Franzobel - Das Floss der Medusa

  • Kurzmeinung

    Headline
    Interessante Story - man hätte dem Autor einen besseren Lektoren gewünscht; der Humor verhöhnt die Opfer der Katastrophe
  • Kurzmeinung

    Hirilvorgul
    Derbe Sprache, schonungslose Erzählung, kaum Figuren, an die man sich als Leser hängen mag. Irgendwie enttäuschend.
  • Klappentext:

    • Juli 1816: Vor der Westküste von Afrika entdeckt der Kapitän der Argus ein etwa zwanzig Meter langes Floß. Was er darauf sieht, lässt ihm das Blut in den Adern gefrieren: hohle Augen, ausgedörrte Lippen, Haare, starr vor Salz, verbrannte Haut voller Wunden und Blasen … Die ausgemergelten, nackten Gestalten sind die letzten 15 von ursprünglich 147 Menschen, die nach dem Untergang der Fregatte Medusa zwei Wochen auf offener See überlebt haben. Da es in den Rettungsbooten zu wenige Plätze gab, wurden sie einfach ausgesetzt. Diese historisch belegte Geschichte bildet die Folie für Franzobels epochalen Roman, der in den Kern des Menschlichen zielt. Wie hoch ist der Preis des Überlebens?



    Meine Meinung:


    Schon immer habe ich mich für Schiffe und deren Geschichte interessiert. Das Floss der Medusa war mir ein Begriff. In meinen Recherchen zu Schiffsunglücken stiess ich auf das Bild von Théodore Géricaults Gemälde „Das Floß der Medusa“ von 1819. Ich las die Beschreibungen der Ereignisse, die sich auf diesem Floss abgespielt haben. Allein es fehlt die Vorstellungskraft.


    Franzobels Buch kam deshalb sofort auf meine Beobachtungsliste. Ich habe nicht lange gezögert und das Buch gekauft und gelesen. Das Buch liest sich flüssig. Die Gedanken bleiben dabei, weil sie immer wieder gefordert werden sich das freudlose Dasein der Besatzung, der Schiffsjungen und der Passagiere vorzustellen.


    Die Figuren wirken in ihrer Existenz fast lächerlich. Franzobels Sprache ist derb, viel Mitgefühl gibt es bei den Figuren nicht zu erahnen und auch nicht zu erwarten. Aber nur so wird man auf die Ereignisse auf dem Floss vorbereitet und nur so kann man erahnen - wirklich nur erahnen - was sich auf diesem Floss innerhalb von vierzehn Tagen unter den rund einhundertfünfzig Menschen abgespielt hat.


    Franzobel hat tief recherchiert. Es gibt gut dokumentierte Berichte der wenigen Überlebenden, die die Inkompentenz der Vetternwirtschaft, die menschlichen Abgründe zu Tage treten lassen. Das alles kann man gut auch in die heutige Zeit übertragen.
    Hat man das Buch gelesen, fragt man sich, ob so etwas auch heute noch vorkommen kann.
    Ich sage, Ja.


    Wikipedia: Medusa

  • Vielen Dank für Deine Eindrücke! :thumleft:
    Ich hab das Buch bei meiner onleihe für 30. April vorgemerkt und freue mich nach dieser Rezi noch mehr aufs Lesen.

  • Auf Seite 80 habe ich abgebrochen, weil mir übel geworden ist. Ich konnte die ewigen Quälereien und Grausamkeiten, die ein armer Schiffsjunge zu erdulden hatte, nicht mehr ertragen. Das geht seitenlang so dahin, zudem wird auf jeder zweiten Seite erwähnt, wie der Hausknecht die neugeborenen Kätzchen entsorgte.
    Dieses Entrees hätte es meinetwegen nicht bedurft.
    Dabei schreibt Franzobel wirklich gut, wer also weniger empfindlich ist, der wird mit der Lektüre wohl seine Freude haben.

  • Auf Seite 80 habe ich abgebrochen, weil mir übel geworden ist. Ich konnte die ewigen Quälereien und Grausamkeiten, die ein armer Schiffsjunge zu erdulden hatte, nicht mehr ertragen. Das geht seitenlang so dahin, zudem wird auf jeder zweiten Seite erwähnt, wie der Hausknecht die neugeborenen Kätzchen entsorgte.
    Dieses Entrees hätte es meinetwegen nicht bedurft.
    Dabei schreibt Franzobel wirklich gut, wer also weniger empfindlich ist, der wird mit der Lektüre wohl seine Freude haben.

