Beiträge von Lynn253

    Vielversprechender erster Band


    In Sally Greens „Kingdom of Smoke“ stehen fünf Protagonisten im Vordergrund: Catherine ist Prinzessin in einem kriegerischen, frauenverachtendem Königreich. Sie bricht auf um den Mann, zu heiraten, den ihr Vater für sie bestimmt hat. Ihr Leibgardist Ambrose hat nicht nur geschworen, sie zu beschützen - er bringt ihr auch Gefühle entgegen, die so nicht sein sollten.

    Die junge Tash arbeitet für einen Dämnonenjäger, der die Wesen tötet, die sie anlocken muss. Der Rauch eines sterbenden Dämons wird aufgefangen und in Flaschen verkauft. Dieser Dämonenrauch nimmt im weiteren Verlauf der Geschichte noch eine wichtige Position ein und ist bereits neben einem Schloss auf dem Cover zu sehen.

    Edyon scheint leicht kleptomanische Züge zu haben die ihm Probleme bereiten.

    Und March verlässt seine Position als Diener eines Prinzen mit dem Entschluss, endlich die Auslöschung seines Volkes rächen.


    Es wird abwechselnd aus der Sicht dieser fünf Protagonisten erzählt. So können die hohe Anzahl an Charakteren und die unterschiedlichen Länder auf den ersten Seiten etwas verwirrend wirken. Dennoch habe ich mich schnell in diese Welt hineingefunden, zumal die meisten Eigennamen sich gut merken lassen. Das Verzeichnis der wichtigsten Personen am Ende des Buches habe ich leider erst ganz am Schluss entdeckt. Hier ist auch das Alter der Protagonisten aufgeführt. Das hätte vielleicht früher eingestreut werden, um die Gedanken und Handlungen der Personen besser einschätzen zu können.

    Da die Protagonisten teilweise miteinander interagieren, erhält man sowohl die Innen- als auch die Außensicht. Vor allem bei Edyom und March wechselt die Perspektive oft in der Mitte einer Szene.


    Alle Protagonisten begeben sich auf eine Art von Reise und ihre Wege kreuzen sich am Ende des Romans. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Pläne von Catherines Vater, dem König von Brigant. Seine Motive und Vorgehensweise scheinen mir auch am Ende nicht endgültig schlüssig. Überhaupt bleibt das Ende relativ offen. Es scheint viel ungeklärt oder nur angerissen zu bleiben. Aber da es sich bei diesem Band um den Auftakt einer Trilogie handelt, hoffe ich auf die Fortsetzung.


    Auch bei der charakterlichen Entwicklung der Protagonisten hoffe ich auf die nächsten beiden Bände. In diesem Roman hat vor allem Catherine sich verändert: Sie fügt sich den Pläne ihres Vaters zwar widerstandslos. Aber sie ist entschlossen, Einfluss auf ihre Situation zu nehmen und das Beste daraus zu machen. Nachdem sie das Reich ihres Vaters verlassen hat, beginnt sie nach und nach die Initiative zu ergreifen und blüht merklich auf.

    March bekommt schließlich Gewissensbisse und Ambrose wird ganz zum Schluss von einem schweren Schicksalsschlag getroffen - aber sie haben alle noch mehr Potential.


    Die Sprache ist angenehm zu lesen, die Szenen sind anschaulich geschildert.


    Die Geschichte hat auf jeden Fall Potential - ich bin nun gespannt auf den nächsten Band.

    Bewegende und eindrückliche Geschichte

    In seinem Debütroman „Die Welt in allen Farben“ erzählt John Heap die Geschichte von Nova und Kate. Die beiden treffen zunächst in durch Zufälle wiederholt aufeinander. Denn eigentlich scheint sie auf den ersten Blick nicht viel zu verbinden. Nova ist Dolmetscherin bei der Polizei. Sie wirkt selbstbewusst und aufgeweckt, spricht fünf Sprachen und kreiert exzentrische Sandwiches. Und sie war von Geburt an blind. Doch nach einer Operation können ihre Augen die Lichtreize wahrnehmen und an ihr Bewusstsein weiterleiten. Aber sie versteht nicht, was sie sieht und auf einmal ist die Welt nicht mehr vertraut. Sie nimmt optische Reize wahr, aber ihr Gehirn kann zunächst keine Informationen daraus gewinnen.

    Der Roman zeigt auf, dass dieser für uns so selbstverständliche Prozess des Sehenlernens wunderbar, faszinierend und unendlich komplex ist. So werden auch dem Leser durch diese Thematik und vor allem durch ihre gelungene Umsetzung die Augen geöffnet. Die Situation in der Nova nach ihrer Operation steckt, das Wahrnehmen ohne zu erkennen oder zu begereifen ist sehr weit entfernt von jemandem, der von Geburt an sehen kann. An diesen Zustand können wir uns nicht erinnern. Dennoch wird Novas Geschichte so greifbar und eindrücklich erzählt, dass man das Gefühl hat, zu verstehen.


    Der zweite Strang der Handlung wird aus der Sicht von Kate erzählt. Sie arbeitet als Architektin und verheiratet. Aber ihr Ehemann hat nicht nur die Seite, die sie zunächst an ihm kennengelernt hat. In diesem Teil der Roman spielt häusliche Gewalt eine große Rolle.

    Auch wenn ich Kates Verhalten im Umgang mit ihrer Situation nicht immer nachvollziehen konnte, hat mich vor allem dieser Teil der Geschichte sehr mitgenommen.


    Was das die Handlung anbelangt, so scheint es ein ständiges Auf- und Ab zu geben. Dies mag anstrengend erscheinen, fesselt aber auch an die Geschichte.

    Die Protagonistinnen habe ich beide als sehr interessant empfunden, trotzdem hätte ich mir an einigen Stellen mehr Hintergrundinformationen gewünscht. Beispielsweise erfährt man zwar von Kate, dass sie sich mit Freundschaften schwertut, aus Novas Privatleben jedoch kaum etwas. Wie und mit wem hat sie ihre Zeit verbracht, bevor sie auf Kate traf?


    Erzählt wird im Präsens in der dritten Person aus Sicht von Nova und Kate. In Szenen, in denen beide vorkommen, war es für mich daher manchmal nicht direkt ersichtlich, welche Wahrnehmung zu wem gehört. Zudem wirkte der Erzählstil teilweise recht distanziert. Obwohl die Erzählweise mir zunächst sehr ungewohnt erschien, scheint sie für diesen Roman zu funktionieren und verleiht im etwas Besonderes. Insgesamt werden das Geschehen und die Empfindungen der funktionieren einfühlsam und anschaulich rüberzubringen.

    Der zeitliche Abstand zwischen den einzelnen Passagen variiert stark. Manchmal liegen Tage, manchmal Monate zwischen zwei Kapiteln. Hier helfen aber die Monatsangaben zu Beginn der einzelnen Abschnitte.


    Eine schöne Ergänzung zu der eigentlichen Handlung sind Novas „Sehregeln“, die zwischendurch immer wieder eingestreut werden. Zunächst sind es sehr praktische Erkenntnisse, die Nova dabei helfen, etwas in dem zu erkennen, was sie sieht. Spätere Einschüben können mehr und mehr im übertragenen Sinn gesehen werden und ergänzen die Handlung.



    Insgesamt eine bewegende und eindrückliche Geschichte, die in einem sehr eigenen Stil erzählt wird.

    Gefühlvolle Geschichte


    Sophies Leben liegt in Scherben. Sie sollte glücklich sein, frisch verheiratet und im Flugzeug auf dem Weg in die Flitterwochen. Aber Verlobter ist kurz vor der Hochzeit tödlich verunglückt. Sie ist zerbrochen, traurig, alleine. Und auf dem Platz neben ihr sitzt ein Fremder.


    Schon der Einstieg in das Buch ist wirklich gelungen. Die ersten Seiten sind wahnsinnig emotional und brechen einem fast das Herz. Sophies Trauer ist so real und greifbar geschildert. Aber auch der weitere Verlauf ist sehr eindrücklich und nachvollziehbar beschrieben.

    Überhaupt gefällt mir der Schreibstil sehr. Es wird gleichzeitig fesselnd erzählt und lässt einen schmunzeln. Denn die ernste Thematik wird durch humorvolle, pointierte Dialoge immer wieder aufgelockert.


    Der im Flugzeug neben Sophie sitzende Fremde heißt Niklas. Abwechselnd wird aus seiner und aus Sophies Sicht erzählt. Beide sind sympathische, vielschichtige Charaktere. Allerdings auch sehr unterschiedlich - was am Anfang zu einer starken gegenseitigen Ablehnung führt. Aber wie es das Schicksal will, treffen sie sich wieder stellen letztendlich fest, dass sie mehr gemeinsam haben als sie ahnen.

