ich mochte die Schreibweise der Ich-Erzählerin an sich - die Schnoddrigkeit, den sprunghaften Erzählfluss, das Atemlose.

    Aber - und das ist ein großes Aber - genervt hat mich die unaufhörliche Schwarz-Weiß-Malerei, die Larmoyanz, die schablonenhafte Aggression, die Publikumsbeschimpfung in Buchform, die einfach mal voraussetzt, dass die Leser die "anderen" zu sein haben, die jetzt gefällig mal sehen sollen, wie es ist, wegen der ethnischen Herkunftsbiografie schief angesehen zu werden. Als ob nicht auch Menschen mit migrantischem Hintergrund zu dem Buch greifen könnten. Oder Biodeutsche, die es auch nicht leicht haben, weil sie queer sind oder eine Behinderung haben oder Altersdiskriminierung ausgesetzt sind oder einfach aufgrund ihrer sozialen Herkunft nie eine Chance hatten.

    Denn auch wenn die drei Freundinnen Saya, Hani und Ich-Erzählerin Kasih, deren Biografien nur angedeutet werden, verkörpern die unterschiedlichen Chancen, auch wenn sie alle in der gleichen Siedlung aufgewachsen sind: Hani, deren Eltern aus einem nicht näher beschriebenen Bürgerkrieg nach Deutschland geflohen sind und deren Vater auf dem Bau arbeitete, hat "nur" Realschulabschluss, arbeitet in einem hippen Start-Up als Sekretärin und wehrt sich nicht dagegen, permanent von den Kollegen ausgebeutet und mit zusätzlicher Arbeit überschüttet zu werden. Hani ist auch diejenige, über die wegen ihrer Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft auch in einem leicht verächtlichen Ton geschrieben wird.

    Kasih hat Soziologie studiert und ist ganz erstaunt, dass es nach Abschluss des Studiums nicht mit einem Arbeitsplatz klappt, während Saya, die ständig Rassismus sehende und dagegen wütende, zur jet-settenden Kosmopolitin geworden ist, in Metropolen auf verschiedenen Kontinenten gelebt hat und offensichtlich sehr erfolgreich ist. Wer da für sich in Anspruch nimmt, unterprivilegiert und aus rassistischen Gründen benachteiligt zu sein - ich weiß ja nicht.

    Saya ist auch der dreh- und Angelpunkt in Kasihs Gedanken, die aus reißerischen Medienartikeln zitiert, in denen angedeutet wird, dass Saya im Gefängnis ist, dass ihr ein islamistischer Brandanschlag vorgeworfen wird. In Rückblenden wird von den letzten Gesprächen der drei Freundinnen erzählt, von Jugenderinnerungen, vom gemeinsamen Besuch bei der Hochzeit einer Bekannten aus der Siedlung, in der sie aufgewachsen sind. Und zwischendurch immer wieder Ansprache an den Leser, häufig in aggressiv-herablassendem Tonfall nach dem Motto, ey du Ignorant, war doch alles ganz anders, aber natürlich peilst du es nicht, weil du nur Stereotypen im Kopf hast und so verpeilt bist, dass ich dir jetzt sagen muss, was Sache ist. Brauch ich das? Nein.

    Es gibt eindrückliche Szenen in "Drei Kameradinnen", die unverbrüchliche Freundschaft, das füreinander einstehen, der Bezug zu den NSU-Morden und dem Umgang von Polizei und Justiz mit den Opfern und ihren Angehörigen. Leider, leider gerät all dies in den Hintergrund, wenn ich am Ende nach einer neuen Wendung der Erzählung das Gefühl habe, auf mehr als 300 Buchseiten verarscht worden zu sein. Wenn Bazyar ihren Lesern einen entlarvenden Spiegel vorhalten wollte (und überhaupt, wer ist denn "der/die Leser*in???) hat sie auf diese Weise der Sache, um die es ihr ja wohl ging, keinen echten Gefallen getan. Denn trotz aller unbestreitbaren guten und interessanten Aspekte dieses Buchs bleibt am Ende dieses genervt-verärgerte"Uff".

    Väter, Söhne, Schuhe

    Die Rolle als Kronprinz des "Kaisers der Schuhe" hat nicht nur Vorteile: Alex Cohen, Sohn eines Schuhfabrikanten in China, muss es erst noch schaffen, sich aus dem Schatten seines Übervaters hervorzuarbeiten. Wie sehr er als verkleinerte Fortsetzung des Macher-Menschen gesehen wird, zeigt sich schon an der Tatsache, dass sowohl die Angestellten des Hotels, in dem die Cohens wie all die anderen Expats leben, als auch die Mitarbeiter der Schuhfabrik ihn als "Mr Younger Cohen" anreden.

    In Spencer Wises Roman "Im Reich der Schuhe" geht es aber nicht nur um eine Vater-Sohn-Geschichte, sondern auch um Identität und Herkunft, um eine Liebe über soziale und kulturelle Schranken hinweg, um ein China, dessen wirtschaftlicher Erfolg von Wanderarbeiten bezahlt wird, die der Perspektivlosigkeit des Dorfes entkommen wollen, in den Städten aber nicht ankommen dürfen.

    Als Cohen Senior Alex zum Teilhaber befördert, könnte das eine Krönung der bisherigen Laufbahn des 26-jährigen sein - oder doch die totale Vereinnahmung? Dem Schuhgeschäft kann Alex nicht entkommen, schon der Urgroßvater, damals noch im litauischen Stetls, fertigte Schuhe an. Der Familientradition lässt sich nicht entkommen. Alex zeigt Interesse an den Chinesen, muss aber erkennen, dass er für sie stets der "Gweilo" bleibt - der Geistermensch, der Fremde. Und ist damit die jüdische Diaspora-Erfahrung wieder gerade gerückt, das Gefühl, überall ein Außenseiter zu sein und nicht, wie in den USA, gewissermaßen in der weißen Masse unterzugehen?

    Die Näherin Ivy ermöglicht Alex einen Blick in das China, das den Fremden verschlossen ist - die Traditionen der engen Verbindung zu den Ahnen, das Trauma des blutig niedergeschlagenen Protests auf dem Tiananmen-Platz, den sie als junge Frau erlebte, die Hoffnungen auf Wandel. Alex verliebt sich in Ivy und wird von ihr für eine Protestbewegung rekrutiert. Doch der örtliche Parteichef will ihn ebenfalls als Spitzel. Ähnelt die Erfahrung der niedergewalzten Demokratiebewegung nicht dem Leid seiner Litvak-Vorfahren, die Opfer von Pogromen wurden?

    Nur sehr vordergründig erzählt "Im Reich der Schuhe" eine Liebesgeschichte. Sehr viel mehr geht es um die Konflikte, die Alex beschäftigen - das Verhältnis zum übermächtigen Vater, das Vermächtnis von Generationen Schuhe herstellender Cohens, der Wunsch, Teil einer Veränderung zu sein - sowohl wenn es um die Lebensbedingungen der Arbeiter geht als auch um unternehmerische Neuausrichtung. Für eine Coming of Age-Geschichte mag Alex schon ein wenig alt sein, aber auch hier geht es um Entscheidungen und Weichenstellungen. Die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Verhältnisse sind dabei ein Katalysator, denn reflektiert wird immer auch Alex´s eigener Hintergrund als junger, jüdischer Amerikaner.

