Jaroslav Kalfař - Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt / Spaceman of Bohemia

  • Hiervon hatte ich mir mehr versprochen


    Wir schreiben das Jahr 2018. Jakub wird als erster tschechischer Raumfahrer ins All gesandt, um eine Staubwolke zwischen Venus und Erde zu erforschen und dort Proben zu sammeln. Völlig allein in seinem Raumschiff freut er sich auf die regelmäßigen Videokonferenzen mit seiner Frau Lenka. Als diese sich von ihm trennt gerät seine Welt aus den Fugen und auch sein Forscherdrang ist nicht mehr der vom Beginn seiner Reise. Dann bekommt er Gesellschaft durch einen 8-beinigen Alien der von nun an zum Mittelpunkt seiner Reise wird.


    Die Buchbeschreibung sowie die Leseprobe ließen auf einen recht abgedrehten, amüsanten Roman schließen. Leider war davon im Verlaufe des Buches nicht allzu viel zu merken. Es findet ein steter Wechsel zwischen Rückblicken und 2018 statt, der durchaus Leben in die Geschichte bringt. Diese Rückblicke des Ich-Erzählers Jakub reichen bis in seine Kindheit zurück. Eine Kindheit, die tlw. in den Wirren des Umbruchs 1989 gelebt wurde. Hier will ich jedoch nicht zu viel des Inhalts verraten, denn ein wenig Spannung soll ja bleiben.
    Jedenfalls hatte Jakub eine Kindheit, die alles andere als einfach war. Diese Einblicke in die Geschichte der Tschechoslowakei waren ausgesprochen interessant, wie eigentlich nahezu alle Rückblicke in diesem Buch.
    So paradox es klingen mag: Das Buch hätte m. E. ohne den teils albernen Teil mit der Raumfahrt wesentlich mehr gewonnen. Sie waren absolut überzeugend geschildert und enthielten so viel Nachdenkenswertes, dass es schade ist, dass diese durchaus ernst zu nehmende Geschichte durch die wirre Sputnik-Story verwässert wurde.
    Noch trauriger finde ich, dass mit der Buchbeschreibung der Fokus gänzlich auf diese abstruse Teil-Geschichte gelenkt wird. Hier sind Enttäuschungen vorprogrammiert.
    Nach einem guten Beginn kam erst einmal - von den Vergangenheits-Episoden abgesehen - nicht mehr viel. Ich habe mich als Leser ähnlich gelangweilt wie Jakub in seinem Raumschiff. Da konnte auch der Alien nicht viel heraus reißen.
    Im letzten Buchdrittel - Jakub ist endlich wieder zurück auf der Erde - nimmt die Geschichte noch einmal Fahrt auf und manches aus der Vergangenheit klärt sich. Hier konnte man durchaus gute philosophische Ansätze finden, die überzeugend dargebracht wurden.
    Die Schreibweise insgesamt ist absolut überzeugend. Sehr angenehm zu lesen, aber nicht hinreichend einnehmend, um von den Schwächen der Story abzulenken.
    Fazit: Hier wäre weniger mehr gewesen! Zu albern um ernst genommen zu werden - zu ernsthaft um als absurder, humoriger Roman gelesen zu werden.

  • Nach dem Autorennamen zu urteilen, und auch vom tschechischen Raumfahrerprotagonisten her, tippte ich auf ein Original in Tschechisch. Zumal der Autor sich eventuell wirklich in einer tschechischen Humor- und Grotesketradition wiederfinden würde (siehe auch Capek, Hrabal uam). Von seinen Ursprüngen her mag ich recht haben, doch Svanvithe lag tatsächlich richtig mit der Originalsprache...:


    “Jaroslav Kalfař was born and raised in 1989 in Prague, Czechoslovakia, and immigrated to the United States at the age of fifteen (in 2004), speaking little to no English but learning it by watching Cartoon Network.

    He graduated from University of Central Florida, where he received a Frances R. Lefkowitz Scholarship, the Outstanding Fiction Writer award and the Founder’s Scholar Award for being the top graduate in the College of Arts and Humanities.

    He earned his MFA at NYU, where he was a Goldwater Fellow and was one of the three nominees for the new NYU E.L. Doctorow Fellowship Award upon graduating. He is twenty-eight years old.”

    “His debut novel, „The Spaceman of Bohemia, is an extraordinary vision of the endless human capacity to persist – and risk everything – in the name of love and home.