    Schön ist dabei, dass die Geschichte aus zwei verschiedenen Blickwinkeln erzählt wird. So erhält man zwar die Innensicht des jeweiligen Charakters, erfährt aber auch, wie er von außen wirkt.

    Auch die Nebencharaktere, die im Laufe der Geschichte auftraten, wirken allesamt interessant, unterschiedlich und gut ausgearbeitet.


    Auf Sophies Reise durch Bali gelingt er ihr langsam, die Trauer loszulassen. Es ist nicht nicht einfach und es tun sich neue Hindernisse auf. Und nach den ersten paar Seiten, auf denen Sophies unvorstellbare Trauer um ihren Verlobten geschildert wurde, konnte ich mir nicht vorstellen, dass es ihr nach so kurzer Zeit gelingen würde, jemand anderen überhaupt in ihr Leben zu lassen. Aber so, wie die Geschichte erzählt wird, hat es gepasst.


    Insgesamt eine berührender, fesselnd erzählter Roman!

    Historischer Roman im deskriptiven Stil


    Den jungen Gelehrten Christian Stern, unehelicher Sohn des Bischofs von Regensburg, zieht es im Dezember 1599 nach Prag. Dort, am Hof des Kaiser Rudolfs II. will er es zu Ruhm und Ansehen bringen. Doch sein Schicksal nimmt eine unerwartete Wendung, als er in einer verschneiten Winternacht die Leiche der sechzehnjährigen Magdalena Kroll, Geliebte des Kaisers und Tochter des Hofarztes, findet. Nachdem Christian zunächst selbst verdächtigt wird, beauftragt ihn schließlich Rudolf II. damit, Magdalenas Mörder zu finden. Und so wird er hineingezogen in die Intrigen und Machenschaften des Kaiserlichen Hofs.


    Der junge Christian wirkt zunächst sehr von sich eingenommen, was ihm unsympathischen Zug gibt. Interessant ist aber, dass er als ich-Erzähler seine eigene Geschichte in der Retrospektive erzählt. Und so bewertet er sein eigenes Handeln und Verhalten auch nicht immer positiv, sondern mit dem Abstand der Zeit und des Alters.


    Die Sprache ist an den historischen Kontext angelehnt und erschien mir dadurch auf den ersten Seiten doch etwas mühsam zu lesen. Andererseits wird der Geschichte so an Authentizität verliehen und es nicht schwer, sich in das lebhafte Prag der Habsburger mit all seinen Intrigen und Verschwörungen hineinversetzten. Vor allem die detaillierten Beschreibungen der Umgebung und der Situationen sind beeindruckend. Auch treten zweifellos interessante Charaktere auf, die wie ihre Umgebung sehr präzise charakterisiert und beschrieben werden.

    Es handelt sich auf jeden Fall mehr um einen historischer Roman als um einen Krimi. Die Spannung schien mir gegenüber der wortgewaltigen Beschreibung der Kulisse einzubüßen. Die Auflösung des Mordfalls steht teilweise nicht mehr im Fokus.


    Daher eine Leseempfehlung für alle, die sich über einen historischen Roman im deskriptiven Stil freuen und sich auch an Schachtelsätzen nicht stören - wer nach einem klassischen Krimi sucht, wird wohl eher enttäuscht werden.

    Wichtige Thematik, eindrücklich erzählt


    Eva ist Dolmetscherin für Polnisch, eigentlich auf Wirtschaft spezialisiert. Aber als zu Beginn des ersten Auschwitzprozesses 1963 ein Übersetzer fehlt, widersetzt sich sich ihren Eltern und ihrem Verlobten, Jürgen, und entschließt sich, den Zeugen eine Stimme zu geben. So steht sitzt sie schließlich im Gerichtssaal neben den Menschen, die die Gräueltaten der Nationalsozialisten in Auschwitz überlebt haben und beginnt nach und nach selber zu begreifen, was dort geschehen ist.

    Denn bei Eva zu Hause wird darüber nicht gesprochen. Ihr Vater behauptet, während des Kriegs in der Feldküche an der Westfront zu gearbeitet zu haben. Doch der allwissende Erzähler lässt seine Leser gleich zu Beginn der Geschichte wissen, das Evas Vater lügt.

    Im Frankfurt der 60er Jahre betreiben Evas Eltern die Gaststätte „Deutsches Haus“, ihre ältere Schwester Annegret arbeitet als Krankenschwester auf einer Säuglingsstation. Und neben den beiden Mädchen gibt es noch einen jüngeren Bruder, Stefan.


    Erzählt wird aus verschiedenen Perspektiven. Zum einen entstehen so verschiedene Handlungsstränge, zumm anderen sieht man so von mehreren Blickwinkeln auf eine Situation oder einen Aspekt. So kamen beispielsweise auch Jürgens Blick auf die Beziehung zu Eva oder die Sicht des Kanadiers David Miller auf den Prozess zum Tragen.

    Annegrets Geschichte kam mir dabei jedoch ein wenig losgelöst von dem Rest vor, der sich doch vor allem um Eva und den Prozess drehte.


    Die Sprache war klar und leicht zu lesen. Allerdings wirkte es zunächst ein wenig seltsam, dass einige Figuren nie beim Namen genannt werden. Der Generalstaatsanwalt wurde beispielsweise durchweg als „der Hellblonde“ bezeichnet.


    Positiv hervorheben möchte ich noch die charakterliche Entwicklung, die Eva durchmacht. Zunächst wirkt sie schüchtern, unsicher, abhängig von allen anderen. Aber im Laufe der Geschichte findet sie einen eigenen Standpunkt, den Mut ihn zu vertreten und die Kraft für das einzustehen, was sie für richtig hält.


    Ein wichtiges Thema ist zweifellos der Umgang mir der Vergangenheit, das Aufarbeiten und Auseinandersetzten mit dem, was in Auschwitz getan wurde. Die Situation im Gerichtssaal, die Zeugen, die Angeklagten, Richter, Verteidiger und Staatsanwaltschaft wurde sehr eindrücklich geschildert. Genau wie der Unwillen von Evas Eltern, sich überhaupt damit auseinanderzusetzen.


    Insgesamt eine zweifellos wichtige Thematik verpackt in einer eindrücklich erzählten Geschichte.

    Sensibel, melancholisch, wunderschön


    Einfühlsam zeichnet Jean-Philippe Blondel in seinem neuen Roman den Verlauf nach, den das Leben des 19-jährigen Victors während und nach einem schicksalhaften Winter in Paris nimmt.

    Eine zentrale Rolle spielt dabei die Vorbereitungklasse des renommierten Lycée D., an deren Ende der sogenannte Concours steht. Wer diesen besteht, studiert an einer der Grandes Ecoles. So findet Victor, der Junge aus der Provinz, sich zwischen der französischen Elite wieder. Anders als die anderen ist er nicht zwischen Kunst, Literatur und Theater aufgewachsen. Und die ungeschrieben Gesetzte, nach denen sie sich kleiden, sprechen, sich verhalten sind ihm fremd. So ist er ist einsam, außen vor, unsichtbar.

    Wider aller Erwartung gelingt es ihm, das erste Jahr zu überstehen und in das zweite Jahr zu wechseln. So trifft er auf Mathieu, ein Jahr jünger als er, ebenfalls aus der Provinz. Sie sprechen nicht viel, aber sie rauchen in den Pausen gemeinsam. Vielleicht kann daraus eine Freundschaft entstehen, hofft Victor. Das ändert sich abrupt, als Mathieu in der Schule über ein Geländer springt und sich so selber das Leben nimmt. Plötzlich steht Victor im Mittelpunkt, halten ihn doch alle für einen Freund des Opfers, für ein Opfer des Opfers. Er ist nicht mehr unsichtbar, seine Mitschüler interessieren sich für ihn.

    Der Selbstmord wird von Seiten der Schule nicht aufgearbeitet, vielmehr geht es dort weiter wie zuvor. Anschaulich wird die harte, kompetitive Atmosphäre und der Konkurrenzdruck beschrieben. Die Lehrer wirken beinah unmenschlich, allen voran ein M. Clauzet, in dessen Französischstunde Mathieu sprang. Auf unnachahmliche Art beleidigt und demütigt er seine Schüler.

    Auch Mathieus Vater, der nach Hinweisen sucht, findet keine Antwort auf die Frage, weshalb sein Sohn sprang. Aber diese steht auch nicht im Focus. Vielmehr erzählt Victor sehr wortgewandt, wie es mit seinem eigenen Leben weitergeht. Er schließt immer mehr Bekanntschaften, entfremdet sich zunehmend von seinen Eltern, auch seine Noten rutschen ab. Und er trifft auf Mathieus Vater, hört ihm zu, immer wieder, wenn dieser von seinem Sohn erzählt.