    Seniorenquartett auf Mörderjagd

    Die Haare mögen schütter geworden sein, die Gelenke knarren und das Gehör hat auch schon mal besser funktioniert. Kein Grund, Senioren zu unterschätzen, und keinesfalls das betagte aber putzmuntere Quartett in Richard Osmans "Donnerstagmordklub" Die vier Bewohner einer exklusiven Seniorenwohnanlage im ländlichen Kent haben sich zusammengefunden, um unaufgeklärte Mordfälle zu lösen. Fälle, die einst Gründungsmitglied Penny, ehemalige Detective Inspector, mit in den Ruhestand nahm.

    Mittlerweile liegt Penny nach mehreren Schlaganfällen auf der Pflegestation. Ihre Freundin Elizabeth, die auf eine mysteriöse Geheimdienstvergangenheit zurückblicken kann, hat daher die ehemalige Krankenschwester Joyce zum Club dazugeholt - mit ihren medizinischen Fachkenntnissen und ihrer scheinbaren Arglosigkeit eine ideale Ergänzung. Dem Club gehören außerdem noch der einstige Psychiater Ibrahim an, der sich mit Schwimmen und Pilates fit hält und auch technisch auf dem neuesten Stand ist sowie Ron, der als "roter Ron" auf sämtlichen Barrikaden, Streiks und Arbeitskämpfen seit der Thatcher-Ära die Ärmel hochkrempelte und auch heute keinem Streit für eine gute Sache aus dem Weg geht.

    Die eher theoretische Aufklärung von "cold cases" aus Pennys Akten wird plötzlich zum heißen Fall, als ein Bauunternehmer tot aufgefunden wird. Zumal es sich nicht um irgendeinen Unternehmer handelt, sondern um den Mann, der mit dem Immobiliendeveloper Ian vor den Augen der Senioren einen Streit hatte. Und Ian will die Seniorenanlage auf dem Gelände eines ehemaligen Klosters erweitern. Für Kontroversen sorgt dabei, dass auch der "Garten der Ewigkeit", prosaischer der Friedhof des Klosters, plattgemacht werden soll. ...

    Skurril, exzentrisch und very british sind die Figuren dieses unterhaltsamen Kriminalromans, der bei allem Humor auch ernste Töne anschlagen kann, ohne jemals ins Kitschige oder Sentimentale abzugleiten. Da ist die Einsamkeit nach dem Tod des Partners und vieler Freunde, die Angst vor einer Demenz, der Kampf um Würde und Autonomie. Altsein ist nichts für Weichlinge, so viel ist klar.

    Ob Elizabeth als Meisterin der Manipulation die örtliche Polizeimacht für ihre Zwecke einspannt, Joyce Annäherung an einen einsamen Witwer sucht oder Ron sich um seinen Sohn, einen ehemaligen Profiboxer mit schillernder Vergangenheit sorgen muss - es ist schwer, die Senioren auf Mörderjagd nicht ins Leserherz zu schließen.

    Richard Osman hält die Handlung nicht nur mit seinem unerschrockenen Quartett und eingeschobenen Tagebuchabschnitten von Joyce am Laufen. Ob ein leitender Ermittler mit Gewichtsproblemen, gleich mehrere falsche Identitäten und alte Kriminalfälle warten auf Aufklärung. Wenn nach zahlreichen Verwicklungen das letzte Kapitel dem Ende zugeht, packt mich großes Bedauern. Die Mitglieder des Donnerstagsmordclub und ihr Umfeld sind verdammt liebenswert - da kann doch nicht schon Schluss sein? Ein Trost bleibt: Laut Verlagsseite handelt es sich um den 1. Band einer Serie. Das ist doch ein gutes Versprechen!

    Die Magie des Bienenjungen

    Ein bißchen Magie steckt in vielen Werken lateinamerikanischer Autoren, und Sofia Segovias "Das Flüstern der Bienen" macht da keine Ausnahme. Episch und farbenfroh ist die Geschichte einer mexikanischen Großbesitzerfamilie aus der Zeit der Revolution und ihres Findelkindes Simonopio. Die Amme des Haziendero, die schon dessen Vater aufgezogen hatte und mit den Jahren immer mehr an eine in sich ruhende, steinerne Figur erinnert, hat sich zum ersten Mal seit langem aus ihrem Schaukelstuhl erhoben und unter einer Brücke ein offenbar ausgesetztes Neugeborenes gefunden, das ganz von einem Schwarm Bienen bedeckt wurde. Der Anblick des Jungen, dessen Mund durch einen gespaltenen Oberkiefer entstellt ist, entsetzt abergläubische Landarbeiter - der Patron Francisco aber zieht Simonopio als sein Patenkind auf. Für den kleinen Francisco, den Jahre später geborenen Sohn des Landbesitzers, wird er ein enger Freund und großer Bruder werden.

    Simonopio kann aufgrund der Kiefer-Fehlbildung nicht sprechen - jedenfalls nicht so wie andere. Doch er hat Fähigkeiten, die übersinnlich erscheinen - nicht nur in der Kommunikation mit den Bienen, er scheint auch zu spüren, wenn den Menschen, die er liebt, Gefahr droht.

    Segovia beschreibt ein Mexiko des Wandels. Im Norden, in Texas, werden schon Traktoren auf den Feldern eingesetzt und auch der Haziendero liebäugelt mit moderner Technik. Zugleich herrscht Bürgerkrieg, die Sorge um Frauen und Töchter vor einer Soldateska prägen das Leben von Besitzenden wie Besitzlosen. Und es gärt in der Gesellschaft, landlose Landarbeiter wollen sich das Land nehmen. Es ist ein Konflikt, der am Ende auch Franciscos Ländereien erreichen wird.

    Mit der Schilderung der Spanischen Grippe und ihrer Auswirkungen ist der Autorin ein besonders eindringlicher Abschnitt in ihrem Buch gelungen, der angesichts der Coronapandemie besonders beklemmend ist. Denn in einer Zeit, als sowohl Gesundheitswesen als auch Infektionsschutz schwach entwickelt waren, war das große Sterben dramatisch. Die Hazienda entgeht dem Schicksal vieler Nachbarn, dank Simonopias geheimnisvoller Ahnungen. Doch die Welt nach der Epidemie ist für alle eine andere.

    "Das Flüstern der Bienen" ist ein Buch, bei dem man beim Lesen Honig schmeckt, Orangen riecht und das Summen der Bienen zu hören glaubt - voll menschlicher Wärme, Opulenz und einer generationsüberspannenden Familiengeschichte voller Liebe, Tragik und Umbrüche.

    Olga und ihre Männer

    Olga hat ein klares Ziel: Medizinstudium abschließen, den aus einer alteingesessenen Arztfamilie stammenden Studienkollegen Felix van Saan heiraten und somit auf den Höhen der gesellschaftlichen Akzeptanz angekommen, den Bruch mit ihrer Migrationsbiographie vollziehen. Dass Felix für seinen Promotionsabschluss ausgerechnet nach München geht, wo ihre Familie lebt, ist dabei allerdings ein wenig ärgerlich. Denn Olga hat vornehm verschwiegen, dass ihre soziale Herkunft sich vom großbürgerlichen Milieus der van Saans denn doch ein wenig unterscheidet.

    Nicht nur, dass ihr Vater, der in der georgischen Heimat als Bergbauingenieur arbeitete, nun mangels Anerkennung seiner Abschlüsse nur als Hilfsarbeiter arbeiten kann, der Umgang ihrer Eltern mit der deutschen Sprache ist eher kreativ als korrekt. Olga ist das peinlich. Sie selbst ist nicht nur integriert, sie ist superintegriert, hat den bayrischen Vorlesewettbewerb gewonnen, sieht sich als "deutscher als ein Bamberger Hörnchen".

