Donna Rosenthal - Die Israelis / The Israelis: Ordinary People in an Extreme Situation

  • "Israel ist ein Land mit vielen Gesichtern. Kaum größer als das Bundesland Hessen, beherbergt es mehr als 100 Nationen aus allen Teilen der Welt, deren unterschiedliche soziale und kulturelle Herkunft im täglichen Miteinander nicht selten Anlass für Konflikte gibt."
    Quelle: Klappentext (Auszug)


    Die Rezension behandelt die 2008 überarbeitete und aktualisierte deutsche Fassung des ursprünglich 2003 in englischer Sprache erschienenen Werks "The Israelis. Ordinary People in an Extraordinary Land." Der Entstehungszeit entsprechend stehen große Teile noch unter dem Eindruck der Zweiten Intifada (2000 - 2005).


    "Die Israelis" ist ein reiches und umfassendes Portrait einer Nation, die in den Medien überwiegend als Krisenregion auftaucht.
    In lebendiger und gut lesbarer Sprache lädt uns die Autorin, die selbst einige Jahre in Israel gelebt und gearbeitet hat, auf Besuch bei den höchst verschiedenen Gruppen und Ethnien ein, die das kleine Land bevölkern. Ausführlich kommen deren verschiedene Vertreter (darunter viele Frauen) zur Sprache, um ihr Lebensgefühl und ihre Identität, aber auch Probleme und Konflikte zu schildern.
    Den Einstieg wählt Rosenthal drastisch, mit einer eindringlichen Darstellung des allgegenwärtigen Terrors während der zweiten Intifada, die für den Leser schwer zu verdauen ist. Davon ausgehend zeichnet sie aber auch ein Bild des unbändigen Lebensdrangs, der junge Israelis auf der Höhe der Intifada zur Love Parade in Tel Aviv oder nach Ende des Wehrdienstes nach Goa zieht - möglichst fort, gedanklich oder körperlich, von der bedrohlichen Realität im Heiligen Land. Auch die Rolle Israels als High-Tech-Nation wird nicht vergessen.
    Den Großteil des Buches nehmen die jüdischen Gruppen innerhalb Israels ein. Hier lernen wir erst unterschiedlichen Ethnien kennen - die Ashkenasim, das europäische Judentum; die Mizrahim, Juden aus Nordafrika und arabischen Staaten; russische Juden, die nach dem Zerfall der Sowjetunion in großer Zahl einwanderten, und schließlich die hierzulande weniger bekannten äthiopischen Juden, die sich selbst auf die Königin von Saba oder sogar Moses Ehefrau zurückführen und in einer abenteuerlichen Aktion zu fast 15000 Menschen nach Israel ausgeflogen wurden.
    Es gibt aber nicht nur Unterschiede nach Herkunft, sondern auch nach Grad und Art der religiösen Observanz. Rosenthal nimmt uns zu einer Haredi-Familie im ultraorthodoxen Viertel Jerusalems mit, zu orthodoxen Juden in Siedlungen oder bei religiösen Feiern im mystisch geprägten Nordisrael, und schließlich auch zu Menschen, die es weder mit der Schabbatruhe noch mit den Speisevorschriften so genau nehmen und ihre jüdische Identität gerne mit fernöstlicher Spiritualität verbinden.
    Den verschiedenen nichtjüdischen Minderheiten widmet Rosenthal jeweils ein Kapitel; das längste davon den muslimischen Arabern, die immerhin 20% der Gesamtbevölkerung ausmachen. Aber auch Beduinen, Drusen und arabischen Christen kommen jeweils für sich zu Wort und erzählen von der schwierigen Identifikation mit einem Staat, der ihre Anliegen vernachlässigt, von Diskriminierung und Vorurteilen, aber auch vom wachsenden Islamismus, der besonders für die christliche Minderheit eine zunehmende Gefahr darstellt.
    Das Buch endet mit einem Überblick über Friedensinitiativen und der Überzeugung, dass es an der Jugend sein wird, eine neue Haltung und den Willen zu Koexistenz zu finden.


    Bei einem so ausführlichen und tiefgehenden Buch erscheint es mir pingelig, an manchen Stellen "mehr" zu wünschen; trotzdem wäre es schön gewesen, neben den Haredim auch die nur kurz erwähnten Chassidim mit ihrem mystischeren, "schwärmerischen" Zugang näher zu behandeln, um ein runderes Bild zu bekommen. Auch kommt der Leser in Versuchung, die Orthodoxie mit der national-religiösen Position gleichzusetzen, was sicher auch in Israel so nicht zutrifft.
    Zu erwähnen ist sicher noch, dass die englische Kindle-Ausgabe neben Anmerkungen auch drei zusätzliche Kapitel enthält, in denen u.a. die sehr lebendige LGBT-Szene in der "Partymetropole" Tel Aviv vorgestellt wird, was zusätzliches Licht auf die Diversität in Israel wirft und einen Gegenpol zum religiösen Jerusalem bietet.
    Diese Kapitel sind:
    V. The Sexual Revolution
    16. Marriage, Polygamy, Adultery, and Divorce Israeli-style
    17. Oy! Gay?
    18. Hookers and Hash in the Holy Land


    Natürlich muss außerdem klar sein, dass seit der Veröffentlichung schon wieder fast zehn Jahre vergangen sind und die Entwicklungen dieser Zeit nicht berücksichtigt sind.


    Fazit:
    Für die fehlenden, m.A. sehr informativen Kapitel und geringe Mängel in der Übersetzung ziehe ich einen (strengen) halben Stern ab und bedaure ansonsten, dass ich das Buch nicht schon gekauft habe, als es 2007 zuerst auf meinem Wunschzettel landete.
    Ansonsten bin ich überzeugt: Wenn man nur ein einziges Buch über den Staat Israel liest, sollte es dieses sein.
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