Beiträge von drawe

    Mein Lese-Eindruck:


    Der Klappentext sagt es indirekt schon: der Roman lehnt sich an „Die Abenteuer des Huckleberry Finn“ an, eine Ikone der amerikanischen Literatur. Protagonist ist aber nicht der weiße Junge Huck, sondern sein schwarzer Begleiter, der Sklave Jim. Die Perspektive ändert sich also, und der veränderte Blickwinkel schafft einen gänzlich anderen Roman. Everett zertrümmert das bekannte Vorbild in seine Einzelteile, um diese Einzelteile dann neu nach seinen eigenen Kriterien zusammenzusetzen. Das ist kein Akt der Missachtung, sondern eher eine Referenz vor dem großen Erzähler Marc Twain, zugleich aber auch eine Art Korrektur.


    "Mein Name gehörte endlich mir!" Zentrales Thema ist natürlich der Blickwinkel eines rechtlosen Schwarzen auf eine weiße Geschichte, aber das eigentliche Thema ist die Entwicklung von Identität gegen alle Widerstände, die die Gesellschaft, die Erwartungen und die pure Notwendigkeit dem schwarzen Menschen auferlegen.

    Everett verweist hier immer auf die Bedeutung der Bildung, die er im Roman mit dem Symbol des Bleistifts deutlich macht. Dieser Bleistift wurde mit dem qualvollen Tod eines Menschen bezahlt, und umso wichtiger wird er für Jim. Er schreibt und dokumentiert damit die Ereignisse; das Schreiben hat darüber hinaus noch den Wert der ständigen Selbstvergewisserung. Bildung und Wissen sind es, mit denen Jim das Funktionieren der Verhältnisse erkennt, in die er hineingeboren wurde. Und da er das Funktionieren durchschaut, kann er überleben. Pointiert gesagt: Bildung ermöglicht Emanzipation.


    Diesen Aspekt der Bildung zeigt Everett mit der Sprache. Jim spricht wie alle Sklaven in Everetts Buch die „weiße“ Standardsprache. Nur in Anwesenheit von Weißen fallen sie in ihren Slang, weil der Unterwerfung signalisiert - und genau das erwarten die Weißen. Ein bemerkenswerter Kunstgriff Everetts, mit dem er weiße Erwartungen ad absurdum führt!


    Von diesem zentralen Thema aus greift Everett weitere Themen auf wie die Mitverantwortung der Mitläufer, die die Sklavenhaltergesellschaft verbal ablehnen, aber dennoch von ihren Vorteilen profitieren.


    Dieser Blick durch die schwarze Brille ist nicht ganz frei von Unglaubwürdigkeiten wie z. B. der Lektüre der aufgeklärten Philosophen. Diese Unglaubwürdigkeiten nimmt man als Leser aber gerne in Kauf, weil die weißen Denker bei diesem Blick durch die schwarze Brille mit ihrem Gerede von Freiheit und Menschenwürde doch sehr gerupft aussehen. Und nur so kann Everett Jims Prozess der Selbstfindung erzählen.


    Diese andere Geschichte Everetts erzählt von einem Mann, der in ständiger Angst lebt: um sich selber, um seine kleine Familie. Er beneidet den weißen Jungen Huck, der nicht in dieser ständigen Angst vor dem Gelynchtwerden leben darf. Dieser Jim ist ein anderer als Marc Twains Jim, und auch seine Geschichte ist eine andere. In Jims neuer Geschichte werden Fremdzuschreibungen und Erwartungshaltungen offengelegt. Damit entwickelt das Buch einen starken appellativen und aktuellen Charakter.


    Ein Buch, das nachdenklich macht.

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    Da fällt mir noch etwas ein.

    Das ist doch wirklich blöde, dass man sich bei einer Buchdiskussion nur in Spoilern unterhalten kann.

    Es wird doch niemand gezwungen, das hier zu lesen und sich spoilern zu lassen :-? ...