    In den ersten Kapiteln von Angelika Jodls"Laudatio auf eine kaukasische Kuh" kann Olga noch nicht ahnen, dass ihre Pläne nicht etwa durch den Realitätssschock einer Begegnung zwischen Felix und ihrer Familie durchkreuzt werden, sondern durch Jack, der als Hansdampf sämtlicher akademischer Gassen als Ghostwriter Examensarbeiten schreibt und sich bei einer zufälligen Begegnung am Bahnhof Hals über Kopf in Olga verliebt.

    Obwohl Jack Methoden anwendet, die sich nur als Stalking bezeichnen lassen, reagiert Olga gegen ihren Willen zunehmend mit Schmetterlingen im Bauch auf den hartnäckigen Verehrer, der ihr selbst bis in den Kaukasus nachreist.

    Ihre weiblichen Verwandten, allen voran die Mutter und die Großmutter, sind weitaus weniger beeindruckt von Olgas Chancen auf den sozialen Aufstieg. Schließlich geht sie auf die 30 zu und ist noch immer unverheiratet - aus kaukasischer Sicht ein spätes Mädchen mit zunehmend schrumpfenden Aussichten auf einen Ehemann, der am besten einer der ihren sein sollte - ein Mitglied der griechischen Minderheit Georgiens.

    Jodl geht auf unterhaltsam-humoristische Weise auf den Zwiespalt von Migranten der zweiten Generation ein, die zwischen den Kulturen gefangen sein können, dem Druck der Herkunfts- wie der neuen Gesellschaft gleichermaßen ausgesetzt sind. Diese Leichtigkeit ist angesichts der mitunter verbissen-dogmatischen Betrachtungen des Themas in eher als Kampfmittel betrachteter Literatur eine nette Abwechslung. Andererseits übernimmt Jodl zahlreiche Klischees der heißblütigen, irgendwie ziemlich archaischen Kaukasusbewohner, die im heutigen Russland noch immer aus sowjetischen Zeiten florieren. Der Gefühlswirrwarr Olgas zwischen Felix und Jack ist nicht immer nachvollziehbar, die Entwicklung aber dennoch vorhersehbar.

    Trotz einiger Längen und Stereotypen eine unterhaltsame, augenzwinkernde Lektüre - und besonders hervorzuheben ist die kreative Cover-Gestaltung. Wie es zum Buchtitel kam, wird dann während des Besuchs im Kaukasus übrigens auch noch geklärt.

    Von Recht und Gerechtigkeit


    Schuld, Gerechtigkeit und irgendwo dazwischen steht das Gesetz. In Markus Thieles Justizroman "Die Wahrheit der Dinge" geht es um einen Richter in privater und beruflicher Krise, den Vorsitzenden einer Strafkammer, der plötzlich an sich und seiner Urteilsfähigkeit klagt, während sein jüngstes Urteil nicht nur eine mögliche Revision durch den Bundesgerichtshof, sondern auch eine Familienkrise heraufbeschwört.

    Es wäre das fünfte Urteil, das der BGH kippt - für Frank Petersen ein Grund, plötzlich alles zu hinterfragen. Ist er voreingenommen, wie seine Frau es ihm vorwirft? soll er erst einnal eine gesundheitlich begründete längere Auszeit nehmen, wie seine Gerichtspräsidentin ihm vorschlägt?

    "Die Wahrheit der Dinge" ist kein Justizthriller a la Grisham, wie ja auch ein Strafprozess in einem deutschen Gerichtssaal nicht dem Schlagabtausch wie in den USA oder in Großbritannien gleicht, wo die Prozessbeteiligten eine Gruppe Geschworener von ihrer Sichtweise überzeugen müssen. In einer Strafkammer, in der die professionellen Richter die Mehrheit haben, geht es deutlich spröder zu - auch wenn die Fälle spektakulär sein können. Der Autor ist selbst Rechtsanwalt - mit den Fragen um Schuld und Sühne kennt er sich also ebenso aus wie mit dem Ringen um die Wahrheit vor Gericht. In diesem Buch liegt der Schlüssel zu den großen Fragen oft in den kleinen Einzelheiten - und im Hinterfragen der eigenen Person, wie Petersen lernen muss.

    "Unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen" soll das Urteil sein, dass ein Richter im Namen des Volkes spricht. In einem wenige Jahre zurückliegenden Fall Petersens hatte die Kammer diese Möglichkeit nicht. Denn am Tag der Urteilsverkündung, dem Tag des letzten Wortes des Angeklagten hat die Nebenklägerin eine Waffe gezogen und den Mann, dem die Schuld am Tod ihres Sohnes vorgeworfen wurde, erschossen.

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    Es war geschehen, was niemals geschehen durfte, eine Situation, die auf Anhieb tausend Fragen aufwarf. Doch so unvorstellbar und belastend diese Minuten auch waren, an ihn, den Vorsitzenden der großen Schwurgerichtskammer, stellte man Erwartungen, auch in einem solchen Moment. Er war der Chef, er musste Entscheidungen treffen

    erinnert sich Petersen an einer Stelle des Buches an den blutigen Zwischenfall.

    Corinna Maier, die Frau, die den Mörder ihres Sohnes erschoss, wurde wegen Totschlags verurteilt. Als sie entlassen wird, holt Petersen sie im Gefängnis ab. Nicht nur, um ihr das Spießrutenlaufen durch die vor dem Gefängnistor wartenden Kamerateams zu ersparen. Mit diesem Fall, so schildert er der Gefängnisdirektorin, sei der Zweifel gekommen, nichts habe mehr Gültigkeit. Meine Urteile sind Mist, mein Sohn spricht nicht mehr mit mir, und jetzt ist mir auch noch die Frau davongelaufen."

    Doch bis sich ein zerbrechliches Vertrauen und ehrliches Gespräch zwischen Petersen und Maier, einer verschlossenen und verbitterten Frau, aufbaut, dauert es. Die Suche nach der Wahrheit ist hier nicht allein Sache eines Gerichtsverfahrens, sondern auch im Zwischenmenschlichen - zwischen Petersen und Corinna Maier, aber auch zwischen dem Richter und seiner Frau, seinen Kollegen und nicht zuletzt sich selbst gegenüber.

    Das Buch verläuft auf zwei Zeitebenen - in der Gegenwart geht es um den Richter in der Krise, in der Vergangenheit seit 1989 um das Leben der Medizinstudentin Maier, die sich in einen schwarzen südafrikanischen Doktoranden Steve verliebt.

    Nach Steves Tod hat Corinna ihr Medizinstudium aufgegeben, lebt als alleinerziehende Mutter prekär, macht sich zunehmend Sorgen um ihren Sohn und seine ungeklärten Geldquellen. Bis eines Tages die Polizei vor der Tür steht - Jo sei unter verdächtigen Umständen an einer Überdosis Heroin gestorben, die ihm wohl gewaltsam verabreicht worden sei. Wie es dazu kam, erschließt sich allmählich, während immer wieder auch Petersen Rechtfertigungsversuche für sein eigenes Verhalten im Prozess unternimmt.

    "Die Wahrheit der Dinge" erzählt eher spröde, still und unspektakulär, doch es geht um die großen Fragen von Schuld und Gerechtigkeit. Der Fall der Selbstjustiz übenden Mutter ist ebenfalls an die wahre Geschichte von Marianna Bachmeier angelehnt, die den Mörder ihrer kleinen Tochter erschoss. Indem der Autor den Justizroman in einen Zusammenhang mit rechtsextremistischer Gewalt und strukturellem Rassismus rückt, erfährt er noch zusätzliche Aktualität.

    Die Oma unter Kleingärtnern

    Online-Oma Renate Bergmann ist zurück und in einem Berlin, in dem von Corona keine Rede ist, geht sie unter die Kleingärtner. Zwar ist die 82-Jährige gut damit beschäftigt, ihre vier Ehemänner oder vielmehr ihre Gräber zu gießen - aber was tut man nicht alles für gute Freundinnen, in diesem Fall Gertrud. Deren Lebensgefährte muss sich nämlich einer Bandscheibenoperation unterziehen. Doch wer kümmert sich in der Zwischenzeit um die Kleingartenparzelle?

    Klar, dass Renate Bergmann da nicht untätig bleiben kann und in gewohnt launigem Ton in "Fertig ist die Laube" die Welt der Kleingärtner kommentiert. Dass ihr Einsatz nötig ist, stellen die beiden Frauen schnell fest, denn in einer Laubenpieperkolonie herrschen strenge Regeln und so manchem ist die mit jeder Menge Metallschrott überlagerte Parzelle des Bandscheibenpatienten schon länger ein Dorn im Auge. Ganz besonders dem Verwalter der Kleingärtnergemeinschaft, den Renate noch als Platzwart von ihrem Campingabenteuer kennt....

    Die beiden rüstigen Damen aquirieren Helfer, zücken den Korn-Flachmann und krempeln die Ärmel hoch. Gewissermaßen nach dem Motto: Einmal Trümmerfrau, immer Trümmerfrau. Das Aufräumen der Parzelle kriegen sie jedenfalls hin, dann ist der gärtnerische Ehrgeiz geweckt. Zwischen dem Spießertum strenger Kleingartenregeln, in denen selbst die Höhe der Hecke normiert ist, und ökologischen Freigeistern, die am bei Neumond Unkraut jäten (oder war es Vollmond?) lernt auch die erfahrene Gräberpflegerin Renate einiges dazu. Nur was mit all den vielen Zucchini zu machen ist, die von Kleingärtner zu Kleingärtner "verschenkt" werden, bleibt nicht nur ihr ein Rätsel.

    Launig geschrieben in gewohnter Manier ist auch dieser Monolog der "Online-Oma" unterhaltsam zu lesen. Für ein paar Schmökerstunden in der Laube oder auf dem Balkon auch für Nicht-Gärtner geeignet.

    Detroit Noir

    Mit seinem Buch "Der gekaufte Tod" hat Stephen Mack Jones für mich einen Krimi mit Wow-Effekt geschrieben: Tough und hart, doch zugleich mit Wärme und Menschlichkeit, mit einem interessanten Protagonisten und einem Plot, in dem es um Korruption, Machtmissbrauch und den drohenden Untergang einer Stadt geht, ohne zu beschönigen oder zu resignieren. Geschrieben in einem lakonischen Stil, der manchmal von düsterer Poesie durchsetzt ist, ein Krimi Noir, der Schablonen vermeidet und atmosphärisch dicht ist, dazu spannend bis zum Schluss.

    In einer Stadt, aus der die wohlhabenden Weißen fliehen und in der sich die Latinos und die Afroamerikaner nicht gegenseitig über den Weg trauen, ist August Octavio Snow ungewöhnlich: Die Mutter stammte aus Mexiko, der Vater ein schwarzer Cop, der aus dem tiefsten Süden stammte und sich den Respekt der Nachbarn in Mexicantown erwarb.

    Auch August wurde nach seinem Dienst bei den Marines in Afghanistan Polizist, doch das ist Vergangenheit. Nach seiner Klage gegen seine Entlassung - er ermittelte gegen korrupte Kollegen bei der Polizei und in der Politik - ist er zwölf Millionen Dollar reicher und kehrt nach einem Jahr auf Reisen zurück in seine Geburtsstadt und nach Mexicantown in das Haus, in dem er aufgewachsen ist. Inzwischen hat er hier nur noch die Gräber seiner Eltern.

    Kurz darauf bittet ihn die Großunternehmerin Eleanor Padget, Vorkommnisse in ihrer Bank zu untersuchen. Das lehnt Snow up. Wenige Tage später ist die Frau tot, angeblich Selbstmord. Snow allerdings will nicht daran glauben. Ohne Auftrag oder Polizeimarke ermittelt er auf eigene Faust, versucht, über einen Hacker herauszufinden, ob etwas an der Bank verdächtig ist. Schnell stellt er fest, dass sowohl der CEO der Bank als auch FBI und Polizei nicht glücklich sind über seine Schnüffelei. Snow wird bald klar, dass er in mehr als ein Wespennest gestochen hat - und nicht nur sein Leben ist bald in Gefahr.

    Mit einem alten Freund und einem Ex-Soldaten, der noch seine Rolle im zivilen Leben sucht, muss sich Snow gegen Widersacher wehren und das Leben von Eleanore Padgets Tochter schützen. Gewissermaßen als Schwert in Gottes linker Hand, wie es an einer Stelle heißt. Wobei Snow auch im Rechtschaffenheit bemüht ist, das Viertel seiner Kindheit nicht aufgeben und Gangs und Drogen überlassen will. Ein jugendlicher Kleinkrimineller wird zu einem Projekt für ein anderes Leben und auch die mexikanische Familie mit problematischem Aufenthaltstatus beschäftigt den Ex-Polizisten.

    Es passt irgendwie, dass der große Showdown diese Detroit noir-Krimis ausgerechnet zwischen den katholischen Feiertagen Allerheiligen und Allerseelen stattfindet. Die Noche de los muertes, in der die Mexikaner ihrer Toten gedenken, an den Gräbern das Leben feiern, ist hier eine Nacht, in der vieles enden kann.

    Stephen Mack Jones nimmt seine Leser mit auf eine tour de force durch Detroit, mit immer wieder neuen Wendungen, mit reichlich Gewalt aber auch einer Perspektive einer gewissen Hoffnung. Und ich hoffe definitiv, mehr von diesem Autor zu lesen.

    Menschen, die jahrelang im Koma lagen, müssen sich, sollten sie aufwachen, an vieles Neue gewöhnen - Technologien haben sich weiterentwickelt, die Gesellschaft hat sich verändert. Nicht so im Fall von Franzisk, dem Protagonisten von Sasha Filipenkos Roman "Der ehemalige Sohn". Das Belarus, in dem Franzisk nach zehn Jahren im Koma als 26-jähriger aufwacht, erinnert eher an die Sowjetrepublik seiner Kindheit. Eine eingefrorene, erstarrte Gesellschaft, ein Land, das selbst komatös erscheint. Die Zeit scheint stehengeblieben.

    Filipenko hat mich als Autor bereits mit seinem Roman "Rote Kreuze" beeindruckt über die Freundschaft zwischen einem jungen alleinerziehenden Vater und einer unter Demenz leidenden alten Frau, die ihre Erinnerungen an die Schrecken des Stalinismus weitergeben will. "Der ehemalige Sohn" stammt zwar aus dem Jahr 2014, ist aber angesichts der Ereignisse in Belarus und der Betrachtungen über das Regime des Langzeitpräsidenten Lukaschenko - der im Buch nicht namentlich genannt wird - hochaktuell.

