Abdelaziz Baraka Sakin - Der Messias von Darfur / Le messie du Darfour

  • Original: Arabisch/Sudan, geschrieben zwischen 2008 – 2012


    INHALT :
    Wie eine Geschichte zusammenfassen, die mehrere Bruchstücke aneinanderreiht, die aber dann durchaus ein Ganzes formen ?
    - ein Bataillon von 66 Soldaten und etlichen Zimmermännern ist auf der Suche nach dem so genannten « Messias von Darfur ». An ihrer Spitze : Charon, ein kompromißloser Mann, der auch schon mal die Seiten gewechselt hat aus Opportunismus. Er will es dieses pazifistischen Fanatikern zeigern, und will sie einzeln kreuzigen !
    - unter den Soldaten Zweie, die Freunde geworden sind : Ibrahim und Shikiri. Beide wurden sie festgenommen und zwangsweise unter die Soldaten gesteckt. Langsam entwickeln sie sich in verschiedene Richtungen…
    - die schöne Abdehrahman verführt Shakiri, macht aus ihm ihren Mann. Sie hatte ein Massaker unter den ihrigen überlebt und wird später zu ihrem Mann in die Armee stossen, sich zu einer wahren Amazone entwickeln. Ihr Ziel : sich an den Janjawid zu rächen (die für das Massaker zuständig gewesen waren) : « zehne von ihnen töten » - so ihr Ziel. Und sie fängt gut an !
    - Ibrahim der Friedfertige hat nie seine Waffe erhoben, trotz jahrelangen Kriegsdienstes. Er erledigt andere Dinge
    - dann aber : der « Messias, ein gewisser Jesus, Sohn einer Maria, Cousin eines Yoann : ein schöner Mann, der Worte voller Weisheit und Friedfertigkeit sagt, die Seinen aber auch auf das Leiden vorbereitet. Er zieht die Menschen an, selbst seine ehemaligen Feinde. Nur die Janjawid, die sich bewusst und aus freien Stücken für grausamste Gewalt entscheiden, finden keine Gnade, sind wie eine Inkarnation des Bösen

    BEMERKUNGEN :
    Manchmal tat ich mich schwer, diese oder jene Szene zeitlich genau einzuordnen, doch was dahintersteckt an Aussage und Verallgemeinerungspotenzial : gilt es nicht über einen festen Zeitpunkt hinaus ? Dennoch formen diese « Bruchstücke » ein Ganzes. Also schon eine Art der Chronologie, der zusammenhängenden Schilderung. Und auch : bei jedem der 16 Kapitel von 3-27 Seiten Länge hat man den Eindruck vor einem weiteren, neuen Aspekt zu stehen, fast wie vor einem neuen Bild des Konfliktes in diesem harten Krieg und Konflikt im Sudan. Da zeichnet der Autor Portraits von leider allzu charakteristischen Geschichten in der Brutalität des Krieges, der Hungersnot… Über individuelle Portraits hinaus werden auch Aspekte herausgearbeitet, die den Roman, die Story prägen, schlichtweg die Geschichte, die Kultur, das Gelebte :


    - wie nicht die Menschen einfach kategorisieren ?! Kämpfer werden durcheinander geworfen, zwangseingebunden in die verschiedenen Konfliktparteien, und Angehöroge verschiedenster Stämme sind mal im selben Lager, mal in unterschiedlichen. Wo mag da noch die Motivation liegen ? Wo die Schuld ? Die meisten erscheinen als eigentlich unschuldig, selber Opfer von Gewalt. Nur die Janjawid werden angeprangert : diese Krieger und Plünderer haben freiwillig (aus Spass an der Gewalt?) den Kampf gewählt.


    - nicht einfach nur Gruppen definieren, sondern dahinter Individuen mit einmaligen Geschichten, Menschen, die letztlich fast alle sich nach Frieden sehnen. Nicht der einfache Mensch steht am Ausgangspunkt der Konflikte… Jeder Krieg ist ein Bruderkrieg… Schreckliche Feststellung aber auch, so en passant, über die « Unparteilichkeit » und Indifferenz der UNO-Truppen.


    - welche Gewalt, gegen Zivilisten, Kinder, Frauen... ! Wie kann man das in unseren Median verharmlosen, wenn man gar von Wirtschaftsflüchtlingen redet, etc ?


    - solche Zeitender Extremsituation, der Konflikte ist ein fruchtbarer Boden für messianische Gestalten. Hier eine beeindruckende Gestalt in der Person eines Jesus. Er wird von den Mächten verurteilt, und Charon will ihn kreuzigen lassen. Dabei trägt er auf seine Weise schon eines. Und man kann sich sogar fragen, ob am Ende des Romans ein kleiner Hoffnungsschimmer zu unterscheiden ist ?


    Ein reicher, auch erstickender Roman. Der französische Klappentext spricht von einer « Geschichte des Abenteuers und des Krieges, einer Geschichte der Freundschaft und der Rache mit einer Dosis Humor und Zauber ». Nun ja, da hatte ich doch andere Assoziationen und verstehe derlei falsche Verheissungen nicht. Nicht etwa, dass der Roman nicht auch etwas andere Szenen enthält und hier und da etwas erträglicher ist, aber von ihm zu sprechen als ob es sich ganz schlicht um eine weitere Fiktion handeln würde bedeutet meines Erachtens doch, die sehr harte Realität im Sudan zu ignorieren?! Durch die Präsenz von Flüchtlingen aus diesem Lande hier in nächster Umgebung weiss ich leider, dass die hier erzählten Greueltaten tatsächlich in ähnlicher Form von ihnen so erlebt worden sind… So handelt es sich eben nicht einfach um eine ausgedachte Horrorgeschichte (Einzelheiten sind teils unerträglich) oder einen Vampirroman, sondern um Erlebtes, das der Realität nahesteht. So sagt der sudanesische Autor denn auch, dass « schreiben für ihn ein Mittel ist, die Kriegsangst auszutreiben». An einigen Stellen des Romans könnte man eine diskrete Anspielung auf den Autor selbst erkennen : ein Onkel von Abdehrahman heisst Sakin ; die Heimatstadt von Ibrahim ist Kassale, eben jene von Sakin selbst. Zudem – siehe unten – zeigt die Bio ja an, dass diese seine Romane in seinem eigenen Land nicht veröffentlicht werden und er ins Exil forciert wurde. Nun, dass Regime wird schon wissen warum.


    Der Roman ist gut geschrieben, geschickt konstruiert (eventuell auch manchmal etwas zu sehr?) Aber er gibt uns unzweifelhaft den Zugang zu einer authentischen Stimme aus diesem Land : wir sehen, wie Menschen von dorther hier ankommen. Doch kennen wir ihre Geschichten ?


    AUTOR :
    Abdelaziz Baraka Sakin wurde 1963 in Kassala im Osten des Sudan geboren. Seine Familie stammt ursprünglich aus Darfur. Er übte schon etliche Berufe aus : Näher, Arbeiter, Maurer… In Asyut, Ägypten, absolvierte er ein Studium der Betriebswirtschaft. Zurück im Sudan, arbeitete er zunächst als Gymnasiallehrer. Von 2000 bis 2007 war er für die Nichtregierungsorganisation Plan International Sudan.


    Die Lektüre von Edgar Allan Poes Horrorgeschichten während seiner Schulzeit hätten bei ihm literarische Ambitionen geweckt, sagt Sakin. Um 2000 trat er als Schriftsteller hervor, wobei die meisten seiner geliebten und geschätzten Bücher in seiner Heimat verboten sind. Begründet wird dies mit angeblich zu explizit dargestellter Sexualität und anderen vermeintlichen juristischen Vergehen. Nichtsdestoweniger zirkulieren seine Werke heimlich, zum Beispiel in digitaler Form, und finden so zu ihrer äußerst großen Leserschaft. Im Oktober 2012 ließen staatliche Stellen seine Bücher von der Internationalen Buchmesse in Khartum entfernen und nahmen Sakin~– nicht zum ersten Mal~– vorübergehend in Haft. Aufgrund immer größerer staatlicher Repressionen verließ Sakin schließlich seine Heimat und kam im November 2012 nach Österreich. Als einer der bedeutendsten und bekanntesten Autoren des Sudan finden seine Bücher international große Beachtung. Auch wenn das Werk des Autors ganz konkrete Probleme und Konflikte seiner Heimat aufgreift, geschieht dies nicht in pädagogisch-didaktischem Ton. Vielmehr bedient sich Sakin einer poetischen, zärtlich humorvollen Sprache. Gleichzeitig gelingt es ihm, dem Leser die Komplexität der Spannungen und Auseinandersetzungen in seiner Heimat nahezubringen. So behandeln etwa die Kurzgeschichtensammlung »At the Peripheries of Sidewalks« (Ü: Am Rand der Bürgersteige) von 2005 sowie der Roman »The Jungo. Stakes of the Earth« (Ü: Der Jungo. Anteile der Erde) von 2009 das Leben und harte Schicksal von Saisonarbeitern im Osten des Sudan. Mit »The Messiah of Darfur« (2013; Ü: Der Messias von Darfur) wirft der Autor einen Blick auf den Konflikt im Westen des Landes. Im Zentrum von »Alkchandris. Wer hat Angst vor Osman Bushra?«, 2012 auf Deutsch erschienen, steht eine Streetworkerin, die sich für Straßenkinder einsetzt, die sich in ihrer Verzweiflung in den Alkohol geflüchtet haben. 2014 erschien als Gemeinschaftswerk von Sakin und Einwohnern von Saalfelden am Steinernen Meer, seinem derzeitigen Wohnort, »Der magische See«. Der kleine, schön gestaltete Band erzählt von Saalfelder Mädchen, die im Traum zu Vögeln werden und beobachten, wie ihr Ort verschwindet und zu einem großen See wird.


    Über seine Motivation, trotz allem immer weiterzuarbeiten, sagt der Autor: »Ich schreibe, um mir die Kriegsangst auszutreiben.« 2009 wurde er mit dem renommierten Altayeb Salih Prize for Creative Writing ausgezeichnet. Abdelaziz Baraka Sakin lebt in Saalfelden am Steinernen Meer, Österreich.
    (Quelle: http://www.literaturfestival.c…/2016/abdelaziz.sakin.ldw )


    ROMANE :
    The Mills, 2000
    The Water Ashes, 2001
    The Husband of the Bullet Woman and My Beautiful Daughter, 2003
    The Bedouin Lover, 2010
    The Jungo - Stakes of the Earth, 2009 (Al-Tayeb Saleh Award, 2009)
    The Kandarees, 2012/traduit en allemand : Angst vor Osman Bushra
    Le Messie du Darfour, 2016


    ERZÄHLUNGEN :
    At the Peripheries of Sidewalks, 2005
    A Woman from Kampo Kadees, 2005 / « Une femme du camp de Kadis », in « Nouvelles du Soudan »
    The Daily remains Rof the Night, 2010
    The Music of the Bones, 2011
    « The Butcher's Daughter », in The Book of Khartoum, anthologie de nouvelles, 2016


    KINDERGESCHICHTEN :
    Faris Bilala et le lion. Faris Bilala and the lion: Conte du Darfour - Soudan - Trilingue : arabe-français-anglais
    Hawaya et l'hyène : Conte bilala du Tchad bilingue arabe-français23 mars 2010
    de Abdelaziz Baraka Sakin
    Der magische See, 2014


    siehe hier bei amazon.de :
    https://www.amazon.de/s/ref=nb…eld-keywords=baraka+sakin



    Seiten : 208
    Verlag: Zulma (18. August 2016)
    Sprache: Französisch
    ISBN-10: 284304779X
    ISBN-13: 978-2843047794

  • ... und gerade zufällig entdeckt (wollte mich zu Bridgeelke s Fredvorschlag vergewissern), dass dieses Buch vor eineinhalb Jahren auch auf Deutsch erschienen ist! Angesichts der Aktualität in diesem Lande leider wieder recht brennend... Hier der deutsche Klappentext:


    Zwei junge Sudanesen, Ibrahim und Shikiri, werden auf der Fahrt nach Khartum aus dem Bus gezerrt und zum Militärdienst eingezogen. Ihr Einsatzgebiet: die Provinz Darfur, in der sich die Regierung in einem erbitterten Bürgerkrieg mit Rebellengruppen befindet. Unterstützt werden die Soldaten von den Djandjawid, einer Söldnertruppe, die mit äußerster Brutalität gegen die Zivilbevölkerung vorgeht. Im weiteren Verlauf begegnet Shikiri einer jungen Frau, die durch die Djandjawid alles verloren hat und zu allem bereit ist – auch zur Hochzeit mit Shikiri, so er ihr bei ihrem Rachefeldzug gegen die Djandjawid hilft. Es beginnt eine Odyssee dieser drei durch verschiedene Kampfgebiete, zu beiden Kriegsparteien, durch Episoden der sudanesischen Geschichte. Aber es gibt noch jemanden, der die Pläne aller Parteien und Personen durchkreuzt: den sogenannten Messias von Darfur, der jesusgleich predigt, Wunder wirkt und immer mehr Anhänger findet. Kann er Heil bringen in diese aussichtslose Lage? Baraka Sakin schildert in diesem vielschichtigen Roman authentisch die Zerrissenheit des Sudan und gibt dem Leser Einblick in die Mechanismen ähnlicher Konflikte. Er ist aber auch eine bewegende Geschichte über Krieg und Abenteuer, Liebe und Rache, Glauben und Magie. Ein Roman, der von Humor und großer Menschlichkeit geprägt ist.


    Kann ein Mod ( Squirrel oder K.-G. Beck-Ewe ) den Fredtitel dementsprechend umändern, eventuell das deutsche Titelbild verlinken???

  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „Abdelaziz Baraka Sakin - Le messie du Darfour“ zu „Abdelaziz Baraka Sakin - Der Messias von Darfur / Le messie du Darfour“ geändert.
  • Kann ein Mod ( Squirrel oder K.-G. Beck-Ewe ) den Fredtitel dementsprechend umändern, eventuell das deutsche Titelbild verlinken???

    Klar können wir, ist erledigt :)

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier