Nicholas D. Kristof - Die Hälfte des Himmels

  • Nicholas D. Kristof / Sheryl WuDunn: Die Hälfte des Himmels Wie Frauen weltweit für eine bessere Zukunft kämpfen; Verlag C. H. Beck München / Bundeszentrale für politische Bildung Bonn jeweils 2010; 359 Seiten; IBSN: 9783838901091


    Insbesondere in der Dritten Welt sind Frauen immer noch Gewalt, Diskriminierung und Unterdrückung ausgesetzt. Die islamisch-arabische Welt kann als Beispiel dafür gelten. In Indien gibt es immer noch Brautverbrennungen. In China werden neugeborene Mädchen getötet oder sterben an Vernachlässigung. Verstöße gegen die Rechte der Frauen sind in der medialen Berichterstattung allerdings immer noch ein Randthema. Die beiden Autoren - ein Journalisten-Ehepaar aus den USA - möchten mit diesem Buch auf die Mißstände und Menschenrechtsverletzungen aufmerksam machen.


    Sie berichten aus Südasien (z. B. Indien), aus Afrika (z. B. Sambia und Ruanda) und aus China. Sie berichten über jeweils konkrete Personen und deren Projekte, mit denen sie gegen die Diskriminierung der Frauen einschreiten. Auch gelegentliche Schwarzweißfotos sind hier abgedruckt. So sind die Ausführungen leicht verständlich geschrieben und auch für interessierte, aber fachliche Laien unter den Lesern gut zugänglich.


    Die Zielrichtung des Buches ist dabei eindeutig. Die Leser sollen über die Probleme informiert werden. Doch damit ist nicht genug. Sie sollen auch aufgeweckt und zum konkreten Handel angeleitet werden; deswegen sind am Ende auch Vorschläge enthalten, wie Mann / Frau sich vor Ort engangieren kann. Auch wenn hier vorrangig Ansprechpartner in den USA genannt werden, kann man bei Interesse und Bedarf im Internet selbst recherchieren, wo vor Ort Ansprechpartner und Gruppen vorhanden sind.

  • Originaltitel: Half the Sky. Turning Oppression into Opportunity for Woman Worldwide

    Beck Verlag 2010. 359 Seiten
    ISBN-13: 978-3406606380.19,95€


    Zum Autor und zum Inhalt

    Nicholas D. Kristof ist bekannt für seine unerschrockenen Reportagen aus China und aus Krisenregionen Afrikas in der New York Times. In der Tradition von Kristofs Kolumnen, mit denen er an Einzelschicksalen soziale Missstände entlarvte, nehmen er und seine Frau Sheryl WuDunn im gemeinsamen Buch zur Lage der Frauen in Asien und Afrika kein Blatt vor den Mund. Kristof will zuallererst die in den USA verbreitete Unkenntnis über andere Länder lindern. Er kritisiert das sich seiner Ansicht nach ausschließlich auf Ereignisse im Inland beschränkte Bildungssystem und fordert junge Amerikaner auf, nicht nur in die Metrolen Europas zu reisen, sondern wenigstens für kurze Zeit in Afrika oder Indien zu arbeiten.


    Das Ehepaar Kristof/WuDunn beschreibt, wie sie bei Recherchen in Asien realisierten, dass Prostituierte häufig nicht aus freiem Willen in diesem Metier tätig sind. Sie trafen Frauen und sehr junge Mädchen, die verkauft, unter Drogen gesetzt und wie Sklavinnen gehalten werden. Gegenüber dem Menschenhandel besteht bei Freiern und Bordellbesitzern kein Unrechtsbewusstsein; denn es handelt sich "nur" um die Kinder armer Bauern. Als Korrespondent hat Kristof schon immer kritisch hinter die ihm vorgeführten schönen Fassaden geblickt. Die Autoren benennen nüchtern die Verantwortung auch von Frauen für die Unterdrückung anderer Frauen; denn Frauen festigen frauenfeindliche Strukturen, indem sie ihre Wertvorstellungen an die nächste Generation weitergeben. Frauen erziehen, sie verkaufen Töchter, sie betreiben Bordelle, sie misshandeln ihre Schwiegertöchter, sie führen Klitorisbeschneidungen durch.


    Kristofs Fazit aus seiner journalistischen Tätigkeit in Afrika und Asien lautet, dass sich als erfolgreichste Armutsbekämpfung die Förderung von Geschlechtergleichheit erwiesen hat. Er begründet sein Urteil mit dem industriellen Fortschritt in Europa, der nur durch die Offenheit der Gesellschaft für neue Ideen und die Wertschätzung von Frauen stattfinden konnte. Im Gegensatz dazu lägen in Staaten, in denen Frauen traditionell als wertlos angesehen werden, Intelligenz und Resourcen der Hälfte der Bevökerung brach; der Glaube an die biologische Überlegenheit aufgrund des Geschlechts untergrabe hier den Leistungswillen junger Männer. Im Vergleich zwischen Japan und China werden junge berufstätige Frauen als entscheidender Faktor für den wirtschaftlichen Erfolg eines Landes hervorgehoben.


    Die Autoren zeigen an herrzerreißenden Beispielen welche Folgen die Abwertung der Frauen für ihre Gesundheit und die ihrer Kinder hat. Wo Mädchen als wertlos angesehen werden, sind sie unterernährt, werden seltener geimpft, bleiben ohne ärztliche Versorgung und erhalten eine schlechtere Schulbildung. Wer weiblich, arm und vom Land ist, muss in jungen Jahren an Erkrankungen sterben, die problemlos zu behandeln wären. In einigen muslimischen Staaten wird diese Situation verschärft durch die Sitte, dass Frauen nicht von männlichen Ärzten behandelt werden dürfen. Kristof ist sichtlich schockiert vom Gleichmut seines gebildeten afghanischen Dolmetschers, der es als Naturgesetz betrachtet, dass Frauen ohne ärztliche Behandlung eben sterben müssen, wenn keine weibliche Ärztin vorhanden ist.


    Was kann ein kritisches Buch eines amerikanisch-chinesischen Autoren-Paars zur Lage der Frauen bewirken? "Die Hälfte des Himmels" ist für den amerikanischen Leser in seinem bequemen Lehnstuhl geschrieben, der möglicherweise noch nie im Ausland war. Reisefreudige europäische Leser haben zu Asien und Afrika durch private Kontakte zu Entwicklungshelfern vermutlich eine engere Beziehung, zudem ist die Berichterstattung in europäischen Medien differenzierter. Wer bereit ist, eigene eingefahrene Vorstellungen über Afrika oder "unterdrückte Frauen" infrage zu stellen, kann von den Kristof/WuDunns erfahren, dass unsere Strategien für Hilfsprojekte kulturgeprägt und den Sitten der betroffenen Länder meist nicht angemessen sind. Hilfsgelder der Industrieländer werden zu oft in repräsentative Bauten versenkt, ohne dass eine langfristige Begleitung des Projekts sich um die alltäglichen Fragen kümmert. Im Fall eines Bildungsprojekts genügt es nicht, die Schule zu bauen und evtl. öffentlichkeitswirksam Lehrmaterialien zu überreichen. Die Geberländer müssten sich laut Kristof fragen: sind die Kinder gesund und ausreichend ernährt, um sich überhaupt auf den Unterricht zu konzentrieren? Haben sie etwas anzuziehen? Gibt es eine Toilette? Sind heranwachsenden Mädchen Hygieneartikel zugänglich, so dass sie während der Menstruation nicht aus Scham zu Hause bleiben? Kommt der Lehrer regelmäßig zur Arbeit? Trägt die Familie der Kinder den Schulbesuch mit? In Bezug auf Bildungsprojekte sei viel aus den Oportunidades-Projekten in Mexico zu lernen. Mit vergleichbaren Fragestellungen sind Klinikgründungen auf ihre Effektivität zu prüfen: Wer hält mit welchen Mitteln den laufenden Betrieb aufrecht? Kommen die Ärzte zur Arbeit? Werden Mediziner und Pflegekräfte evtl. verlockt, aus finanziellen Gründen auszuwandern? Als positives Beispiel dient Kristof Sri Lanka, das mit vergleichsweise geringen finanziellen Mitteln den politischen Willen nach einem effektiven Gesundheitssystem durchgesetzt hat.


    Kristof setzt sich mit den Positionen von Gegnern jeder Entwicklungshilfe auseinander (eine Überzeugung, die inzwischen auch von afrikanischen Gesprächspartnern vertreten wird). Am Beispiel Greg Ortensens können wir lernen, warum Hilfsprogramme westlicher Staaten in muslimischen Ländern so häufig scheitern. Als "Freund knallharter Empirie" weist Kristof nach, welche Programme zur Bekämpfung von HIV unter Jugendlichen unerwartet nachhaltige Wirkung gezeigt haben (S. 181), ein eindringliches Beispiel dafür, dass Spender zunächst von liebgewordenen Vorurteilen Abschied nehmen müssen. Mikrokredite in der Tradtion von Mohammed Yunus beweisen, dass Geld in der Hand von Frauen meist sinnvoller investiert wird. Kristof dazu lapidar: 3€ im Geldbeutel einer afrikanischen Frau werden wahrscheinlich in Nahrungsmittel für ihre Kinder oder ein Moskitonetz investiert, das die Kinder vor Malaria schützt, während die gleiche Summe im Geldbeutel ihres Mannes für Alkohol ausgegeben wird. So wie es gelang, nach langem Kampf die Sklaverei und die Rassendiskriminierung in den USA abzuschaffen, wird es hoffentlich gelingen, dass bald jedes Kind, ob Mädchen oder Junge, ein Recht auf Bildung und ärztliche Fürsorge haben wird.


    Fazit

    Auf leicht lesbare, bodenständige Weise gelingt den Autoren der Drahtseilakt, kulturelle Besonderheiten wahrzunehmen, aber nicht zu verklären. Nicht jede Schlamperei muss mit kulturellen Eigenheiten entschuldigt werden. Besondere Beachtung verdient die respektvolle Art, in der das Autorenpaar über Erlebnisse von Frauen berichtet, die in deren Kulturen extrem schambesetzt sind. Den Interviewpartnerinnen gebührt unsere Hochachtung dafür, dass sie öffentlich ihren eigenen Namen und den ihrer Peiniger nennen. Wer "Die Hälfte des Himmels" bis zum Ende liest, wird weniger pathetisch darauf reagieren als die ersten Pressemeldungen zum Buch. Es ist ähnlich wie mit dem afrikanischen Sprichwort: "Du wirst Afrika nicht verändern, aber Afrika verändert dich". Kristofs Berichte verändern den Leser. Hoffentlich werden sie langfristig auch Strukturen verändern.


    (13.1.2011)


    Im Rückblick habe ich seit 2011 meine Einstellung gegenüber Mikrokrediten geändert. Die im Buch geschilderten Zusammenhänge sind nach wie vor aktuell.


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