Beiträge von rumble-bee

    Würdig aufbereiteter Klassiker


    Dies ist einer jener Fälle, bei denen das Buch aus mehr besteht als der Summe seiner Teile - sprich, wo es als Gesamtkunstwerk zählt, sozusagen. Dieses Werk wäre sicherlich, wäre es nach heutigen Standards in der heutigen Zeit in einem westlichen Verlag erschienen, eher ein Kuriosum. Doch wenn man alles berücksichtigt, finde ich die (Wieder-) Auflage gelungen, und würdig gestaltet.

    Ich befasse mich schon länger mit japanischer Literatur, und habe auch die alten japanischen Krimis für mich entdeckt - die, ganz zu Unrecht, im Westen bisher vernachlässigt wurden. Nur waren diese bisher lediglich in englischer Sprache erhältlich. Umso verdienstvoller der Entschluss der "Blumenbar", einer Abteilung des Aufbau-Verlages, diesen alten japanischen Klassiker erstmals in deutscher Sprache herauszugeben! An dieser Stelle muss ich ausdrücklich die Übersetzerin Ursula Gräfe würdigen. Sie hat es auf großartige Weise geschafft, den alten Sprachduktus, die Atmosphäre, beizubehalten, und dennoch in eine modern lesbare Sprache zu überführen. Immerhin erschien das Original vor gut 80 Jahren!

    Im Klappentext werden das Buch und sein Held mit Sherlock Holmes und Agatha Christie verglichen - und das durchaus nicht zu unrecht! Der Ermittler, Kosuke Kindaichi, erinnert in der Tat ein wenig an Hercule Poirot - er ist eher ein Außenseiter, schert sich nicht um Konventionen, ist ein erstaunlich gewiefter Denker, liebt es, seine Mitmenschen zu verblüffen, und besteht auf einer Aufklärung im großen Kreis, einem "Experiment".

    Der Autor hat sich in der Tat viel mit klassischen Kriminalromanen beschäftigt, wie man nachlesen kann. Das wird auch im ganzen Buch spürbar. Er hat klassische Vorbilder studiert - die hier und da auch zitiert werden! -, und hat sich in diesem Fall für das "Locked-Room-Mystery" entschieden, also ein vorgeblich "unmögliches Verbrechen". Er gibt dem Ganzen jedoch das typisch japanische Flair, durch das Setting, die Umstände, die Tatwaffe, und natürlich das Motiv, das für mich zu einem der ungewöhnlichsten Mordmotive gehört, von denen ich je gelesen habe. Das konnte so nur in Japan geschehen!

    Mir gefällt, wie das Buch aufgebaut ist. Es beginnt eher gemächlich - und auch noch mit einer Rahmenhandlung. Ein Erzähler, ein Autor von Kriminalromanen (!), hat sich von Dorfbewohnern von den Ereignissen erzählen lassen, und hat außerdem die Aufzeichnungen eines Doktor F. studiert. Aus diesen Versatzstücken bastelt er nun die vorliegende Erzählung. (Eine Erzählweise, die wiederum klassisch westlich ist - so ungefähr zur Zeit der viktorianischen Literatur.)

    Die Spannung baut sich eher langsam auf, zumal der Ermittler Kindaichi erst ungefähr in der Mitte des Buches hinzugezogen wird. Doch diese lange Einleitung dient eindeutig dem Aufbau der Atmosphäre. Die Familie Ichiyanagi ist schon ungewöhnlich, auch für die damalige Zeit.

    Ab dem Eintreffen von Kindaichi geht es stetig voran, die Auflösung ist sozusagen unausweichlich. Auch hier gibt es zwar blutige Spuren, doch keine blutige Atmosphäre! Die Aufklärung erfolgt allein durch Beobachten und Nachdenken. Sehr nett finde ich die eingestreuten mysteriösen Elemente: ein Vagabund mit nur drei Fingern, der im Umfeld der Familie auftaucht, sowie der Klang einer Koto, einer Art japanischer Zither, der in der Nacht ertönt.

    Man darf einfach nicht mit heutigen Erwartungen an dieses Buch herangehen. Es ist relativ kurz, bietet aber in diesem gedrängten Rahmen von gerade einmal 200 Seiten eine prägnante Sprache, und intensive Charakter- und Ortsstudien. Sehr viel Wert wird gelegt auf Höflichkeit, Verwandtschaftsbeziehungen, und Anstand, was in Japan ja auch nicht anders zu erwarten war. Zudem ist es der erste Band der in Japan sehr erfolgreichen Reihe um Kosuke Kindaichi - wobei ich sehr hoffe, dass auch diese in Deutschland verlegt werden!

    Das Buch ist einfach sehr liebevoll gestaltet worden! Das Umschlagmotiv ist ein wenig altertümlich-sparsam gestaltet, wurde aber von den englischen Ausgaben übernommen. Die Verarbeitung ist hochwertig; auch ein Glossar japanischer Begrifflichkeiten ist enthalten. Ich kann der "Blumenbar" wirklich nur gratulieren, und sage, weiter so!

    Kein Thriller - dennoch gelungene Fortsetzung!


    Zwei Vorbehalte, bevor ich mich über die zahlreichen positiven Seiten dieses Buches auslasse! Erstens, ein Thriller ist es in meinen Augen nicht. Eher ein Krimi - wenngleich auch einer der gehobenen Klasse. Aber "Thrill" besteht einfach nicht, es gibt keinen Wettlauf mit der Zeit, noch weitere Todesdrohungen - und auch keine wirkliche Überraschung bei der Frage der Täterschaft. Nun ist man als Verlag natürlich in einer Zwangslage, wenn die Bücher laut Konzept alle als "Thriller" vermarktet werden sollen; das ist mir schon klar!

    Zweiter Vorbehalt - ich finde, dass man deutlich merkt, dass dies eine Reihenfortsetzung ist, nämlich der zweite Band um Raven & Flyte. Gut, dass ich den ersten Band kannte - sonst hätte ich doch manche Untertöne und Entwicklungen nicht wirklich gut verstanden. Ich fürchte, ein Neu-Leser würde diese Lücken noch ärger fühlen.

    Nun aber zum Positiven! Mich hat dieser Band wieder perfekt unterhalten, und ich bin der ungewöhnlichen Heldin Cassie Raven ein Stück näher gekommen. Ich fand sie schon im ersten Band sympathisch; hier jedoch wird es persönlicher. Sie ermittelt in diesem Buch weitestgehend "in eigener Sache", und weniger in der Leichenhalle. Das mag man der Autorin ankreiden - aber da ich auf weitere Bände hoffe, finde ich das legitim.

    Die Hintergrundrecherche wurde erneut perfekt durchgeführt, und ich habe als Leserin wieder einiges über die Pathologie dazugelernt. Auch sehr gefallen haben mir die leicht mystischen Elemente, wenn Cassie mit ihren "Gästen" "spricht"...! Dem Thema "Tod" wird hier der Ernst genommen.

    Cassies polnische Großmutter Weronika spielt wieder ihre herrliche Nebenrolle, nicht ganz so deutlich wie im letzten Buch, aber dennoch mit viel Augenzwinkern und Herzblut gezeichnet!

    Überaus gut hat mir der "Nebenschauplatz" der Rockbands der 70er und 80er Jahre gefallen. Sehr überzeugend wurde hier eine Atmosphäre und allgemeine Stimmungslage gezeichnet. Cassie muss in diese Szene eintauchen, um den Mord an ihrer Mutter wirklich zu klären. Und was sehr schön gemacht ist - mit der Aufklärung gewinnt sie zwar ihren Vater zurück, hat aber dafür neue Fragen aufgebürdet bekommen (was ich ohne zu spoilern nicht näher erläutern kann!). Es ist also keine "aalglatte" Lösung, und das finde ich von der Autorin gut gemacht!

    Und nicht zuletzt, das Personal rund um eine Leichenhalle besteht eben auch nur aus Menschen, mit all ihren Macken und Eigenheiten. Mich hat das köstlich amüsiert!

    Einziger wirklicher Kritikpunkt: für mich hätte es der Beinahe- Liebesgeschichte zwischen Cassie und der Polizistin Flyte einfach nicht bedurft; ich empfinde dieses Element als "too much" im Rahmen dieser Reihe.

    Insgesamt fälle ich ein positives Fazit - die 5 Sterne wurden meiner Meinung nach nur knapp verpasst, eben wegen der Tatsache des "Nicht-Thrillers", sowie der tendenziell überzeichneten Spannung zwischen Raven & Flyte. Ansonsten ist es ein rundum gelungener Spannungsroman, mit vielen menschlichen Anteilen, gut recherchiertem Hintergrund, und einem ausgewogenen Plot.

    Seltsam folgenlos



    Das erste Wort, das mir zu diesem Büchlein einfällt (Buch mag ich es nicht nennen), ist "seltsam". Von der Leseprobe hatte ich mir noch sehr viel versprochen, da ich von der Sprache und der ironischen Haltung des Erzählers fasziniert war. Doch irgendwie verbleibt alles im Ungefähren. Über ein mittleres Gefühl des "Unterhaltenwerdens" geht es, bei aller Liebe, bei mir nicht hinaus.

    Ein wenig klüger wurde ich, als ich ins Impressum schaute. Aha, die Originalfassung stammt bereits aus dem Jahr 2007! Es ist also mitnichten das "neue" Werk des Autors der "Anomalie". Vermutlich ist es eine Skizze, die im Zuge des großen Erfolges wieder ausgegraben wurde.

    Zum Inhalt kann man fast nichts sagen - die Schilderung der Handlung dauert gefühlt genau so lange wie das Buch selbst, ist also denkbar dünn. Ein Mann mittleren Alters reist einer Affäre hinterher - und wird nicht gerade begeistert empfangen. Er kreist in seinen Gedanken um sich selber, zergeht sich in Selbstqual. Und fliegt nach nicht einmal zwei Tagen (und gerade mal 100 Seiten, wenn man die Leerseiten abzieht) ergebnislos wieder zurück.

    Dennoch, ohne Können ist dieser Text nicht verfasst worden. Die Sprache und Ausdrucksweise ist schon sehr französisch; das kam auch in der Übersetzung gut rüber. Geschickt fand ich den Einsatz des "Erzählers", und der Kapitelüberschriften. So wird Distanz zum Helden aufgebaut, und es liest sich ein klein wenig wie ein Lehrstück, ja beinahe wie eine Moritat.

    Befremdet bin ich allerdings auch von mehreren Tatsachen. Die weibliche Perspektive fehlt nahezu völlig - man hat nur die Gedanken des Erzählers. Ich hatte mir auch "mehr Schottland" vorgestellt. Doch das wird eingedampft auf zwei Hotels, ein Pub, ein Castle, eine Kreuzung, und ein paar Schafe. Und dann hat es dieser Schwerenöter auch noch nötig, gleich mit der nächsten Kellnerin zu flirten! Das hat ihn mir unsympathisch gemacht.

    Man merkt schon, dieser Autor hat das Zeug zu mehr. Anklänge an berühmte Vorbilder und literarische Verwandte gibt es - z. B. Yasmina Reza. Ich würde jedoch vermuten, dieser Text ist im "Raupenstadium" veröffentlicht worden. Eigentlich war da mehr drin.

    Durch und durch charmant!


    Der klassische Briefroman stirbt nicht aus! Das beweist Cathy Bonidan mit ihrem zweiten Roman hier eindrücklich. Es ist nachgerade zwangsläufig, dass dieser Roman aus Frankreich stammt - nicht umsonst sind ja auch die "Gefährlichen Liebschaften" in Frankreich literarisch verortet.

    Nun würde ich nicht so weit gehen, Cathy Bonidan mit Choderlos de Laclos gleichzusetzen. Dennoch hat mir das Buch ausgesprochen gut gefallen! Es vereint Charme, Leichtigkeit, menschliche Schicksale, und nicht zuletzt etliche Gedanken über die Macht der Literatur.

    Zuerst einmal muss ich sagen, dass das Werk auch in der Übersetzung gut lesbar ist. Ich gestehe, in die Originalversion geschaut zu haben. Zwar ist der Titel weitaus pragmatischer ("Chambre 128"), aber der muntere, quirlige Ton (besonders bei der Heldin Anne-Lise) und die sprachliche Virtuosität wurden beibehalten.

    Ich finde den ganzen Aufbau schlüssig und "rund". Die Briefe wechseln zwischen einem Personal von bald einem Dutzend Personen, und zwar in nachvollziehbarem Rhythmus, über ca. ein halbes Jahr hinweg. In jedem Brief wird erklärt, was der Leser nicht wissen kann - es ist wie eine Schnitzeljagd, hat also auch Anteile eines Krimis! Fein dosiert, geht es dabei auch um menschliche Schicksale, die sich mit dem ursprünglich verlorenen Manuskript verbinden. Und nicht zuletzt auch um diverse zarte Liebesgeschichten! Insofern ist es unwiderlegbar französisch.

    Nun gut, das Finale ist ein wenig zuckersüß - alle Menschen an einen Tisch zu bringen. Aber das habe ich dem Buch verziehen, da eben nicht alle Geschichten in diesem Roman, auch nicht alle Liebesgeschichten, gut ausgehen.

    5 Sterne werden es schon allein deshalb, weil das Buch für mich über reine Unterhaltung hinausgeht. Ich will gerne zugestehen, dass man schon eine Ader für französischen Humor und französische Umgangsformen haben sollte. Aber die "nachdenkliche" Ebene wird so gekonnt in die Handlung geflochten, dass man es kaum bemerkt. Zudem der wunderbare Lesefluss aus nicht zu langen Briefen für einen wahren Lesesog sorgt! Ich kann nur sagen, Madame Bonidan, chapeau!

    Zu betulich


    Cosy Crime geht immer, denken viele Autoren. Auch Karla Letterman ist bei ihrem Erstlingswerk dieser Eingebung gefolgt, und hat im wahrsten Sinne des Wortes einen "Häkel-Krimi" verfasst. Nur, dass es - für mich zumindest - keiner ist.


    Die Grundidee fand ich nett. Ein Krimi, der im Umfeld eines Handarbeitsladens spielt. Und auch noch mit einer männlichen Hauptfigur. Doch meines Erachtens krankt das Buch daran, dass die Einzelteile in diesem Buch nicht flüssig miteinander verbunden sind. Die Personen sind für mich allesamt seltsam, und der Krimi als solcher ist gar keiner - er wird nicht einmal schlüssig gelöst! Am ehesten nehme ich der Autorin noch ihre Begeisterung für Handarbeiten ab. Aber daraus allein lässt sich kein Buch stricken.


    Da ist Henri, der ganz zu Beginn des Buches Witwer wird. Seine Frau Maike, der ein Handarbeitsladen gehört, hat einen tödlichen Unfall. Schon allein das kam mir seltsam emotionslos daher. Für die Schilderung des Unfalls, und der Vorgeschichte des Paares, verwendet die Autorin merkwürdig wenige Seiten. So als sei ihr die Schilderung des Unfalls lästig. Und auch Henri selbst fand ich durch und durch merkwürdig. Er soll, laut Angaben im Text, 35 Jahre alt sein. Doch wie er denkt, handelt, und spricht - sorry - das passt eher zu einem 55jährigen! Sein ganzes Gebaren ist sehr betulich, die Beschreibungen wirken antiquiert. Es ist mir ein Rätsel, wie die energische Maike ihn nur heiraten konnte...?


    Dann sind da noch die Stammtischfreunde von Henri, die einen Nebenstrang der Handlung einnehmen. Sicher, die Schilderung des norddeutschen Ortes Bökersbrück ist nett gemeint, gerät aber in meinen Augen zur reinen Klischeekiste. Und wie die Herren am Stammtisch einander anreden, und miteinander umgehen - also nein - das wirkte so bemüht gemacht, da habe ich mich fremdgeschämt. Hippe Jugendsprache geht anders, Frau Letterman!


    Die Verkäuferin im Laden, Edda, hat mir noch am ehesten gefallen. Liebenswert und zupackend. Doch musste man ihr auch noch ein unausgereiftes, verqueres Privatleben andichten? Spätestens hier fand ich die Handlung nur noch konfus.


    Der Häkelclub kommt mir zu wenig vor. Wirklich geschildert wird nur eine einzige Sitzung mit Henri - alles andere wird im Vorbeigehen und in Rückblicken referiert. Henris Wende kam daher für mich auch unerwartet und wenig überzeugend rüber - dass er nun doch den Laden übernehmen will.


    Und der Krimi, ach, der Krimi...! Ich habe ihn gesucht, aber leider nicht gefunden. Henri macht sich seine Gedanken, versucht sich halbherzig an Ermittlungen - die ihren Namen nun wirklich nicht verdienen! Am Ende sind es die Frauen des Häkelclubs, welche eine Wende einleiten. Aber ach, das Ende ist unspektakulär. Kein Showdown, kein Geständnis. Einfach nichts. Das ist für mich kein Krimi!


    Das Buch hatte durchaus seine Momente, das will ich gerne zugestehen. Hier und da habe ich ob einer Formulierung geschmunzelt. Es blieb aber als Krimi insgesamt hinter seinen Ansprüchen deutlich zurück, und war für mich leider schlicht langweilig.

    Hat Potenzial



    Ich bin diesem Buch mit großer Neugierde begegnet - immerhin hat Nigeria schon zahlreiche bedeutende Autoren, auch Autorinnen, hervorgebracht. Ich war gespannt, ob sich Tomi Obaro mit z. B. Helen Oyeyemi oder Chimananda Ngozi Adichie messen kann. Die Antwort lautet - noch nicht ganz, aber sie ist auf einem guten Weg dorthin.

    Normalerweise bedeuten drei Sterne bei mir "mittelmäßig". Hier jedoch tendiere ich eher zum "Daumen hoch" als "Daumen runter". Zu vier Sternen hat es aus meiner Sicht nicht gereicht, weil viele Ansätze im Ungefähren verblieben, oder nicht weiterverfolgt wurden. Insgesamt fand ich das Buch aber durchaus sehr gut lesbar - als reiner Unterhaltungsroman sogar ziemlich gut.

    Die drei Hauptfiguren Enitan, Zeinab und Funmi fand ich alle lebendig geschildert, mit gut erkennbaren Eigenheiten und Macken. Gut getan hat dem Buch auch die Schilderung aus verschiedenen Perspektiven. Der "Rückblende-Teil" in der Mitte des Buches hätte aus meiner Sicht jedoch durchaus länger sein können!

