MAI 2017
Bei den Romanen schwächelt mein Lese-Monat etwas, der große Wurf fehlt. Auch die kürzeren Comics waren jIüberwiegend mau. Dalton Trumbos Antikriegsroman ist wirklich außergewöhnlich, aber manchmal so konsequent durchgezogen, dass ich beim Lesen fast zugemacht habe. Wie gut "Die Leichtigkeit" ist, fällt auch erst zwischen den Zeilen auf. "Paper Girls" ist ein großer Spaß, der aber bald Nachschub braucht, um nicht zu verblassen. Die Krone des Monats gebührt eindeutig Alison Bechdel für ihre sehr geschickt nach und nach (ein Schritt vor, zwei zurück) enthüllte Familiengeschichte.
063. Alison Bechdel: Fun Home … Was für ein tolles Buch! Ein Comic-Roman über nicht eingestandene Bedürfnisse und nicht ergriffene Chancen, aus der Sicht einer Frau, die ihre Chancen ergreifen will.
064. Budd Schulberg: Die Faust im Nacken … Verbrecherische Verstrickungen innerhalb der Hafengewerkschaft in New York. Budd Schulberg hat sein eigenes Drehbuch in einen Roman verwandelt. Ach, spannend ist das schon, aber auch altbacken, moralinsauer und sehr simpel. Hohle Klischeefiguren, die brav ihre Rollen spielen. Dick aufgetragener Pathos. Ermüdend bis ärgerlich.
065. Catherine Meurisse: Die Leichtigkeit … Das Bedeutsame dieses Comics ist, dass er eben nicht für Rührung sorgt. Es gibt traurige Momente, aber keine Inszenierung, die nach Mitgefühl heischt. Manches ist so pointiert verkürzt, dass man nur staunen kann. Neben der persönlichen Suche nach Leichtigkeit - und der Schönheit in der Kunst als Gegengewicht zum Terror - ist es auch eine große, stille Hommage an ihre ermordeten Freunde von Charlie Hebdo. Ihren Esprit lebendig haltend.
066. Dalton Trumbo: Johnny zieht in den Krieg … Ein Klassiker der Antikriegsliteratur aus dem Jahr 1939. Stellenweise schwergängig, aber auch schwer zu ertragen. Das Hineindenken und Hineinschreiben in eine absolut von der Außenwelt abgeschlossene Seele (im Krieg seiner Arme und Beine beraubt und taubblind!), sorgt für einige Beklemmung. Mit Sicherheit eine der außergewöhnlichsten Romanfiguren der Literaturgeschichte.
067. Brian K. Vaughan & Cliff Chiang: Paper Girls 1 … Dieser Sammelband mit den ersten fünf Heften der Science-Fiction-Comicserie ist ein großes Vergnügen. Sehr rasant erzählt, mit interessanten Charakteren. Die Macher sind Meister des Cliffhangers. Ob die Folgebände das Tempo und den Einfallsreichtum halten können?
068. Xavier Coste: Untergetaucht … Comic über das Schicksal eines aus der Not zu Bankräubern gewordenen Ehepaares, das während des Jahrhunderthochwassers von Paris 1903 eine Bank ausraubt, worauf der Mann in eine Strafkolonie auf einer Südseeinsel verbannt wird. Ästhetischer Zeichenstil, aber sehr unterkühlt und holprig erzählt, so dass gar keine Empathie mit den Figuren mitschwingt. Das Ende ist sehr unbefriedigend.
069. Sylvain Ricard & Maël: In der Strafkolonie … Die berühmte Kafka-Erzählung als Comic. Wo die Erzählung mich umgehauen hat, lässt mich der Comic eher kalt, obwohl er zeichnerisch aus der Tatsache, dass im Grunde nur ein Gespräch stattfindet, ein Höchstmaß herausholt.
070. Sylvia Plath: Zungen aus Stein … Zweiter Band der gesammelten Erzählungen, die im Original in einem Band erschienen sind. (Die meisten erst postum). Manche Geschichten fand ich furchtbar (zuviele Worte, ohne sich den Figuren zu nähern), manche sind großartig (pointiert, aber auch beiläufig, fast haptisch nachempfindbare Eindrücke, Gefühle und Erinnerungen der Figuren). In der Zusammenstellung ein gemischtes Vergnügen.
071. Maximilien Le Roy & A. Dan: Henry David Thoreau – Das reine Leben (wackelig) … Sehr gut verknappte Comic-Annäherung an die Biografie des US-amerikanischen Schriftstellers und anarcho-libertären Utopisten liefert sinnvoll ausgewählte Szenen aus seinem Leben, was niemals zerhackstückt, sondern wie aus einem Guss wirkt. Mit sehr schönen, sehr ruhigen Zeichnungen.
072. Søren Glosimodt Mosdal: Hank Williams – Lost Highway … Der Comic über die letzten rätselhaften Stunden im Leben der Countrylegende Hank Williams, der während einer Autofahrt über Land in der Silvesternacht 1952/53 verstarb, aus der Sicht seines überforderten Chauffeurs. Halluzinatorisch! Toller Zeichenstil, sehr eindrücklich erzählt.
073. James Dickey: Flussfahrt ... Die Vorlage des Backwood-Thrillers „Beim Sterben ist jeder der erste“ ist ähnlich intensive Kost wie der Film. Wildwasserfahrt mit Todesfolge und Aufeinanderprall unterschiedlicher Kulturen. Sehr spannend, bedrückende Stimmung, psychologisch und moralisch interessant. Ein intelligenter, anspruchsvoller, vielschichtiger Reißer alten Stils.
074. Jonathan Valin: Bis auf die Knochen :bewertung1von5: :bewertungHalb: … Ein Private-Eye-Roman im Gefolge der alten Lew-Archer-Schule. Privatdetektiv Harry Stoner sucht in Cincinatti nach einer verschwundenen Sechzehnjährigen, die wahrscheinlich zur Prostitution gezwungen wurde. Sauber erzählt mit stimmigen Figuren. Spannend und brutal. Das Ende ist unglaublich deprimierend: Eine Lüge als Trost, die niemand mehr glaubt. :cry: