Keri Smith - Mach dich auf / The Wander Society

  • Autorin: Keri Smith
    Übersetzerin: Astrid Gravert
    Verlag: Kunstmann
    Seiten: 176


    Klappentext:
    Mach dich auf, Tag für Tag, auf einen Weg, der kein Ziel hat, aber zu etwas führen wird.... Sich treiben lassen, die Bewegung genießen, die Umgebung aufmerksam wahrnehmen, sich auf sich selbst besinnen, tief durchatmen und sich einmal ausklicken aus den Anforderungen des Alltags. Auf diesen Weg führt dich die geheimnisvolle Organisation der du in diesem Buch begegnest: JOINT THE WANDER SOCIETY!


    Um was es eigentlich geht:
    Es geht um die geheimnisumwobene "Wander Society", deren Mitglieder sich nicht kennen, sich nicht treffen, sich nicht outen. Sich aber durch verschiedene Zeichen gegenseitig auf sich aufmerksam machen. Ein Blitz in einem Kreis ist das Grundzeichen des WANDER SOCIETY.
    Der amerikanische Dichter Walt Whitman wird fast als Gründer gefeiert. Dumm nur, dass er schon 1892 starb, während es die wander society erst seit 2011 gibt.
    Man könnte sagen, dass es hier um Achtsamkeit geht, die aber sehr mystifiziert wird.
    Am Ende gibt es noch ein Kapitel mit praktischen Tipps. ZB wie man ein Notizheft bastelt, sich einen Pulswärmer strickt oder sich ein Abzeichen mit einem Blitz bastelt.
    In Fußnoten schreibt die Autorin Anmerkungen zu dem, wie sie das jeweilige selbst erlebt hat.


    Meine Meinung:
    Fangen wir mit dem Positiven an. Das Buch ist wunderschön gestaltet. Der gelbe Rand ist aus Leinen, das Papier scheint Umweltpapier zu sein. Es fühlt sich jedenfalls gut an. Und die Bilder im Buch sind wirklich schön.
    Das war es dann auch leider schon, was ich an Positivem sagen kann.
    Ich habe seit langem nicht mehr so ein schlechtes Buch gelesen. Dabei habe ich mich wirklich drauf gefreut, da ich viel spazieren gehe.
    Das hier erscheint mir alles sehr sektenmäßig.
    Ich will im Folgenden versuchen näher darauf einzugehen. Die Zitate stammen so aus dem Buch.


    Wandern bedeutet hier im gegenwärtigen Moment zu sein, die alltägliche Probleme hinter dir zu lassen, aber auch "durch ein geheimes Tor in eine andere Bewusstseinsebene" zu treten. "Die Zeit fließt, dein Geist öffnet sich. Du bekommst eine Menge magischer Erfahrungen geschenkt - Erfahrungen, die nur für dich bestimmt sind." Es bedeutet, sich "der Gesellschaft zu widersetzen" und "die Welt zu retten". Okey...


    Zwischen durch schreibt sie Sachen, die man eindeutig unter "achtsam sein" verbuchen kann und die wirklich schön sind. "Etwas bestimmtes zu suchen und etwas anderes zu finden . [...] Ein Buch, das im Regal neben dem steht, das du gesucht hast." Aber dann kommt sie wieder mit dem Mystischen. "Wandern verändert tatsächlich unser Bewusstsein. Wenn du kontinuierlich wanderst, wirst du irgendwann Zugang zu diesem erweiterten Bewusstseinszustand erlangen. Du wirst in der Lage sein, die Verbundenheit aller Lebenden zu erfahren." Sie meint hier scheinbar mehr als die normale Achtsamkeit. Sie redet vom "kosmischen Bewusstsein". "Oft wird das [Wandern] von einem "elektrischen" Gefühl begeleitet, als ob deine Moleküle mit höchster Frequenz schwingen. Vielleicht möchtest du am liebsten loslaufen und schreien." Verzeiht die unsachliche Bemerkung, aber ja, beim Lesen dieses Buches wollte ich ziemlich oft schreiend davon laufen.


    Dann fordert sie einen auf, nicht mit anderen über das Wandern zu reden, wenn sie das nicht hören wollen, da viele dafür nicht offen seien.
    Also ich habe mich immer wieder gefragt: Ist das in Amerika wirklich so ein großes Ding? Ich kam darauf, weil ich mal gelesen habe, dass man in Amerika komisch angesehen wird, wenn man zu Fuß läuft. Aber hier in Deutschland ist Wandern doch das normalste der Welt. Haben wir Europäer das nicht erfunden? ;)
    Es ist doch auch völlig normal, dass man die Natur genau wahrnimmt, wenn man wandern geht. Ich war heute morgen im Wald. Der Frühling spießt, die Vögel singen, die Sonne schien - natürlich habe ich Ruhe und Freude empfunden und Dankbarkeit, wie toll doch unsere Welt sein kann. Sie dagegen nennt meine gerade aufgezählten Sachen "Gipfelerlebnisse". Sie macht ein riesiges Ding aus den normalsten Sachen. Bzw diese ganze WanderSocity scheint ein riesiges Ding daraus zu machen.
    Verteilen Zettel in der Stadt, um auf ihre Bewegung aufmerksam zu machen. Unter den praktischen Tipps wird auch erklärt, wie man selber so einen Zettelkasten baut.


