Knut Hamsun – Unter Herbststernen: Die Erzählung eines Wanderers / Under Høststjærnen

  • Original: Under Høststjærnen (Norwegisch, 1906) (


    INHALT :
    Erster Band der Wandertrilogie, in deren Mittelpunkt Knud Pedersen (eigentlicher Name Hamsuns) steht. Er flieht aus der Stadt und ihrem Lärm, auch seinem Bekanntheitsgrad und seiner Gebildetheit, mit dem festen Vorsatz, nah der Natur « um jeden Preis Frieden zu finden », Unabhängigkeit und Freiheit. Ist er noch Arbeit und Müh gewohnt ? Trotz anfänglicher Wiederstände eines Gefährten macht er sich mit diesem auf den Weg, verdingt sich mal hier, mal da, verdient sich als Gelegenheitsarbeiter das Leben. Wird er sich binden ? Oder in die Stadt zurückkehren ?


    BEMERKUNGEN :
    Wir stehn sofort mittendrin in der Suche des Ich-Erzählers nach innerem Frieden, einer Form der Zurückgezogenheit und Bindungslosigkeit. Wir erahnen, dass er schon so manches durchlebt und erlebt hat, nicht mehr der Allerjüngste ist und im weltlichen Treiben der Stadt sich selbst entfremdet ist. Nun, 1906 geschrieben ist es ja interessant, dass Menschen solche Sehnsucht nach Abgeschiedenheit oder einer Form der Absonderung schon damals kannten. Jedoch ist Knud Pedersen, als Alter Ego von Knut Hamsun, eben schon ein weltgewandter Mann gewesen, der eines durchlabt hatte und einen gewissen Kekanntheitsgrad erlangt hatte.


    Nun ist er mit wechselnden Weggefährten als Wanderer und vagabundierender Gelegenheitsarbeiter über Lande unterwegs, will sich auch nicht zu erkennen geben. Ist er aber schon dem einfachen Leben entfremdet ? Er verdingt sich mal bei einem Pfarrer, mal einem grösseren Anwesen eines Kapitäns, dann auch einem Justizbeamten. Bei den ersteren springt mal schnell das innere Feuer an, und entfachen sich Techtelmechteleien. Wird mehr draus ? Kann er sich binden, will er sich überhaupt binden ? Nimmt er Chancen wahr, oder vertut er sie ?


    Immer wieder, insbesondere anfangs, kommt es auch zu herrlichen Naturbeschreibungen. Meine Version aus den 30iger Jahren, im damals so bekannten Langen-Müller Verlag, ist herrlich übersetzt von J.Sandmann : eine feine Sprache, die hoffentlich und anscheinend, den Künsten des Nobelpreisträgers nahekommt.


    Schade, dass man wegen der späteren Anbändelung Hamsuns mit den Nazis seine Werke kaum mehr ganz unvoreingenommen lesen kann oder liest. Dabei stammt dieses Buch nun wirklich aus dem Jahre 1906 und enthält keinerlei Spiel mit dummen Gedankengut. Wer nordische Literatur, einen Gunnar Gunnarsson zB, oder auch einen Stefansson gerne hat, der kann hier aber nicht ganz verkehrt liegen.


    In den Jahren 1906 bis 1912 erschien Hamsuns Wandertrilogie, in deren Zentrum ein Wanderer steht, der sich nicht binden will, bestehend aus Under Høststjærnen (Unter Herbststernen, 1906), En Vandrer spiller med Sordin (Gedämpftes Saitenspiel, 1909) und Den Siste Glæde (Die letzte Freude, 1912). Dies waren die letzten in der Ich-Form geschriebenen Werke. (letzter Abschnitt bei Wikipedia kopiert)


    AUTOR :
    Knut Hamsun (gebürtig Knud Pedersen, * 4. August 1859 in Garmo/Garmostrædet bei Lom oder in Vågå, Fylke Oppland, Norwegen; † 19. Februar 1952 in Nørholm bei Grimstad) war einer der bedeutendsten norwegischen Schriftsteller des frühen 20. Jahrhunderts. Er erhielt 1920 den Literaturnobelpreis für sein Werk « Segen der Erde », das 1917 als Markens Grøde in Norwegen erschienen war.


    Hamsuns Ruhm als Schriftsteller wird überschattet von seinem aktiven Eintreten für den Nationalsozialismus. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er zu einer hohen Geldstrafe wegen Kollaboration mit den deutschen Besatzern verurteilt.


    1875, mit sechzehn Jahren, begab sich Hamsun auf Wanderschaft durch Norwegen, um das Land kennenzulernen. Er arbeitete als Hafenarbeiter, fahrender Händler und Gemeindeschreiber. Seine ersten literarischen Versuche unternahm Hamsun 1877. 1882 wanderte Hamsun in die USA aus. Dort arbeitete er unter anderem als Straßenbahnschaffner in Chicago, Farmarbeiter, Handlungsgehilfe und Sekretär. 1885 kam er, an einer schweren Lungenentzündung erkrankt, nach Norwegen zurück. Nach seiner Genesung versuchte er kurze Zeit, als Journalist in Oslo (damals Kristiania) zu arbeiten, reiste aber 1886 erneut in die USA, wo er unter anderem Zeitungsartikel schrieb. 1888 kehrte er nach Norwegen zurück.


    Der 1890 erschienene Roman Sult, in der deutschen Übersetzung Hunger, brachte ihm erste literarische Anerkennung. In den nächsten Jahren lebte er für mehrere Jahre in Paris und unternahm danach ausgedehnte Reisen in verschiedene Länder (Finnland, Russland, Türkei, Persien).


    Er starb 92-jährig auf Nørholm, in dessen Garten auch seine Urne beigesetzt wurde.


    Hier als Reproducktion der Originalausgabe :
    Taschenbuch: 230 Seiten
    Verlag: Nabu Press (8. April 2012)
    Sprache: Deutsch
    ISBN-10: 1279735570
    ISBN-13: 978-1279735572

  • Hier als erster Roman der Trilogie « Der Wanderer » (zahlreiche Ausgaben, auch zeitgenössische im DTV-Verlag!)) :


    Einband : Leinen
    Verlag: München. Langen-Müller. 1933. (1933)
    ASIN: B003BM4JK6

  • Dieser Suche nach Zurückgezogenheit zu Beginn des letzten Jahrhunderts habe ich in der Autobiographie von Gudrun Pausewang erstmals erlebt, deren Eltern auf dem Gebiet des heutigen Tschechien einen Selbstversorgerhof aufbauten. Seitdem lese ich solche Geschichten gerne. Durch die Naturbeschreibungen, die Du erwähnst, wird man beim Lesen auch häufig selbst entschleunigt.
    Das mag ich z.B. bei Hesses "Unterm Rad" sehr gerne, das Erzählen über das Leben auf dem Dorf und mit der Natur.
    Ich werde mir das Buch merken.

  • Seitdem lese ich solche Geschichten gerne

    Na dann könnte Dir "Segen der Erde" gut gefallen.
    Der Roman ist ein Appell an das ursprüngliche, mit der Natur verwurzelte, bäuerliche Leben. Das produktive, naturverbundene Leben wird glorifiziert, die städtischen, zivilisatorischen Errungenschaften machen den Menschen nicht glücklich. Und so schwarz-weiss die Botschaft vermittelt wird, so einfach und unprätentiös ist auch die Schreibstil. Nicht nur mir hat das Buch nicht sooo zugesagt, Halldor Laxness schrieb mit "Sein eigener Herr" einen Gegenentwurf. Letzteres liegt leider noch immer auf meinem SUB, obwohl es sicherlich spannend ist, die beiden Weltbilder miteinander zu vergleichen...

  • Danke für Eure Beiträge!


    In "Segen der Erde" ist die Suche nach Abgeschiedenheit eine, die zur "Eroberung und Urbarmachung" in abgelegener Gegend führt und die Hauptperson als relativ seßhaft und stabil zeigt. Eine "Kraft der Natur".


    Hier in der "Wanderertrilogie" ist die Suche nach Abgeschiedenheit ähnlicher einer Flucht in die Seßhaftlosigkeit, einer Unbehaustheit und Bindungslosigkeit. Insofern würde ich sie mehr in die "Wanderertradtion" hineinordnen (wenn so etwas denn sein muss?), die eher der Romantik zueigen war...


    Öh, unbeholfene Überlegungen eines Laien.

  • @tom leo und @Nungesser:
    Ist "Segen der Erde" eventuell mit "Walden" von Thoreau zu vergleichen?
    Das hatte ich mal begonnen, aber nie beendet.


    Und bei Wandererliteratur aus der Romantik fällt mir "Aus dem Leben eines Taugenichts" ein, was ich ganz gern mochte.
    Allerdings scheint mir die "Wandertrilogie" nicht wie Eichendorff leichtfüßig daher zu kommen, sondern eher melancholisch?

  • Und das Original: Under Høststjærnen
    Hier leider nur schwedisch, deshalb seht hier:
    https://bokelskere.no/bok/under-hoeststjaernen/85126/

    :study: Ich bin alt genug, um zu tun, was ich will und jung genug, um daran Spaß zu haben. :totlach: na ja schön langsam nicht mehr :puker:

  • Öh, unbeholfene Überlegungen eines Laien.

    Vielen Dank für Deine Überlegungen! Tatsächlich waren die Schlagworte "Zurückgezogenheit" und "Selbstversorgerhof" in @SiriNYCs Kommentar der Anlass, "Segen der Erde" zu nennen, weniger die Sesshaftigkeit / Wandererliteratur.
    Bei "Sesshaftlosigkeit" und "Bindungslosigkeit" fiele mir dann Hamsuns "Landstreichertrilogie" ein. Ich denke mal, in Hamsuns Büchern wird generell das Bodenständige gepriesen, das Leben im Einklang mit der Natur, und Hochmut ist für seine Protagonisten die grösste Gefahr; Armut, Krankheit und sonstige Rückschläge sind für "Personen mit Bodenhaftung" ertragbare Schicksalsschläge...
    Thoreaus "Walden" ist stilistisch komplett anders als irgendetwas von Hamsun, soweit ich mich erinnern kann. Aber ja, die Thematik, sich auf die Verbundenheit mit der Natur zu konzentrieren, und den Luxus Luxus sein zu lassen, ist den beiden Büchern gemeinsam.

  • Wieder interessante Gedanken...

    Tatsächlich waren die Schlagworte "Zurückgezogenheit" und "Selbstversorgerhof" in @SiriNYCs Kommentar der Anlass, "Segen der Erde" zu nennen, weniger die Sesshaftigkeit / Wandererliteratur.
    Bei "Sesshaftlosigkeit" und "Bindungslosigkeit" fiele mir dann Hamsuns "Landstreichertrilogie" ein. Ich denke mal, in Hamsuns Büchern wird generell das Bodenständige gepriesen, das Leben im Einklang mit der Natur, und Hochmut ist für seine Protagonisten die grösste Gefahr; Armut, Krankheit und sonstige Rückschläge sind für "Personen mit Bodenhaftung" ertragbare Schicksalsschläge...
    Thoreaus "Walden" ist stilistisch komplett anders als irgendetwas von Hamsun, soweit ich mich erinnern kann. Aber ja, die Thematik, sich auf die Verbundenheit mit der Natur zu konzentrieren, und den Luxus Luxus sein zu lassen, ist den beiden Büchern gemeinsam.

    Einige kleine Kommentare: Auch hier ist beim Ich-Erzähler Knud (also Hamsun!) das Bemerken der eigenen Hochmut, der Eitelkeit eine Art Gefahr. Er wird sich dessen bewußt, drückt es hier und da in Worten aus.


    Sicher würde man Walden und den "Segen" der Erde" in eine verwandte Kategorie stecken: Naturverbunden, mÔgliche Bindungslosigkeit, eine gewisse Abgeschiedenheit...


    Leider liegen diese beiden Lektüren wirklich lange zurück, aber ich behalte als Nachgeschmack, dass
    - der Protagonist von "Segen der Erde" aus einer gewissen existenziellen Notwendigkeit in das frei zur Verfügung stehende Land zieht, übers Moor hinweg (Wahnsinnsbeschreibung auf den ersten Seiten...) Es ist weniger eine Marotte oder ein Blitzeinfall, oder eine vergeistigte Entscheidung oder ein Beweis einer ideologischen These.


    - bei Walden - okay, ich hänge mich da ganz weit aus dem Fenster, da er so unbeschränkt geliebt wird... - sehe ich viel mehr jemanden, der mal was ausprobieren will. Es sich und anderen zeigen will. Und - vielleicht erinnere ich das auch falsch - im Hintergrund steht immer die Möglichkeit, wieder in die sichere "Welt" zurückzuziehen. DAS ging mir zB bei "In den Wäldern Siberiens" von Tesson auch etwas auf den Wecker, obwohl so viele von dem Buch schwärmten.