Dieser dunkle Weg zur Gnade
"This Dark Road to Mercy" heißt das Buch im englischen Original, also "Dieser dunkle Weg zur Gnade". Und tatsächlich erwartet den Leser eine Art Roadtrip durch den Südosten der USA: die verzweifelte Flucht des gescheiterten Baseballstars Wade Chesterfield, der seine beiden kleinen Töchter nach dem Drogentod ihrer Mutter aus dem Kinderheim entführt, um ihnen endlich der Vater zu sein, der er nie war. Dumm nur, dass er aus den besten Absichten eine fatal falsche Entscheidung getroffen hat, die ihn jetzt buchstäblich quer durchs Land verfolgt.
Ein Auftragskiller, der auch noch seine ganze eigene Rechnung mit Wade zu begleichen hat, jagt der kleinen Familie hinterher, so hartnäckig und unerbittlich wie ein Bluthund. Es gibt Tote, jede Menge kleine und große Kriminelle, einen ehemaligen Cop, dessen Leben zerstört wurde, als er den Tod eines Jugendlichen verschuldete... Und dennoch ist das Buch in meinen Augen kein Thriller.
Es ist mal düster, brutal und spannend, mal leise melancholisch, traurig oder bewegend, aber es geht in meinen Augen immer ums Zwischenmenschliche, um enttäuschte Hoffnungen, zerbrochene Träume, aber auch um Liebe, Vergebung, Neuanfang - und ja, Gnade. Über weite Strecken lebt das Buch nicht so sehr von dem, was gerade passiert, sondern von der Atmosphäre und den Gedanken der Charaktere, die sich ohne große Worte im Stillen weiterentwickeln.
Obwohl das Buch nicht auf die gleiche Art spannend ist wie ein Psychothriller oder auch nur ein Krimi, fand ich die Geschichte ungemein fesselnd. Ein wenig ermüdend war für mich lediglich, dass es wirklich sehr oft und sehr ausführlich um Baseball geht - andererseits gehört das wohl einfach dazu zu diesem heißen amerikanischen Sommer und zum Lebensgefühl der Menschen, die Wiley Cash hier beschreibt. Die Geschichte hat etwas Zeitloses, Archetypisches, und dennoch fand ich sie nicht abgedroschen, sondern originell erzählt.
Ein paar Worte zu den wichtigsten Charakteren:
Easter ist erst 12 Jahre alt, aber sie kümmert sich schon seit Jahren um ihre kleine Schwester Ruby - sie kocht ihr Essen (wenn welches im Haus ist), passt auf, dass sie die Hausaufgaben macht und früh genug ins Bett geht, und sorgt vor allem dafür, dass Ruby möglichst wenig darunter leidet, dass die Mutter nur selten aus dem Drogenrausch erwacht. Bis die das eines Tages dann gar nicht mehr tut.
Die Geschichte wird zum Teil von Easter erzählt. Meiner Meinung nach erfordert ein kindlicher Erzähler von einem Autor viel Feingefühl, aber Wiley Cash ist es hier gut gelungen. Easter erzählt ruhig und altklug und ist dennoch eine glaubhafte und liebenswerte Kinderstimme.
Ich hätte erst nicht erwartet, dass der Autor es schaffen würde, mir Verständnis für Wade abzuringen, denn der hat seine Kinder wirklich unsäglich im Stich gelassen. Aber natürlich steckt auch dahinter mehr, als auf den ersten Blick offensichtlich ist, und ich war am Schluss sehr beeindruckt davon, wie Wiley Cash es schafft, Wades Fehler nicht zu beschönigen, ihn aber dennoch als komplexen Menschen mit guten und schlechten Eigenschaften zu zeigen.
Überhaupt sind die meisten der Charaktere keine Helden, die meisten davon sind aber nicht ausschließlich gut oder ausschließlich böse. Nur den Auftragskiller fand ich ein wenig einseitig, denn der hat zwar Gründe dafür, dass er Wade hasst, begeht aber auch manche seiner blutigen Taten, obwohl sie ihn seinem Ziel gar nicht näher bringen oder unnötig grausam.
Brady Weller, der gesetzliche Vormund der beiden Mädchen, war für mich vielleicht die sympathischste Figur, denn er handelt nicht aus Eigennutz, sondern aus Sorge um das Wohlergehen der Kinder. Eine einzige Fehlentscheidung vor ein paar Jahren hat einen Jugendlichen das Leben gekostet, und das hat Bradys Ehe und seine Karriere als Cop zerstört und auch die Beziehung zu seiner Tochter sehr schwierig gemacht, voller Schuldgefühle und Konflikt.
Mit Brady und Wade zeichnet der Autor das Bild zweier sehr unterschiedlicher Väter, die beide nicht perfekt sind, die beide schwerwiegende Fehler begangen haben, und die dennoch beide ihre Töchter lieben. Das Thema Elternliebe und Vergebung zieht sich wie ein Leitmotiv durchs ganze Buch, und es endet mit der Frage, ob Recht und Gerechtigkeit immer dasselbe sind.
Der Schreibstil hat mir sehr gut gefallen. Oft ist er eher einfach, vermittelt aber trotzdem ganz viel Atmosphäre und wird manchmal sogar poetisch, bleibt dabei aber immer unprätentiös .
Fazit:
Die Mutter von Easter und Ruby erwacht eines Tages nicht mehr aus ihrem Drogenrausch und die Kinder kommen ins Heim. Von ihrem Vater Wade erwarten sie sich nichts, denn der hat vor ein paar Jahren auf sein elterliches Sorgerecht verzichtet und sich seitdem nicht mehr blicken lassen. Aber eines Tages ist er da und nimmt sie einfach mit, und damit beginnt eine wilde Hatz quer durch den Südosten der USA, denn Wade ist auf der Flucht.
Es ist schwer, das Buch zu beschreiben. Ein Thriller ist es nicht (trotz Auftragkiller und Verfolgungsjagd), eher ein Familiendrama, ein Roadtrip, eine Geschichte über das Erwachsenwerden und die Vergebung. Das ist auf eine ganze eigene Art spannend, und die Charaktere fand ich glaubhaft, vielschichtig und überzeugend. Auch der meist eher ruhige, bodenständige Schreibstil passte sehr gut zur Geschichte.
Für meinen Geschmack nahm allerdings der Nationalsport Baseball einen etwas zu großen Platz in der Geschichte ein, denn darüber wird wirklich extrem viel und ausführlich gesprochen! Dennoch ist das Buch für mich eine Leseempfehlung.