    Das Buch hatte definitiv das Zeug zu einer echten Familiensaga - die lauerte sozusagen hinter jeder zweiten Seite. Nur leider wurde davon zu vieles nicht ausgeführt. Das Buch hätte gut und gerne 200 Seiten mehr vertragen. Es war nicht einmal so, dass es schlecht geschrieben war - ich hatte eher den Eindruck, hier hat die Autorin (oder eine Lektorin) aus falscher Bescheidenheit gekürzt. Warum wird Zeinab denn keine Autorin? Immerhin war ihr Mann doch nicht immer krank? Oder was macht Funmis Ehemann nun genau? Wir haben hier nichts weiter als Andeutungen im Klappentext. Auch hätte ich gerne näher gewusst, woran die Ehe von Enitan und Charles nun genau zerbrochen ist.

    Der Spannungsbogen war auch nicht ganz glücklich ausgeführt. Man wusste schon ziemlich genau, von Anfang an, worauf das alles im dritten Teil hinauslaufen würde. Da wirkte die detailreiche Schilderung der nigerianischen Hochzeit mit dem erahnten Ausgang beinahe antiklimaktisch. Hier hätte ich mir mehr schicksalhafte Verflechtung gewünscht. Dieses lapidare "okay" von Funmi war mir einfach zu wenig.

    Es gab aber auch viel Gutes! Zum Beispiel die Rolle, die Literatur in Nigeria spielt. Viele der großen afrikanischen Autoren wurden zitiert und diskutiert - Achebe, Ngugi, Soyinka, Tutuola, sie alle kamen vor. Gleichzeitig wurde aber deutlich gemacht, dass diejenigen, die überhaupt in Nigeria lesen, nämlich zumeist die Frauen, von den großen Autoren kaum etwas mitbekommen, und lieber an ihren Liebesromanen hängen bleiben.

    Die Rolle der Politik im Buch fand ich interessant! Auf den ersten Blick könnte man das Buch für unpolitisch halten. Doch nein. Funmi lernt ihre große Liebe in einer Gruppe von Aktivisten kennen. Es gibt Studentenunruhen, und Präsidentschaftswahlen. Busse werden von Straßenräubern überfallen, Menschen entführt. Und selbst bei einer Hochzeit stehen Wachleute mit Kalaschnikows vor dem Tor...! Das Interessante ist nun, dass sich über die Zu- und Umstände hauptsächlich die Männer im Buch unterhalten und aufregen. Väter, Brüder, Freunde, Dozenten. Die Frauen werden zwar gelegentlich gefragt, haben aber entweder keine Meinung dazu, sind zu schüchtern, oder sind schlicht froh, wenn alles vorüber geht. Die Botschaft scheint mir klar zu sein: Politik ist in Nigeria weitestgehend Männersache.

    Gut eingebunden auch die Rolle der Religion in Nigeria. Zeinab ist Muslimin, als einzige der Drei. Das grenzt sie jedoch überhaupt nicht aus. Es gibt viele christliche, auch charismatische, Kirchen - die Menschen im alltäglichen Leben werden jedoch eher als "gelegenheitsfromm" geschildert. Gleichzeitig boomt der Markt mit Lobpreismusik und Fernsehpredigern.

    Es stimmt schon, die Dialoge unter den Freundinnen und ihre Interessen bewegen sich oft eher auf dem Niveau von "Young Adult"-Literatur. Es geht um Frisuren, Hochzeiten, WhatsApp-Gruppen, Kleider und nochmals Kleider, und nigerianisches Essen. Nun, vielleicht trägt hier auch die Übersetzung ihren Teil dazu bei - der Ton ist teilweise locker bis flapsig. Dennoch, insgesamt war das Ganze gut lesbar. Tragik bekommt das Buch, wie bereits ausgeführt, schon durch die Umstände.

    Ich habe das Buch gerne gelesen - leise Anklänge von "Americanah" waren durchaus zu spüren, ebenso wie Spuren von "Sex and the City". Eine lebendige Mischung, die meiner Meinung nach nur zu kurz geraten ist.

    Hat Längen


    Versprochen habe ich mir hier, aufgrund des Klappentextes und diverser Online-Ankündigungen, eine Romanbiographie über Virginia Woolf. Ein wenig fühle ich mich übers Ohr gehauen, da alle diese Texte nicht deutlich machen, dass es sich hier nur um den ersten Teil handelt: am Ende dieses Bandes ist Virginia weder mit Leonard Woolf verheiratet, noch ist ein Roman unter ihrem Namen erschienen. Eigentlich ist dies wohl eine Reihe, die auf drei Bände angelegt ist. Aber das erfuhr ich erst aus einem Text im inneren Einband.

    Gut, dies erklärt, warum der Text sich für mich teilweise arg hinzog - er hat deutliche Längen. Und es geht eben nicht ausschließlich um Virginia. Gefühlt geht es mindestens 50:50 auch um ihre Schwester Vanessa. Die Autorin wählt offenbar den Ansatz über die Emotion, und das persönliche Umfeld. Dafür gerät aber, zumindest in meinen Augen, die schriftstellerische Tätigkeit deutlich ins Hintertreffen.

    Als Zeitporträt finde ich das Buch halbwegs gelungen. Man erfährt als Leser viel über die Bloomsbury-Gruppe, die damalige Zeit, die Themen, und die Atmosphäre. Aber auch hier schummeln die Klappentexte. Es ist ja mitnichten so, dass die Schwestern Virginia und Vanessa diesen Kreis ins Leben gerufen hätten! Es war ihr Bruder Toby, der seine Freunde bzw. Studienkollegen in das Haus in Bloomsbury einlud. Somit gerieten die Schwestern eher zufällig hinzu.

    Mich haben manche Themen und Ausführlichkeiten in diesem Buch befremdet. Sicher, ich wusste, dass es bei den "Bloomsberries" nicht zimperlich zuging, und die Themen freizügig waren. Dennoch, warum muss ich als Leserin eines Buches über Virginia (!) dann unbedingt von Vanessas Eheproblemen wissen, oder wie sie es am liebsten tut? Oder ob überhaupt?? Zudem ist es wohl eine echte Binsenweisheit, dass eine Frau nach einer Geburt ihre erotische Aktivität herunterfährt. Und schon wieder wird im Klappentext (innerer Einband) geschummelt! Vanessa lebt ihre Sexualität eben NICHT wirklich aus. Die einzige Frau, die das in diesem Umkreis tut, ist Clives Geliebte. Sonst gönnen sich diesen Luxus nur die Männer!

    Sprachlich bewegt sich das Buch auf einem soliden, mittleren bis höheren Niveau. Aber gerade in den Passagen über Vanessa geriet mir dies doch oft zu zuckrig, gar schwülstig. Virginia, wenn sie denn einmal persönlich beschrieben wird, ist allerdings gut getroffen! Ihre Sprunghaftigkeit, ihr Ringen um den richtigen Ausdruck, ihre Indifferenz gegenüber der Ehe, ihre Labilität. Ebenfalls gut fand ich diverse Auflockerungen durch Briefe innerhalb des Freundeskreises.

    Um das Buch richtig zu beurteilen, müsste ich wohl die ganze Reihe lesen - verspüre dazu im Moment jedoch eher eine untergeordnete Neigung. Es ist sicherlich ein lobenswerter Ansatz, der sich jedoch sehr auf das Zwischenmenschliche und weniger das Schriftstellerische konzentriert, wie ich es eigentlich erwartet hätte. Ich muss ganz ehrlich sagen, Romanbiographien können andere Autoren besser. Zum Beispiel Charlotte Roth.

    Nicht gefällig, aber gehaltvoll


    Ich muss zugeben, hätte ich nicht schon ein wenig Erfahrung mit japanischer Literatur gehabt, hätte ich mich möglicherweise etwas schwer getan mit diesem Buch. So aber war ich vorbereitet. Hier spielt sich sehr viel unterhalb der Oberfläche ab, und der Tonfall ist manchmal täuschend sachlich. Auch mäandert die Geschichte mehrfach um ihre zentralen Themen herum. Ich habe daher länger für die Lektüre gebraucht, als bei einem reinen Unterhaltungsroman. Habe aber auch sehr viel mitgenommen.


    Es ist einer dieser Fälle, wo jeglicher Versuch eines Klappentextes eigentlich nur scheitern kann, weil es im Grunde um viel mehr geht. Der Anwalt Akira Kido wird von einer ehemaligen Mandantin, die er bei ihrer Scheidung vertreten hat, mit einem neuen Auftrag betreut - er soll die wahre Identität ihres verstorbenen zweiten Mannes klären. Er verbeißt sich geradezu in diesen Fall - wohl auch, weil er privat gerade von Sinnfragen umgetrieben wird. Er trifft sich nach und nach mit vielen Zeugen - ist dabei aber auch auf einer Reise in sein Inneres. Und es tauchen, auch vom Autor wohl bewusst gesteuert, viele Themen am Wegesrand auf, für die man sich als Leser Zeit nehmen sollte.


    Es geht um sehr vieles hier, was nur angerissen wird, aber gerade deshalb nachhallt. Um die Frage der Kindererziehung zum Beispiel, oder um das Verhältnis zwischen Eheleuten. Wie kommen Menschen nach Schicksalsschlägen mit ihrer Identität und ihrer Vergangenheit zurecht? Wie erklärt man Kindern den Tod? Wie wird man von anderen wahrgenommen? Und was macht eigentlich einen Charakter aus?