    Schildkröten


    Das Cover



    Klappentext (gekürzt):


    Knut Hansen Nesje – Edvard Hoems Urgroßvater – schwingt die Sense, seit er ein kleiner Junge war. Über vier Jahrzehnte ist er der Erste unter den Heumachern, jener, der das Tempo der Arbeit bestimmt. Er träumt davon, ein kleines Stück Land zu erwerben und an einen seiner Söhne weiterzugeben, wie seine Mutter, die Hebamme, es getan hat. Seine junge Schwägerin Gjertine, die zweite Hauptfigur des Romans, will nach Amerika auswandern und verwirklicht diesen Traum voller Zuversicht und Abenteuerlust. Ob sie der Plackerei und ungewissen Zukunft im gelobten Land tatsächlich entfliehen kann? Edvard Hoem gelingt eine berührende Geschichte in der Balance zwischen zwei Hauptfiguren mit unterschiedlichen Lebensentwürfen. In ruhigem Erzählton schildert er das Universum seiner Charaktere und entwirft einen weiten, leuchtenden Himmel über den engen Bahnen ihres rauen Alltags.


    Zum Autor und zur Übersetzerin:
    Quelle: Verlag


    Edvard Hoem, geboren 1949 in der Nähe von Molde, ist einer der führenden norwegischen Schriftsteller. Seit fünf Jahrzehnten veröffentlicht er Romane, Dramen, Gedichte und Übersetzungen, für die er u.a. mit dem Brage-Preis (2019), dem norwegischen Kritiker-Preis und dem Ibsen-Preis ausgezeichnet wurde. 2020 wurde er für seine Verdienste um die norwegische Literatur zum Kommandeur des Sankt-Olav-Ordens ernannt und avancierte in den letzten Jahren mit seinen historischen Romanen zum Bestsellerautor.


    Antje Subey-Cramer arbeitete nach ihrem Studium der Nordistik und Musikwissenschaft einige Jahre in einem Kinderbuchverlag in Süddeutschland, bevor es sie wieder in ihre norddeutsche Heimat zog. Als freie Lektorin und Übersetzerin lebt sie mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in der Nähe von Buxtehude. Für den Verlag Urachhaus hat sie u.a. Bücher von Maja Lunde und Edvard Hoem übersetzt.

    Mein Lese-Eindruck:

    Der Autor spürt dem Leben seines Urgroßvaters nach. Die Quellenlage ist natürlich schlecht und beschränkt sich auf einige wenige Daten, die der Autor in Kirchenbüchern und einigen amtlichen Dokumenten fand. Wie lebte der Urgroßvater Nesje, der Heumacher, der 40 Jahre lang als erster Mäher und Knecht auf dem Hof seines Grundherrn Frondienst leistete? Und nach Ableistung dieses Dienstes sein gepachtetes Land urbar machte und bebaute?


    „Ich musste ihn herbeidichten, aus Luft und aus dem Nichts, aus dem Licht über Molde und Rekneslia, aus dem Wind, der meine Haare zaust, und aus dem Regen, der auf Felder und Menschen fiel - zu seiner wie zu meiner Zeit.“ Sehr poetische Worte, die den Urgroßvater aus der Vergangenheit und Vergessenheit ins Heute bringen.


    Der Autor zeichnet das Bild eines rechtschaffenen Mannes, der seinen Pflichten verlässlich nachgeht und die Sache seines Grundherrn zu seiner eigenen Sache macht. Nesje kennt seinen Platz in der sozialen Hierarchie, und er ist nicht neidisch, „Er war zufrieden damit, der zu sein, der er war.“ Aber Nesje hat Träume: er möchte eines fernen Tages sein eigenes Land bewirtschaften, um seinen Kindern ein Auskommen zu sichern.


    Der Autor nimmt auch die Verwandten, die Geschwister seiner Frau, in den Blick. Auch sie arbeiten hart und ringen dem kargen Boden das zum Überleben Notwendige ab. Das Überleben wird schwieriger: die Löhne gehen zurück, der Fjord ist leergefischt, und das Getreide wird wegen der kurzen Vegetationsperioden nicht jedes Jahr reif. Nesje erkennt, dass er trotz harter Arbeit niemals die guten Tage erreichen wird, von denen er träumt.


