Ich möchte euch gern eine kleine Leseprobe da lassen, ich hoffe, das ist in Ordnung.
Feuchte, kühle Luft umwehte sie, als sie die Treppe hinabstieg.
Gänsehaut breitete sich auf ihren Armen aus. Ihre Schritte auf den steinernen Stufen klangen laut in ihren Ohren und Sophie hatte die Augen zusammengekniffen wie eine Katze, die plötzlich ins Licht schaut.
Nur das es hier unten kein Licht gab, außer dieser kleinen Laterne in ihrer Hand.
Ständig strichen ihre Finger über den kalten Stein und nahmen dabei so manche Spinnenwebe mit. Erschauernd dachte Sophie an die dicke schwarze Spinne zurück, die sie in ihrem Zimmer gefunden hatte.
»Kein Wunder, dass du nicht hier unten bleiben wolltest«, murmelte sie jetzt. »Mir wäre es hier auch zu ungemütlich!«
Die Treppen endeten erst nach einer halben Ewigkeit, so kam es ihr jedenfalls vor. Dieser zweite Keller schien um einiges tiefer zu liegen, als sie gedacht hatte. Wie seltsam, dass sie ihn erst jetzt entdeckt hatte.
Ihr Vater war schon lange fort. In dieser Zeit hatte Sophie jeden Raum, jedes Zimmer und jeden Winkel des Hauses erkundet, so glaubte sie. Sie hatte einmal gemeint, einen besonderen Raum gefunden zu haben. Doch als sie die Tür geöffnet hatte, mit vor Spannung angehaltenem Atem, da war es nur die Putzkammer gewesen. Zunächst war sie enttäuscht gewesen, doch dann hatte sie gelächelt.
Schließlich wusste sie nun, was dort war.
Nur der Dachboden fehlte ihr bei ihrer Entdeckungsreise noch. Doch der alte Ed meinte, dort oben sei nichts außer Mäusedreck und jahrzehntealtem Staub.
Als die Treppe endete und sie wieder sicheren Boden unter den Füßen hatte versuchte sie den Raum zu erfassen, in dem sie sich befand. Doch ohne mehr Licht war das eine schwierige Angelegenheit. Sie strich mit der Hand an der Wand entlang da sie vermutete, dass es hier unten sicher auch irgendetwas geben müsse, mit dem man mehr Licht haben würde.
Nach einiger Zeit stießen ihre Finger gegen das vertraute Gusseisen einer Lampenhalterung. Nachdem Sophie ihre Kerze aus der Laterne geholt hatte und der Docht der dort angebrachten Kerze entzündet war, erhellte sich der Raum schon etwas mehr.
Sophie blickte sich um und entdeckte noch einen Kerzenhalter an der gegenüberliegenden Wand. Erfreut zündete sie diesen ebenfalls an.
Der warme Lampenschein tauchte den Raum in Helligkeit und was zuvor in der Dunkelheit verharrt hatte, war nun sichtbar geworden.
Fingerdicke Spinnenweben und Staub lagen über allem.
Da standen dickbauchige, alte Eichenfässer an der Wand, fast so groß wie Sophie selbst. Sie wischte mit den Händen über das Etikett an einem der Fässer, jedoch war die Schrift zu stark beschädigt um herausfinden zu können, was darin sein mochte.
Regale mit allerlei seltsamen Tiegeln, Flaschen aus buntem Glas und riesige Einweckgläser, so schwer, dass Sophie sie nicht allein heben könnte, standen dort vergessen, belagert von Staub und Spinnennetzen und harrten auf Dinge, die da kommen mochten.
Mit großen, staunenden Augen blickte sie sich weiter um. Im hinteren Teil des Raums, der zuvor im Dunkeln verborgen geblieben war, stand eine alte, kaputte Pferdekutsche. Die beiden vorderen Räder waren gebrochen. Sophie rätselte, wie man sie hierher geschafft haben mochte, da doch die Tür oben so klein war.
Sie erinnerte sich nur widerstrebend an das, weshalb Beth sie hier hinunter geschickt hatte. Sie zog eine Schnute und seufzte bedauernd. Hier unten gab es noch viel mehr zu entdecken, das spürte sie.
Suchend schaute sie sich um, schüttelte dabei etwas Staub vom Saum ihres Kleides. Als sie hinunter blickte sah sie, dass ihre Füße Abdrücke im Staub hinterließen als würde sie draußen durch eine dünne Schneeschicht laufen.
Sie runzelte die Stirn. Wie war das möglich? Sie wusste doch, dass der alte Ed grade erst vor ein paar Tagen ebenfalls hier unten gewesen sein musste, da sie Beth hatte sagen hören, er möge einige Holzscheite herauf holen. Da hatte Sophie nur halb hingehört und sich nichts weiter dabei gedacht. Aber nun war sie selbst hier unten, und sie sah keine Abdrücke von ihm. Es war, als wäre sie der erste Mensch seit langem.
Der alte Ed war ja sicher kaum hier hinunter geschwebt.
Sophie dachte daran, wie sie gestern Nacht den Anhänger gefunden hatte. Das war sicher kein Zufall gewesen. Vielleicht war hier ja Magie im Spiel? Skeptisch runzelte sie die Stirn. Eine andere Erklärung fiel ihr momentan einfach nicht ein.
Ihre Augen wanderten suchend über den Boden ob sie nicht vielleicht doch noch Abdrücke von Ed fand. Aber dort war nichts. Nur ihre eigenen Spuren.
Ihr Blick schweifte über den Raum und die zahllosen Fässer, Regale mit allerlei bunten Glasflaschen, den zerbrochenen Wagen. Ein paar geflochtene Körbe standen übereinander gestapelt neben ihm, doch als Sophie näher trat um sie zu betrachten, enthielten sie nichts außer ein paar trockenen Blättern und Zweigen.
Vielleicht dienten sie zum Obstsammeln im Herbst.
Sophie kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe. Von einem Holzstapel war nichts zu sehen. Auch von Kartoffeln fehlte jede Spur.
Als sie sich auf die Knie nieder ließ, um unter den kaputten Wagen zu spähen, stießen ihre Hände plötzlich auf eine Unebenheit im Boden.
Überrascht hielt sie inne und wischte mit der Handfläche darüber.
Ein Muster kam zum Vorschein.
Verschlungene Kreise und seltsame, verschnörkelte Zeichen waren in den Boden gehauen, vielleicht einen kleinen Finger breit und ungefähr so tief wie der Nagel ihres Daumens lang.
Sophies Herzschlag beschleunigte sich etwas. Sie hatte solche Zeichen noch nie gesehen aber als sie mehr Staub beiseite wischte sah sie, dass das Muster die Form eines Vierecks hatte. Es war grade so groß, wie eine der anderen Bodenplatten und fiel daher kaum auf. In der Mitte befand sich eine Vertiefung.
Sophie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte und nun ihre Nase kitzelte.
Was mochte das bedeuten?
Sie rutschte etwas herum, um eine bequemere Position auf dem harten Untergrund zu finden, als der Anhänger aus dem Kragen ihres Kleides hervor pendelte.
Er leuchtete in einem sanften Orange und beleuchtete das seltsame Muster unter ihr. Überrascht hielt sie die Luft an und berührte den Anhänger mit den Fingern.
Das Leuchten wurde etwas heller. Sophie wunderte sich, wie das zustande kommen mochte. Gestern hatte sie von diesem merkwürdigen Umstand nichts bemerkt, da war sie sich sicher. Mit zusammen gezogenen Brauen drehte und wendete sie das Schmuckstück hin und her, aber sie konnte im Inneren nichts erkennen, was das Licht auslösen mochte.
Im Gegenteil – sie konnte sogar durch den Anhänger hindurch ihre Fingerspitzen sehen.
Der wie eine Träne geformte Stein leuchtete gleichmütig vor sich hin. Sophie lächelte ob seines Geheimnisses und erhob sich. Sofort wurde das Leuchten schwächer. Neugierig ließ sie sich wieder auf die Knie herab und er strahlte wieder kräftiger.
Einer Eingebung folgend zog sich Sophie die Kette über den Kopf und ließ den Anhänger über dem Muster im Boden schweben. Je näher er ihm kam, desto heller pulsierte der Stein. Sophie dachte an das Loch in der Mitte.
Sie wartete kurz.
Betrachtete es eingehend.
Überlegte.
Überlegte noch etwas länger.
Sie wusste nicht, was passieren würde.
Vielleicht würde ja gar nichts geschehen? Der Anhänger schien direkt hinein zu passen. Sophie kaute auf der Unterlippe. Das war etwas, dass ihr Vater immer seufzend getadelt hatte. Sie zog eine Schnute als sie daran dachte, was er dazu sagen würde, wäre er jetzt hier.
Kurz entschlossen nahm sie den Anhänger am oberen Ende, dort, wo auch die Kette angebracht war, und schob vorsichtig die Spitze des Tränensteins in das im Boden eingelassene Loch.
Einen Moment lang glomm er dort gleichmäßig vor sich hin, perfekt in den Stein eingepasst.
Plötzlich strahlte Licht in allen möglichen Farben von ihm aus, die Sophie noch nie gesehen hatte. Das Strahlen und Funkeln schwoll an wie eine Symphonie die mit jedem neuen Instrument größer wird, schöner und eindrucksvoller.
Ein Strudel aus Licht und Farben begann sich zu bilden, bis der ganze Raum schillerte und pulsierte wie ein lebendig gewordener Regenbogen. Es war noch heller und bunter als Sonnenlicht, das durch bemalte Glasfenster strahlt und so grell, dass die Schatten im Raum vollständig aufgezehrt wurden.
Gar so, als wolle das Licht alle Dunkelheit aus den staubigen Ecken tilgen.
Sophie kniff die Augen gegen die Helligkeit zusammen und dann war plötzlich alles so weiß wie Schnee, der von der Sonne angestrahlt wird und einen blendet bis man weg schauen muss. Sophie schloss die Augen ganz und schlug schützend die Hände vor ihr Gesicht.
Und dann war es plötzlich dunkel.
So dunkel, als habe man sie in ein tiefes Erdloch geworfen und die Öffnung verschlossen.
Sie konnte die Finsternis beinahe atmen hören.
Und dann wurde es still um sie.