    Danke für die Warnung! Kinder- und Tierquälerei kann ich nicht ausstehen, deshalb brauche ich dieses Buch wohl nicht.

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Danke für die Warnung! Kinder- und Tierquälerei kann ich nicht ausstehen, deshalb brauche ich dieses Buch wohl nicht.

    Für die empfindsameren Seelen unter uns ist es wohl nicht das Richtige. Und ich denke, es wird auch nicht mehr sehr viel erfreulicher werden, ganz im Gegenteil.

  • Für die empfindsameren Seelen unter uns ist es wohl nicht das Richtige.

    Ich bin eigentlich keine so empfindsame Seele und lese gelegentlich auch mal gern ein Buch von Chris Carter mit reihenweise Leichen. :wink:
    Aber bei der Misshandlung / Tötung von Kindern und Tieren verstehe ich keinen Spaß.

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Nicht zu vergessen das monumentale Gemälde von Géricault, Le radeau de la Méduse, das im Louvre von Paris hängt, beliebte Quelle für Schulaufsätze in französischen Gymnasien.

    ... und eine ebenfalls historische Begebenheit um dieses besagte Gemälde herum, das Antoine Choplin hervorragend in seinem Roman "Radeau" verarbeitet hat, den ich hier vorgestellt habe: Antoine Choplin – Radeau (andersweitig auch sehr ernst, aber auch sehr schön!)

  • Aber leider nicht übersetzt! Oder doch?

    Leider (noch?) nicht. Aber mir sind alle Mittel recht, um diesen Autor bekannter zu machen. Vielleicht wird ein guter, vernünftiger und leserfreundlicher Verlag sich hinreissen lassen, sich ihn mal näher zu betrachten!?

  • Wow, was für ein Buch.
    Zuerst lernen wir einen Teil der Besatzung kennen und erfahren die Hintergründe und das Ziel der Fahrt. Einige Passagiere sind wirklich unangenehme Gesellen, so z.B. der Koch mit seiner Hasenscharte, sein dicker Küchenjunge oder der Hochstabler Richeford, der sich das Vertrauen des unfähigen Kapitän de Chaumareys erschlichen hat. De Chaumareys größte Sorgen sind sein gut sitzendes Make-up, sein Reizdarm und die Etikette. Auch die weiblichen Passagiere sind nicht unbedingt alle angenehm (Charliiiie). Doch es gibt auch Lichtblicke, so z.B. der Schiffsjunge Viktor, mit dem man wirklich mitleidet. Ein sympathischer junger Mann.
    Leider vertraut der Kapitän nur auf die Aussagen von Richeford der ihm eine Geschichte von einer gemeinsamen Vergangenheit vorspielt. Die Warnungen der Offiziere ignoriert er. Und so kommt es, wie es kommen musste, die Medusa läuft auf eine Sandbank auf. Es sind nicht genügend Rettungsbote vorhanden, so müssen 147 Menschen auf ein notdürftig gebautes Floß steigen, was dramatische Folgen hat. Ein Großteil überlebt die Fahrt nicht, nur 15 werden gerettet, überleben es aber trotzdem nicht alle.
    Es zeigen sich Abgründe, die Menschen werden zu Tieren, reduzieren sich auf ihre Grundbedürfnisse. Und das alles schreibt der Autor in einem sachlich-humorvollem Ton, mit Vergleichen, die einen zum Lachen bringen, aber auch so, dass man die Grausamkeiten spürt und direkt vor Augen hat. Und das Wissen, dass es sich um eine wahre Begebenheit handelt. Es werden Details beschrieben, bei denen sich einigen Lesern sicher der Magen umdrehen wird. Das Thema Kannibalismus und diverse Morde und Quälereien verlangen einem einiges ab.Der Leser wird mitgenommen, möchte den Kapitän schütteln, den eitlen Pfau von seinem hohen (unverdienten) Roß herunterholen. Hätte er sich anders verhalten, wäre dieses schreckliche Ereignis ganz anders ausgegangen.
    Ein wirklich gelungenes Meisterwerk und für mich mein persönliches Jahreshighlight bisher.

    Auf Veränderung zu hoffen, ohne selbst etwas dafür zu tun, ist wie am Bahnhof zu stehen und auf ein Schiff zu warten. (Albert Einstein)

  • Klappentext:
    18. Juli 1816: Vor der Westküste von Afrika entdeckt der Kapitän der Argus ein etwa zwanzig Meter langes Floß. Was er darauf sieht, lässt ihm das Blut in den Adern gefrieren: hohle Augen, ausgedörrte Lippen, Haare, starr vor Salz, verbrannte Haut voller Wunden und Blasen … Die ausgemergelten, nackten Gestalten sind die letzten 15 von ursprünglich 147 Menschen, die nach dem Untergang der Fregatte Medusa zwei Wochen auf offener See überlebt haben. Da es in den Rettungsbooten zu wenige Plätze gab, wurden sie einfach ausgesetzt. Diese historisch belegte Geschichte bildet die Folie für Franzobels epochalen Roman, der in den Kern des Menschlichen zielt. Wie hoch ist der Preis des Überlebens?


    Autor:
    Franzobel ist der Sohn eines Chemiearbeiters. Er absolvierte die Höhere Technische Lehranstalt für Maschinenbau in Vöcklabruck und studierte von 1986 bis 1994 in Wien Germanistik und Geschichte. Nebenbei war er als Komparse am Wiener Burgtheater tätig. Das Studium schloss er mit einer Diplomarbeit über Visuelle Poesie ab. Seit 1989 ist er als freier Schriftsteller tätig. Er lebt in Wien, Pichlwang, Buenos Aires und Orth an der Donau.


    Allgemeines:
    Erscheinungsdatum: 30. Januar 2017
    Seitenanzahl: 592
    Verlag: Paul Zsolnay Verlag


    Eigene Meinung:
    Definitiv kein Buch für schwache Nerven, soviel mal vorneweg.
    Franzobel hat sich hier das Unglück der Medusa als Grundlage für seinen Roman genommen. Hierbei wird auf den ersten Seiten klar, dass er damit auch nicht gnädig umgehen wird. Auf den ersten Seiten schon machen wir uns Sorgen um den Schiffsjungen, der den anderen Matrosen und dem Koch, dem er helfen soll, sowie seinem anderen Gehilfen, und deren Willkür, schutzlos ausgeliefert ist.
    Franzobel redet auch nicht um den heißen Brei, sondern geht schonungslos damit um. Und auch später als es ums nackte Überleben geht, wurde es teilweise wirklich eklig. Wie nebenbei erzählt der Autor von Schlachtungen und macht dabei keinen Unterschied zwischen Schweinen oder Menschen. Erbarmungslos wir der Leser Zeuge eines wirklich unmenschlichen Überlebenskampfes, in dem klar wird, dass wir alle wieder zu Tieren werden (oder sogar noch schlimmer?), wenn wir in einer Extremsituation sind.


    Fazit: Mich hat das Buch gefesselt, auch wenn man wirklich sagen muss, dass ich es teilweise wirklich widerlich fand, wie der Autor locker flockig diese Gräueltaten detailreich erzählt, was eher als Warnung für zartbesaitete Leser gelten soll :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Gleich vorweg: Wer Schwierigkeiten hat mit Brutalität, Ekligkeiten und Obszönität, sollte sich die Lektüre dieses Buches besser verkneifen. Denn was Franzobel, der Autor, hier schildert, ist schon harter Tobak, obwohl er vermutlich mit seiner literarischen Ausschmückung der tatsächlichen Geschehnisse nicht allzu sehr übertrieben hat.
    Das Buch hält sich sehr eng an die tatsächlichen Geschehnisse, die sich im Jahre 1861 ereigneten. Am 17. Juni bricht ein Schiffsverband mit der Medusa als Flaggschiff von Frankreich aus auf, um in die Hauptstadt des Senegals zu segeln. Die Besatzung der Schiffe besteht aus mehr als 600 Menschen, darunter Ingenieure, Lehrer, Priester, Bauern, Arbeiter und Soldaten, die die französische Kolonie neu aufbauen sollen. Doch durch die Unfähigkeit des Kapitäns der Medusa läuft diese auf auf eine 40 Meilen von der Küste entfernt liegende Sandbank und zerbricht bei einem in der Nacht stattfindenden Unwetter. Das Schiff muss evakuiert werden, doch es gibt nicht genügend Rettungsboote, sodass 147 Menschen auf ein provisorisches Floß müssen, das von den anderen Booten gezogen wird. Doch man kommt nicht voran, weshalb die Verbindung gekappt und das Floß sich selbst überlassen wird.
    Wider Erwarten nimmt die Geschichte der Schiffsbrüchigen auf dem Floß nur etwas mehr als ca. 1/3 des Buches ein, der Rest beschreibt die Fahrt des Schiffes bis zum Auflaufen auf die Sandbank. Franzobel hat einen besonderen Schreibstil, der zumindest zu Beginn für mich etwas gewöhnungsbedürftig war. Es gibt einen allwissenden Erzähler, der in unserer Zeit lebt und sich nicht scheut, Damaliges mit Heutigem zu vergleichen. So werden Offiziere mit Alain Delon und Lino Ventura verglichen und auch Kate Winslet und Leonardo di Caprio von der Titanic schaffen es in das Buch ;-) Ansonsten hält er sich überzeugend genau (so weit ich das beurteilen kann) an diverse Sprachgepflogenheiten der damaligen Zeit, insbesondere die der Seefahrt: Da werden Stengen und Rahen vertaut und mittels Taljen heruntergelassen, die Seeleute warpen, fieren und pullen was das Zeug hält. Auch die sonstigen Redeweisen wirken überzeugend und es dauert nicht lange, bis man sich mitten drin fühlt, als würde man neben dem Erzähler stehen.
    Doch was dieses wirklich tolle Buch so schrecklich macht, sind die Menschen, über die hier erzählt wird. Es ist wohl ein Durchschnitt der damaligen Bevölkerung, der sich auf der Medusa versammelt. Scheinbar hochzivilisierte Aristokraten, die jedoch ebenso primitiv und ordinär sind wie dieser 'Abschaum der Gesellschaft', auf den sie mit einer Arroganz herabblicken, dass ich das Buch manchmal vor Wut in die Ecke hätte werfen können. Natürlich essen sie mit Silberbesteck, sind luxuriös gekleidet, aber bleiben völlig teilnahmslos, wenn ein Junge über Bord geht (Keine Zeit) oder ein Matrose totgepeitscht wird. Und schicken ohne zu zögern fast 147 Menschen in den Tod, um eine Guillotine zu retten und 'die höchsten Güter der Nation! Kleider!'. Dieses Verhalten empfand ich um Vieles schlimmer als das, was sich auf dem Floß ereignete, wo sich die Menschen in einer existentiellen Notlage befanden. Keine Frage, was dort geschah, war unvorstellbar entsetzlich. 'In jedem Mensch wohnt eine Bestie, ein zweites Ich, rücksichtslos, brutal und ohne Hemmungen.' (S. 376). Die Adligen brauchten aber noch nicht einmal eine Notlage, um diese Bestie zum Vorschein kommen zu lassen; sie fällt bei ihnen nur nicht so auf, denn sie hat bessere Manieren. Das wäre dann aber auch schon der einzige Unterschied.
    So ist dieses Buch nicht nur ein Roman über eine historische Begebenheit, sondern auch ein Lehrstück über die Natur des Menschen. Grauenhaft gut.

    :study: Das Eis von Laline Paul

    :study: Der Zauberberg von Thomas Mann
    :musik: QUALITYLAND von Marc-Uwe Kling

  • Über den Verfasser und den Inhalt ist von meinen "Vorrednern" hinreichend informiert worden.

    Ich beschränke mich deswegen nur auf meinen Leseeindruck!


    Ein allwissender Erzähler der Gegenwart erzählt ein historisches Unglück: die Havarie der französischen Fregatte Meduse, die nach dem Sturz

    Napoleons Militär, Verwaltungsleute, auch Siedler und einige Wissenschaftler ins Senegal bringen sollte.

    Ein Mikrokosmos der französischen Gesellschaft - und auch die Probleme der Zeit reisen mit. Die Anhänger der Restauration formieren sich gegen die Napoleons, Eifersucht und Machtgier diktieren die Entscheidungen. Aber eines verbindet sie über politische und ständische Schranken hinweg: der Antisemitismus. Als auf dem Floß das systematische und organisierte Abschlachten der Schwachen beginnt, um das eigene Überleben zu sichern, heißt es lapidar: "Als erstes aber gingen sie zum Juden." Der durchaus noch gesund und munter war.


    Einige Figuren werden uns genauer vorgeführt, darunter der Schiffsarzt Savigny, der Chronist der Reise, ein typischer Vertreter der Aufklärung, für den Wissenschaft und Forschung wichtig sind und der auch die Tage auf dem Floß kühl-kritisch als Experiment beobachtet.

    Einige sind Karikaturen: so z. B. der Kapitän, ein unfähiger Emigrant, der seit 25 Jahren nicht mehr zur See gefahren war, ein von seinem Reizdarm geplagter Stenz, ein typischer Vertreter des korrupten anciem regime.

    Oder die drei mannstollen Schwestern, oder der Notar, der unterm Pantoffel seiner Frau steht. Und auch der Geistliche, aus dessen Bibel erotische Kupferstiche purzeln - dessen Anwesenheit aber die Frage nach der Theodizee provoziert.


    Der Erzähler ist stets präsent: er gibt launische Kommentare, vergleicht Personen mit Schauspielern, erinnert an Episoden der Zeitgeschichte, erinnert an Filme, vergleicht mit heutigen Ansichten und so fort.

    Damit distanziert er den Leser vom Geschehen - und dann führt er den Leser wieder ganz nahe heran: mit drastischen Schilderungen, bei denen er den Leser nicht schont und keine Gnade kennt. Grimmelshausen ist direkt zartfühlend daneben ...

    Vor allem die letzten Tage auf dem Floß werden dem Leser in quälender Detailtreue und Langsamkeit geschildert, und man steht als Leser in einem Schlachtfeld, mitten zwischen abgetrennten Gliedmaßen und Leichen und wünscht sich in eine bessere Welt.


    Die Erzählperspektive wechselt häufig und sehr plötzlich, zusätzliche Brüche kommen durch Fetzen von erlebter Rede, Traumsequenzen, sentenzenhaften Weisheiten und ähnlichem, aber die Chronologie des Erzählens sichert den Überblick. Gott sei Dank! Endlich mal wieder ein Roman, der schön der Reihe nach erzählt!


    Die Faktentreue ist beeindruckend. Nicht nur, was die historischen Fakten angeht, sondern auch was das nautische Wissen angeht.

    Der Autor hat gründlichst recherchiert und offensichtlich auch Savignys Bericht genau gelesen.


    Trotzdem:

    "Das Floß der Medusa" ist kein historischer Roman. Es geht vielmehr um ein Menschenbild, das sehr ernüchternd und sehr verstörend ist: der Kampf aller gegen alle. "Alle tranken, alle brüllten, schlugen, fauchten, kämpften. Wie wilde Tiere, die über ihre Beute herfielen. Wo es kein Brot gibt, gibt es kein Gesetz mehr. Jetzt ist es also so weit, der Mensch zeigt seinen Kern, das. was sich hinter der Schminke der Moral und unter der Haut der Kultur verbirgt, das wilde Tier."


    Die Sprache, in der Franzobel erzählt, ist nicht frei von Derbheiten, aber insgesamt barock-üppig, bildgewaltig, einfach virtuos!


    "Da öffnete die See ihr Maul und brüllte mit einer gigantischen Zungen- und Pfeifenbatterie einen unerhörten Orgellärm. das Meer zog sämtliche Register. Windladen taten sich auf, und alle Blasebälge wurden gedrückt, die das Floß wild herumschaukelten. Das Wasser unter ihnen, dieser elementare Organist, war in Wut geraten".


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    :study: Joseph Roth, Hiob. MLR.

    :study: Vigdis Hjorth, Ein falsches Wort.

    :musik: Leonie Schöler, Beklaute Frauen.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Und hier der Text von Savigny und Correard, frisch herausgegeben.

    Der Text war nicht nur für Franzobel die Grundlage des Buchs, sondern

    auch für Henzes Oper (und andere) und vor allem für Gericault, auf dessen

    Gemälde oben @Yurmala schon hingewiesen hat.


    Correard wurde übrigens den Rest seines Lebens von Alpträumen gepeinigt und

    starb schließlich irrsinnig - und Savigny, auch nervlich geplagt, starb mit nur 49 Jahren.

    :study: Joseph Roth, Hiob. MLR.

    :study: Vigdis Hjorth, Ein falsches Wort.

    :musik: Leonie Schöler, Beklaute Frauen.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Die Figuren wirken in ihrer Existenz fast lächerlich. Franzobels Sprache ist derb, viel Mitgefühl gibt es bei den Figuren nicht zu erahnen und auch nicht zu erwarten.



    Über den Inhalt der Geschichte wurde ja bereits alles gesagt, dieser ist so spannend wie schockierend.


    Ich benutze das Zitat der ersten Rezension zu diesem Buch als weiteren Aufhänger, weil dies etwas war, was mich an dem Roman gestört hat.


    Franzobel wählt eine Ausdrucksweise, die für mich das Ganze eher ins Groteske zog.

    Dass Menschen wirklich gelitten haben wie die Hunde wird durch verschiedene humoreske Beschreibungen von Tod und Gemetzel eher ad absurdum geführt.

    Stellenweise also Tarantino zwischen zwei Buchdeckeln, allerdings an wahre Schicksale angelehnt.


    Schwierig fand ich auch, dass durch Weglassen der Anführungsstriche oft nicht klar war, ob die Gedanken zu einer der handelnden Personen gehören oder zu dem allwissenden Erzähler. Wenn es dann um Klischees über afrikanische Eingeborene oder generell Farbige ging, ließ mich das ratlos zurück. Nicht aus dem Grund, dass ich glaube, Franzobel sei rassistisch, sondern weil mir durch den Stil die Abgrenzung zu der damaligen Denkweise fehlte.

    Auch der Bezug zur Neuzeit, über den hier schon gesprochen wurde, ist ein literarischer Dreh, der mich eher störte. Das ist sicher Geschmackssache.


    Dass der Autor dennoch äußerst gekonnt mit Sprache umgeht, ist unstrittig.


    Alles in allem vergebe ich subjektive :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertungHalb: Sterne.

  • Nach den vielen hohen Bewertungen für dieses Buch war ich wirklich gespannt darauf und bleibe nun enttäuscht zurück. Es liegt nicht an der derben Sprache oder den zum Teil widerlichen Szenen. Auf die war ich vorbereitet. Für mich war die ganze Sache zu oberflächlich erzählt. Ich muss nicht bei jedem Auftritt des Kapitäns wissen, dass er gepudert und mit Perücke unterwegs ist, das hab ich spätestens beim zweiten Mal begriffen. Und so wird ständig auf Äußerlichkeiten herumgeritten. Vielleicht liegt es auch an der Sprache, dass ich immer das Gefühl hatte, der Autor zieht alles irgendwie ins Lächerliche. Das hat mich sehr gestört.

    Was mich am meisten irritiert hat, waren die Vergleiche diverser Personen mit Schauspielern aus unserer Zeit (Alain Delon z.B.) oder anderen Gegebenheiten aus der Gegenwart.

    Und wie auch SiriNYC schon erwähnt hat: das Weglassen von Anführungszeichen bei wörtlicher Rede machte das Lesen auch nicht leichter.


    Ich hatte während der ganzen Lektüre nie das Gefühl, dabei zu sein. Es war eher, als würde ich von oben völlig unbeteiligt auf ein Experiment herabschauen. Und ich glaube, das wird dem Schicksal der Personen irgendwie überhaupt nicht gerecht.

    Alles in allem gibt es von mir :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: und ich werde mal auf die Suche nach anderer Literatur zum Thema gehen.

    Gelesen in 2024: 7 - Gehört in 2024: 5 - SUB: 598


    "Wenn der Schnee fällt und die weißen Winde wehen, stirbt der einsame Wolf, doch das Rudel überlebt." Ned Stark