    Immer mehr Menschen entziehen sich der Armut und der Unfreiheit in Norwegen und wandern aus nach Amerika, dem Land, in dem Milch und Honig fließen und in dem sie ihre Träume vom guten Leben hoffen verwirklichen können. Der Autor begleitet sie, und als Leser liest man von Träumen, die zerplatzen und der Realität – z. B. dem beginnenden Maschinenzeitalter - nicht standhalten können.


    Diese Geschichten erzählt der Autor im kargen, wortarmen Ton einer Saga. Die Figuren hält er auf Distanz zum Leser und lädt nicht zur Identifikation ein. Das Handeln seiner Figuren stellt er fast chronikhaft vor, wobei er niemals wertet. Aber im Mittelpunkt steht der Urgroßvater Nesje, der seiner Heimat treu bleibt. Wenn der Autor viele Seiten lang die mühsame Kunst des richtigen Mähens schildert, merkt man seinen Respekt vor diesem Mann und seinem harten und mühseligen Leben.


    Ein sehr packendes und bewegendes Lebensbild. Ein wunderbares Buch!


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    Die habe ich auch entdeckt und noch zwei weitere...

    Ja stimmt, die in der Pfanne steht auch auf meiner Liste, aber die andere Stelle habe ich überlesen. Gut, dass Du so genau hinschaust.

    Wie erklärst Du Dir das?

    Schildkröten? Da lässt sich Gardam ja einiges einfallen.

    Neben der Stelle, die Du in Spoiler gesetzt hast, sind es noch zwei bzw. 3 Stellen, die mir aufgefallen sind:


    Aber so richtig was damit anfangen konnte ich nicht.

    Und mir ging es auich wie Dir: Am Schluss wusste ich gar nicht, wer nun tatsächlich existiert und ob er so existiert, wie Eliza es schildert.

    Klappentext:


    Paris um 1890, eine junge Cabaret-Tänzerin wird in die Nervenheilanstalt Salpêtrière eingeliefert. Um die Existenz der rätselhaften Krankheit «Hysterie» zu beweisen, veranstaltet der leitende Nervenarzt in der Klinik Vorführungen vor internationalem Publikum. Dabei scheint nicht alles mit rechten Dingen zuzugehen: Die jungen Patientinnen bewegen sich unkontrolliert, verdrehen die Augen, brechen vor der Zuschauerschaft zusammen. Auch die Tänzerin und ihre Freundin Cléo, der wegen ihrer Krämpfe Medikamente verabreicht werden, dienen als Fallbeispiele. Warum verschlimmert sich die gespenstische Krankheit bei ihnen stetig? Gibt es einen Weg raus aus der Salpêtrière, die man im Paris der Jahrhundertwende die «weibliche Hölle» nannte? Um nicht den Verstand zu verlieren, hält die Tänzerin alles in ihrem Notizbuch fest. Ein feiner und humorvoller Roman.


    Zum Autor:


    Alexander Kamber, geboren 1995, studierte Kulturwissenschaften in Zürich und Lüneburg. Zurzeit promoviert er an der Universität Zürich mit einem kulturgeschichtlichen Projekt zu Tanz und Theater um 1900, worin er die Schnittstelle von Bühnenkunst, Technik und Biowissenschaften erforscht. Sein erster Roman «All das hier» erschien 2018 im Limmat Verlag.



    Mein Lese-Eindruck:


    Kambers Vorwort gibt dem Leser Auskunft über die Herkunft des Textes: ein Zufallsfund seien diese Aufzeichnungen einer Patientin der berühmt-berüchtigten Pariser Anstalt Salpâtrière. Schon dieses kleine Vorwort zeigt die Erzählkunst des jungen Autors: sie ist so geschickt formuliert, dass man darauf hereinfallen könnte!


    Die Ich-Erzählerin ist eine junge Tänzerin, die vom Inhaber des Varietès dort eingeliefert wird, weil sie nicht mehr tanzen will. Sehr subtil lässt Kamber hier anklingen, wie mit unangepassten Frauen umgegangen werden konnte. Die Einlieferung in einer Nervenheilanstalt sollte diese Frauen wieder zur Anpassung und zum Funktionieren bringen. Die Diagnose „Hysterie“ ist unscharf, und ebenso unpräzise sind die Behandlungsmethoden.


