Julia Wolf - Walter Nowak bleibt liegen

  • Kurzmeinung

    Aladin1k1
    Der ungefilterte Gedankenstrom eines Alphatiers kurz vorm Abtreten
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    Walter Nowak ist einer, der es durch harte Arbeit weit gebracht hat im Leben. Ein eigenes Hochbauunternehmen, das ist doch was, da kann man stolz drauf sein. Zwar ist er inzwischen in Rente, aber er kann sich immer noch einen angenehmen Lebensstil leisten. Zuhause hat er eine schöne Frau, deutlich jünger als er – die hat die Mutter seines Sohnes als erste Ehefrau ersetzt, aber was soll man machen? Was soll man da machen, wenn eine Frau wie für einen geschnitzt ist?


    Walter ist nach wie vor ein echtes Alphatier. Einer, der sich nicht gehenlässt, wo käme man denn da hin? Jeden Morgen schwimmt er seine Bahnen – komme, was wolle! – und ist stolz darauf, dass er körperlich noch was hermacht: kein Tattergreis, sondern ein gestandener Kerl, den die Frauen begehrlich anschauen.


    Oder zumindest ist das, wie er seine Welt wahrnimmt.


    Man lernt viel über die Schattenseiten des Walter Nowak. Jedoch nicht etwa, weil er sein Verhalten kritisch hinterfragen würde – ganz im Gegenteil. Vielleicht ist gerade das seine größte Sünde: nicht sein notorischer Ehebruch, nicht seine Herabwürdigung der Frauen auf ihre körperlichen Reize, ja, nicht einmal seine Vernachlässigung des eigenen Sohnes. Sondern die Tatsache, dass er all dies entweder vor sich rechtfertigt oder sich dessen gar nicht bewusst ist. Es ist die junge Haushaltshilfe, die ihm schöne Augen gemacht hat, da kann er doch nichts für, das wird er seiner Frau sagen, die wird das schon verstehen. Und sein Sohn entspricht eben nicht dem, was er sich gewünscht – nein, was er gefordert hat: im Grunde eine jüngere Ausgabe von sich selbst.


    Walter Nowak bleibt liegen, vielleicht blutend, vielleicht sterbend, und stürzt doch haltlos durch sein Leben. Seine Gedanken springen von einem Thema zum nächsten, manchmal gänzlich ohne ersichtlichen Zusammenhang, und dennoch kehren sie immer wieder zurück zu den gleichen Menschen und den gleichen Motiven. Wie ein Blick durchs Kaleidoskop: bunte Erinnerungssplitter, die sich zusammensetzen zu einem unvollständigen, vielleicht sogar verfälschten Bild, denn Walter ist sich selbst nicht mehr sicher, was Wahrheit ist und was Wahn. Hatte er wirklich einen Unfall im Schwimmbad? Ist das Blut in seinem Gesicht oder doch nur Saft? Ihm gehen Minuten verloren, Stunden verloren.


    Der Schreibstil gibt Walters Verwirrung, sein Aufbäumen gegen die eigene Hilflosigkeit perfekt wieder. Dazu kommt, was? Eine gewisse Demenz, eine Gehirnerschütterung? Schlimmeres? Im Bewusstseinsstrom brechen Gedanken mitten im Satz ab, nur um später unvermittelt wieder aufgegriffen zu werden. Zeiten, Orte, Personen, alles kann sich plötzlich ändern. Nicht immer einfach zu lesen, dafür aber so immersiv, dass es schmerzt.


    "Also abstoßen, also los jetzt, keine Müdigkeit, schon gleite ich durchs Wasser, vorschützen. Ich schließe die Augen und stelle mir vor, wie ich durchs Wasser gleite, und alles ist blau und kühl, das Sonnenlicht glitzert nur so, herrlich. Ich schließe die Augen, und. Wie die mich angeguckt hat. Wenn Yvonne gesehen hätte, wie die Olga mich, die wäre weg vom Fenster, die hätte die längste Zeit, zwölf Euro die Stunde, cash auf die Kralle, bar auf die Hand. "
    (Zitat)


    Julia Wolf verwendet zahlreiche Bilder für Walters Scheitern. So geht er jeden Tag schwimmen, um sein Selbstbild als toller Hecht zu stärken, zieht sich jedoch mittels Ohrstöpseln und hermetisch dichter Badekappe zumindest akkustisch aus der Wirklichkeit zurück. Sie lässt ihn in angeekelte Panik verfallen, als ihm unter Wasser ein Frauenhaar ins Gesicht geschwemmt wird – überhaupt scheint er sich von Frauen nicht nur angezogen, sondern vage bedroht zu fühlen. Da könnte man ihn ja, also, man könnte ihn als Lustmolch abstempeln. Dabei hat er doch nur... Seine Frau wird das verstehen. Oder nicht? Er hinterfragt nicht, ob an der befürchteten Anschuldigung etwas Wahres sein könnte.


    Die Erzählung entbehrt nicht einer gewissen Komik. Dennoch: so unsympathisch Walter manchmal wirkt, so tragisch ist seine Geschichte auch. Vaterlose Kindheit. Erinnerungen an Schläge. Halb bewusste, nie erfüllte Sehnsüchte. Wo hat das Leben ihn hingeführt, diesen überlebensgroßen Frauenheld und Erfolgsmenschen? Zweisame Einsamkeit, ein gescheitertes Verhältnis zum eigenen Sohn.


    Obwohl die Autorin niemals rührselig wird, kann einen Walter doch rühren, trotz all seiner Fehler. Man spürt, da ist etwas, eine sensible Seite, ein liebevolles Wesen. Wäre sein Leben anders verlaufen, dann. Vielleicht?