    "Der ehemalige Sohn" erzählt die Geschichte von Franzisk, der von seiner resoluten Großmutter aufgezogen wird und in einer Unterführung in eine Massenpanik gerät. Zehn Jahre liegt er im Koma, die Ärzte haben ihn schon längst aufgegeben, selbst die eigene Mutter ist weitergezogen, hat ausgerechnet den Chefarzt der Klinik geheiratet und eine neue Familie gegründet. Nur die Großmutter kämpft unermüdlich um die lebenserhaltenden Maßnahmen für Franzisk, besucht ihn ständig, spricht zu ihm. Das Wunder erlebt sie nicht mehr: Franzisk erwacht einen Tag nach ihrem Tod aus dem Koma, erholt sich überraschend schnell, auch wenn er anfangs wie als Symbol der Desorientierung ein Gemisch aus Russisch und Weißrussisch spricht.

    Ein Schulfreund versucht, ihn up to date zu bringen - doch je mehr er erzählt, desto weniger versteht Franzisk: "Wahrscheinlich war es besser, im Westen aus dem Koma zu erwachen. In einem kleinen Land, wo alles klar und vernünftig war. Wo die Ereignisse der Logik entsprachen und dem jahrhundertelangen Lauf der Dinge. Was Stass erzählte, war nicht annehmbar, nicht begreifbar. Das wollte alles nicht in seinen Kopf hinein."

    Im Hof von Franzisks Wohnhaus spielen die Kinder "Proteste zerschlagen". Die Polizei hat selbst dem im Koma liegenden Fingerabdrücke genommen für den Fall, dass er sich an einer Oppostionskundgebung teilgenommen hat.

    Eine der eindrücklichsten und so sehr an das aktuelle Belarus erinnernden Szenen schildert die Teilnahme der Freunde an einer Oppositionskundgebung, an den Moment der Hoffnung, dass das Land erwacht ist, dass sich doch etwas geändert hat: "Es würde schrecklich werden, aber nicht hinzugehen war keine Option, es war zu spät für einen Rückzug. Das Volk musste der Staatsmacht um jeden Preis zeigen, dass es unzufrieden war, dass sie nichts mehr gemeinsam hatten und es Zeit für eine Trennung war." Es ist ein Demonstrationszug, der selbst die Führer der Opposition überrascht "in diesen verängstigten, an die Wand gefahrenen, in die Ecke gedrängten Land". Und gewiss - der Traum vom Wandel wird brutal zerschlagen.

    Mit viel bitterem Humor hat Filipenko sein Buch geschrieben. Belarus ist ein Opfer seiner Geschichte und seiner geografischen Lage, die Geschichte scheint im Kreis zu verlaufen und von der Geopolitik dominiert zu werden. Die postsowjetische Gesellschaft erinnert noch stark an die Zeiten des Imperiums und jeder, der die Welt der östlichen Seite des "Eisernen Vorhangs" erlebt hatte, erkennt vieles wieder. Statt dessen sind neue Formen von Korruption und Ausnutzung hinzugekommen, wie die Beispiele der blutjungen Frauen mit westlichen "Verehrern" zeigen, ob es sich nun um westliche Sextouristen oder Mitarbeiter westlicher Botschaften handelt.

    Für Franzisk, der erleben muss, dass selbst in der eigenen Familie sein Platz weitervergeben wurde und er angesichts der Prinzenrolle des kleinen Halbbruders nur noch der ehemalige Sohn ist, bleibt als einziges Ziel die Auswanderung, zu den deutschen Eltern, die seinerzeit angeblich verstrahlten Kindern aus Tschernobyl in den Sommerferien Erholung boten. Seine Erkenntnis: Ein Koma reicht.

    Mit "der ehemalige Sohn" hat Filipenko ein Buch geschrieben, das zwar wenig der historischen Hintergründe von Belarus (die in einem Nachwort der Übersetzerin erläutert werden) schildert, aber gewissermaßen Alltag und Seele der Gesellschaft beschreibt. Für Leser, die sich auch für die aktuelle Situation in dem Land interessieren, eine ebenso spannende wie wichtige Lektüre.

    Spione amNil


    Als Thriller bezeichnet der Verlag "Die Experten" von Merle Kröger, die Autorin selbst spricht in ihrem Nachwort von einem "dokumentarischen Roman, was auf jeden Fall zutreffend ist. Denn in die Anfang der 60-er Jahre spielende Handlung sind zahlreiche dokumentarische Hintergründe eingearbeitet. Da es sich hierbei allerdings nicht um Fußnoten oder sonstige Anmerkungen handelt, wird der Erzählfluss immer wieder unterbrochen - und das dämpft das Lesevergnügen doch ganz erheblich, vor allem, da es bei einem Thriller immer auch um Spannungsaufbau geht. So gerät der Lesefluss doch eher zäh.

    Hauptfigur ist Rita Hellberg, die heranwachsende Tochter eines Flugzeugingenieurs, der in der jungen Bundesrepublik keine Chance für die Forschungsarbeit sieht, die er gerne betreiben will. Er folgt dem Ruf der ägyptischen Regierung, die deutsche Experten für ihr Luftfahrt- und Raketenprogramm anwirbt. Rita, die gerade wegen unerlaubten Männerbesuchs aus dem Internat geflogen ist, muss zunächst widerwillig nach Kairo übersiedeln, wo die Eltern mit der jüngeren Schwester schon wohnen. Ihr älterer Bruder Kai hingegen, der sich vor allem für Musik interessiert und zur aufbegehrenden Generation gehört, die Fragen nach der Verantwortung der Elterngeneration während des Nationalsozialismus stellt, bleibt in Hamburg zurück.

    Rita hat zwar keinen Schulabschluss, landet aber als Sekretärin im Team deutscher Raketenforscher. Sie fühlt sich schnell wohl am Nil und in der ganz anderen Welt, vor allem als sie den jungen Ägypter Hani kennenlernt und sich in ihn verliebt. Doch die deutschen Experten sind nicht unumstritten: In Deutschland wird zunehmend befürchtet, sie könnten Geheimnisse verraten, der Zugang zu ihren alten Arbeitgebern ist plötzlich versperrt. Und auch politisch gibt es Bedenken in einer Zeit, als es zu vorsichtigen diplomatischen Annäherungen an Israel kommt: Könnte das Raketenprogramm nicht der Raumfahrt dienen, sondern einem Atomprogramm, das die Sicherheit Israels bedroht? Mossad, BND und ägyptischer Geheimdienst belauern sich und die Experten gleichermaßen, es gibt Drohungen und Anschläge. Zudem gibt es mehrere Altnazis, sogar gesuchte Kriegsverbrecher.

    Hier wäre nun in der Tat reichlich Thriller-Stoff, doch die Autorin erzählt zugleich eine Familiengeschichte - hier Rita, die als junge Frau ihren eigenen Weg sucht, dort ihre frömmelnde und unter einem Putzfimmel leidende Mutter, die eine Belastung für die Familie ist, da die Beziehung des Vaters zu einer jungen Frau in Ritas Alter. Auch diest trägt dazu bei, dass der Spannungsbogen eiert. Zudem bleibt Hauptfigur Rita trotz all der Buchseiten, die ihr gewidmet sind, merkwürdig blutarm und oberflächlich - sie macht eine Entwicklung durch, aber so richtig glaubwürdig und nachvollziehbar ist das alles nicht beschrieben.

    Eine hübsche Idee ist, dass die Ereignisse mit Hilfe von drei Fotoalben der verschiedenen Jahre erzählt werden. Rita ist eine begeisterte Fotografin, und jedes Kapitel beginnt mit einem Bild, das gleichsam symbolisch für ihre Erlebnisse und Erfahrungen steht. Doch leider mindert das nicht die Erfahrung, dass der Text langatmig gerät, trotz oder gerade wegen der offensichtlich aufwändigen Rechercheleistung.

    "Im Freibad" ist ein liebenswerter Wohlfühlroman über eine ungleiche Freundschaft, über einen Reifeprozess, über Gentrifizierung und Kampf für den Erhalt kleiner Dinge gegen Kommerz und reines Gelddenken, Libby Pages Debütroman mag schlicht klingen, aber ihre Figuren wachsen dem Leser schnell ans Herz.

    Ein wenig ähnelt dieses Buch einem modernen Großstadtmärchen - wobei das Aschenbrödel in diesem Fall die junge Journalistin Kate ist, eine zutiefst verunsicherte und unter Panikattacken leidende junge Frau. Keine besonders günstigen Voraussetzungen zum Vorwärtskommen in einer Branche, die nicht dafür bekannt ist, ihre Leute in Watte zu packen und in der ein oft gnadenloser Konkurrenzkampf herrscht.

    In der Redaktion fallen für Kate denn auch nur die Art Artikel an, die eher als Textgarnitur um Werbeanzeigen benötigt werden und nicht gerade das berufliche Voirwärtskommen fördern. Bis sie auf einen eher unbeholfen gemachten Protestzettel stößt: Einwohner von Brixton wollen die geplante Schließung ihres Freibads nicht hinnehmen. Wo Generationen vor Kindern des Stadtteils schwimmen lernten, soll ein privates Fitnesscenter für die Bewohner exclusiver Eigentumswohnungen in einem neuen Apartmentblock entstehen.

    Als Kate nach den Organisatoren des Protestes sucht, lernt sie die 87 Jahre alte Witwe Rosemary kennen, die seit ihrer Kindheit im Zweiten Weltkrieg Dauerbesucherin des Freibads ist, ihr ganzes Leben im Viertel verbracht hat und für die "kleinen Leute" steht, die durch Gentrifizierung den Verlust des Vertrauten hinnehmen müssten.

    Rosemary wird, um beim Märchenvergleich zu bleiben, so etwas wie die gute Fee für Kate: Sie öffnet ihr den Blick für die Nachbarschaft, vernetzt sie mit Menschen, erzählt ihr ihre Geschichte aus dem Freibad, die auch die Geschichte einer großen Liebe ist. Rosemary überredet Kate, mit ihr schwimmen zu gehen, und was begann, um ein Interview zu bekommen, wird zu einem Wendepunkt in Kates Leben. Sie erregt nicht nur Aufmerksamkeit mit ihrem Artikel, sie beginnt zu leben, statt sich von ihren Ängsten und Unsicherheiten dominieren zu lassen. Sie entwickelt Selbstbewusstsein, findet etwas, wofür sich zu kämpfen lohnt, und sie findet neue Freunde.

    Das könnte leicht kitschig geraten, aber Libby schafft es weitgehend, Klischees zu vermeiden. Es ist schwer, Rosemary und Kate nicht zu mögen und auch die vielen kleinen Randfiguren sind liebenswert und zum Gernhaben. Ein Mutmachbuch mit bittersüßem Ende

    lter Hass, über Jahre gereift und vertieft - in Ingrid Löhnigs Kriminalroman "Unbarmherzig" trifft das gleich mehrfach zu. Eine Familienfehde in einem bayerischen Dorf, die Generationen überdauert, aber auch der lang gehegte Groll auf die Polizei begegnen Gina Angelucci von der Münchner Kripo bei ihren dienstlichen Ermittlungen sowie im privaten Umfeld.

    Die Spezialistin für ungelöste Fälle, frisch aus der Elternzeit zurück, bekommt mit ihrem ersten Fall seit der Rückkehr in den Kripo-Dienst mit einem jahrzehntealten Altfall zu tun: Nach Bauarbeiten werden in dem idyllischen Dorf Altbruck zwei skelettierte Leichen gefunden. Die Kommissarin hat Mühe, ihre Vorgesetzten von der weiteren Untersuchung des Falls zu überzeugen - schließlich könnten der oder die Mörder selbst schon lange tot sein. Doch die Gerichtsmedizinerin findet bei der Analyse der Knochen heraus, dass eines der Skelette zu einer Frau aus dem Baltikum gehört, das andere zu einem Mann, der nie außerhalb der Region gelebt hatte.

    Während des Zweiten Weltkriegs befand sich in Altbruck eine Munitionsfabrik - war die tote Frau eine Zwangsarbeiterin? Handelt es sich um ein Kriegsverbrechen, das damit auch nicht verjährt wäre? Nicht nur bei der Kripo sind die Meinungen geteilt, ob der Fall weiterverfolgt werden soll, auch in Altbruck gibt es Menschen, die eine gründliche Aufarbeitung des Fundes und damit auch der Nazi-Vergangenheit des Dorfes fordern und solche, die die Vergangenheit buchstäblich begraben lassen wollen.

    Für Gina ist klar: sie will den unbekannten Toten ihren Namen zurückgeben. Irgendwo, so ist sie überzeugt, leben Angehörige in qäulender Ungewissheit, was aus ihren Liebsten geworden ist.

    Während die Ermittlungen in der Gegenwart fortschreiten, führt ein zweiter Erzählstrang in die Vergangenheit, zu Kairi, einer jungen Frau aus Riga, die in die Heeresmunitionsanstalt in Altbruck verschleppt wurde, die unter Schuldgefühlen wegen der Verhaftung ihres Vaters leidet und von einer Rückkehr nach Lettland träumt. Gleichzeitig erfährt der Leser von zwei verfeindeten Schwestern, von einem Failienkonflikt, der über Generationen getragen wird. Ist eine Versöhnung noch möglich, oder ist die Kluft unüberbrückbar?

    Vergangenheit und Gegenwart sind eng verbunden, das findet nicht nur Gina im Laufe ihrer Arbeit in Altbruck hinaus. Dass das menschenverachtende Denken aus der Nazizeit nicht einfach Teil der Vergangenheit ist, muss sie als Mutter einer kleinen Tochter mit Down-Syndrom ebenfalls erfahren. Zudem fühlt sich Gina von einer Unbekannten beobachtet - droht Gefahr im privaten Umfeld?

    Die Zeitsprünge, die Inge Löhnig ihren Lesern präsentiert, verwirren nicht, sondern helfen beim Verständnis, was einst in Altbruck passiert ist. Der Kriminalfall ist gut eingebettet in die Frage nach dem Umgang mit vergangenem Unrecht und der Verantwortung von Nachgeborenenen, ohne moralisierend daher zu kommen. Bei der Suche nach dem Täter präsentiert die Autorin ein paar Sackgassen und falsche Spuren - das Ende ist durchaus überraschend und versöhnlich, ohne in Kitsch abzugleiten,

    Pädophile, Neonazis, Pornosucht und ein Serienmörder - Stefan Ahnhem packt viel, sehr viel, in "10 Stunden tot". Düsterer Skandinavienkrimi oder doch eher ein Thriller? Die Genreeinordnung fällt schwer, aber nervenzehrende Spannung ist garantiert, auch wenn ich als Erstlesterin eines Romans der Reihe um den schwedischen Kommissar Fabian Risk ein bißchen ins Schwimmen kam, da ich erst nach und nach das Beziehungsgeflecht der handelnden Personen und der Fälle durchschaute, die noch aus den vorangegangenen Bänden in die Handlung reinschwappten.

    Das scheint übrigens ein Leitmotiv bei Ahnhem zu sein, denn auch am Ende von "10 Stunden tot" bleibt noch vieles offen, auch wenn über einige Fakten nunmehr Klarheit zu herrschen scheint. Diejenigen Leser, die am Ende eine gelösten Fall und einen überführten Täter erwarten, werden mit diesem Buch wohl nicht glücklich werden. Statt dessen wartet ein Cliffhanger auf den nächsten Band...