    Die namenlose Erzählerin erzählt vom Alltag in der Anstalt und von den Therapien, denen sie unterworfen wird. Ein deutscher Arzt mit Zigarre – offensichtlich Freud – versucht es mit Hypnose und Traumdeutung. Die anderen Ärzte führen ihre Patientinnen öffentlich vor und erklären ihre Symptome. Der Leser erkennt schnell, dass es sich um inszenierte Darbietungen handelt, die einer Zirkusvorführung ähneln. Und weil die Teilnahme an diesem Zirkus als Auszeichnung empfunden wird, herrscht unter den Patientinnen eine Art Wettstreit um die Teilnahme.


    Eine Mit-Patientin ist Cleo, und sie erzählt aus ihrem „Berufsleben“, nämlich der Zusammenarbeit mit einem Magier. Dieser Magier erfand Automaten, die angetrieben wurden von einem komplizierten Räderwerk im Inneren und die dem natürlichen Vorbild zum Verwechseln ähnlich sahen.


    Die Ich-Erzählerin versteht das Bild und erkennt, dass sie sowohl für den Besitzer des Varietès und nun auch für die „behandelnden“ Ärzte eine solche Automate ist und nur eines soll: sie soll funktionieren.


    Eine raffinierte Doppelung der Geschichte!


    Kamber schreibt diese kleine Geschichte in einem leisen und sehr poetischen Ton. Ein Lesevergnügen der besonderen Art!


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    Mein Lese-Eindruck:


    Eliza Peabody, Anfang 50, Diplomatengattin, Expat: das ist die Protagonistin. Eliza langweilt sich und schreibt Briefchen an die Nachbarschaft mit guten Ratschlägen, aber auch ein nicht erbetener Rat-Schlag ist ein Schlag. Eliza weiß alles besser.


    Gnadenlos nimmt die Autorin in diesen Briefen das Leben und Wirken der besseren Mittelstandsdamen aufs Korn. Da wird gegärtnert, Clubs werden besucht, man übt sich in Charity-Aktionen, verteilt unerwünschte Babies junger Mütter in kinderlose Familien, trifft sich zu Lese-Abenden und dergleichen mehr. Elizas Briefe mutieren sehr schnell zu einem Tagebuch, voll mit witzigen Beobachtungen, aber vor allem bösen Seitenhieben auf ihresgleichen. Hinter der zur Schau getragenen Wohlanständigkeit verbergen sich jedoch Abgründe.


    Und ein solcher Abgrund öffnet sich auch, was Eliza angeht. Von Anfang an scheint sie eine unzuverlässige Erzählerin zu sein, und Stück für Stück kommen ihre Phantasien und ihre Wunschvorstellungen heraus – und auch ihre Traumatisierung. Ihr trubeliges Leben an der Seite ihres Mannes half ihr dabei und zwang sie zugleich, ihre seelischen Wunden zu verstecken und zu verdrängen.


    Eliza erzählt, dass sie in einem Hospiz arbeitet; aber dass sie dort lediglich die Geschirrspülmaschinen füllt, erfährt der Leser eher am Rande. Im Hospiz trifft sie auf Barry, einen an AIDS sterbenden jungen Mann. Barry könnte ihr Sohn sein – und ihm öffnet sie schließlich ihr Herz und kann von ihrem großen Schmerz und ihren schlimmen Verlusten erzählen, die sie jahrelang unter Verschluss halten musste.


    Jane Gardams Roman erschien 1992 und handelt von einer Welt, die dem heutigen Leser fremd vorkommt. Die vielen überwiegend schrägen Personen wirken abgehoben, und das Verständnis wird zusätzlich erschwert durch Elizas Fieberphantasien und die Unzuverlässigkeit ihres Erzählens. Jane Gardams Sprache aber ist wie gewohnt ein Erlebnis: leicht, pointiert, ironisch bis sarkastisch, mit überraschenden Wendungen und makabren Effekten. Und wunderschönen Bildern wie dem des Riesenrads als Bild für das Leben.


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    Farast, gib dem Buch eine Chance. Es verschließt sich zunächst, aber dann packt einen doch Gardams große Erzählkunst. Ich bin gespannt auf Deinen Eindruck.


