Stephan Lohse - Ein fauler Gott

  • Sommer 1972. Benjamin ist vor einigen Wochen elf geworden. Im nächsten Schuljahr wird er ein Herrenrad bekommen, eine Freundin und vielleicht eine tiefe Stimme. Doch dann stirbt sein kleiner Bruder Jonas. Nachts sitzt Bens Mutter auf einer Heizdecke und weint. Ben kommt nun extra pünktlich nach Hause, er spielt ihr auf der C-Flöte vor und unterhält sich mit ihr über den Archäopteryx. An Jonas denkt er immer seltener. Ben hat mit dem Leben zu tun, er muss für das Fußballtor wachsen, sein bester Freund erklärt ihm die Eierstöcke, und sein erster Kuss schmeckt nach Regenwurm. Mit seiner neuen Armbanduhr berechnet er die Zeit...(Klappentext)


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    Hier eröffnet sich dem Leser ein wunderbares Buch, welches den Unterschied der Trauerbewältigung zwischen einem Erwachsenen und eines Kindes aufzeigt.
    Während die Mutter Ruth, nach dem Tod ihres jüngsten Sohnes Jonas, in ein tiefes Loch fällt und sich an die Vergangenheit klammert, sieht es Ben aus einem fast komplett anderen Blickwinkel und somit in die Zukunft.
    Ben trauert auf seine ganz eigene Weise und bemüht sich auch auf diese Weise seiner Mutter Trost zu spenden. Nicht immer nimmt sie dies wahr, doch Stück für Stück scheint er zu ihr durchzudringen.


    Es wird abwechselnd aus der Perspektive von Ruth und Ben erzählt. Während sich die Passagen von Ruth eher düster lesen und auch manchmal schockieren, liest sich Bens Perspektive traurig, aber auch mit Witz und Humor.
    Der Autor hat es auf eine wunderbare Weise geschafft verschiedene Punkte gekonnt einzufangen und wiederzugeben. Da wären zum Einen die Sichtweise und Gedankengänge eines 11-jährigen Jungen bezüglich Trauer, Tod, Gott, aber auch in Bezug auf Freundschaft, Schule, des Erwachsenwerdens, die erste Knutschparty, etc.
    Zum Anderen wurde die Atmosphäre der 70er Jahre wunderbar eingefangen und lässt einen in Erinnerungen schwelgen (zumindest ein bissl, da ich eher ein Kind der 80er bin *g*).
    Aber auch der Kampf einer Mutter gegen die Trauer und den Verlust ihres Kindes konnte mich überzeugen.


    Die Schreibweise ist flüssig, wenn auch manchmal die Erzählweise etwas verwirrnd und unzusammenhängend wirkt. Zudem verliert sich der Autor manchmal in irgendwelchen Geschichten, die so gar nichts mit der Handlung zu tun haben und diese somit auch nicht voranbringen. Hier habe ich dann meist quergelesen.
    Trotzdem schafft es der Autor mich mit der Geschichte zu fesseln. Trauer und Humor wechseln sich an den richtigen Stellen ab und manchmal liegt beides gar nicht so weit auseinander.
    Es regt auch sehr zum Nachdenken an -> vielleicht sollten wir Erwachsenen manchmal mehr wie Kinder sein; uns an der kindlichen Sichtweise hin und wieder ein Beispiel nehmen.


    Fazit:
    Ein wunderbares und schönes Buch über Trauerbewältigung - herzergreifend, traurig, schockierend, aber auch zum Schmunzeln und Nachdenken.
    Trot der oben genannten kleinen Mankos kann ich eine absolute Leseempfehlung aussprechen.

    Wenn ein Mann zurückweicht, weicht er zurück. Eine Frau weicht nur zurück, um besser Anlauf nehmen zu können. (Zsa Zsa Gabor)
    :twisted:

  • Es geht also um einen

    11-jährigen Jungen

    der

    die erste Knutschparty

    mitmacht? :shock: Aber doch nicht während der

    70er Jahre

    [-(
    In der Zeit habe ich meine Jugend verbracht; 11-jährige Jungs hätten wir nicht auf unsern Partys geduldet, sondern heim zu Mama geschickt. 8-[


    Oder erstreckt sich die Handlung über mehrere Jahre?