    Aber gleichzeitig: hochspannend, und selbst für skandinavische Verhältnisse tiefschwarz und voller Charaktere in existenziellen Krisen: Der Kommissar, der das Auseinanderbrechen seiner Familie befürchten muss und nach dem Tod seines Chefs dessen geheime Ermittlungen zu einem ungeheuerlichen Verdacht übernmmt, seine mit Alkoholsucht kämpfende Vorgesetzte, ein Kollegin, die nicht nur eine toxische Beziehung hat, sondern auch ins Visier frauchenverachtender rechtsextremer Rocker gerät - und das sind nur einige der Plots.

    Angefangen vom grausamen Tod eines syrischen Jungen über die Brandstiftung in einer Flüchtlingsunterkunft gehen die Ernittler der Frage nach, ob es einen pädophilen oder einen rassistischen Hintergrund der Tat gibt. Doch auch mehrere bizarrer Morde halten das Ermittlerteam auf Trab. Dass sie so große Probleme haben, ein Tatmotiv für diese Taten zu finden, hat einen Grund: Der Täter plant zwar akribisch, findet seine Opfer aber auf ganz besondere Weise. Immer wieder wechselt die Erzählperspektive, mal aus der Sicht des Täters, mal aus der Sicht der Ermittler.

    Wie schrieb schon Büchner: Jeder Mensch ist ein Abgrund....

    10 Stunden tot ist eines der Bücher, an denen man dran bleiben muss, sonst verläuft sich der Leser leicht im Dickicht der Handlungsfäden. Ganz bestimmt ist dieses Buch nichts für die Anhänger von Cozy Krimis, denn es gibt schon einige Härten. Gleichzeitig ist es schwer, das Buch aus der Hand zu lesen - ich habe es jedenfalls an einem Wochenende verschlungen.


    von mir gibt es viereinhalb Sterne!

    Besonders abeteuerlustig ist er nun wirklich nicht, der namenlose Ich-Erzähler in Friedemann Karigs Debütroman "Dschungel". Er ist nicht schwindelfrei, Abgründe machen ihm Angst, er ist eher introvertiert und es fällt ihm schwer, auf andere Menschen zuzugehen. Doch ausgerechnet er macht sich nun auf den Weg nach Südostasien, ins Ungewisse und auf der Suche nach Felix, seinem besten Freund, der anscheinend spurlos verschwunden ist. Sein letztes Lebenszeichen kam aus einem Hostel in Kambodscha, und genau dorthin reist nun auch der Abenteurer wider Willen.

    Die Reise in die Ferne findet ihre Entsprechung in einer Reise in die Vergangenheit, denn in vielen, oft grüblerischen Rückblenden erfährt der Leser von der wechselvollen Freundschaft zwischen Felix und dem Erzähler, die seit der Grundschulzeit andauert. Äußerlich ähneln sich die beiden jungen Männer offenbar, doch vom Charakter her könnten sie nicht unterschiedlicher sein. Felix, das ist derjenige, der Risiken eingeht, der Aufregung sucht, dem Freundschaften leicht fallen, der bei seinen Streichen oft keine Grenzen kennt, dessen Zuhause aber auch irgendwie toxisch wirkt. Felix ist die Sonne, um die das Universum des Erzählers kreist, entfaltet einen Magnetismus, der manchmal abstoßend ist, nur um dann erneut den Freund in seinen Bann zu ziehen.

    Für Felix gibt der Erzähler sogar die symbiotische Beziehung zu seiner Freundin auf, um sich auf die weite Reise zu begeben, für ihn springt er über den eigenen Schatten, um Fremde anzusprechen, ihnen das Bild von Felix auf seinem Handy unter die Nase zu halten, macht sich freiwillig lächerlich oder geht den Leuten auf die Nerven. Das ist eben Freundschaft. Und ganz allmählich führt er das Leben, das Felix geführt hat, als er mit dem Rucksack nach Asien aufbrach, zwischen Strand, Traveller-Treffpunkten und Drogenparties.

    Karig spart nicht mit ironischen Beobachtungen auf die Szene junger Menschen aus den reichen Ländern, die im armen Kambodscha ihr tropisches Paradies suchen, die sich als "Reisende" den Touristen überlegen fühlen, nur um ebenso wie diese im eigenen Saft zu schmoren, mit Bananenpfannkuchen eben statt im all inclusive resort. Die angeblich so großen Individualisten wollen sich abseits ausgetretener Pfade bewegen und folgen letztlich nur dem bereits breitgetrampelten lonely planet trail. Letzte Stufe vor den Developern und der Vorbereitung des Massentourismus eben.

    So ist "Dschungel" eine Mischung aus Reiseroman, psychologischem Monolog, Reflektion über Freundschaft und die Suche nach dem anderen, die auch zur neuen Entdeckung des eigenen Selbst wird.Der Dschungel wird dabei zur Metapher chaotisch-wilden Innenlebens. Dieses Debüt macht neugierig auf mehr.

    Ein sadistischer Frauenmörder, dessen Psyche ziemlich gestört ist und der die Polizei mit abgeschnittenen Füßen seiner Opfer zu verhöhnen scheint, Ermittler unter Druck und obendrein eine Psychologin, die den Polizisten in Le Lavandou bei der Verbesserung ihrer Kommunikation helfen soll – dieser Herbst in der Provence hat es in sich. Rechtsmediziner Leon Ritter rätselt nicht nur über das Vorgehen des Mörders, sondern auch über seine Beziehung zur stellvertretenden Polizeichefin Isabelle Morell.

    Die signalisiert nämlich, dass das harmonische Zusammenleben allein eingentlich nicht mehr genug ist für sie. Leon ist schnell klar: Isabelle will einen Heiratsantrag. Was er nicht weiß – will er das auch? Dass die attraktive junge Psychologin ihm recht deutlich signalisiert, dass sie ihn ebenfalls interessant findet, macht es für den Pathologen nicht einfacher. Wie einfach könnte doch das Leben sein, mit den letzten Spätsommertagen am Meer, mit Boule und einem Rosé, wenn nur Frauen und Mörder nicht wären….!

    Mit “mörderisches Lavandou” erspart Remy Eyssen den Lesern nicht ein paar ziemlich gruselige Szenen, denn die Morde, die es aufzuklären gilt, sind ausgesprochen grausam. An Verdächtigen mangelt es der Polizei zwar nicht, doch alle Spuren scheinen ins Leere zu führen. Persönliche Animositäten und Ego-Trips mancher Ermittler machen es nicht leichter, Fortschritte zu erzielen.

    Auch der Rechtsmediziner stellt eigene Nachforschungen an – nicht nur aus interesse an dem Fall und der bizarren Präsentation der Mordopfer, sondern auch, weil der Mörder ein böses Spiel mit Ritter zu treiben scheint. Zudem gewinnt er den Eindruck, dass manchen der Stadtoberen mehr am guten Ruf des Fremdenverkehrsortes und der Verhinderung sensationsgieriger Schlagzeilen gelegen ist als an der Frage, ob sich die Ermittler womöglich vorschnell auf einen Tatverdächtigen festgelegt haben.

    Für Leser mit guter Vorstellungskraft gibt es in diesem spannenden Provence-Krimi ein paar quälende Passagen. Eyssen spart nicht mit Hinweisen, die den Leser durchaus zügig auf die richtige Fährte locken – langweilig wird es dadurch aber nicht, denn Komplikationen und Verwicklungen sorgen dafür dass der Spannungsbogen nicht verloren geht.