    Es ist eine sensible, melancholische Geschichte. Feinfühlig und sehr anschaulich erzählt, sodass man teilweise das Gefühl hat, selber neben Victor durch Paris zu laufen. Insgesamt ein wunderschöner Roman.

    Lesemeinung - Wenn wir wieder leben


    Die Geschichte beginnt mit der jungen Studentin Wanda, die in den 60er Jahren auf Andras Goldfarb trifft. Selbst bemüht, die Auschwitzprozesse vorzubereiten, fordert er Wanda auf, ihre Mutter zu fragen, was diese zwischen 1933 und 1945 getan habe. Doch Wandas Mutter schweigt und so macht Wanda sich selbst auf die Weg, um Antworten zu suchen. Sie reist nach Danzig und Zoppot, die heute Gdansk und Sopot heißen. In eine Heimat, an die sie sich nicht erinnert. Um eine Vergangenheit zu finden, von der sie nicht sicher ist, sie ertragen zu können.

    Dazu kommt eine zweite Zeitebene, 1927 bis 1945, angesiedelt Danzig und dem Ostseebad Zoppot. Hier tauchen Gundi, Lore, Julius und Erik auf. Alle kommen sie aus einfachen Verhältnissen, alle haben sie ihr Päckchen zu tragen. Was sie verbindet, ist der Wunsch, Musik zu machen und groß hinaus zu kommen auf die Bühnen der Welt.


    Beide Handlungsstränge sind eindrücklich und bewegend geschildert, jedoch konnte ich mich in Wanda besser hineinversetzen. Vielleicht weil ihre ruhigerer Art mir näher ist als die der lebensfrohen Gundi Sonnenschein, die so lange nicht sieht, nicht sehen will, was mit ihrer Welt geschieht. Gundi kam mir so blind vor und ich hätte sie schütteln mögen, in den Roman hineintreten um ihr zu sagen, sie solle die Augen aufmachen. Sie wird von anderen immer als herzlich beschrieben, wirkt hinter der Fassade aber egoistisch, naiv und sieht nur was sie sehen will. Doch auch wenn ich Mühe hatte, mich wirklich in sie hineinzuversetzen, ist sie zweifellos eine interessante Figur.

    Obwohl die Vergangenheit zum größten Teil aus ihrer Sicht geschildert wurde, gab es auch Passagen aus Julius und aus Lores Perspektive, sodass man als Leser von verschiedenen Seiten auf das Geschehen blicken kann.

    Insgesamt treten interessante, komplexe und sehr eigene Figuren auf, die diese Geschichte tragen, mehr als die Handlung, die von dem Klappentext zu einem großen Teil bereits vorweggenommen wird. Der Schluss allerdings hält noch eine überraschende Wendung bereit.


    Die Geschichte ist wunderschön geschrieben, in einer Sprache, für die man sich Zeit nehmen muss, über die man nicht einfach hinweglesen kann. Der Schreibstil ist besonders, anschaulich, eindrücklich, teilweise sehr bildlich. Und in der wörtlichen Rede tritt auch der für den Ort und die Gesellschaftsschicht typische Dialekt zu Tage, sodass dem Bild eine weitere Dimension verliehen wird.


    Zu guter Letzt zum Ende: es ist passend. Gerade so glücklich wie es für diese Geschichte, diese Zeit und diese Schicksale sein kann, ohne ihnen ihren Ernst, ihre Gültigkeit, ihre Wahrhaftigkeit zu nehmen.


    Insgesamt eine Geschichte, die bleibt, die man mit sich trägt und die zum Nachdenken anregt, auch wenn das Buch schon längst aus der Hand gelegt ist.

    Über die Kraft der Erinnerungen


    Hanna Lindner hat gerade einen bedeutenden Preis für eines ihre Bühnenbilder gewonnen. Eigentlich sollte es also ein glücklicher Abend sein, eigentlich sollte sie glücklich sein. Aber da sind die Erinnerungen an Josh. Ihre große Liebe, der sie vor fünfzehn Jahren verlassen hat. Schöne und zugleich traurige Erinnerungen.

    Und schließlich trifft sie ihn wieder, ist gezwungen sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen und ihren Weg für die Zukunft zu wählen.

