1969 kommt es auf dem Anwesen La Mora in Marokko, welches im Besitz der spanischen Familie Guerrero ist, nach einem großen Fest zu einem Mord. Alicia am Morgen nach der Party tot aufgefunden. Ihre Schwester Helena verkraftet diese Tragödie nicht, flieht außer Landes und kehrt nie wieder zurück. Als die Hochzeit ihrer Enkelin Almudena in Madrid ansteht, kehrt Helena 2016 nach vielen Jahren in Australien zurück, wo sie sich als Malerin einen Namen gemacht hat. Während der Madrider Tage bekommt Helena von ihrer Cousine den Nachlass ihrer Mutter ausgehändigt. Er enthält eine Sammlung von alten Fotos, Papieren und Briefen. Nur durch gutes Zureden ihres Geliebten Carlos und viel Überwindung macht sich Helena daran, die alten Dokumente zu sichten, denn eigentlich möchte sie die lange verdrängten qualvollen Erinnerungen nicht mehr ans Tageslicht zerren. Aber bei der Lektüre stößt Helena immer mehr in die eigene Familiengeschichte vor und zerrt nach und nach alle Puzzleteile ans Licht. Wird es ihr Leben verändern?
Ella Barceló hat mit ihrem Buch „Das Licht von Marokko“ einen sehr spannenden und emotionalen Roman vorgelegt, der sich mit den unrühmlichen Zeiten der Franco-Herrschaft beschäftigt und das Leid vieler Menschen gefordert hat. Der Schreibstil ist flüssig und fesselnd, der Leser geht als unsichtbarer Schatten an Helenas Seite, um nach und nach die geheimnisvolle Geschichte ihrer Familie zu enthüllen. Die Geschichte wird aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt, der eine Teil berichtet von der Gegenwart um Helena, der andere beschäftigt sich mit der Vergangenheit, wobei diese durch diverse Briefe und Papiere aus dem Nachlass von Helenas Mutter eingeblendet werden. So erhält der Leser nach und nach ein rundes Bild über die damaligen Verhältnisse und die Familie im Besonderen. Der Spannungsbogen wird schon zu Beginn hoch angelegt, flacht dann etwas ab, baut sich aber während der Handlung wieder auf und steigert sich bis zum finalen Schluss. Die Autorin hat sehr gründlich recherchiert und die politischen Machtverhältnisse ebenso wie die gesellschaftlichen Strukturen der damaligen Zeit sehr schön mit ihrer Geschichte verknüpft. Die Entführung von Kindern politischer Gefangener durch das Franco-Regime und deren Vermittlung gegen Geld an wohlhabende regimetreue Familien ist ebenfalls ein zentrales Thema dieses Buches.
Die Charaktere sind sehr interessant gestaltet und in Szene gesetzt worden. Mit ihren individuellen Eigenheiten, ihren Sorgen und Gedanken wirken sie sehr lebendig und authentisch. Helena ist eine Frau, die einen großen Schicksalsschlag zu verkraften hatte und seitdem eher abgeschottet und zurückgezogen lebt. Sie ist jemand, den man nicht so leicht ins Herz schließt, da sie wenig von sich preis gibt und eher kühl und oftmals auch hart wirkt. Doch im Verlauf der Handlung, während sie sich ihren Ängsten und ihrem Schmerz stellt, wird sie immer menschlicher und greifbarer. Carlos ist ein sehr geduldiger Mann, der gefühlvoll auf seine Mitmenschen eingeht und viel Empathie besitzt. Nur seiner Hilfe und Unterstützung ist es zu verdanken, dass Helena sich den Geistern ihrer Vergangenheit stellt und viel über sich und ihre eigene Familie erfährt, was ihr vorher verborgen blieb. Auch die anderen Protagonisten, allen voran Blanca und Goyo, tragen mit ihrer Geschichte zur Spannung bei und machen den Roman rundum gelungen.
„Das Licht von Marokko“ ist ein sehr emotionaler Roman über eine Familientragödie, gleichzeitig werden Dinge angesprochen, die bis zum heutigen Tage für viele Spanier noch nicht aufgearbeitet sind. Eine absolute Leseempfehlung für einen wirklich tollen Roman!
Eindringliche