    Die Schilderungen der spätsommerlichen Provence, von Lavendelduft und Weinbergen, bilden den Kontrapunkt zu den Inneneinsichten des Mörders, der sowohl getrieben als auch planvoll ist und der, in die Enge getrieben, nur noch gefährlicher wird. Ein atmosphärisch dichter und spannender Kriminalroman, den man vielleicht nicht direkt vor dem Einschlafen lesen sollte… Das Kopfkino funktioniert in diesem Buch einfach zu gut!

    Von außen wirken Faye und Jack wie ein Traumpaar: Eine prachtvolle Wohnung in einem der besten Stadtteile Stockholms, von Faye liebevoll und persönlich eingerichtet, eine kleine Tochter, das Unternehmen, das Jack mit einem Freund erfolgreich aufgebaut hat - doch das ist nur Fassade, das Bild, das sie anderen präsentieren,

    Faye, die früher einmal Mathilda hieß, aus einem kleinen Ort stammte, wo jeder wusste, dass der Vater ihre Mutter und die Kinder schlug und niemand etwas unternahm, hatte früher einmal ganz andere Pläne gehabt. Als sie nach Stickholm kam, um zur Wirtschaftshochschule zu gehen, erfand sie sich neu. Faye, nicht Mathilda, wollte sie sein. Mathilda, die vor einer schlimmen Vergangenheit geflohen war, deren Bruder Selbstmord begangen hatte und deren Vater für den Mord an der Mutter im Gefängnis saß, sollte es nicht mehr geben. Faye würde das perfekte Leben haben, beruflich erfolgreich sein, einen Mann für die perfekte Familie kennenlernen.

    Nun aber sitzt Faye im goldenen Käfig - denn den perfekten Mann und das perfekte Kind gab es nur durch den Verzicht auf die perfekte Karriere. Und dann ist es auch mit der perfekten Ehe nicht mehr weit her - Jack wird nicht müde, ihr klar zu machen, dass sie nicht mehr dünn genug ist, nicht mehr jung genug, dass sie nicht mehr mithalten kann mit seinen Ansprüchen. Dass er sie ständig betrügt, weiß sie nicht - oder will sie es nicht wissen?

    Doch dann ist da irgendwann die Geliebte, die schwanger wird und für die sich Jack entscheidet. Zu spät erkennt Faye, dass sie im blinden Vertrauen auf die lebenslange gemeinsame Zukunft versäumt hat, rechtlich Vorsorge für ihre Absicherung im Fall einer Scheidung zu treffen. Aus dem goldenen Käfig gestoßen zu werden, kann eine verdammt harte Landung sein. Doch Faye, die sich schon einmal neu erfunden hat, gibt auch diesmal nicht auf. Dass sie eine Kämpferin ist, hat sie schon in ihrer harten Jugend bewiesen, Nun hat sie einen Plan....

    Mit der Romanfigur der Faye hat Camilla Läckberg eine starke Frau geschaffen, die sich nicht unterkriegen lässt und ihr Schicksal selbst in die Hand nimmt - und das mehr als einmal. Beim Lesen habe ich mich nur gefragt, wie es je so weit kommen konnte, dass Faye sich von Jack hat einlullen lassen, auf eine eigene berufliche Zukunft zu verzichten. Denn als sich die beiden kennenlernten, hatte sie einen starken unternehmerischen Ehrgeiz und ohne sie hätte Jack sein Unternehmen nicht so erfolgreich starten können. Also honey trap Liebe?

    Das ist der Teil des Buches, der für mich am wenigsten nachvollziehbar war - sicher einerseits, weil ich mich mit so einer Entscheidung, für einen Mann den eigenen Ehrgeiz zurück zu stellen, überhaupt nicht nachvollziehen kann, vor allem aber auch, weil Faye bis dahin gezeigt hat, dass sie sich durch nichts und niemand an der Durchsetzung ihrer Träume hindern lässt. Dabei entwickelt sie durchaus auch soziopathiche Züge, ihre "dunkle Seite", die sie vor allen anderen gut zu verbergen weiß.

    Aber vielleicht lag die wahre Faye in ihrem goldenen Käfig auch nur in einem mentalen Winterschlaf, denn nun ist sie wild entschlossen, nie wieder so mit sich umgehen zu lassen. Ein Opfer wollte Faye schließlich nicht sein, seit sie "Mathilda" von sich abgeschüttelt hat. Dass nichts schlimmer sein kann als die Rache einer gekränkten Frau, hat ja schon Shakespeare gewusst. Faye jedenfalls will ihre dunkle Seite nicht länger deckeln. Wie sie sich wieder aus Armut und Machtlosigkeit hochkämpft, ist spannend zu lesen, wenn die Auflösung des Plots auch frühzeitig zu ahnen ist.

    Camilla Läckberg, Golden Cage
    List Verlag, 2019
    375 Seiten, 17,99 Euro
    ISBN 978-3-471-35173-4

    Kriegstreiber und Terrorjäger, geniale Wissenschaftler und eigenbrötlerische Beamte – mit Kommissar Eschenbach und dem pensionierten Archivar Lenz, der über ein photographisches Gedächtnis verfügt, hat Michael Theurillat zwei eidgenössische Geistesverwandte von John le Carrés George Smiley geschaffen. Und wie dieser zeigt er sich als Meister intelligenter Spannung, mit Protagonisten, die im System der Bürokratie und des Behördenapparates eigene Wege gehen, anecken und Machenschaften auf die Spur kommen, die um jeden Preis vor der Öffentlichkeit verborgen bleiben sollen.

    Doch an die Stelle des Kalten Krieges ist eine Welt von Fehlinformationen, Manipulationen und Fake News getreten. Wer profitiert vom Krieg in Syrien, wer ist mit welchen Interessen im Einsatz? Ein Todesfall, der auf den ersten Blick unverdächtig erscheint, lässt den gerade aus einem längeren USA-Aufenthalt zurückgekehrten Eschenbach aufhorchen. Ein alter Mann ist tot in seiner Wohnung gefunden worden, nichts deutet auch Fremdverschulden hin.. Doch warum ist es dort so leer, geradezu anonym? Warum hat ein alter und kranker Mann offenbar erst kürzlich einen neuen Bodenbelag anfertigen lassen? Warum wird seine akademische Vergangenheit geleugnet? Dann brennt die Wohnung aus, gerade bevor die Spurensicherung das Objekt noch einmal untersuchen soll und es stellt sich heraus - Lenz war der Eigentümer des Hauses.

    Je mehr Eschenbach nachforscht, desto seltsamer erscheinen die Zustände im Polizeipräsidiumm, allen voran die Stellvertreterin, die ihm kurzerhand zugeordnet wurde. Doch der Kommissar will den Fragen auf den Grund gehen. Ist sein Freund Lenz der intelligente Einzelgänger, für den er ihn immer gehalten hat, oder ist er womöglich in internationalen Terorrismus verwickelt? Wie die Häutung einer Zwiebel scheint es bei jedem der Protagonisten neue Schichten der Persönlichkeit zu geben. Die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen.

    Einzelheiten sollen hier nicht verraten werden, doch "Lenz" ist ein Kriminalthriller mit aktuellen Bezügen, der Fragen aufwirft nach der Moral von Staaten, nach Machtinteressen und Manipulation und Einflussnahme über die Landesgrenzen hinaus. Spannende Unterhaltung, die auch zum Nachdenken anregt.