Hanya Yanagihara - Ein wenig Leben / A Little Life

  • Über die Autorin (lt. Klappentext):
    Hanya Yanagihara, 1975 geboren, ist eine US-amerikanische Schriftstellerin und Journalistin. Sie ist Redakteurin beim Stilmagazin T der New York Times.


    Über den Übersetzer (lt. Klappentext):
    Stephan Kleiner, geboren 1975, lebt als freier Lektor und Übersetzer in München. Zu den von ihm übersetzten Autoren zählen T.C. Boyle, Keith Gessen, Chad Harbach, Michel Houellebecq, Marlon James, Tao Lin, Hilary Mantel, Josh Weil und Meg Wolitzer


    Über das Buch:
    Eine Herzenssache von mir ist es eine Trigger Warnung vorneweg zu geben. Die entsprechend Gewarnten werden wissen, was es zu heißen hat.
    In dem Buch geht es um die Freundschaft vierer Männer, die sich im College kennenlernen und ein Zimmer teilen. Da wäre Malcolm, der als Architekt versucht Fuß zu fassen. Dann JB, der als Künstler seinen Weg gehen wird. Er wird wunderbare und sehr erfolgreiche Bilder von seinen Freunden malen. Willem, der Schauspieler ist. Und die wichtigste Person im Buch ist der charismatische Jude St. Francis, der als Anwalt Erfolg haben wird. Die Geschichte spielt hauptsächlich in New York.


    Meine Meinung:
    Meine Neugierde wurde gepackt als der Hanser Verlag ziemlich begeistert dieses Buch ankündigte. Man spürte regelrecht wie sie am liebsten jedem das Buch in die Hände drücken wollten und ich fragte mich, was da eigentlich dran sein soll.
    Ich ging erst recht kritisch an das Buch heran. Warum sollte ich mich für vier sehr erfolgreiche junge Männer interessieren? Das klang doch eher anfänglich, wie die Lebensgeschichten von Yuppies. Und da bekomme ich das große Gähnen. Im Laufe der Lektüre wurde ich allerdings mitgerissen. Man erfuhr so vieles über die vier, vor allem über Jude, was einem schier die Luft wegnahm. Ich konnte das Buch gar nicht mehr aus den Händen legen, weil ich unbedingt wissen wollte wie es weitergeht. Was da noch alles passiert. Und wie es endet.
    Ein Teil warum die Lektüre funktioniert ist, dass Yanagihara sehr bewusst den Leser manipuliert. Dagegen kann man sich sperren, aber auch einfach nur darauf einlassen. Und dann erlebt man ein richtig gut gemachtes Buch, das den Leser in allen Höhen, aber auch unglaubliche Tiefen mitnimmt. Denn es geht auch um Missbrauch, den Jude in seiner Kindheit erfahren musste. Im Laufe des Lesens werden langsam immer mehr Informationen darüber gegeben. Klar wird damit eindeutig mit den Gefühlen des Lesers gespielt, aber ich konnte nicht anders, ich litt mit.
    Die Freundschaft der vier Männer berührte mich sehr. Ich litt mit ihnen, ich lachte mit ihnen, ich lebte fast mit ihnen. Was ich dann noch alles über Jude erfahren hatte, ließ mich dann teilweise auf Unverständnis stoßen, bis ich langsam hinter seine Denkweise kam. Wer bin ich, ihn zu verurteilen?
    Ja, mich hat das Buch begeistert. Ich habe es verschlungen und wäre tatsächlich froh gewesen, wenn ich während der Lektüre meine Gedanken hätte mit jemand teilen können.
    Noch etwas, ich habe während des Lesens noch nicht einmal darüber nachgedacht, dass es auch um Homosexualität gegangen ist, einfach weil es mir absolut egal ist, ob jemand Homosexuell oder Hetero ist. Wie ich durch die Nachfrage von einer Userin hier gelernt habe, wurde das zu einem Kritikpunkt an dem Buch. O.k., mir wäre es entgangen. Ich habe ein Buch über Freundschaft, Liebe und Missbrauch gelesen. Über das was man mal war und was man ist, was Freundschaft leisten mag und wo ihre Grenzen sind. Über die Frage, wer man ist und wo der Sinn darin besteht zu leben. Ein hinreißendes Buch, das polarisieren wird.


    Noch ein paar Worte zu dem Cover. Ich erlaube mir von der Seite des Verlages zu zitieren, da es recht viel ist spoiler ich dann lieber:


    Ich gestehe, dass ich das Bild erst ziemlich unpassend fand. Das änderte sich allerdings im Laufe meiner Lektüre.

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


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  • Danke für das Zitat zum Cover, ich muss nämlich gestehen, dass ich mich auch darüber gewundert habe. Aber es ist auf jeden Fall auffällig.


    Was das Thema Homosexualität angeht: In den USA wurde das Buch wohl auch unter dem Aspekt "Great Gay Novel" (also wichtige schwule Literatur) besprochen, zB hier - und hat dadurch einige, zum Teil heftige Kritik homosexueller Leser auf sich gezogen. Zum einen, weil es von einer Frau geschrieben wurde, zum anderen, weil es schwule Männer mal wieder leiden lässt.
    (Ich habe das Buch nicht gelesen, ich zitiere hier nur die Kritik anderer, um den Punkt ein wenig zu erklären.)

    "Selber lesen macht kluch."


    If you're going to say what you want to say, you're going to hear what you don't want to hear.
    Roberto Bolaño

  • Was das Thema Homosexualität angeht: In den USA wurde das Buch wohl auch unter dem Aspekt "Great Gay Novel" (also wichtige schwule Literatur) besprochen, zB hier - und hat dadurch einige, zum Teil heftige Kritik homosexueller Leser auf sich gezogen. Zum einen, weil es von einer Frau geschrieben wurde, zum anderen, weil es schwule Männer mal wieder leiden lässt.

    Aus diesem Blickwinkel gesehen, dürfte man wohl das Buch tatsächlich nicht mögen.


    Ich glaube, dass die Erwartungen im Vorfeld recht hoch geschürt werden. Im Grunde ist es ein wirklich sehr gut (!) gemachter Unterhaltungsroman und hat nicht den Anspruch hohe Literatur zu sein. (Frau Yanagihara möge es mir an der Stelle verzeihen :uups: ). Durch die vielen Cliffhanger, Aha-Erlebnisse, schockierende Geständnisse und Einblicke, durch die berührende Darstellung der Freundschaft liest man das Buch tatsächlich gern oder gerade deshalb sehr gerne. Die Protagonisten schließt man schnell in sein Leserherz und will unbedingt wissen, wie es mit ihnen weitergeht. Ich habe übrigens am Ende des Buches eine Menge Tränen vergossen. Das ist auch nicht gerade üblich bei mir, aber es ging mir halt so zu Herzen :pale: (In meinem Fall also Ziel erreicht Frau Yanagihara :wink: )

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  • Ein YouTuber hat von dem Buch geschwärmt und nun ist es auf meiner Wunschliste. Ich glaube das Buch ist genau das richtige für mich. :D

    :study: Die Unmöglichkeit des Lebens (Matt Haig) 180 / 412 Seiten

    :study: It's okay not to be okay (mehrere Autoren) 180 / 320 Seiten


    SUB: 855

  • Autorin: Hanya Yanagihara
    Titel: Ein wenig Leben
    Seiten: 960
    ISBN: 978-3-446-25471-8
    Verlag: Hanser Berlin
    Übersetzer: Stephan Kleiner


    Autorin:
    Hanya Yanagihara wurde 1974 in Los Angeles/Kalifornien geboren und ist eine US-amerikanische Journalistin und Autorin. Sie arbeitete als Redakteurin eines amerikanischen Reisemagazins, bevor sie stellvertretende Herausgeberin der Wochenbeilage T: The New York Times Stile Magazine wurde. Davor lebte sie in Maryland und Texas. Yanigaharas erster Roman erschien 2013. Ihr Roman "A little life" erschien 2015. Das 2017 im Deutschen erschienene Werk stand auf der Shortlist verschiedener Literaturpreise und wochenlang auf den Bestsellerlisten.


    Inhalt:
    "Ein wenig Leben" handelt von der lebenslangen Freundschaft zwischen vier Männern in New York, die sich am College kennengelernt haben. Jude St. Francis, brillant und enigmatisch, ist die charismatische Figur im Zentrum der Gruppe – ein aufopfernd liebender und zugleich innerlich zerbrochener Mensch. Immer tiefer werden die Freunde in Judes dunkle, schmerzhafte Welt hineingesogen, deren Ungeheuer nach und nach hervortreten. "Ein wenig Leben" ist ein rauschhaftes, mit kaum fasslicher Dringlichkeit erzähltes Epos über Trauma, menschliche Güte und Freundschaft als wahre Liebe. Es begibt sich an die dunkelsten Orte, an die Literatur sich wagen kann, und bricht dabei immer wieder zum hellen Licht durch. (Verlagstext)

    Rezension:
    Kein anderer Roman schafft es, das Leben seiner Leser so durcheinander zu wirbeln, so in Frage zu stellen, wie "Ein wenig Leben" von Hanya Yanagihara. Der Werbesatz des Hanser-Verlages: "Sie werden darüber reden wollen.", ist kein Gerede, sondern Programm. Nach Beenden der Lektüre wird man sein Leben, seine Freundschaften, seine Beziehungen hinterfragen wollen und nicht nur die der Protagonisten. Dabei beginnt alles recht harmlos.


    Wir begleiten vier Freunde, die sich auf den College kennengelernt haben über Jahrzehnte durch ihren Alltag. Erleben ihr privates Glück und ihre Fehlschläge, ihren beruflichen Werdegang und die kleinen Gemeinheiten des Alltags. so weit, so normal. Der Knall natürlich, erfolgt schnell und erwischt den Leser kalt. Jude, ein charismatischer junger Anwalt, ist die Hauptfigur des Romans, Fixpunkt des Vierergespanns. Alle anderen umkreisen ihn. Niemand kommt nah an ihn heran. Denn, Jude ist es auch, der eine tragische Vergangenheit vor seinen Mitmenschen verbirgt. seite für Seite erfährt der Leser darüber mehr, viel mehr als er wissen möchte, und sieht sich einer Abwärtsspirale ausgesetzt aus der es kein Entkommen gibt.


    Dicht ist die Abfolge der beschriebenen Ereignisse, erzählt aus den wechselnden Perspektiven der einzelnen Protagonisten. Feinfühlig geht Yanagihara mit ihren Figuren um, allesamt mit Ecken udn Kanten und einer tiefe, die man so manch anderen Roman wünschen würde Doch, es ist schwere Kost, welche die Autorin hier vorsetzt. Sensible Gemüter, die keine psychologischen Querelen aushalten können, sei die Geschichte nicht empfohlen. Wer sich aber auf sie einlässt, erlebt vielleicht mit eines der besten Werke der vergangenen Jahre.


    "Ein wenig Leben" erzählt so viel, dass man alles das bekommt, was man erwartet und noch eine ganze Portion mehr. Natürlich ist man ab und an genervt von den Protagonisten. Natürlich ist es unmöglich, dieses Buch in einem Rutsch zu lesen, ist man nicht gerade so gefühllos wie ein Teelöffel und natürlich wird dieser Roman nicht so schnell verdrängt werden können, zumal die erzählten fiktiven Ereignisse zu nahe gehen dürften aber diese Erfahrungen sind es schon wert, sich darauf einzulassen. Das gesammelte Elend trifft hier einen einzigen Menschen, der sich sein Leben lang nicht freimachen kann und doch ist es ein Text für eben dieses. Alleine, wer lebt wird triumphieren. Manchmal aber, will man diesen Sieg nicht haben. Aus guten Gründen.


    Hanya Yanagiharas Roman lässt uns unser Leben hinterfragen und sollte daher nur mit Beipackzettel verkauft werden. Entweder die Nebenwirkungen sind positiv und negativ. Persönlich gesehen finde ich, abgesehen von einigen Längen in den Kapiteln, ist der Autorin ein großartiges Meisterwerk gelungen. Wieder andere werden den Roman aufgrund seiner Dichte, Abfolge der Ereignisse, geschilderten Grausamkeiten womöglich hassen. Eben wie in unser aller wenig Leben.

  • Seit geschlagenen zwei Monaten lese ich dieses Buch nun schon (auf Englisch). Zwischendurch habe ich immer wieder zu einem anderen gegriffen. Man muss diesem Schinken mehr Zeit geben als die üblichen 50-100 Seiten, um rein zu kommen. Allein bis man die Charaktere auseinanderhalten kann, dauert es ein wenig.


    Tja, was soll man über dieses Buch sagen? Es ist eines der Besten der letzten Jahre.
    Auch wenn man während des Lesens so langsam eine Ahnung von dem bekommt, was Jude passiert ist, verschlägt es einem doch die Sprache. Und dann hätte man es lieber nicht wissen wollen.
    Mir persönlich macht das Buch regelrecht Angst. Denn es bringt mich tatsächlich dazu, mein eigenes Leben zu hinterfragen.
    So oder so, man wird die Geschichte nicht in einem Rutsch durchlesen und dann einfach ins Regal zurückstellen. Es sei denn, man ist ein Eisberg.


    Es ist ein sehr intensives Leseerlebnis. Und man möchte so gern darüber reden, sich über die Figuren aufregen wie man es auch manchmal über die eigenen, realen Freunde macht :wink: . Blöd nur, dass niemand in meiner Familie diesen Wälzer lesen will, so sehr ich es auch versuche, es ihnen schmackhaft zu machen :lol:


    Ich bin kein sehr emotionaler Leser. Das ein Buch aktiv eine Reaktion auslöst, passiert nur sehr sehr selten, aber in den letzten Tagen saß ich fassungslos und mit offenem Mund vor diesem Buch.
    Knapp 300 Seiten hab ich noch vor mir. Tränen sind nicht auszuschließen :-?


    Also auch ich kann "Ein wenig Leben" nur weiterempfehlen :pray:

  • Ich habe übrigens am Ende des Buches eine Menge Tränen vergossen. Das ist auch nicht gerade üblich bei mir, aber es ging mir halt so zu Herzen


    Also auch ich kann "Ein wenig Leben" nur weiterempfehlen

    Komme gerade vom Flohmarkt zurück und habe dieses Buch um 5 € ergattert, bin schon gespannt.

    :study: Ich bin alt genug, um zu tun, was ich will und jung genug, um daran Spaß zu haben. :totlach: na ja schön langsam nicht mehr :puker:

  • ich habe das Buch in der Bibliothek vorbestellt. Bin sehr gespannt darauf :lechz: Die Rezensionen und Meinungen sind vielversprechend.

    2024: Bücher: 192/Seiten: 85 419

    2023: Bücher: 189/Seiten: 73 404

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    Mein Blog: Zauberwelt des Lesens
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    "Das Nicht-Wahrnehmen von Etwas beweist nicht dessen Nicht-Existenz "

    Dalai Lama

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    Lese gerade:

    Reimer, David - Transfer. Erstkontakt

  • Ich habe es gelesen.
    Schon lange hat mich ein Roman nicht so gefangen genommen, wie "Ein wenig Leben". Es hat meine Gedanken und meine Gefühle beherrscht,
    zum Glück waren es sehr viele Seiten, die ich ausnahmslos genießen konnte, jede Einzelne. :drunken:


    Das Buch ist wunderbar geschrieben: zum Teil eindringlich, zum Teil poetisch, sehr detailliert, was mich bei diesem Roman erfreut hat. (bei vielen anderen mag ich es nicht so gerne, denn das kommt auf das Können des Autors an) So konnte ich in die Welt von der Protagonisten eintauchen, und alles nachempfinden können: Die Wärme, die Liebe, die Freundschaft, das Trauer und so vieles mehr. Ich habe geweint, gelitten und auch gelacht: Eine ganze Palette von Emotionen durfte ich beim Lesen durchleben. So mag ich es am liebsten. O:-)


    Was für ein tolles Leseerlebnis, :love: auch wenn der Stoff sehr schwer verdaulich war und stellenweise mich so traurig stimmte, dass ich Schwierigkeiten hatte weiter zu lesen, dennoch liebte ich es.


    Die Charaktere waren hervorragend gezeichnet, so dass die, während des Lesens, beinahe zum Leben erweckt sind.


    Wie man es sieht, ich bin von diesem Roman restlos begeistert.
    Für mich ein Highlight des Jahres. :thumleft: Hätte ich ein Sternchen mehr, würde ich es diesem Buch mit Freuden geben. So sind es :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::applause:

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  • Auch mich hat das Buch emotional gefangen genommen und lange Zeit noch beschäftigt. Zum einen natürlich vor allem, weil einem Jude sehr nahe kommt und man gar nicht anders kann, als mit ihm zu fühlen und das über viele hundert Seiten. Da schließe ich mich meinen Vorrednern gerne an. Zum anderen aber auch deshalb, weil ich bisher noch keine befriedigende Antwort darauf bekommen habe, warum alle in dem Buch vorkommenden Personen um Jude herum ausnahmslos extrem erfolgreich und mit einer schier grenzenlosen Nächstenliebe gesegnet sind. Hat euch das nicht auch gewundert oder im Verlauf zunehmend genervt? Dass die Autorin über eine hervorragende Beobachtungsgabe und ein großes psychologisches und sprachliches Feingefühl verfügt, ist unumstritten. Wieso also fehlen da die Zwischentöne? Im Klappentext wird der Roman auch als "Märchen" bezeichnet. Anfangs hat mich das gewundert, aber irgendwann bin ich dazu übergegangen, das Buch so zu lesen und nicht alles zwingend einer Realitätsprüfung zu unterziehen. Unter dieser Prämisse konnte mich das Buch begeistern und war mir trotz allem am Ende :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb: wert!

    :montag: Judith Hermann - Daheim


    "Sehnsucht nach Liebe ist die einzige schwere Krankheit, mit der man alt werden kann, sogar gemeinsam."
    (Bodo Kirchhoff: Die Liebe in groben Zügen)


  • Ich habe das Buch eben beendet und muss jetzt nicht alles wiederholen, was Ihr schon geschrieben habt.

    Das Buch hat mich angerührt wegen seiner Grundthemen: es geht um Liebe und Freundschaft und Mensch-Sein.

    Und das wird hier etwas anders gesehen, als man das gewohnt ist. Vor allem Liebe wird hier sehr weit gefasst und

    als zwingender Bestandteil des Mensch-Seins gesehen: irgendwo dazu zu gehören.

    Als Schwulen-Roman habe ich das keine Seite lang gelesen; der Begriff greift entschieden zu kurz.


    Da nimmt einer das Recht für sich in Anspruch, nicht "repariert" werden zu wollen, sondern so zu sein, wie er ist. Und

    auf einmal greifen Begriffe wie Psychopath, Soziopath oder sonstige Bezeichnungen für Abweichungen nicht mehr.

    mit einer schier grenzenlosen Nächstenliebe

    Ja, das hat mich auch befremdet.

    Und ich hätte auch gerne gewusst, wieso sie ihm so selbstlos dienen. Was ist es an Jude, dass er so

    viele und so gute Freunde hat? Worin liegt sein Charisma?


    Und mich hat auch einiges genervt. Die nicht endende Aufzählung der Zusammenkünfte und wer alles da war -

    die ebenso langen und sich wiederholenden Krankheitsgeschichten - und die Wendung "Es tut mir so leid" will ich das ganze Jahr nicht mehr hören,

    da habe ich während der letzten Kapitel direkt aufgejault.

    Das war mir zu viel. Wie so manches andere auch.

    :study: Lisa McMann, Wächter der Magie. Band 1. Übersetzung: Doris Attwood.

    :musik:Richard Osman, Wir finden Mörder. Übersetzung: Sabine Roth. Sprecher: Richard Barenberg und Wolfgang Wagner.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Soeben habe ich den Roman beendet. Er ist wirklich sehr, sehr gut geschrieben, und die Gedanken und Gefühle der Personen waren für mich immer nachvollziehbar. Mein Eindruck ist. dass es Judes' Zurückhaltung, seine Introvertiertheit ist, die ihn am Anfang für die anderen so anziehend macht; später ist es dann seine Art, alle so zu nehmen, wie sie sind. Zumindest habe ich das so empfunden.


    "Es tut mir Leid" hat mich auch nach einer Zeit genervt, dennoch gebe ich dem Buch trotzdem fünf Sterne, denn diese Wendung verstehe ich als Judes' Schutzreflex, der ihm in der Kindheit anerzogen wurde und den er nie mehr losgeworden ist.


    Das Buch habe ich als unheimlich intensiv und stellenweise als emotionale Herausforderung empfunden, denn in manchen Momenten hatte ich Angst, weiter zu lesen oder musste pausieren, da es mich so aufgewühlt hat.


    Schon lange habe ich nicht mehr so oft geweint wie bei diesem Buch, teils aus Trauer, teils aus Freude für die Figuren.


    JB, Malcolm, Willem und Jude sind zwar die Hauptakteure, doch ich zähle auch Harold zu diesen, der durch seine Briefe sehr gegenwärtig ist.


    Und Andy nicht zu vergessen.


    Hanya Yanagihara hat die Leben all dieser Menschen kunstvoll und feinfühlig verzahnt. "Ein wenig Leben" ist ein Buch, das mich sehr berührt hat und das ich nicht so schnell vergessen werde.

  • Ich habe dieses Buch über die Weihnachtsferien gelesen, umgeben von meinen Freunden und meiner Familie. Der fröhliche Hintergrund hat mir geholfen, das Buch besser wegstecken zu können, umgekehrt hat das Buch unterstrichen, wie wichtig solche Tage sind, an denen man sich mit seinen Lieben trifft (klingt jetzt ein bisschen kitschig, aber so war es irgendwie).

    Ich bin auf Arbeit umgeben mit Menschen, die solche psychische Probleme haben, weswegen mich das Buch einerseits abgeschreckt hat (ich wollte in meiner Freizeit nicht auch noch in solche Abgründe gucken), andererseits aber natürlich auch interessiert hat.

    In der Literatur ist mir noch nie eine solch gelungene, weil glaubwürdige und erschöpfende Beschreibung der innerpsychischen, aber auch interpersonnellen Konflikte begegnet, die dann auch noch so fesselnd und berührend verpackt ist. Mir hat es tatsächlich viel geholfen, ein besseres Verständnis aufzubauen. Bei einigen Aspekten kamen allerdings doch Zweifel auf, zum Beispiel bei der Glaubwürdigkeit von Judes Geschichte (ja, einigen Menschen passieren tatsächlich die schlimmsten Dinge, aber hier fand ich es fast übertrieben). Außerdem hat mich schon sehr erstaunt, dass wirklich alle in seinem Umfeld so supererfolgreich wurden (ist das so in NY wenn man einmal im richtigen Kreis ist???). Und ich stelle es sehr in Frage, dass jemand tatsächlich derart beruflich fokussiert sein kann bei einer so ausgeprägten emotionalen Beeinträchtigung.

    Der Geschichte und dem „Lesevergnügen“ haben diese Kontraste und Überzeichnungen des Positiven sehr geholfen. Hätte ich mich nicht ab und zu in derNY- Kunstszene und den tollen Gebäuden erholen dürfen, den leckeren Kochsessions und gemütlichen Abenden wohlwollender Menschen beiwohnen dürfen,ich hätte jede Hoffnung verloren und das Buch in die Ecke geschmissen...:wink:

  • PS: Beim Thema Altern und Zeit hat mich die Autorin super abgeholt. Ich hatte ständig das Gefühl, das Buch spielt in der aktuellen Zeit (es gibt überhaupt keine Hinweise im Zeitgeschehen)und siehe da, am Ende sind 30 Jahre vergangen. Wie im echten Leben..

  • cyphella Eine schöne Rezension.


    Wissen tue ich es nicht, aber ich glaube, dass es Menschen gibt, denen im Leben nur die schlimmsten Dinge passieren und wenn man denkt, es geht nicht mehr, setzt das Schicksal einem noch etwas drauf und die nächste Katastrophe naht. In sofern fand ich das schon glaubwürdig, wenn es auch selten passieren mag (zum Glück). Zweiter Punkt, der Erfolg. Entweder amerikanischer Traum oder New Yorker Upper Class. Wenn man dieses Glück hat... Ich denke, dass gerade unglückliche Menschen aber etwas im Leben brauchen, um am Leben zu bleiben und das ist eben bei Jude der Job. Und wenn man da Inselbegabung oder Tunnelblick entwickelt, warum sollte das nicht funktionieren. Jude will ja nicht wahrhaben, vor sich selbst, dass er Probleme hat, andererseits will er es vor Freunden und Bekannten kaschieren. Da eignet sich doch ein erfolgreicher Job sehr gut, oder?

  • In der Literatur ist mir noch nie eine solch gelungene, weil glaubwürdige und erschöpfende Beschreibung der innerpsychischen, aber auch interpersonnellen Konflikte begegnet, die dann auch noch so fesselnd und berührend verpackt ist.

    Auch ich finde Deine Rezension wunderbar!

    Ich habe das Buch im Sommerurlaub 2018 verschlungen und war sehr berührt. Für mich das beste Buch, das ich 2018 gelesen habe.

    "Baumhaus ist, wenn man die Leiter hochzieht, Bauchschmerzen kriegt vom Kirschenessen, Vogeldreck im Haar trägt und trotzdem nie wieder runterkommen will." (Juli Zeh in Corpus Delicti)

  • Mit ein wenig Abstand zum gelesenen (meine Rezi ist ja schon von Anfang 2017) lässt sich das eine oder andere auch kritischer sehen.


    Außerdem hat mich schon sehr erstaunt, dass wirklich alle in seinem Umfeld so supererfolgreich wurden (ist das so in NY wenn man einmal im richtigen Kreis ist???).

    Stimmt schon in meinen Augen! Da wollte die Autorin des Guten wohl zu viel. Denn sie wurden ja nicht nur einfach gut, sondern gleich noch supererfolgreich. So ein zwischendrin schien es nicht zu geben oder es wäre mir entfallen.


    Und ich stelle es sehr in Frage, dass jemand tatsächlich derart beruflich fokussiert sein kann bei einer so ausgeprägten emotionalen Beeinträchtigung.

    Da bin ich auch bei dir. So ein wenig zweifelt man doch schon dran. Wenn ich auch findo s Erklärung diesbezüglich interessant finde. Ob das in der Realität auch so gut funktionieren würde? Jude war doch schon ziemlich fertig. Ich weiß nicht wirklich, dass muss ich noch ein wenig sacken lassen.


    Eines fällt mir gerade auf. Gerade durch dieses "immer ein wenig mehr als notwendig" blieb mir das Buch immer noch gut in Erinnerung. Obwohl die Logik sagt, dass kann so alles nicht in Echt funktionieren. Als Buch hat es das für mich.




    Ich darf mich auch anschließen cyphella tolle Rezi von dir mit interessanten Gesichtspunkten!

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