    Klappentext:


    Muse, Sekretärin, Ehefrau – es gibt viele Bezeichnungen für Frauen, deren Einfluss aus der Geschichte radiert wurde. Für deren Leistungen Männer die Auszeichnungen und den Beifall bekamen: Wissenschaftlerinnen, deren Errungenschaften, im Gegensatz zu denen ihrer männlichen Kollegen, nicht anerkannt wurden. Autorinnen, die sich hinter männlichen Pseudonymen versteckten. Oder Künstlerinnen, die im Schatten ihrer Ehemänner in Vergessenheit geraten sind. Lebendig und unterhaltsam erzählt die Historikerin Leonie Schöler ihre Geschichten, sie zeigt, wer die Frauen sind, die unsere Gesellschaft bis heute wirklich vorangebracht haben. Und sie verdeutlicht, wie wichtig die Diskussion um Teilhabe und Sichtbarkeit ist. Dabei wird klar: Hinter jedem erfolgreichen Mann steht ein System, das ihn bestärkt; vor allen anderen steht ein System, das sie aufhält.


    Mein Hör-Eindruck:


    Die Quellenlage zu den „beklauten Frauen“ ist gut. Frau Schöler fördert also keine neuen Erkenntnisse zutage. Aber bisher wurde jede Quelle zu den einzelnen Frauen als Einzelphänomen betrachtet. Leonie Schöler nimmt jedoch das Gesamtphänomen wahr. Sie wählt einen anderen Blickwinkel und stellt die strukturellen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in den Vordergrund, die dafür sorgen, dass die Leistung von Frauen marginalisiert und/oder vergessen wird. Ein Vergessen-Werden und eine Unsichtbarmachung, die bis heute anhält.


    Dabei nimmt sie immer auch andere Gruppen in den Blick, deren Vergessenwerden sie leidenschaftlich und wiederholt herausstellt: Behinderte, Farbige und die ganze LGBTQIA+-Gemeinschaft. Als Ursache für ihr Unsichtbarsein macht sie das kapitalistische Wirtschaftssystem aus. Dessen System von Ausbeutern und Ausgebeuteten nutze nur einer elitären weißen männlichen Führungsschicht.


    Damit und mit ausführlich geschilderten persönlichen Erlebnissen verzettelt sich die Autorin v. a. im letzten Teil. Es ist ihr ein Anliegen, die antifeministische Subkultur und ihre eigene Situation öffentlich zu machen. Verständlich, aber nicht zielführend.


    Als sehr störend – neben manchen recht flapsigen Formulierungen– empfand ich den nicht nachlassenden Empörungsduktus, der von der Sprecherin mit ihrer munteren Stimmführung noch gesteigert wird. Gelegentliche Versprecher machen die Sache nicht besser.


    Was die Beispiele angeht, bleibt die Autorin jedoch bei den „beklauten Frauen“, und in einem unterhaltsamen Ritt durch die Geschichte und durch mehrere Sachbereiche geht sie dem Schicksal einiger dieser Frauen nach. Sie stellt zutreffend heraus, wie unterschiedlich die Ausgangsbedingungen waren, welche überkommenen Geschlechterbilder und welche patriarchalischen Strukturen das Wirken der Frauen beschnitten. Und sehr richtig weist sie daraufhin, dass dieselben patriarchalischen Strukturen nach wie vor die Rezeption einschränken und diese Frauen im Schatten stehen lassen.


    Mich persönlich hat es gefreut, dass Leonie Schöler auch die Fotografin Lucia Moholy vom Bauhaus in den Blick nimmt. Der demokratische und reformerische Ansatz des Bauhauses hinderte die Bauhaus-Männer nicht, die Bauhaus-Frauen unsichtbar zu machen. Eine davon ist die Lucia Moholy, die von Walter Gropius zu seinem Nutzen, aber zu ihrem großen Schaden um ihre Fotos betrogen wurde.


    Jedenfalls zeigt Leonie Schöler mit ihrem Buch eines deutlich: Das Erkenntnisinteresse des Betrachtenden bestimmt die Erkenntnis. Hier zuungunsten von Frauen.

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