    Was mich auch ziemlich geärgert hat, dass sie alles Elektronische schlecht macht und dabei alle über einen Kamm schert.
    Die Bewegung sei überhaupt erst als Gegenbewegung zu unsere Gesellschaft entstanden. Interessant, dass als berühmte Mitglieder aber lauter Tote aufgezählt werden. Aber dazu weiter unten mehr.
    Sie schreibt zB, wenn wir unsere freie Zeit mit Elektronik ausfüllen, werden wir nie unsere innere Stimme hören. "Wir erfahren nicht, wer wir sind, weil wir nicht hinhören." (S. 31)


    "Unsere Intuition sendet uns häufig Botschaften, die gesellschaftlichen Normen zuwiederlaufen. An einem heißen Tag sehnst du dich vielleicht danach, nackt in einem See zu baden. Solche Sehnsüchte werden dir verrückt und überspannt vorkommen." Auch hier denke ich: Wo liegt ihr Problem?! Also ich bin kein Nacktbader, aber frag mich trotzdem, warum das jemandem verrückt und überspannt vorkommen soll? Und kann dabei nur wieder denken: Ok, ist das wieder ein amerikanisches Problem? Dann frag ich mich aber, was wir in Deutschland dann mit dem Buch anfangen sollen? Ernsthaft.


    Dann folgt ein Kapitel, wie man die Geister anderer großer Wandere und Denker herbeirufen kann.... Ich sag generell nichts dagegen, wenn jemand daran glaubt. Aber dann soll das Buch doch bitte so gekennzeichnet sein. Wenn man den Klappentext liest, kommt man doch nicht drauf, dass es so dermaßen esoterisch ist.


    Dann folgt eine Liste mit anderen Wanderen. Ich vermute mal, dass die meisten sich "bedanken" würden, ungefragt in diese WanderSociety aufgenommen worden zu sein. Aufgenommen wurde jeder großer Denker, der gerne spazieren gegangen ist. Bei Aristoteles angefangen, Ludwig Wittgenstein, Viginia Woolf, George Orwell, Charles Dickens, Oscar Wilde, Hermann Hesse usw. . 14 Seiten mit berühmten Namen. Das macht sich natürlich gut, sich mit diesen Namen zu schmücken. Mich dagegen macht es echt ärgerlich. Vielleicht ist es Keri Smith entgangen, dass es vor 110 Jahren noch keine Autos gab und man daher zwangsläufig viel laufen musste.
    Nur die wenigstens der aufgezählten Persönlichkeiten leben noch. Und zumindest bei einem, nämlich bei dem Mönch Thich Nhat Hanh, kann ich sagen: Mrs Smith hat seine Werke nicht verstanden. Oder nicht gelesen.


    Dann folgen ein paar Tipps zur Geheimhaltung. Denn "die Gesellschaft hat kein Verständnis". "Niemand braucht etwas über deine Wanderungen zu wissen." Man soll zB Kleidung in gedeckten Farben anziehen.
    Darunter ist ein Zitat von Virgina Woolf gesetzt, aus ihrem Roman Mrs Dalloway, die sich am liebsten unsichtbar gemacht hätte. Wieder so was, was mich total ärgert, weil das Zitat völlig aus dem Kontext gerissen ist. Die Hauptfigur Mrs Dalloway hat nämlich eine Menge psychischer Probleme. Das hat doch überhaupt nichts mit dem Wandern zu tun, wenn sie sich unsichtbar machen will.


    Ich kann hier nur einen Stern vergeben und der gilt allein der Aufmachung und Gestaltung des Buches. :bewertung1von5:

  • der gilt allein der Aufmachung und Gestaltung des Buches.

    :-k Der Antje-Kunstmann-Verlag, in dem das von Dir gescholtene Buch erschienen ist, zeichnet sich normalerweise durch ausgewählte und handwerklich besonders schön gestaltete Bücher aus. Da ist wohl ein faules Ei dazwischen geraten. :|


    Danke für die Warnung, @Smartie. Ich finde es gut, wenn auch zu Büchern, die man nicht mag, Rezensionen geschrieben werden. :thumleft:

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • :-k Der Antje-Kunstmann-Verlag, in dem das von Dir gescholtene Buch erschienen ist, zeichnet sich normalerweise durch ausgewählte und handwerklich besonders schön gestaltete Bücher aus. Da ist wohl ein faules Ei dazwischen geraten. :|
    Danke für die Warnung, @Smartie. Ich finde es gut, wenn auch zu Büchern, die man nicht mag, Rezensionen geschrieben werden. :thumleft:

    Ich tat mich auch so schwer mit der Rezi, weil ich dem Verlag eigentlich nicht schaden will.
    Aber das Buch ist echt gruselig und ich habe mich beim Lesen die ganze Zeit nur gefragt, wie der Verlag dieses Buch aussuchen konnte. Vielleicht weil Keri Smith ja so bekannt ist mit ihren "Mach das Buch fertig".