Hermann Hesse - Wanderung

  • Worum es geht
    Hermann Hesses "Wanderung" beinhaltet skizzenhafte Aufzeichnungen und Gedichte aus dem Tessin (entstanden in den Jahren 1917/1918), die in 23 thematische Kapitel unterteilt sind, und im vorliegenden 94 Seiten umfassenden Band mit jeweils einem Aquarell des Autors eingeleitet werden.
    Es handelt sich hierbei um keine Reisebeschreibungen, sondern um sehr persönliche Texte, denen auch keine erfundenen Geschichten zugrunde liegen; dafür aber gewähren sie umso tiefere Einblicke in die Seelenlandschaft des Dichters.


    Meine Gedanken und Eindrücke
    Jede der kleinen Betrachtungen, jedes Gedicht kreist um das zentrale Lebensthema Hesses, die Frage nach dem Sinn und Ziel allen Seins. Sie weisen auf die innere Zerrissenheit des Suchenden, auf seine Sehnsucht nach Beständigkeit und Sesshaftigkeit in einem bürgerlichen Dasein, das jedoch, kaum errungen, zur unerträglichen Last wird, der es abermals zu entfliehen gilt. Bald spricht Zufriedenheit, ja Glück beim Durchwandern sonnenheller Tage, beim einfachen Mahl, bei genussvoller Mittagsrast aus den Texten, bald klingen missmutige Töne an, die von Lebensüberdruss und Hoffnungslosigkeit künden. Die dunkle Welle der Verzweiflung überrollt den Wandergesellen immer wieder, die er als Preis für die glücklichen Stunden zu zahlen bereit ist. Unruhe treibt ihn vorwärts auf seinem Weg, der inzwischen wohl schon zum Ziel geworden ist.
    Besonders gut hat mir "Die Brücke" gefallen, in der Hesse in stiller Resignation gegen den Wahnsinn und die Sinnlosigkeit des Krieges kämpft:


    ... und die Wirklichkeit war ganz anders, und hieß Krieg, und trompetete durch den Mund eines Generals oder Feldwebels, und ich musste laufen, und aus allen Tälern der Welt mussten sie laufen, und eine große Zeit war angebrochen. Und wir armen guten Tiere liefen schnell, und die Zeit wurde immer größer.

    Was der Künstler mit feinen Pinselstrichen aufs Papier zu werfen versteht, nimmt auch in seinen unvergleichlichen Beschreibungen eindrucksvoll Gestalt an. Wer sähe ihn nicht dort bei der Kapelle rasten, den müden Gottessucher, der niemals fündig wird. Und wer genau hinhört, kann gewiss sogar den Klang des alten Dampfrosses vernehmen ...


    Ich setze mich auf die Brüstung unterm Vordach und summe mein frommes Lied in der Morgenstille. Mein Hut liegt auf der braunen Mauer, und ein blauer Schmetterling setzt sich darauf. Im fernen Tal pfeift dünn und sanft eine Eisenbahn.

    Unabhängig von den unterschiedlichen inhaltlichen Stimmungslagen strömt Kraft und Zuversicht aus den Worten des Meisters, berührt die Schönheit seiner Sprache auch nach fast 100 Jahren, und bringt vielleicht sogar manche verborgene Saite der eigenen Seele zum Klingen.
    Mir war es jedenfalls Ehre und Vergnügen zugleich, den tiefsinnigen Literaten ein Stück seines Weges begleiten zu dürfen, und so ziehe ich meinen imaginären Hut, um dem großen Wanderer zwischen den Zeiten meine Reverenz zu erweisen.

  • Danke für diese schöne Vorstellung!

    Worum es geht
    Hermann Hesses "Wanderung" beinhaltet skizzenhafte Aufzeichnungen und Gedichte aus dem Tessin (entstanden in den Jahren 1917/1918), die in 23 thematische Kapitel unterteilt sind, und im vorliegenden 94 Seiten umfassenden Band mit jeweils einem Aquarell des Autors eingeleitet werden.
    Es handelt sich hierbei um keine Reisebeschreibungen, sondern um sehr persönliche Texte, denen auch keine erfundenen Geschichten zugrunde liegen; dafür aber gewähren sie umso tiefere Einblicke in die Seelenlandschaft des Dichters.

    Das Stichwort Tessin hat mich aufhören lassen, da ich auf meinem SUB ein gleichnamiges Buch von Hesse besitze. Dieses aber hat tatsächlich über dreihundert Seiten und ist zeitlich auch über mehr Jahre verteilt. Ich verlinke es trotzdem einmal gerne hier für alle, die das Thema vertiefen wollen:


    Dieses Buch ist eine Liebeserklärung Hermann Hesses an eine wahlverwandte Region, die diesen Dichter, als er sie dreißigjährig erstmals gründlicher kennenlernte, »wie eine vorbestimmte Heimat und wie ein ersehntes Asyl« anzog. Mehr als vier Jahrzehnte hat er nach dem Ersten Weltkrieg dort gewohnt, ihre farbenfrohe und barocke Lebensfreude eingefangen in Bildern und Texten von märchenhafter Intensität. (Quelle: amaz.de)

  • Dieses aber hat tatsächlich über dreihundert Seiten und ist zeitlich auch über mehr Jahre verteilt

    Die "Wanderungen" sind ein kleinerer Auszug aus dem von Dir erwähnten Buch, das sicher auch einmal des Lesens wert wäre.