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Autor: Steohan Lohse

    Titel: Ein fauler Gott

    Seiten: 330

    ISBN: 978-3-518-42587-9

    Verlag: Suhrkamp


    Autor:

    Stephan Lohse wurde 1964 in Hamburg geboren und studierte am Max-Reinhardt-Seminar in Wien. Er war am Thalia Theater Hamburg tätig, an der Schaubühne Berlin und im Schauspielhaus Wien. 2017 erschien mit "Ein fauler Gott" sein Debütroman. Der Autor lebt in Berlin.


    Inhalt:

    Sommer 1972. Benjamin ist vor einigen Wochen elf geworden. Im nächsten Schuljahr wird er ein Herrenrad bekommen, eine Freundin und vielleicht eine tiefe Stimme. Doch dann stirbt sein kleiner Bruder Jonas. Nachts sitzt Bens Mutter auf einer Heizdecke und weint. Ben kommt nun extra pünktlich nach Hause, er spielt ihr auf der C-Flöte vor und unterhält sich mit ihr über den Archaeopteryx. An Jonas denkt er immer seltener. Ben hat mit dem Leben zu tun, er muss für das Fußballtor wachsen, sein bester Freund erklärt ihm die Eierstöcke, und sein erster Kuss schmeckt nach Regenwurm. Mit seiner neuen Armbanduhr berechnet er die Zeit. (Umschlagtext)


    Rezension:

    Ben ist ein ganz normaler Junge mit den üblichen vorpubertären Problemen. Nicht der beliebteste Junge der Klasse, aber eben auch nicht der unbeliebteste, freundet er sich mit den neuen Mitschüler, den Sohn der neuen Französischlehrerin an, und wandelt mit seinen Klassenkameraden durch die Tage. Mit einem alten Herren in der Nachbarschaft freunden er und sein kleiner Bruder sich an, und auch sonst ist das Leben in Ordnung, er, sein Bruder und seine alleinerziehende Mutter. Doch, nach einem Schwimmbadunfall, verstirbt Jonas und die heile Welt gerät aus den Fugen. Nichts ist so, wie es mal war. Dennoch geht das Leben weiter. Ben ist plötzlich Einzelkind. Er und seine Mutter müssen das Trauern lernen.


    Es ist ein an vielen Stellen nachdenklicher Roman, den uns Stephan Lohse hier vorsetzt, der gespickt mit der tragischen Komik des Beginns der Pubertät, trotzdem zum einen oder anderen Lacher führt. Natürlich ist der Tod Dreh- und Angelpunkt, die Botschaft Lohses ist jedoch eine andere. Das Leben geht weiter, auch mit positiven Momenten, die nicht aufhören und trotzdem ist es erlaubt, ja wichtig, zu trauern.


    Der Autor beschreibt wunderbare Alltagsmomente, die zwar hier in der Zeit der 1970er Jahre angelegt sind, ansonsten in jedem Jahrzehnt hätten statfinden können, und so nachvollziehbar für auch jüngere Leser werden können. So liegt das Buch zumeist bei den Erwachsenenbüchern in den Buchhandlungen aus, hat aber durchaus auch eine Berechtigung im Jugendbuchbereich. Schließlich sind Tod und Krankheit etwa, aber eben auch das Leben, wichtige Themen, mit denen man sich schon sehr früh ernsthaft auseinandersetzt.


    Stephan Lohse tut dies in kurzweiligen Kapiteln, in denen sich die Erzählperspektive zwischen den zwei Hauptprotagonisten Mutter und Sohn ständig abwechselt, in klarer und einfacher Sprache, die zu vielen witzigen Momenten führt. So ist es von der dänischen Königin bis zur Kommunistin oft nur eine Seitenlänge, herrlich die Beschreibungen von kuriosen Situationen, in denen wortwörtlich alles in Butter ist, oder eben auch nicht.


    Die Stärke des Romans liegt in den stillen Momenten, wenn die Figuren um sich selbst kreisen und versuchen, mit der Trauer um den Verlust umzugehen. Nach und nach finden die Protagonisten, zumindest die beiden hauptfiguren sehr tief ausgestaltet, wieder ins normale Leben zurück. So ist dieses Werk ein positiver, trauriger, aber vor allem schöner Roman über den Tod und das Leben, welcher sich zu lesen lohnt. Eine klare Empfehlung.