    Viele Passagen weichen vom Hauptweg der Erzählung ab. Man muss also schon ein wenig Geduld mitbringen. Durchsetzt ist der Text außerdem von etlichen Dialogen, die auf uns Westeuropäer befremdlich wirken mögen. Da ich mich aber schon näher mit Japan beschäftigt habe, fand ich alles ziemlich realistisch. Auch die kulturellen Einblicke fand ich unmittelbar. Das "heimliche Hauptthema" des Romans ist nämlich die Haltung der Japaner zu den Koreanern, da der Anwalt selbst eingebürgerter Koreaner, ein "Zainichi", ist. Ja, diese Seiten, den Fremdenhass und die Vorurteile, die gibt es auch in Japan - das wird aber gerne unter den Tisch gekehrt.


    Vieles fand ich sehr gut an diesem Buch. Einmal die aktive Lesehaltung, die es einem abverlangt. Dann die farbigen Figuren, die mit ihren Eigenheiten kurz und prägnant beschrieben werden. Die inneren Monologe von Kido mochte ich auch - sie gehen bisweilen stark ins Philosophische. Dann wieder die zahlreichen Bezüge zu Jazzmusik, Populärkultur und Literatur. Und nicht zuletzt die angedeutete Rahmenhandlung. In einem Vorwort behauptet der Autor nämlich, er habe die Geschichte selber nur gehört. Das fand ich einen klugen Kunstgriff!


    Insgesamt würde ich das Buch an Liebhaber japanischer Literatur weiterempfehlen. An alle anderen interessierten Leser nur unter Vorbehalt.

    Weniger Krimi als Frauenbuch


    Dieses Buch hat mir durchweg gut gefallen! Wenngleich auch aus anderen Gründen, als die Autorin beabsichtigt haben mag.


    Beworben wird die Titelheldin, Anne-Maj Mortensen, als die "dänische Miss Marple". Das finde ich nicht ganz treffend. Sicher, es geht hier um verdächtige Todesfälle, und Anne-Maj beginnt, nachzuforschen. Doch das Hauptaugenmerk liegt in diesem Buch - zumindest für mich - gar nicht so sehr im Krimi, sondern eher in der Charakterzeichnung, und dem feinen Humor.


    Die Autorin wird beschrieben als eine der erfolgreichsten Schriftstellerinnen Dänemarks, und das glaube ich sofort. Hier war erkennbar ein Profi am Werk. Sehr flüssige Schreibweise, liebenswerte Charaktere, Schrullen und Marotten überall. Eine gut gezeichnete Kulisse, und Dialoge, die einen sehr schmunzeln lassen. Aber als Krimi...?


    Das Buch ist nun nicht unspannend. Aber, und das sagt auch die offizielle Polizei in diesem Buch, Anne-Maj ist nun wirklich als Ermittlerin denkbar ungeeignet. (Ihre Telefonate mit dem zunehmend genervten, jungen Beamten gehören für mich zu den lustigsten Stellen des Buches!) Im Gegensatz zu Miss Marple fehlt ihr so einiges an Lebensklugheit. Anne-Maj ist zwar auch schon in Rente, aber sie lässt sich leicht von ihren Emotionen leiten. Und von ihren Hobbys - und die ranken sich nun mal um Bücher, und um das Kochen!


    Ich habe das Buch vielmehr als "Frauenroman" gelesen. Dazu trägt vor allem das Setting und die Lebensumstände von Anne-Maj bei. Schon die einleitenden Passagen handeln vom Kochen; und tun es auch weiterhin oft im Verlaufe des Buches. So geht es zum Beispiel häufig um Essenseinladungen, und die vermutlich essgestörte Enkelin von Anne-Maj.


    Zweitens ist da dieser Trupp von verrückten Senioren, welche den Trödelladen betreiben, in dem auch Anne-Maj arbeitet. Diese Szenen könnte ich immer wieder lesen, es ist einfach zu herzig, wie sich die älteren Damen gegenseitig in die Parade fahren, und um Hierarchien rangeln!


    Drittens besteht wiederum ein guter Teil der Handlung aus dem Verhältnis von Anne-Maj zu ihrem Hund, dem Dackel Mortensen. Tierliebhaber werden hier voll auf ihre Kosten kommen! Mortensen ist für mich zu einer vollwertigen Figur des Buches geworden. Und am Ende hat er auch noch eine sehr wichtige Rolle...!


    Der Krimi an sich ist gute, solide Kost. Ich hatte allerdings den wahren Täter schon ab der Mitte des Buches halbwegs erraten, dazu gehörte nun wirklich nicht viel. Allerdings spricht es dann wieder für das Buch, dass dies mir nicht den Lesegenuss geschmälert hat.


    Insgesamt würde ich das Buch durchaus weiterempfehlen - nur eben nicht an hartgesottene Krimi-Fans. An Dänemark-Liebhaber und an Freunde der humorvollen Unterhaltung jedoch schon.

    Uneingeschränkt fesselnd!

    Schon von der Leseprobe fühlte ich mich gleich am Kragen gepackt, und konnte das Erscheinen des Buches gar nicht abwarten. Dieses Buch habe ich nicht gelesen, sondern eher eingeatmet... man wird hineingesogen, und am Ende halb außer Puste wieder entlassen. Was für ein Ritt... nein, Flug!

    Die Autorin war selber Flugbegleiterin, und das merkt man auf jeder Seite. Alles wirkt authentisch erzählt, mit genau der Prise Fachwissen, die nötig ist, um die Spannung zu halten. Sie hat ihren Beruf unzweifelhaft gemocht... die Eigenheiten und Beziehungen der Crew untereinander werden sehr liebevoll geschildert.

    Ok, man könnte eventuell einwenden, dass das Buch sehr "amerikanisch" geschrieben ist, voller Heldenmut, aufrechten Männern, Behörden, die sich selber im Weg stehen, und Einzelpersonen, die es am Ende dann doch wieder herausreißen. Vergleichen lässt es sich außerdem mit dem Erfolgsfilm "Speed", der nach ganz ähnlichem Strickmuster arbeitet. Dennoch - oder gerade deshalb - für mich kein Grund, von der Lektüre abzuraten.

    Es ist ganz einfach ein perfekt gemachter Thriller! Kaum zu glauben, dass das ein Erstlingswerk sein soll. Die Struktur, der Plot, die gelegentlichen Rückblenden, dazu tragische innere Monologe der Figuren... die Autorin hat wirklich jedes verfügbare Mittel genutzt, um den Leser bei der Stange zu halten. Nur ganz gelegentlich gibt es Spuren von Pathos - zum Beispiel in der Formulierung des "Bekennervideos", das dem Kapitän aufgezwungen und vordiktiert wird. Oder beim Footballspiel am Schluss.

    Nein, eine Inhaltsangabe werde ich hier nicht geben - dafür reicht der Klappentext allemal. Nur so viel: dieses Buch ist perfekt geeignet für alle Leser, die sich mal wieder vor atemloser Spannung in den Sesselrand krallen wollen, und sich selber fragen möchten, wie sie in dieser Zwangslage gehandelt hätten. Und die vielleicht noch am Thema Luftfahrt interessiert sind. Von mir auf jeden Fall "Daumen hoch"!

    Mehr als ein Roman - und ein guter noch dazu!


    Mir war der Autor bisher unbekannt - aber das Thema interessierte mich sehr. Eine Geschichte rund um die Dimensionen der Sterbehilfe. Und das dann noch anhand einer demenzkranken alten Frau! Ich bin selbst in der Pflege tätig, und fühlte mich sofort angesprochen.

    Das Buch hat alle meine Erwartungen erfüllt, und sogar noch übertroffen. Es besitzt moralische Tiefe, ohne einseitig zu werden. Es bietet Denkansätze für den Leser in Fülle. Und noch dazu ist es schlicht eine gute Geschichte!

    Ich hatte mehr oder weniger erwartet, hier einen "Thesenroman" vorzufinden, bei dem die Geschichte ein wenig hinterher hinkt. Doch weit gefehlt! Zugegeben, der Autor lässt sich Zeit, die Geschichte zu entwickeln. Doch das hat gerade den Lesereiz ausgemacht.

    Die Romanhandlung an sich wird aus mehreren Perspektiven beleuchtet: sowohl aus der von Max, der bei Maria aufwächst und später Arzt wird, und aus der von Jonas, seinem besten Freund aus dem Internat. Er kannte ebenfalls Maria, hat viel Zeit mit ihr verbracht. Jonas wird Anwalt, ja sogar Staatsanwalt. Und tragischerweise hat genau er die Sache von Max zu vertreten, als dieser Marias letzten Wunsch umsetzt, sterben zu dürfen.

    Das Buch beginnt mit Rückblenden in die Zeit von Jonas' und Max' Kindheit und Jugend, und wie sie durch einen tragischen Unfall gegenseitig in des anderen Schuld stehen. Es springt in die mittlere Vergangenheit, als beide Männer Entscheidungen für ihr späteres Berufsleben treffen, und auch den einen oder anderen Schicksalsschlag hinnehmen. Zuletzt gibt es Szenen aus der Gegenwart, davon der größte Teil im Gerichtssaal spielend.

    Besonders gut gefallen hat mir, dass der Autor sich jeglichen Urteils enthält. Dennoch merkt man ihm den Juristen an, durch und durch. Denn auch ein Straftäter (und ein Richter!) hat eben eine Vorgeschichte, und das versucht er hier zu beleuchten. Menschen in Extremsituationen handeln nie aus dem "Nichts"! Man entwickelt als Leser Verständnis für sämtliche Positionen. Max hat als Kind Leid und Armut erlitten, in seiner Lebensgeschichte war der Tod ständiger Begleiter. Jonas hingegen, sein Freund, scheint nur auf den ersten Blick erfolgreicher. Er war immer abhängig vom Urteil seines eigenen Vaters, dessen Anerkennung er nie wirklich erlangen konnte. Und dann kommt ausgerechnet der Fall mit Max auf ihn zu... als er gerade dabei ist, zum Oberstaatsanwalt ernannt zu werden...

    Auch die dezent eingeflochtene religöse Thematik hat mir sehr gefallen! Der Titel des Buches ist aus der Offenbarung des Johannes entlehnt. Max sieht sich nämlich in einer tragischen Position, war eigentlich gläubig, glaubt aber, Gott habe ihn verlassen. Es gibt einige sehr erhellende Gespräche in dem Buch, zum Beispiel mit einem Pfarrer, einem Angehörigen, und einem alten Richter.

    Wie sehr die Familie einen Menschen prägt, zeigt das Buch ebenfalls. Und welche Fallstricke die Familie bereithält. Ich will hier nicht allzusehr spoilern, kann aber sagen, dass es als Leser durchaus nicht leicht ist zu beurteilen, wer hier das einfachere Schicksal hatte.

    Zuletzt - das Buch basiert auf einer wahren Geschichte, die vor Gericht sogar als Präzedenzfall zitiert wird - ein Fall aus den Niederlanden. Überhaupt war ich von der Schilderung der Verhandlung fasziniert - Richter und Staatsanwälte sind ja durchaus keine Unmenschen, sondern sehen sich mit den Grundpfeilern des modernen Lebens konfrontiert, die sie ständig neu verhandeln müssen.

    Ich bin wirklich rundum begeistert, habe viel dazugelernt, und würde dieses Buch rundum uneingeschränkt empfehlen. Entgegen der "schweren" Thematik ist es überaus gut lesbar, ohne flach zu sein.

    Ein sehr rundes Lese-Erlebnis


    Obwohl ich die vorherigen zwei Bände der Reihe nicht kenne, kann ich hier guten Gewissens die volle Punktzahl vergeben. Es war für mich ein sehr rundes Lese-Erlebnis, mit lebhaften Figuren, und einem lebendigen und glaubwürdigen Zeitportät.


    Magda Fuchs, die jetzt Magda Mehring heißt, ist mir durchweg sympathisch. Sie setzt sich für ihre Patienten ein, und behauptet sich auch in schwierigeren Situationen unter Männern, zum Beispiel im Polizeipräsidium. Gleichzeitig ist sie sehr menschlich, hat ein Herz für (Straßen-)Kinder, und liebt ihren Mann, Kommissar Kuno Mehring, aufrichtig.


    Doch das Buch wird gar nicht alleine aus ihrer Perspektive erzählt, wie ich zuerst gedacht hatte. Mindestens zu gleichen Teilen entfällt die Erzählzeit auf Celia Fahrland-Hinnes, eine Millionärsgattin, die sich im Laufe der Handlung vom Schoßhündchen ihres Gatten zu einer selbstbewussten Frau mausert. Sie und Magda kennen sich durch diverse private und gesellschaftliche Bande.


    Das Buch lebt weiterhin von sehr umtriebigen und lebhaft gezeichneten Nebenfiguren, die ich alle ins Herz geschlossen habe: Oberkommissar Wagner, der ständig seine Torten futtert, der Butler Bergmann, den seine Neigungen mehrfach in Schwierigkeiten bringen, und die Köchin Liesl, deren breitestes Bayrisch für so manchen Schmunzler gesorgt hat. Der Duft ihrer Rohrnudeln durchzieht sozusagen die Seiten...!


    Das Buch enthält ferner sehr "mutige" Themen, die ich so nicht erwartet hätte. Medizinische Themen werden auf dem Stand ihrer Zeit behandelt, was im Rückblick erstaunlich ist. Verhütung, psychische und Geisteskrankheiten, und Gallenblasen geben sich die Ehre. Sehr erstaunlich auch der Nebenerzählstrang rund um abnorme sexuelle Vorlieben, und Geschlechtsidentität...! Sicher war mir insgeheim bewusst, dass es das schon immer gegeben haben muss; es war dennoch packend zu lesen, wie damals damit umgegangen wurde. Zu guter Letzt: das Aufkommen der Nationalsozialisten. Das wurde sehr feinfühlig und glaubhaft behandelt. Dafür ein dicker Pluspunkt an die Autoren!


    Mir hat auch gefallen, dass sich das Buch keinem Genre so eindeutig zuordnen lässt. Es hat Anteile eines Krimis - denn einerseits sucht Magda nach dem vor Jahren verschwundenen Otto, andererseits kam eine fremde Frau unter dubiosen Umständen zu Tode. Es ist aber genauso gut ein "Frauenroman", da es hier vorrangig um die Entwicklung von weiblichen Charakteren geht. Die Männer treten in diesem Buch fast in den Hintergrund, die wahren Fäden ziehen die Frauen! Und ein historischer Roman ist es schließlich auch, da es die 20er Jahre in Berlin zum Leben erweckt.


    Deswegen kann ich das Buch letztlich nur begeistert weiter empfehlen. Hier werden verschiedene Arten von Lesern fündig: Spannung, Humor, und Zeitgeschichte, sowie eine gehörige Prise Drama - hier ist für alles gesorgt. Sehr wahrscheinlich werde ich mir nun auch die ersten beiden Bände besorgen.

    Herrlich skurril und "very british"


    Bei diesem Buch ist für mich alles "wie aus einem Guss" - schönes, britisch gestaltetes Cover (könnte direkt aus "Inspektor Barnaby" stammen!), herrlich skurrile Figuren, Situationskomik, sowie ein nicht zu kompliziert daherkommender Fall.

    Nur der deutsche Titel, den finde ich grenzwertig. An keiner einzigen Stelle im Text ist die Rede von einem "Club"! Auch nicht im Originaltitel; der lautet schlicht "The Marlow Murders". Es geht einfach nur um drei schräge Damen, die gemeinsam einen Fall lösen, und die eher durch Zufall zusammengewürfelt werden. Ich vermute, der deutsche Verlag wollte auf einen erfolgreichen Zug aufspringen - denn derzeit feiert ja Richard Osman mit seinem "Mordclub" um vier Senioren große Erfolge.

    An der Geschichte hat mir einfach alles gefallen. Die drei Hauptfiguren sind wirklich wunderbar exzentrisch, von daher "mussten" sie einfach zusammenpassen! Eine 77jährige Dame, Judith Potts, mit nicht ganz geklärtem familiären Hintergrund, die nackt badet und Whisky trinkt. Eine Pfarrersgattin, genannt Becks, die sich schon mal vor Besuchern im Schrank der Sakristei versteckt. Und eine "Hundesitterin", die ihre Nase in alle möglichen Dinge steckt. Eine äußerst gelungene Mixtur!

    Die Drei bringen sich in die unmöglichsten Situationen, wie Einbrüche und Verfolgungsjagden. Und natürlich sind sie den "wahren Ermittlern", der Polizei, immer um eine Nasenlänge voraus. Herrliche Komik verbindet sich sehr gelungen mit nicht zu aufdringlicher Spannung. Auch der klassische Showdown enthält Passagen, bei denen herzhaft gelacht werden darf.

    Man merkt schon sehr deutlich, dass der Autor primär eigentlich Drehbuchschreiber ist. Er schreibt sehr plastisch und "szenisch", geradezu so, dass sich Filmsequenzen vor dem Auge des Lesers abspielen. Er weiß ganz genau, was er hier tut. Von daher würde ich diesem hübschen literarischen Kleinod durchaus eine Verfilmung gönne.

    Jeder Leser, der an klassischem "cosy crime" (und an Inspektor Barnaby!) seine Freude hat, wird durch dieses Buch sehr gut unterhalten werden. Ich freue mich jetzt schon auf die geplanten Folgebände.


    ***

    edit: habe nachgesehen, der Originaltitel enthält doch das Wort "club"! Aber ich finde es immer noch nicht gerechtfertigt.

    Schneewittchen auf Speed



    Trotz des ironisch angehauchten Titels meiner Rezension: das Buch hat mir insgesamt gut gefallen! Ich bezweifle nur, ob es wirklich für Jugendliche geeignet ist. Doch der Reihe nach.


    Die ganze Grundidee fand ich innovativ, das hat mich sehr angesprochen: klassische Märchen der Brüder Grimm in die Zukunft zu verlegen. Nicht nur zu modernisieren, nein, sie in eine noch ferne Zeit zu transponieren. An üblichen "Modernisierungen" von Märchen haben sich ja durchaus schon bekannte Autoren versucht, z. B. A. S. Byatt. Dementsprechend war ich gespannt, ob sich Holly Jane Rahlens hier würde einreihen können.


    Verschiedene Dinge haben mir hier sehr gut gefallen. Erstens, die Bandbreite der verwendeten Textsorten. Blog-Eintrag, Gruselgeschichte, Song, Fernsehserie, Drehbuch... das war schon beeindruckend. (Diese typischen Kennzeichen der literarischen Postmoderne dürften aber an Jugendlichen eher vorbeigehen.) Zweitens hat die Autorin ihren eigenen Namen immer wieder verfremdet, und irgendwie in die Märchen eingeschleust - das war ein liebenswertes Detail! (ob das aber Jugendlichen auffällt...?) Drittens hat sie öfters versucht, die Bedeutung von Märchen und vom Erzählen an sich in den Texten unterzubringen. Auch hier muss ich sagen: sehr schön, aber für Jugendliche...?