    Es ist eine berührende Geschichte, schön und ein wenig traurig zugleich. Vor allem schenkt sie Hoffnung. Hoffnung auf das Gute im Leben, die hellen Momente, das Licht am Horizont.


    Die eigentlich Handlung umfasst keinen großen Zeitrahmen, insgesamt nur wenige Wochen. Allerdings gibt es Rückblenden, die sich durch die kursive Schrift deutlich von dem Haupttext abheben. Sie ergänzen das Geschehen und gewähren so einen tieferen Einblick in Hannas Geschichte. Nach und nach erfährt man, was geschehen ist, weshalb es zu dem gekommen ist, was in der Gegenwart besteht. Mir persönlich gefallen die wechselnden Zeitebenen sehr gut, da sich Hannas Geschichte so langsam zusammensetzt. Außerdem wird wird so deutlich, wie sehr das Vergangene immer noch Hannas Gegenwart prägt. Und natürlich wird auch Spannung aufgebaut. Schließlich dauert es relativ lange, bis man erfährt, was vor fünfzehn Jahren geschehen und weshalb Josh gegangen ist.

    Zum Schluss runden noch zwei Epiloge, ein und zwei Jahre später, die Handlung ab.


    Erzählt wird aus der Ich-Perspektive von Hanna, was es leicht macht, sich in sie hineinversetzten. Ihre Gedanken und Gefühle kommen sehr eindrücklich rüber.

    Die Sprache ist flüssig, angenehm zu lesen, teilweise sehr bildlich. Vor allem Licht und Horizont tauchen in Metaphern immer wieder auf, zwei Begriffe die auch der Titel enthält.


    Thematisch geht es vor allem, aber nicht nur um Hanna und Josh, um ihre Liebe, um die Entscheidungen, die man im Leben trifft. Darum zu erinnern, zu verzeihen, und vor allem glückliche Momente zu sammeln und festzuhalten. Auch der Umgang mit Krankheit und Tod, die Entscheidung Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen oder häusliche Gewalt sind Aspekte, die in dem Roman auftauchen.


    Gefallen haben mir auch die Nebencharaktere: neben Hanna und Josh gibt es Mo, der wie ein Vater für die beiden war. Seine Frau Erika. Hannas bestes Freundin Emma und ihre Familie. Über sie alle hätte ich gerne mehr erfahren. Ich hätte mich auch über ein längeres Buch gefreut!


    Insgesamt eine ein wunderschöne, wenn auch eher kurze Geschichte, die ins Gedächtnis ruft, wie wichtig „diese besonderen Momente [sind], an die wir uns immer erinnern werden (...) weil sie wie Lichter in unserem Herzen bleiben und alles erstrahlen, auch wenn es mal dunkel ist. Diese Momente, die man braucht (...) wie der Horizont das Licht.“ Das ist einfach ein wunderschönes Zitat.


    (Quelle des Zitats: Michelle Schrenk: Kein Horizont ohne Licht. canim-Verlag, 2018, S.119)

    Virtuos erzählt


    Als Tina und Max mit ihrem Auto im Schnee der Alpen steckenbleiben, beginnt Max seiner Frau eine Geschichte zu erzählen. Eine wahre Geschichte, versichert er, die sich tatsächlich so zugetragen habe und ihren Anfang nicht weit von der Stelle nahm, an der sie nun ausharren müssen und auf den Schneepflug warten. Er erzählt von Jakob, einem armen Kuhhirten und von Marie, der Tochter eines reichen Bauern. Im ausgehenden 18. Jahrhundert leben sie im Greyzerland. Detailliert und anschaulich beschrieben wird die bäuerliche Gesellschaft dieser Zeit. Aber auch historische Ereignisse werden geschildert, wie beispielsweise die Folgen des Vulkanausbruchs auf Island im Jahre 1783 oder der Ballonflug der Brüder Montgolfiere.

    Später, als es Jakob nach Versailles verschlägt, malt Max mit seinen Worten ein lebhaftes Bild des verfallenden Schlosses. Am Rande tauchen schließlich die Anfänge der Französischen Revolution auf: Einberufung der Generalstände, der Sturm auf die Bastille und der Marsch der Frauen. Aber es ist kein politischer Roman, Jakob und Marie sind von den Entwicklungen nur indirekt betroffen und sie verlassen Frankreich noch 1789. Und für Prinzessin Elisabeth, die als Nebenfigur auftritt, endet der Roman, als sie mit ihrer Familie das Schloss Versailles verlässt.


    Wirklich besonders ist die Geschichte in der Geschichte, die geschickte Verknüpfung der beiden Handlungsstränge. Immer wieder unterbricht Tina Max und sie diskutieren über den Inhalt, die Erzählweise oder erörtern Klischees, derer Max sich bedient. Oder auch nicht. So entsteht ein zweiter Blick auf die Geschichte von Jakob und Marie.

    Das Fehlen von Kapiteln unterstützt dabei den Eindruck einer am Stück erzählten Geschichte.


    Wenn man es genau nimmt besteht der Roman besteht fast nur aus wörtlicher Rede. Die Dialoge zwischen Tina und Max kommen praktisch ohne einleitende Satzteile aus. Einerseits ist es zu Anfang so schwierig, die einzelnen Aussagen dem jeweiligen Sprecher zuzuordnen. Andererseits gleichen ihre Gespräche so tatsächlich einem Schlagabtausch. Den größten Teil nimmt aber Max’ virtuos erzählte Geschichte ein, also jene von Jakob und Marie. Der Stil ist eloquent, trotz seines spontanen Erzählers, des Hinzuerfindens von Details, wenn Tina beispielsweise nach dem Schicksal der Pferde fragt, sind Sprache und Satzstruktur komplex. Und der teils ironische Anklang lässt einen als Leser immer wieder schmunzeln.


    Insgesamt also ein sehr schöne zu lesender, wenn auch mit knapp 200 Seiten vergleichsweise kurzer Roman.

    Wichtige Botschaft & locker erzählt


    Als Protagonistin ist die 16-jährige Evie damit bemüht, ihre Zwangsstörung in Griff zu bekommen. Nach einem Aufenthalt im Krankenhaus ist sie in ihren Alltag zurückgekehrt. Zwar geht sie noch regelmäßig zur Therapie, aber die Medikamentendosis wird stetig heruntergeschraubt und ihr Genesungstagebuch hat sie in Normalwerdetagebuch umgetauft, um ihr großer Ziel festzuhalten: wieder normal werden. Also zur Schule gehen, Freundinnen treffen, Parties und Dates. Und das alles, möglichst ohne ständig an Keime und andere Krankheitserreger denken zu müssen. Ohne sich die Hände blutig zu schrubben. Oder die Haltbarkeitsdaten sämtlicher Lebensmittel zu tabellarisieren.


    Die Sprache ist angenehm zu lesen, teilweise amüsant, sodass die ernste Thematik geschickt aufgelockert ist. Dazu gibt es neben dem eigentlichen Erzählen auch Auszüge aus Evies Normalwerdetagebuch und Gedanken in Kategorien wie „Unguter Gedanke“, „So richtig unguter Gedanke“ oder „Noch üblerer Gedanke“, die nicht nur für Abwechslung sorgen, sondern auch Evies Situation illustrieren. Da sie aus der Ich-Perspektive erzählt, fällt es leicht, mir ihr mitzufühlen und sich in sie hineinzuversetzen. So werden Handlungen, die von außen betrachtet undurchsichtig erscheinen würden, nachvollziehbar. Sehr eindrücklich erfährt man als Leser, wie Evie mit ihren Gedanken kämpft, und wie sehr sie ihnen doch ausgeliefert ist.


    Auch scheint der Roman durchweg sorgfältig recherchiert und es fließen viel Hintergrundinformation mit ein.

    Neben Evies Zwangsstörung ist der „Spinster Club“, den sie mir ihren Freundinnen gründet, ein zweites großes Thema. Hier geht es um Feminismus, um Emanzipation. Darum, man selbst zu sein, sich nicht für eine Beziehung zu verbiegen und sich auch nicht über sie zu definieren.


    Gefallen hat mit hier auch der realistisch er Umgang mit der Liebe: In Jugendbüchern scheint man es häufig mit Protagonistinnen zu tun zu haben, die 16, 17, 18 Jahre sind als auf ihren Seelenverwandten treffen. Auf den einen Menschen, der für sie bestimmt ist den sie den Rest ihres Lebens lieben werden. Das ist unrealistisch und wird hier erfrischend anders dargestellt. Denn, so schön es auch wäre, Liebe heilt nun mal keine Zwangsstörung und es ist nicht auf einmal alles gut.


    Insgesamt spannende Themen und eine wichtige Botschaft in einem witzig erzählten Buch.