    Fazit:
    "Walter Nowak bleibt liegen" ist ein unbequemes, sperriges Buch, dessen Protagonist es dem Leser nicht leicht macht. Man muss sich gnadenlos mitreißen lassen von Walters Bewusstseinsstrom, aber dieses Stilmittel wird von Julia Wolf virtuos eingesetzt. Von außen betrachtet passiert nicht viel: ein alter Mann hat einen Badeunfall, liegt bewegungsunfähig auf dem Boden und denkt über sein Leben nach. Was die Erzählung dennoch bewegend, spannend, lustig oder traurig macht, spielt sich nur in Walters Kopf ab.


    Man lernt ihn gut kennen, diesen alten Schwerenöter, Ehebrecher, miserablen Vater. Mit Überraschung stellte ich auf der letzten Seite fest, dass ich ihn ins Herz geschlossen hatte – eine Meisterleistung der Autorin. Im Grunde ist Walter ein zutiefst verwundeter Mensch, der seinem eigenen Glück immer im Weg gestanden hat, und ich konnte mich der Menschlichkeit dieses Charakters nicht entziehen.


    Für mich einer der originellsten Romane der letzten Jahre, aber sicher nicht jedermanns Sache.

  • Walter Nowak, 68 Jahre, ist ein Mann der Tat. Um etwas zu erreichen, muss man arbeiten - und das macht er mit Erfolg. In weniger als 10 Jahren vom Lehrling zum Chef - da bleibt keine Zeit für Schnickschnack wie Schwäche oder Gefühle. Doch als er bei seiner täglichen 1000-Meter -Schwimmrunde im Freibad mit dem Kopf gegen die Beckenwand knallt, verliert er zum ersten Mal die Kontrolle über sich. Es gelingt ihm noch heimzufahren, doch dann bleibt er regungslos im Bad liegen. Niemand ist da, um ihm zu helfen und er verliert sich in Erinnerungen, Selbstreflexionen, Träume.
    Vermutlich zum ersten Mal in seinem Leben ist er völlig hilflos und muss nun seinen Gefühlen und Schwächen freien Lauf lassen, die er sein ganzes Leben wohl weitestgehend erfolgreich unterdrückt hat. Erinnerungen überfluten ihn, an seine Kindheit als Bastard, seine erste Ehefrau, seine zweite Ehefrau, sein Sohn - und nach und nach wird klar, dass er trotz seines beruflichen Erfolges ein trauriger, einsamer Mann ist.
    Das Buch besteht ausschließlich aus dem Gedankenfluß Werner Nowaks, was durchaus gewöhnungsbedürftig ist. Viele Sätze werden nur angerissen und Walter springt mit seinen Gedanken nicht nur im Thema, sondern auch in den Zeiten. Doch spätestens nach fünf bis 10 Seiten war ich so gefesselt von Walters Innenleben, dass ich das Buch fast in einem Rutsch durchlas (wer es bis dahin immer noch öde finden sollte, sollte besser aufhören zu lesen. Denn dieser Stil bleibt bis zum Ende). Julia Wolf schildert die Gedankengänge dieses alternden Mannes so überzeugend, als habe sie tatsächlich in seinem Kopf gesteckt. Und ich habe mich beim Lesen immer wieder gefragt, wie ihr das gelungen ist. Wer dieses Buch gelesen hat, wird einen bestimmten Männertyp künftig mit anderen Augen betrachten - zumindest mir wird es mit großer Wahrscheinlichkeit so gehen :)

    :study: Das Eis von Laline Paul

    :study: Der Zauberberg von Thomas Mann
    :musik: QUALITYLAND von Marc-Uwe Kling

  • ### Inhalt ###

    Walter Nowak ist Ende 60, ehemaliger Eigentümer und Manager einer Firma und im Ruhestand. Als Ruheständler zieht er regelmäßig seine Bahnen im Freibad und eines Tages stößt er hart mit dem Kopf gegen den Beckenrand. Nachdem er wieder zu Bewußtsein kommt und von Umstehenden den Rat bekommt, sich behandeln zu lassen, fährt er dennoch einfach mit dem Auto nach Hause. Dort bricht er im Bad zusammen und vor seinem geistigen Auge zieht sein ganzes Leben an ihm vorüber. Die Beziehungen zu den Frauen in seinem Leben und zu seinem Sohn Felix, die man allesamt als eher schwierig bezeichnen würde.



    ### Meinung ###

    Das ganze Buch besteht aus dem ungefilterten Gedankenstrom von Walter Nowak. Szenen seines Lebens reihen sich hintereinander weg. Die Sprache ist fragmentarisch, unvollständig. Ich hatte meine Mühe mit dem Buch, zum einen wegen der Sprache und zum anderen wegen dem Inhalt an sich. Wir blicken in den Kopf eines Alphatiers, der einfach nicht verstehen kann, weshalb er so viele Schwierigkeiten mit den Frauen und seinem Sohn hat. Scheinbar verbünden sich sein Sohn Felix und seine Frau Yvonne immerzu gegen ihn und all seine Bemühungen und sein Wunsch einer Familienidylle sind bin dato gescheitert. Das Muster: Erfolgreicher Vater, der offen damit hadert, dass aus seinem Sohn "nur" ein XY wird/geworden ist und mit aller Inbrunst versucht aus seinem Sohn einen "richtigen Mann" zu machen, der jedoch über die Jahre aber weicher wird, da er merkt, dass sich alle von ihm abwenden.


    ### Fazit ###

    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

    Der ungefilterte Gedankenstrom eines Alphatiers kurz vorm Abtreten. War nicht meins.

    Der ideale Tag wird nie kommen. Der ideale Tag ist heute, wenn wir ihn dazu machen. -- Horaz


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