    Was absolut gut gemacht war, war die "Nähe" der Texte zur jugendlichen Erlebniswelt. Es ging durchweg um junge Leute, und deren Nöte. Sogar etliche schwer moderne Themen wurden (vor allem in die Rahmenhandlungen) eingebracht: Umweltkatastrophen, Klimawandel, Genderproblematik, Flüchtlingswellen. Und an einer Stelle meinte ich durchaus einen Hinweis auf die Corona-Epidemie vorzufinden (" ein Virus, das die ganze Welt verändert hat"). Auch sehr gut: die Verwendung der modernen Technik, wie man sie sich vorstellt, und wie sie vermutlich Jugendliche ansprechen wird.


    Was hat aber trotzdem zu einem Stern Abzug geführt? Eben die Tatsache, dass ich die angestrebte Zielgruppe des Buches schwer einordnen kann. Jugendliche, hm, vielleicht auch, aber so richtig Spaß hat man an diesen Texten erst, wenn man die Meta-Ebene und die ganzen Parodien durchschaut. Zweitens fand ich die ganzen Verschachtelungen, Rahmenhandlungen und Durchbrechungen der Erzählebenen manchmal ein wenig "too much". Das würde Jugendliche überfordern. Es gab nur sehr wenige Texte, die ohne Verschachtelung eine Geschichte ganz "straight" erzählten. Und drittens, mir haben die Illustrationen einfach nicht gefallen. Weder vom Stil, noch von der Farbgebung her. Dumpfes und diffuses Orange und Blau - dazu Motive, die nicht wirklich schön sind. Nicht mein Ding. Dafür war das Format des Buches dann wieder gut: etwas größer, und von guter Qualität, eben wie ein Märchenbuch. Der innere Umschlag mit den Rauten und den Krönchen hat mir dann wieder gut gefallen.


    Zum Schluss möchte ich noch bemerken, dass mir etwas aufgefallen ist. Es handelt sich um eine Originalausgabe; der Text wurde aber dennoch übersetzt...? Das hat mich verwirrt. Ich habe nachgeforscht. Die Autorin, gebürtige Amerikanerin, macht das wohl öfters so. Lebt in Deutschland, schreibt ihre Bücher aber auf Englisch. Aha. Doch dann stellen sich mir wiederum Fragen. In den Texten wird vermehrt auf Deutsch als eine der "toten Sprachen" verwiesen, in einem der fiktiven Vorworte wird erklärt, warum es auf Deutsch erscheint, und ein Text, ein englisches Kinderlied, ist wie ein Schulbucheintrag aufgebaut, mit Erklärungen und Vokabular... dann muss die Autorin das dennoch alles so geplant haben...?? Oder hat die Übersetzerin das im Alleingang so gestaltet?? Hier wüsste ich gerne mehr.


    Insgesamt empfehle ich dieses Buch gerne weiter an entdeckungslustige Leser. An Jugendliche würde ich es aber nur weitergeben, wenn ich denjenigen gut kenne.

    Das reinste Lesevergnügen!


    Und wieder habe ich die vier „Wunderfrauen“ von Stephanie Schuster, nämlich Luise, Helga, Annabel, und Marie, ein Stück ihres Weges begleitet, und zwar mit ausgesprochenem Vergnügen! Im ersten Band befanden wir uns in den 50er Jahren, nun ist es der Beginn der 60er. Manche Fäden werden aufgegriffen, manche Entwicklungen kommen neu hinzu. Gekonnt verbindet die Autorin dabei Einzelschicksale mit Zeitgeschichte, und das Ganze in einem höchst lesbaren Stil, der auch noch reichlich Gelegenheit für Humorvolles bot. Ein rundum pralles Lesevergnügen also!


    Es ist allerdings schon ein typischer „Mittelteil“. Von Anfang an war klar, dass es eine Trilogie sein würde. Und das merkt man diesem Buch auch entsprechend an. Ich denke, man könnte es auch als Einsteiger genussvoll lesen. Allerdings war es so, dass ich es im Rahmen einer Leserunde genießen durfte, und dort sagte sicher die Hälfte der Leser, sie würden sich jetzt auch den ersten Band besorgen. (oder hatten es sogar vor Beginn der Leserunde schon getan!) Auch wird man nach Beendigung der Lektüre nicht umhin können, auch den dritten Band lesen zu wollen. Denn Stephanie Schuster hat sich diesmal wirklich fiese Cliffhanger und offene Fäden zum Ende hin einfallen lassen! Schade nur, dass der Verlag sich bemüßigt gesehen hat, eine Leseprobe aus Band 3 anzuschließen. So wurden gleich zwei wichtige offene Punkte, die Lesespannung versprochen hätten, vorab geklärt… sehr schade!


    Es gibt viele Punkte, die ich sehr gelungen fand. Da wäre zum Beispiel die Rolle der Musik. Der erste Band begann mit „yip yip“, der zweite nun mit „shuop-bop“… wirklich köstlich! Überall spielen Schlager und Hits eine Rolle. Sei es bei Luise im Laden, oder im Tanzkurs, den sie besucht – oder wenn Helga zu einem ihrer „freien Abende“ aufbricht.


    Die Autorin webt ganz unmerklich zeittypische Themen der 60er Jahre in die Handlung. Das merkt man zum Beispiel am Sortiment in Luises Laden, an Dingen, die sich verkaufen. An Themen aus den Nachrichten. An der landwirtschaftlichen Strukturreform, die vor allem Marie und ihren Hof betrifft. An Entwicklungen in Alltag und Technik, an den Autos und den Fernsehsendungen (Welches Schweinderl hätten‘s denn gern?) Auch vor eher schwierigen Themen schreckt Stephanie Schuster nicht zurück. Wie zum Beispiel das Recht der Frau auf Selbstbestimmung, sichtbar bei Helga und Luise. Die Diskussion des Abtreibungsrechts spielt ebenso eine Rolle wie der Contergan-Skandal. Und noch etliches mehr.


    Mit Augenzwinkern leitet uns die Autorin durch das Leben ihrer Protagonistinnen. Annabel ist in diesem Band diejenige, welche die größte Entwicklung durchmacht. Nach einem Schicksalsschlag entwickelt sie sich regelrecht zur Detektivin, um die Sache aufzuklären. Und sie lernt, ihrem Mann, dem Oberarzt, auch argumentativ die Stirne zu bieten! Luise verwaltet mit Gusto ihren Laden, und denkt stetig über Verbesserungen nach. Helga ist eine energische Alleinerziehende, die für die Rechte der Frauen (auch und gerade in puncto Verhütung!) eintritt. Marie steht für die Landbevölkerung, für die Frauen, für die es zwischen Kindererziehung und harter Arbeit kaum etwas gab. Aber auch sie entwickelt sich – sie stellt ihren Mann letztlich vor ein Ultimatum…


    Als Sahnehäubchen habe ich es empfunden, dass auch geschildert wird, wie sich die Denkgewohnheiten der Menschen und ihr Alltagswissen langsam verändern. So fragen manche Hausfrauen immer mehr nach gesunder (oder gesünderer) Ernährung. „Cholesterin“ ist ein Begriff, der gerade erst aufkommt… und wird von manch einem misstrauisch beäugt. Auch Entwicklungen in der Psychologie halten Einzug in den Alltag. Burnout, Aufklärung und Kleptomanie waren damals sicherlich keine gängigen Gesprächsthemen…!


    Insgesamt kann ich es an keinem einzelnen Punkt festmachen, warum ich diesen Buch wunder-voll fand. Es ist eben mehr als die Summe seiner Teile! Nur, wie gesagt, würde ich doch empfehlen, die Trilogie in der richtigen Reihenfolge zu lesen.

    Mogelpackung


    Leider konnte ich aus dieser Lektüre nicht viel Vergnügen ziehen, obwohl das Buch zuerst vielversprechend klang. Ich denke, dass hier verschiedene Faktoren sehr ungünstig zusammenspielen.


    Das Buch wurde in Deutschlang sehr unglücklich beworben und betitelt. Ein deutscher Leser stellt sich etwas anderes vor, wenn er den Titel „Die Bücherfrauen“ liest! Zudem der pastellige Einband, und der Klappentext, der an andere sattsam bekannte Erfolgstitel aus diesem Genre denken lässt. Doch weit gefehlt.


    Im Original heißt das Buch „To the stars, through difficulties“. Dies ist eine wörtliche Wiedergabe des Mottos „Per aspera ad astra“, was wiederum das Motto des US-Staates Kansas ist. Diesen Titel finde ich wesentlich passender. Wenn es überhaupt so etwas wie einen roten Faden in diesem Buch gibt, dann ist das die Schilderung des Landlebens im Staate Kansas, mit allen Marotten und Gewohnheiten der dort ansässigen Bewohner. Um die drei angepriesenen Hauptcharaktere, sowie um Bücher, geht es dabei nur am Rande.


    Möglicherweise ist das Buch einfach (zu) sehr auf den amerikanischen Markt zugeschnitten, und lässt sich nur bedingt kulturell transferieren. Insgesamt verströmt es vom Plot und der Schreibweise her ein gediegenes Vorabendserien-Feeling, und das erwarte ich bei einem Buch einfach nicht! Viel Drama, hastig hingehuschte Charaktere, haufenweise hanebüchene Wendungen in letzter Minute, und, ach du ahnst es nicht, auch noch ein paar Liebschaften. Nein, tut mir leid, mit dem, was ich erwartet hatte, hatte das nun gar nichts zu tun.


    Sehr unglücklich auch, die drei angeblichen Hauptcharaktere jeweils abwechselnd erzählen zu lassen. Bei anderen Autoren funktioniert diese Technik gut. Aber leider springt hier kein Funke über. Für mich sind die drei Erzählstimmen von Angelina, Traci und Gayle fast identisch, keine hat eindeutige Merkmale. Sie sind vom Tonfall her sehr uniform. Zudem sind die Abschnitte von Gayle geradezu lachhaft kurz, sie kommt mir als Person überhaupt nicht nahe. Man hätte sie meiner Meinung nach völlig streichen können.


    Die Sprache fand ich sehr oft unangenehm flapsig bis peinlich. Nun kann ich nur vermuten, dass dies wenigstens teilweise auf die Übersetzung zurückzuführen ist. Aber auch sachlich betrachtet, gibt es hier geradezu haarsträubende Fehler, bei der sich jedem Anglisten die Fußnägel aufrollen. Was soll zum Beispiel ein „prominenter Ausguck“ sein?? Gemeint ist doch ganz eindeutig ein „hervorstehendes“ Gebäudeteil! Und dergleichen gibt es mehr.


    Als letzten Kritikpunkt möchte ich nennen, dass mir sehr oft die erwähnten Zeitspannen und Altersangaben nicht zu stimmen schienen. Fing man einmal an nachzurechnen, kam nur heilloser Wirrwar heraus. Ganz zu schweigen davon, dass sich manche Charaktere nicht ihrem angeblichen Alter entsprechend verhalten haben.


    Letztlich stehe ich diesem Buch größtenteils sehr ratlos gegenüber, was ich unglaublich schade finde. Empfehlen kann ich es daher leider nicht.

    Unterhaltung mit Anspruch


    Marlies Ferber ist für mich ein echtes Phänomen! Seit ein paar Jahren schon verfolge ich ihr Schaffen. Und wieder hat sie es geschafft, ein Buch zu schreiben, das auf warmherzige Weise vertraut scheint, aber auch genügend „Substanz“ hat, um als Buch zu bestehen. Sie hat hier Ideen aus früheren Büchern aufgegriffen, aber eine ganz eigenständige Geschichte erschaffen. Ich habe das Buch mit größtem Vergnügen gelesen, bin prächtig unterhalten worden, habe aber auch über etliches nachgedacht dabei.


    Der Titel des Buches ist so wunderbar doppeldeutig! Einerseits geht es um eine Art „Roadmovie“, dessen Handlung aber allerlei unerwartete Haken schlägt. Zweitens geht es aber auch jeweils um die „innere Reise“ der vier Beteiligten. Beides ergänzt sich nahezu mühelos.


    Die Autorin sagt, sie sei vom Märchen der „Bremer Stadtmusikanten“ inspiriert worden. Passt! Hier geht es um vier Menschen, die sich jeweils in ihrem Umfeld „ausgemustert“ fühlen. Erstens Jakob, verwitweter ehemaliger Unternehmer, mit sehr fragilem Kontakt zu seinem Sohn, der nicht „Nein“ sagen kann. Zweitens Matthias, Jakobs Freund und Chorkollege. Ehemaliger Polizist auf dem gesundheitlichen Abstellgleis, der sich seine Tätigkeit als Sicherheitsberater schönredet. Drittens Tilda, eine wahre Dame von 69 Jahren, die glaubt, in die Demenz abzurutschen. Und viertens Alex, eine junge Bremer Göre, die aus prekären Familienverhältnissen und dummen Entscheidungen heraus auf der Straße gelandet ist. Alle vier treffen sich auf einer Autobahnraststätte. Und von dort aus geht die spannende Reise erstmal richtig los…!


    Mir hat gefallen, dass es keinen übergeordneten Erzähler gibt. Wir verfolgen die Geschehnisse jeweils durch die Augen der handelnden Person – immer abwechselnd. Die Autorin hat es geschafft, jeder der vier Figuren eine eigene Stimme zu verleihen. Alex ist rotzig, Matthias nachdenklich, Tilda lebendig, und Jakob auf liebenswerte Weise altmodisch…


    Ebenfalls sehr schön fand ich, dass so viele liebenswerte Nebenhandlungen eingebaut werden. Aus dem Leben gegriffen! Und es sind Themen, die uns alle angehen. Wie gehen wir mit alten Menschen eigentlich um? Macht ein Demenz-Roboter Sinn? Warum ist das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern manchmal so schwierig? Wie kann man als Rentner noch ein erfülltes Leben führen? Und manches mehr.


    Es gab genügend Momente zum Lachen! Eddie, der ehemalige Polizeihund mit Knalltrauma… Jakob mit seinen ständigen Goethe-Zitaten. Tilda, die ihre Rolle als Lehrerin immer noch intus hat, und auch mal mitten auf der Autobahn ein Liedchen anstimmt… Und wie sie ihren Demenz-Roboter austrickst! Als Sahnehäubchen gibt es im Buch auch noch eine Liebesgeschichte, die aber zu keinem Zeitpunkt überzeichnet oder unrealistisch ist.


    Am Ende gibt es ein oder zwei offene Fäden, aber genau das habe ich als passend empfunden. Ich hege die leise Hoffnung auf eine Fortsetzung! Der letzte Satz lässt mich das ein wenig vermuten…!


    Ich mochte mich fast gar nicht von den Vieren trennen. Ich habe sie ins Herz geschlossen, und habe die Lektüre keine Minute bereut. Eindeutig Daumen hoch.

    Sehr dicht und faszinierend


    Man kann über diesen – sehr dichten – Roman sicherlich geteilter Meinung sein. Er bezieht sich ziemlich direkt auf ein früheres Werk des Autors, welches ich jedoch nicht kenne. Ein Aufguss also…? Ich kann mich nur auf meine eigene Kenntnis Fleischhauers beziehen. Und von daher sage ich: die „Dritte Frau“ ist ein typischer Fleischhauer, das ja, aber auch in manchem innovativ, sinnlich, und anregend.


    Bisher kannte ich das „Buch, in dem die Welt verschwand“ sowie die „Drei Minuten mit der Wirklichkeit“. Ich habe Wolfram Fleischhauer dabei kennengelernt als einen Autor, der historische oder wissenschaftliche Stoffe als Ausgangspunkt nimmt für dicht gewebte Allegorien, emotionale Zwickmühlen, und vor allem höchst rätselhafte Frauenfiguren. Alles dies bietet auch die „Dritte Frau“.


    Ein klein wenig hat das Buch etwas von Dan Brown. Ein Autor in einer Schaffenskrise erhält einen Leserbrief zu einem seiner früheren Bücher. Jenes Buch befasste sich mit der Geschichte eines rätselhaften Gemäldes, das im Louvre hängt, und zwei ehemalige Geliebte von Heinrich IV. In verfänglicher Pose abbildet. Jemand behauptet nun, direkte historische Informationen zu besitzen, wie damals alles wirklich und eigentlich gelaufen sei… Halb aus Lethargie, halb aus Faszination macht sich nun der Autor auf den Weg, um diesen Hinweisen nachzugehen…


    Das reicht auch schon zum Inhalt. Denn ein „Fleischhauer“ besteht immer aus mehr als der Summe seiner Teile. Ich finde das Buch erstens geradezu umwerfend recherchiert! Rätsel aus der Kunstwelt üben eine starke Faszination auf mich aus. (Auch wieder Dan Brown, übrigens!) Fleischhauer bietet keine fertige Lösung, aber vielfältige Denkansätze. Dabei stellt er die Geschichte des Gemäldes aber m. E. Nicht zu sehr in den Vordergrund. Mindestens ebenso wichtig ist die Gegenwart.


    Sehr erfrischend finde ich in diesem Falle die metafiktionalen Elemente, die Fleischhauer einbaut. Erstens lässt er sozusagen sich selbst in seiner eigenen Handlung vorkommen. Denn der „Autor in der Geschichte“ hat offenbar ein Fleischhauer-Buch geschrieben! Zweitens gibt es zuhauf Diskussionen über das Schreiben selbst, über den Literaturbetrieb, was sich verkauft und was nicht, und warum. Wie eine literarische Recherche abläuft. Ironisch daran ist, dass der „Autor in der Geschichte“ von seiner Lektorin zu hören bekommt, „Postmoderne laufe im Moment nicht mehr“…!


    Das dritte Erzählelement, das ich faszinierend fand, war die Liebesgeschichte. Aber kann man sie überhaupt als eine solche bezeichnen? Wirkliche Liebe ist es wohl auf keiner der beiden Seiten. Es ist eher eine fatale Anziehung. Die Frau, eine Nachfahrin der Damen auf dem ominösen Gemälde, will den Autor eigentlich nur benutzen, wie mir scheint. Er aber kann sich kaum entziehen. Und genau deshalb geht das Ganze auch entsprechendermaßen tragisch aus.


    Eine Spur überflüssig fand ich eventuell nur den privaten Hintergrund des „Autors in der Geschichte“. Es hätte meines Erachtens nicht des desolaten Liebeslebens bedurft, um die rätselhafte Anziehung von Camille Balzac zu begründen. Auch habe ich schon besser beschriebene Liebsszenen gelesen. Aber insgesamt ist das bei diesem Buch „Jammern auf hohem Niveau“.