    Set in the near-distant future, it follows a Czech astronaut as he launches into space to investigate a mysterious dust cloud covering Venus, a suicide mission sponsored by a proud nation. Suddenly a world celebrity, Jakub’s marriage starts to fail as the weeks go by, and his sanity comes into question. After his mission is derailed he must make a violent decision that will force him to come to terms with his family’s dark political past.”
    (Quelle, und mehr hier: http://scifiportal.eu/czech-or…lfar-spaceman-of-bohemia/ )

  • @tom leo, natürlich habe ich zunächst auch nach einem tschechischen (oder slowakischen) Original gesucht, schließlich sprach der Name ja nicht unbedingt für einen gebürtigen Amerikaner :wink: . Da war ein Blick ins Buch dann hilfreich, denn er hat offenbart, unter welchem Titel das Buch erschienen ist, und dann gibt es ja noch den Hinweis bei Amazon:

    Zitat von Amazon

    Jaroslav Kalfar, geboren und aufgewachsen in Prag, migrierte mit fünfzehn Jahren in die USA. Er studierte Literatur, Politik und europäische Geschichte und belegte anschließend an der renommierten Universität von New York einen Master in Kreativem Schreiben. Heute lebt und arbeitet Jaroslav Kalfar in Brooklyn. »Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt« ist sein erster Roman.

    Damit konnte idh etwas anfangen, wobei deine Fakten zum Autor sind natürlich umfangreicher sind :applause: ...

  • How unlikely! Yet here we are.


    Jakub Procházka ist Experte für interstellaren Staub. Als eine mysteriöse Wolke solchen Staubs den Blick zur Venus versperrt, erhält Jakub die Chance, der erste Tscheche im All zu werden. Dabei ist er nicht nur ein Wissenschaftler auf wichtiger Mission, sondern auch ein Symbol für den Forscher- und Tatendrang seines Landes. Doch die Ein-Mann-Mission führt ihn auch weg von seiner geliebten Frau Lenka; die Beziehung übersteht die Distanz nicht, Lenka taucht eines Tages einfach nicht mehr zu den wöchentlichen Videochats auf. Plötzlich erhält der einsame Jakub Besuch von einem sehr unwahrscheinlichen Gesprächspartner: ein großes, freundliches, spinnenartiges Alien gesellt sich zu ihm und macht sich zwischen philosophischen Gesprächen daran, Jakubs Nutella-Vorräte zu verspeisen.


    I wish I had the capacity to assist you with your emotional distress, skinny human. I cannot offer you the solace of Nutella, for I have consumed it.“


    Der außerirdische Besucher stöbert zudem in Jakubs Erinnerungen und mit ihm reist der Leser zurück ins Jahr 1989, ins Jahr der Samtenen Revolution, und erlebt Tschechiens Entwicklung zum kapitalistischen Staat. Leider stand Jakubs Vater auf der falschen Seite der Geschichte und der Sohn zahlt für seine Sünden.


    Jaroslav Kalfař erzählt Jakubs Geschichte mit einigem Pathos und absurdem Humor, mischt das Groteske mit Tragik. Der Vergleich zu Karel Capek ist schon ganz passend, auch Kurt Vonnegut kommt in den Sinn. Nach etwa der Hälfte des Buches kommt es dann zu einem harten Bruch und die Geschichte schlägt eine ganz andere Richtung ein – nur um kurz vor Schluss noch einmal eine Wendung zu nehmen und noch einmal eine andere Sicht auf die Ereignisse zu eröffnen. Die Erwartungen der Leser derart zu unterlaufen ist es mutiger Schritt, geht aber natürlich mit der Gefahr einher, einige Leser zu verlieren. Auch ich kam mir kurz etwas verloren vor und mochte den zweiten Teil nicht ganz so gerne wie den ersten. Dennoch finde ich den Bruch wichtig; zu leicht hätte dies einfach eine weitere Geschichte sein können, in der Frauen lediglich als Katalysator für das Leiden heterosexueller, weißer Männer auftreten. Der zweite Teil spricht diesen Punkt zumindest indirekt an und erlaubt einen kleinen Einblick in die Perspektive der zurückgelassenen Frau.

    Obwohl Jakubs Geschichte eher traurig wirkt, ist Spaceman of Bohemia doch ein sehr positives Buch: Es zeigt am historischen Beispiel, dass die Stimme des Volkes gehört werden kann, dass die Instrumente von Demokratie und Gerechtigkeit vielleicht nicht perfekt funktionieren, das menschliche Bestreben nach Gemeinschaft und Freiheit uns aber letztlich doch zusammenbringt und Grausamkeiten überwinden kann. Damit bietet das Buch ein willkommenes Gegengewicht zum allgegenwärtigen zynischen Grimdark.


    Alas, we are what we are, and we need the stories, we need the public transportation, the anxiety meds, the television shows by the dozens, the music in bars and restaurants saving us from the terror of silence, the everlasting promise of brown liquor, the bathrooms in national parks, and the political catchphrases we can all shout an stick to our bumpers. We need revolutions. We need anger.“


    Vielleicht ist die Geschichte am Ende etwas zu sehr konstruiert, die Hand des Autors zu sichtbar. Insgesamt aber ein beeindruckendes Debüt und ich bin gespannt, was Kalfař in Zukunft noch abliefert.­

    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:


    (Es ist vermutlich offensichtlich, aber der Vollständigkeit halber: Meine Rezension bezieht sich auf das englische Original :wink: )

    "Selber lesen macht kluch."


    If you're going to say what you want to say, you're going to hear what you don't want to hear.
    Roberto Bolaño

  • Jakub Procházka kann es selbst kaum glauben, als er mit der "JanHus1", dem ersten tschechischen Raumschiff aller Zeiten, ins Weltall abhebt. Während die großen Raumfahrtnationen noch diskutieren, was es mit der plötzlich aufgetauchten seltsamen Staubwolke im Weltraum auf sich hat, haben die Tschechen gehandelt und eine Rakete ins All geschossen, um die Hintergründe zu erforschen.


    Jakub, der als kleiner Junge schon von der Raumfahrt fasziniert war, kam zu dieser Mission wie die Jungfrau zum Kind und verspürt neben einer gewissen Ehrfurcht vor den Weiten des Alls auf seinem einsamen Flug durch den luftleeren Raum vor allem eines: Langeweile.


    Er hat viel Zeit zum Nachdenken auf seiner Reise und lässt sein bisheriges Leben vor dem geistigen Auge Revue passieren, vor allem seine Kindheit hinter dem Eisernen Vorhang. Als Sohn eines regimetreuen Parteisoldaten wuchs er vergleichsweise komfortabel auf, doch nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Staaten verkehrte sich die Situation ins Gegenteil, und Jakub musste einige bittere Wahrheiten über seinen Vater verdauen.


    Genauso erschüttert ist er, als seine Frau Lenka eines Tages nicht wie verabredet zum Videochat erscheint und er sich eingestehen muss, dass sie ihn wohl verlassen hat. Und fast gleichzeitig merkt er, dass er in seinem Raumschiff wohl doch nicht so allein ist, wie er dachte ...


    Eine interessante Idee, dass ein diesbezüglich bisher nie in Erscheinung getretenes Land kurzerhand ein Raumfahrtprogramm starten könnte. Wie realistisch es ist, dass ein Astronaut ganz alleine auf diese Mission geschickt wird, sei mal dahingestellt, aber Jakubs Gedankengänge und widerstreitenden Empfindungen auf diesem Trip durch den Weltraum sind ziemlich fesselnd dargestellt. Gelegentlich wurde es mir zwar etwas zu philosophierend, im großen und ganzen ist dieser Teil des Buches aber unterhaltsam, spannend und stellenweise auch ziemlich witzig. Vor allem, als Jakubs, äh, blinder Passagier ins Spiel kommt.


    Parallel dazu taucht man in die Vergangenheit Tschechiens ein, erlebt einschneidenden Kulturwandel nach dem Fall des Eisernen Vorhangs mit und streift mit Jakub und Lenka durch die historischen Gassen von Prag. Insbesondere die Geschichte der berühmten "orloj", der astronomischen Uhr am Rathaus (die auch in Jakubs persönlicher Historie eine Rolle spielt), hat mich dabei fasziniert.


    Weniger gelungen fand ich insgesamt die Vergangenheitsbewältigungsthematik, neben der Raumfahrt das zweite große Thema des Buches. Zwar waren die Beweggründe, wie Jakub in dem Zusammenhang handelt, durchaus nachvollziehbar, aber mir erschien dann doch einiges zu plakativ umgesetzt.


    Ein großes Plus des Buches ist jedoch, dass mit Tschechien hier einmal ein Land im Mittelpunkt steht, in dem ich literarisch nicht so häufig unterwegs bin, ganz nebenbei so einiges über das Land und seine Geschichte erfahren konnte und zusätzlich noch zu einigen Fakten, Personen und Orten recherchiert habe. Alleine schon dafür hat sich die Lektüre gelohnt.

  • Ich hatte nach der Lektüre des Klappentextes einen Science Fiction Roman erwartet. Das stimmt aber nur halb. Der Ich-Erzähler spricht in langen Rückblenden, die etwa die Hälfte des Buches ausmachen, von seiner Kindheit in der Tschechoslowakei vor dem Mauerfall. Von seinem regimetreuen Vater, der sich schuldig gemacht hat. Von der Dorfgemeinschaft, die sich an der Familie nach dem Mauerfall rächte. Vom Wirken des Predigers Jan Hus im 14. Jahrhundert und seiner Bedeutung für das böhmische Nationalbewußtsein. Von der Beziehung zu seiner Frau, die an seiner Mission zerbricht.


    Die Science Fiction Rahmenhandlung kommt mit einigen spannenden Ideen daher, die für mich allerdings etwas aus der Luft gegriffen wirken und nirgends in einen Kontext zur aktuellen Wissenschaft gestellt werden. Das finde ich schade. So wirkt es auf mich, als wäre diese Rahmenhandlung nur der Aufhänger für die eigentliche Geschichte, die in der Vergangenheit spielt. Diese liest sich flüssig und durchaus fundiert, hätte als selbstständiger Roman aber vielleicht noch mehr Potential.