Donal Ryan - Die Sache mit dem Dezember / The Thing about December

  • Die Geschichte ist in zwölf Kapitel unterteilt, welche nach den Monaten benannt sind. Jedes Kapitel befasst sich neben der Haupthandlung mit einer Erinnerung, die in dem jeweiligen Monat spielte. Das letzte Kapitel ist der Dezember.


    In knappen Sätzen und eindringlicher Sprache erzählt Donal Ryan die Geschichte des stillen Johnsey. Dieser ist ein wenig sonderbar, ein junger Mann, der gerne für sich ist. Ein junger Mann, über den sich die Leute schon in der Schulzeit lustig machten, da er ein wenig langsamer, ein wenig eigen war. Mir als Leser wuchs dieser vom Schicksal gebeutelte Junge sofort ans Herz. Nach dem Tod seines Vaters, stirbt kurz darauf auch noch die geliebte Mutter. Eine befreundetes Ehepaar kocht für ihn und doch ist Johnsey die meiste Zeit allein. Als er im Krankenhaus landet, schließt er Freundschaft mit "der schönen Stimme" und Nuschel-Dave. Der Verkauf des Grundstücks spielt nicht die zentrale Rolle in diesem Buch. Zwar werden einige Geschehnisse von Johnseys Weigerung den Hof zu verkaufen hervorgerufen, doch viel mehr geht es um Johnsey Leben und darum wie es ist, anders zu sein. Es geht um Einsamkeit und Freundschaft.


    Die Rückblenden in seine Kindheit, empfand ich als sehr berührend. Mir blieb gar nichts anderes übrig, als mich in Johnsey oder seine Eltern hineinzuversetzen. Besonders schmerzhaft bleibt mir eine Stelle in Erinnerung. Die Eltern sind nicht reich und kratzen dennoch ihr Geld zusammen um Johnsey einen "coolen" Marken-Pulli für seinen ersten Disko-Besuch zu kaufen. Sie sind stolz auf ihren Sohn, ermuntern ihn und so langsam beginnt sich sogar Johnsey, der eigentlich gar nicht in die Jugenddisko wollte, sich auf den Besuch zu freuen. Schön sollte der Abend leider nicht werden...


    Bei den Charakteren hat Donal Ryan sich etwas besonderes ausgedacht. Denn hier geht es weniger um Stereotypen als um Originale. Insbesondere Nuschel-Dave und Siobhan sind sehr detailliert beschrieben und facettenreich in ihrem Charakter. Beide nicht perfekt, legt der Autor hier sein Augenmerk auf die Verletzlichkeit der Charaktere, mögen die beiden nach außen hin auch noch so stark wirken. Doch vor allem erhält der Leser tiefe Einblicke in Johnseys Denken und seine Gefühle. Besonders erschütterte mich seine geringe Meinung über sich selbst.


    "Einmal hatte Daddy, als er dachte, Johnsey könne ihn nicht hören, zu Mutter gesagt, er sei eben ein sehr stiller Junge. Mutter musste wieder darüber geschimpft haben, dass er so ein Hornochse war, und Daddy verteidigte ihn. Er hatte die Zärtlichkeit in Daddys Stimme gehört. Aber Zärtlichkeit konnte man auch für eine Missgeburt von Promenadenmischung empfinden, die man am besten direkt nach der Geburt ertränkt hätte. So einer konnte nur fressen und kacken und einen Haufen Arbeit machen, aber man streichelte ihn trotz allem hin und wieder und gab ihm ein Leckerchen, und man war fast immer nett zu ihm, weil er ja nichts dafür konnte, dass er ein sabbernder Trottel von einem Köter war. Aber man würde ganz sicher nicht vor anderen mit ihm prahlen, so viel stand fest." (S. 17)

    Der Schreibstil des Autors ist voll unterschiedlicher Gefühle. Manchmal werden Situationen unglaublich traurig, dann wieder sehr witzig beschrieben. Johnsey beschreibt Vergangenes mit Melancholie, dann wieder mit freudiger Leichtigkeit. Donal Ryan trifft immer genau den richtigen Ton. Die Grundstimmung ist dennoch schwer und bedrückend. Ich musste während des Lesens, so sehr mich die Geschichte auch packte, immer wieder Pausen einlegen um das Gelesene sacken zu lassen und darüber nachzudenken.

    Fazit: "Ein einfühlsames, berührendes Debüt, so lebensklug wie Forrest Gump und so irisch wie Frank McCourt" Ein Zitat, das ich so nur unterschreiben kann.

  • Johnsey ist nicht unbedingt der Hellste, lebt mit Ende 20 noch bei seinen Eltern auf deren Bauernhof und lässt das Leben ohne größere Regungen seinen Gang gehen. Mit Menschen hat er eher schlechte Erfahrungen gemacht, schon in der Schule wurde ihm von Gleichaltrigen häufig übel mitgespielt. Nachdem zuerst der Vater und kurz darauf die Mutter sterben, ist Johnsey mit der Situation reichlich überfordert und driftet schutzlos durch die Welt.


    Doch damit noch nicht genug: ein Investor will das verschlafene Dorf mit Neubauten aufwerten, die Bewohner sind begeistert. Wäre da nur nicht Johnsey, der sich weigert, das elterliche Grundstück zu verkaufen und plötzlich mehr denn je zur Zielscheibe wird, nicht nur für die örtlichen Schlägertypen, sondern auch für die Menschen, die in das Bauprojekt investiert haben und auf einen Aufschwung des Ortes hoffen.


    Einen eher minderbemittelten Protagonisten ins Zentrum des Buches zu stellen ist ein interessanter Ansatz. Johnsey sieht die Welt mit anderen Augen als die meisten anderen Menschen, wünscht sich aber letztendlich dasselbe wie wir alle: Akzeptanz, Freunde, Anerkennung, Liebe. Er träumt davon, eine Frau zu finden und ganz normal zu leben, ohne aufzufallen, ohne verspottet zu werden, ohne ungewollt alles falsch zu machen oder etwas Dummes zu sagen. Man fühlt mit ihm in seiner Hilflosigkeit, leidet mit ihm, wenn er ausgelacht, verhöhnt und verprügelt wird.


    Dennoch hat mich Johnseys Perspektive nicht durchgängig überzeugt - wenn er so wenig intelligent ist, dass er selbst relativ gängige Fremdwörter nicht versteht, wie hat er dann eine normale Schullaufbahn inklusive Physikunterricht geschafft? Ich hätte es als glaubhafter empfunden, wenn er "nur" als sozial gehemmter Außenseiter mit ein paar Verhaltensproblemen geschildert worden wäre.


    Im weiteren Verlauf des Buches, insbesondere mit Einführung zweier bestimmter Figuren, dann auch ziemlich die Ausdrucksweise und der Humor auf den Geist. Ich habe nicht grundsätzlich ein Problem mit derber Sprache oder auch mal einem Gag südlich der Gürtellinie, aber irgendwann fand ich es nur noch nervig, ständig von "Zipfel", "Horn", "Titten" (gut, die kamen nicht ganz so häufig vor) und ähnlichem zu lesen. Außerdem nahm die Handlung für mich etwas abstruse, überdramatische Züge an, die ich nicht glaubwürdig fand.


    Das Ende war zugegebermaßen ein Knaller, der mich überrascht hat, konnte aber die Tatsache, dass mich die zweite Hälfte des Romans ansonsten vorwiegend angeödet und genervt hat, nicht mehr wettmachen.


    Leider also von mir nicht so ein gutes Urteil wie von meiner Vorschreiberin. Ich hätte das Buch gerne lieber gemocht, aber es hat mich einfach nicht stärker angesprochen.