    Man sollte es nicht lesen, wenn man auf eine Lösung, einen „Plot“, oder eine abgeschlossene Handlung fixiert ist. Dies ist ein Buch zum sprachlichen und sinnlichen Schwelgen, zum Sich-Wundern. Und eventuell, um wieder einmal ein Museum zu besuchen. Ich würde es an Fleischhauer-Fans durchaus weiterempfehlen. Kann aber nicht beurteilen, ob man dazu den Vorgänger, die „Purpurlinie“, gelesen haben sollte, oder besser nicht.

    Ohne Schuld – und fast ohne Tadel!


    Vor vielen Jahren einmal hatte ich eine intensivere Charlotte-Link-Phase. Damals schrieb sie vorwiegend „psychologische Spannungsromane“, die sich von der Emotionalität ziemlich an Rosamunde Pilcher anlehnten, und recht gut zu lesen waren. In jüngster Zeit hat sie sich wohl auf den Kriminalroman verlegt, und die britische Ermittlerin Kate Linville in den Mittelpunkt gestellt. „Ohne Schuld“ ist der dritte Band dieser Reihe, lässt sich aber auch ohne Kenntnis der Vorgänger gut lesen.


    Kate Linville hat sich ganz bewusst aus London weg versetzen lassen, um mit einem früheren Kollegen zusammenarbeiten zu können. Doch schon auf der Hinfahrt im Zug löst sich die Hoffnung auf einen friedlichen Arbeitsalltag auf. Genau in dem Zug, in dem Kate sitzt, wird plötzlich und aus heiterem Himmel auf eine junge Frau geschossen! Und nur wenige Tage später wird dieselbe Waffe in einem Anschlag auf eine Lehrerin verwendet… wie die Leben der beiden Frauen nun zusammenhängen, ist sehr trickreich gestaltet, und hält zahlreiche Überraschungen parat.


    Der typische „Link-Ton“ ist jedoch erhalten geblieben! An vielen Details habe ich die Autorin wiedererkannt. Es gab wieder einmal die geschundene und unterdrückte Ehefrau; ein Muster, das ich aus früheren Büchern kannte. Es gab die Ermittler mit rund gezeichneten Charakteren, und gerade so viel privaten Verwicklungen, dass es die Haupthandlung nicht behinderte. Es gab den ausgefuchsten Plot, der immer an genau der Stelle , wo man „es verstanden zu haben“ glaubte, abzweigte, und neue Überraschungen bot. Und es gab die Entscheidungen, die in Stressmomenten getroffen werden mussten, und die eigentlich gar nicht gut ausgehen konnten!


    Eigentlich würde ich das Buch nicht unbedingt als Kriminalroman bezeichnen wollen. Oder nur zu zwei Dritteln. An dieser Stelle hätte das Buch nämlich – bei anderen Autoren – durchaus enden können. Doch Charlotte Link setzt noch einen drauf, und hängt einen Showdown mit Dramatik an, der das Ganze dann für mich zum Thriller machte.


    Ich gehe bewusst wenig auf die eigentliche Handlung ein, da ich sie für die Beurteilung des Buches nicht entscheidend finde. Charlotte Link ist dermaßen versiert, dass sie noch aus einem Kochrezept einen Krimi machen könnte! Trotz kleinerer logischer Lücken und Stolpersteine bin ich ihr immer atemloser gefolgt, und habe bis zum Schluss mitgefiebert. Und alles erraten habe ich auch nicht. Es bleiben offene Fragen und lose Fäden – ein Detail, dass es bei Charlotte Link vorher nicht gab.


    Noch ein Argument gegen die These „Kriminalroman“ ist ein Hauptthema des Buches. Es geht um ein schweres Familienschicksal, Adoption, um behinderte Kinder, und die manchmal nicht gelingende Rolle des Mutterglücks. Mutige Themen, die Charlotte Link vielschichtig behandelt! Insofern ist das Ganze eher „Roman“.


    Zu kritisieren hätte ich eigentlich nur – gelegentlich – die Sprache, und die nicht immer überzeugenden Dialoge. Man merkt auf fast jeder Seite, dass das Buch von einer weiblichen Autorin geschrieben wurde. Sie kann sich in ihre weiblichen Figuren meiner Meinung nach besser hinein versetzen, als in die männlichen. Auch die obligatorische „Beichte“ des Täters zum Schluss

    finde ich eine Spur unglaubwürdig geraten. Aber nun gut! Insgesamt habe ich das Buch sehr gerne gelesen, und könnte mir auch vorstellen, mich mit den anderen Büchern um Kate Linville zu befassen.

    Zwischen Roman und Biographie


    In letzter Zeit sind ja die sogenannten „Roman-Biographien“ in Mode gekommen. Zum Teil mit mehr, zum Teil mit weniger Erfolg, werden die Lebensgeschichten berühmter Persönlichkeiten als Aufhänger genommen, um eine romanhafte Handlung mit emotionalen Schlaglichtern zu verbinden, die den Charakter der Person oder bestimmte Wendungen ihres Lebens illustrieren sollen. Das Buch „Mr. Crane“ von Andreas Kollender passt auch in dieses neue Genre – wenngleich auch mit wesentlich mehr Geschick und Anspruch ausgeführt, als manche „Vergleichsobjekte“.


    Historisch verbürgt an diesem Buch ist der – wie man sagt – schwierige und explosive Charakter des amerikanischen Schriftstellers Stephen Crane, der vor allem durch sein Buch „Die rote Taperfkeitsmedaille“ berühmt wurde, hierzulande aber immer noch ein literarisches Stiefkind ist. Weiterhin verbürgt ist, dass er an Tuberkulose erkrankte, und in Deutschland, in Badenweiler, ein Sanatorium aufsuchte.


    Der Autor Andreas Kollender nimmt nun diese Rahmenelemente, und macht daraus ein emotionales Drama. Es entspinnt sich zwischen dem todkranken Schriftsteller, und „seiner“ Krankenschwester, der Deutschen Elisabeth. Auch sie ist gezeichnet, emotional und körperlich, durch Brandverletzungen. Die beiden „Versehrten“ geraten in eine Spirale der Leidenschaft und emotionalen Abhängigkeit, die sich immer mehr steigert, und eigentlich nur auf die eine oder andere Weise fatal enden kann.


    Zuerst tendierte ich eher zu einer mittleren Bewertung, weil mir die Charaktere aufgrund ihrer extremen Neigungen doch eher fremd waren. Zudem bin ich selber in der Pflege tätig, und konnte so manche Handlungsweise von Schwester Elisabeth nicht nachvollziehen. Doch bei näherem Nachdenken wurde mir klar, dass diese Argumente natürlich keine sind, da sie der „Freiheit der Kunst“ widersprechen. Romanfiguren haben nicht die Aufgabe, uns verständlich oder sympathisch zu sein. Hingegen hat der Autor die Aufgabe, gut zu unterhalten, und interessante Fragen zu stellen. Das ist Herrn Kollender ausnehmend gut gelungen!



    Ich fand die ganze Struktur des Romans künstlerisch durchdacht, und sehr gut ausgeführt. Wir schwanken zwischen zwei Handlungsebenen: einmal Schwester Elisabeth im „Jahr Crane“ um 1900, und einmal in der Roman-Gegenwart 18 Jahre später. Im „Damals“ verfällt die Krankenschwester ihrem prominenten Patienten, und kann ihn nicht retten. Im „Jetzt“ liegt ein ganz ähnlicher Fall, der junge Leutnant Fischer, in genau jenem Zimmer, das einst „Mr. Crane“ innehatte. Elisabeth erinnert sich, und versucht, Dinge wiedergutzumachen…


    Die Themen des Romans sind sehr mutig! Man muss sich an die sexuelle Freizügigkeit, die hier geschildert wird, erst einmal gewöhnen. Doch dann illustriert sie ganz wunderbar, in was für einem Dampfdrucktopf der Emotionen Menschen in Extremsituationen stecken. Zum Beispiel am Lebensende, oder in Kriegszeiten. In Elisabeth gärte es schon damals, sie versagte sich jedoch die Erfüllung bis ins „Heute“. Des weiteren ist die Rede von Kriegstraumata, falsch verstandenem Heldentum, und der Selbstbestimmung der Frau. Für mich geriet das Leben von Stephen Crane dabei nahezu in den Hintergrund. In der Tat will es ja auch keine Biographie sein!


    Die Sprache ist auf hohem Niveau, die Dialoge voller Spannung. Manches kann man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen! Auch Momente der Frivolität und des Humors gibt es. Lachen und Weinen liegen eben oft nahe beieinander. Nur Stephen Crane hätte ich manchmal schütteln mögen, wäre ich Elisabeth gewesen! Nun gut, er fantasiert im Fieber. Aber auch so scheint er ein „Aufschneider vor dem Herrn“ gewesen zu sein.


    Über weite Strecken hat mich das Buch einerseits an den „Zauberberg“, andererseits an den „Englischen Patienten“ erinnert. Der Autor verneint einen direkten Einfluss zwar – aber manchmal liegen solche Dinge ja einfach „in der Luft“!


    Ich würde das Buch durchaus gerne weiterempfehlen. Allerdings nicht an Fans von klassischen Biographien. Sondern eher an Leser, die auch einmal ungewöhnliche Pfade gehen wollen. Und die bereit sind, ihre Konzepte in Frage zu stellen.